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Der Orden der Schwarzen Federn
Der Orden der Schwarzen Federn, Teil 1
Ich sah die Staubwolken am Horizont, die von ihren Rössern aufgetrieben worden waren. Du weißt, dass ich nicht fliehen kann. Das kleine Leben in meinem Bauch könnte nicht die endlosen Strecken überstehen, die ich bewältigen müsste, um Stonewater zu erreichen. Friedrich...mein Tod darf dir nicht auf der Seele lasten, denn er ist dir nicht zu verschulden. Du hast alles Erdenkliche geleistet, um mich in Sicherheit zu behalten, mir sogar beigebracht, wie man schießt. Aber ich bin zu schwach, als dass ich diese Schrotflinte einfach herholen und abdrücken könnte. Es sind sowieso zu viele. Es tut mir so Leid. Lass trotz diesem Schlag keine schönen Erinnerungen in Vergessenheit geraten. Ich sehe dich noch vor dem Händlers Laden, dein kindliches, junges Gesicht, und wie du mir meinen ersten Schokoriegel geschenkt hast...aus der Schweiz. Wie köstlich er war. Vergib mir, dass du mir nicht wirst Europa zeigen können. Deine Eltern kamen mir aus deinen Beschreibungen so lieb vor. Seine Männer haben mir nur etwas Zeit überlassen, dir diesen letzten Brief zu schreiben. Aber worum ich dich wirklich um Verzeihung bitten muss, ist den Verlust deines Kindes, das mit mir sterben muss. Es tut mir so Leid, Friedrich. Ich werde dich für immer lieben. Sie nehmen mich jetzt hinter das Haus.
Deine Anne
Friedrich stand vor dem Haus, den verkrumpelten Brief in seiner Rechten. Es würde das letzte Mal sein, dass er hier stand. Sie hatten gemeinsam dieses Haus errichtet, als er aus Europa gewandert war, hatten gemeinsame Träume gehabt, köstliche Erinnerungen hier. Ein Kind sollte vor dem Bau herumspielen, während er und seine Frau heiße Milch mit Honig tränken. Er war drei Wochen auf Vermessungsreise fort gewesen, kehrte zurück, und fand seine tote Anne hinter dem Haus mit drei Kugellöchern in der Brust. Aufgebläht von der Hitze lag sie einen Tag da, weil Docks Männer nicht den Anstand gehabt hatten, die Leiche einer so zierlichen, schönen Frau zu bestatten. Friedrich hatte vierhundert Dollar von Dock geliehen. Vierhundert Dollar für Vermessungsgeräte, um seinen Traum anzuspornen, Geld für seine noch wachsende Familie zu verdienen. Vierhundert Dollar für einen Hengst und eine kleine Karre wegen der Reisen, und er hatte dafür mit seiner Frau eingebüßt. Es war ihm nun alles wertlos, jedes Ding im Haufen. Er hatte Dock versprochen, dass nach dieser Reise er sogar Geld im Überfluss zur Verfügung haben würde, dann könnte er alle Schuld abzahlen. Nur drei Wochen. Dock war verärgert gewesen, doch hatte auf drei Wochen widerwillig eingeschlagen. Friedrich hatte sich um einen Tag verspätet, und es hatte ihm seine Frau gekostet. Anne war tatsächlich nicht mehr da. Er hatte ihr sogar erklärt und gezeigt, wie man sich der Schrotflinte bedient, doch empfand selber dabei Zweifel. So eine lammfromme Frau würde keinen Menschen erschießen. Dieser Brief enthielt ihre letzten Worte und Gedanken...seine Anne. Ihre Finger hatten zur Feder gegriffen und sorgfältig in der verschnörkelten Schrift, die Fredrich immer so bewunderte, einen Abschied gedichtet, in dem sie IHN um Verzeihung bat. Diese Tatsache drohte, sein Herz zu zertrümmern. Seine Frau war nicht nur seiner Schuld wegen gestorben, sondern glaubte auch in ihren letzten Stunden, dass sie die Schuld eines verlorenen Kindes trüge. Friedrich nahm so etwas überhaupt nicht hin. Er begrub seine Anne und hatte sich drei Tage lang betrunken. Jedes Mal, dass das klare Bewusstsein zurückzukehren begann, ertränke er es mit einer zusätzlichen Flasche. Am dritten Tag war er in einer verpissten Hose und schweißgebadeter Jacke auf dem Bett aufgewacht. Nachdem er einen nüchternen Kopf erlangt hatte, beschloss er fortzugehen. Hier war seine Anne gestorben und somit seine Träume. Nach Europa würde er nicht schiffen. Ein derartiger Mensch, wie er, verdiente nicht mehr, die Welt mit seiner widerlichen Gegenwart zu behelligen. Den Hengst würde er zu den Klippen nehmen, sich dort auf eine Kante hinstellen und in den Mund schießen. Seine Leiche würde in die Schlund hinabstürzen und die Welt konnte endlich einer störerischen Bürde, wie Friedrich, enthoben sein.
Nun saß er auf dem Hengst, hielt den Brief und dachte versonnen über den nächsten Schritt nach. Das verknitterte Papier faltete er zusammen und steckte es in seine Jackentasche. In der linken Hand hielt er immernoch die Fackel. Es war eindeutig: mit Annes Tod war dieses Haus all seiner Glückseligkeit und Hoffnung beraubt worden. Hier war kein Heim mehr, nur eine Hülle. Den linken Arm ließ er in einem breiten Schwenker nach vorne schnellen. Die Fackel ließ er los, und sie krachte durch eins der Verandafenster, landete im Wohnzimmer auf dem trockenen Teppich und fing an, den Hausrat langsam zu verkohlen. Die Flammen ersteigerten sich geschwind und bald glühten alle Fenster im Erdgeschoss. Die Scheiben knackten entzwei ob der extremen Temperaturänderung. Friedrich linste vom Sattel in das brennende Wohnzimmer hinein. Ein Dachsparren krachte hinab. Heiße Glut umwirbelte das Innere der Struktur. Schließlich sackte der First über dem Giebel ein, und das ganze Obergeschoss stürzte zusammen. Das unbehagte Wiehern des Pferdes riss Friedrich aus der Benommenheit, die ihn anlässlich dieses Anblicks befallen hatte. Er schnalzte mit der Zunge und trieb den Hengst um, dem ewigen Horizont entgegen, wo die Klippen in der Ferne emporragten.
Die Sonne hing in Form einer riesigen Scheibe am Himmel des Nachmittags. Ihre Strahlen verbuken Friedrichs Schultern und Nacken, doch der Reiter empfand keinen Schmerz. Sein Pein lag in seinem Innern, wo eine tobende Schlacht zwischen Schuldsgefühlen und Wut stattfand. Eine dunkle Stimme dort rief ihm ins Gedächtnis, dass Rache eigentlich die beste Wahl jener Lage wäre, doch er war zu geschwächt, zu fertig, um einen Feldzug gegen Dock vollziehen zu können. Seinem Körper war bei dem Anblick seiner toten Frau jede Kraft entwichen, die normalen Menschen dabei hilft, selbst Einfachheiten, wie Schnürsenkelbinden, zu vollständigen. Es happerte Friedrich jetzt an Kraft zu atmen. Deshalb verspürte er, wenn auch winzig, einen Reiz der Dankbarkeit, als der Anstieg an der Klippe zu Ende war, und er nun vor dem Rand des Abgrunds stand. Sein Pferd schnaufte erschöpft. Als der ermüdete Reiter abstieg, blieb sein einer Stiefel wegen der Lähme seines gesamten Leibs in einer Reitschlaufe verheddert, und er fiel kopfüber auf den steinigen, trocknen Boden. Er blies schwach den Staub aus seinen Nasenlöchern und verharrte einen ungemütlichen Augenblick, während dessen seine Beine oben gegen den Rumpf des Hengstes lehnten und seine Brust mitsamt Kopf im Staub lag. Mühsam erhob er sich und brachte den Revolver aus dem Halfter, schlug den Hahn nach hinten und trat schwankend zum Mund der Tiefe. Unter sich konnte er das Gestrüpp sehen, durch welches er hergeritten war, und direkt vor der großen Klippe, eine Einbuchtung im Erdboden, die sich in eine endlose Schwärze hineinerstreckte. Die Schlund. Dort würde er seinen Frieden finden. Seine Stiefelabsätze scharrten im Kies am Rand des Sturzes. Er trat sacht einen beträchtlich größeren Kiesel von der Klippe weg und sah zu, wie er in der klaffenden Kluft verschwand. Kein vernehmlicher Aufprall. Er streifte seine Jacke ab, lächelte sogar darüber, dass er überhaupt Kleider noch trug. Wozu war das alles wichtig, wenn man binnen weniger Sekunden nicht mehr lebte? Wie hatte Anne ihren Tod hingenommen? Wahrscheinlich mutiger als er seinen. Den Revolverlauf schlüpfte er sich langsam in den Mund. Ein öliger Eisengeschmack verbreitete sich und überwältigte seine Geschmacksknospen. Wie würde es sich anfühlen? Vielleicht ein plötzlicher Satz im Mund, ein heftiger Zug im Kopf, eine Sekunde zersprengenden Schmerzes, dann war alles vorbei? Er wusste es nicht. Nun grauste es ihm davor...und er hasste sich noch mehr hierfür. Seine Augen quollen in Furcht hervor, während er immer noch am Lauf der Waffe herumlutschte. Schweiß rann in glitzernden Perlen über seine Stirn und troff in den Wüstensand, wo er sofort zu harten, erdigen Bällchen wurde. Mit den Stiefeln scharrte er mehrmals unsicher herum. Er bestärkte den Druck des Zeigefingers, der am Abzug verharrte. Ein aufgeregtes Schreien loderte gedämpft hinter den geschlossenen Lippen auf. Er schrie in den Lauf des Revolvers, musste hierdurch den richtigen Mut erfassen. Adern lugten an seiner Stirn hervor, die Farbe seiner Züge hatte ein fast zorniges Rot übernommen. Sein ganzes Haupt zitterte angespannt. Er brummte jetzt leiser, der Schrei war erstorben. Ein Feigling, dachte er, du bist ein verdammter, verfluchter Feigling! Eine furiose Debatte entfaltete sich geschwind in seinem Bewusstsein. Nein, er war doch nicht ein Feigling. Er musste nur den Mumm aufstöbern, der in ihm lauerte und auf eine dermaßen Tat ewig lang wartete. Der Schrei erhielt plötzlich mehr Macht und schwoll wieder an. Ja, er würde es tun. Ein Leben ohne Anne besaß keine Würde, keinen Sinn.
Ich werde sie wiedersehen! blitzte es ihm jäh durch den Kopf, und er befestigte den Druck am Abzug für ein endgültiges Mal. Ich komme, Anne!
»Na, tust du es, oder muss ich mich noch länger langweilen?«
Die Stimme hinter Friedrich ertönte so plötzlich, dass er den Revolver in seinem schon geschwächten Zustand fallen ließ und laut aufschrie. Die Waffe kullerte in die endlosen Tiefen der Schlund hinab. Ein ferner Schuss grollte von dem Loch herauf und hallte zwischen dem Gestein wider. Friedrich wirbelte wütend um, und erblickte einen jungen, dunkelhäutigen Mann, der in verschlissener Tracht auf einem schwerbeladenen Esel saß. Dieser wich jetzt etwas zurück, als er die rasende Wut in der Miene des Anderen sichtete.
»Du...du...du...«, stammelte Friedrich außer sich und zitterte am ganzen Leib.
»Sieh mal, es tut mir Leid...ich hab' dich gesehen und-«, setzte der junge Mann an.
»DU!!!« brüllte Friedrich mit einem Zorn, der seine Stimme jenseits des Horizonts fortnahm. »Ich war dabei! Ich habe den Mut erfasst, ich war dabei! Ich konnte es endlich tun, aber du! DU!!! Du hast es mir vermasselt! Du hast meine Konzentration durchbrochen! Jetzt habe ich meinen vertrauten Revolver geopfert und wofür?! Für nichts! Deinetwegen!! Ich werde dich TÖTEN!« Und damit torkelte er, immer noch vom Verlust seiner Frau benommen, zu der jungen Gestalt hinüber, die Hände verkrampft zu strammen Krallen gezogen, das Gesicht verzerrt. Ein Adernetz hatte sich an seinem roten Hals gebildet. Sein Angriff verrauchte aber sofort, als der Jüngere auf dem Esel einen Revolver selber aus einem Halfter zückte und auf Friedrich richtete.
»Komm mir nicht näher«, befahl er ängstlich, aber fest. »Bleib da, oder ich schicke dich ins Jenseits.«
Unvermittelt merkte Friedrich, dass er beim Anblick der anderen Waffe zum Stillstand gekommen war. Er stand hechelnd da, die Arme schlapp zur Seite baumelnd.
»Du hast mir meinen Selbstmord verpfutscht«, keuchte Friedrich immerzu wütend. »Du hast kein Recht, eine Waffe jetzt auf mich zu zielen.«
»Spring doch«, erwiderte der Andere trocken. Er konnte aber nicht ein leichtes Lächeln verbergen, das sich nun auf seinen Lippen zum Vorschein brachte. »Mit einem Loch in der Birne fällst du nicht, aber sterben wirst du bestimmt. Die Schlund drunter müsste mindestens hundert Klaffter tief sein.«
»Aber so wollte ich es gar nicht«, antwortete Friedrich leise. Er trat einen Schritt auf den Mann zu.
»He!« brauste dieser ermahnend auf. »Nicht näher kommen!«
Als beide in einem seltsamen Schweigen innehielten, und einige Zeit verflossen war, fragte der auf dem Esel: »Na, schmeißt du dich in die Schlund oder nicht?«
»Nein!« schnaubte Friedrich.
»Also, du willst nicht sterben«, stellte der Andere fest.
»Doch!«
»Ach ja? Weshalb hast du dich dann nicht in die Schlund gestürzt?«
»Weil ich nicht so sterben will!«
»Aber Sterben ist eben Sterben«, entgegnete der Fremde glucksend.
»Du irrst dich. Ich wollte mich erschießen, dann hinabfallen.«
»Du hast aber immernoch mich, und ich bin bewaffnet. Soll ich dir beim Schießen behilflich sein?«
»Nein.«
»Warum?«
»Weil du mich dann ermordest!« schrie Friedrich erzürnt. »Ich soll nicht ermordet werden! Ich soll Selbstmord begehen, mich selbst umbringen, mit meinem Revolver, auf meine selbst erdachte Weise! Du hast dies aber natürlich verdorben!«
Der Fremde sah ihn amüsiert an, dann lachte leise. Seine Stimme war tief und rau trotz seines jungen Alters. Friedrich vermutete, dass seine Abstammung mexikanisch wäre, da seine Haut so dunkel und sein Haar so schwarz war. Obendrauf sprach er mit einem leichten Akzent, der jedes R dazu veranlasste, übertrieben mit der Zunge gegen Gaumen gerollt zu werden.
»Also, du willst sterben, doch beträgt dir dein Leben genug Bedeutung und Wichtigkeit, dass dir solche Nebensächlichkeiten wie die Art und Weise deines Todes dir immer noch am Herzen liegen?« fragte er im schallenden Gelächter. »Willst du mich etwa verarschen?«
Friedrich war verblüfft ob seiner eigenen Verhaltung. Wieso hatte er denn eigentlich angehalten, als der Fremde seinen Revolver herausholte? Weshalb war er einfach nicht weiter herangeprescht, um dem frechen Mexikaner einen friedbringenden Schuss zu entlocken?
»Vielleicht will ich nicht sterben«, gestand Friedrich leise, und sah zerwürfelt und durcheinander zu den Büschen auf dem staubigen Boden. »Vielleicht bin ich mir so minderwertig, dass ich mir die Strafe zuziehen soll, für immer mit meiner Schuld auf der Erde zu wandeln. Vielleicht ist mir der Tod zu barmherzig für Dreck wie mich.«
Diese letzten Worte fügte er murmelnd und so leise hinzu, dass der Fremde den Kopf nach vorn neigen musste, um sie zu verstehen. »Was sagst du da?« wollte er besorgt wissen. »Welche Strafe?«
»Meine Frau...« begann er zu erklären, aber bei diesen Worten quollen heiße Tränen in seinen Augen hervor. Er schniefte sie heftig zurück. Nein, er würde sich nicht vor diesem Fremden verletzlich anstellen. »Meine Frau ist meinetwegen erschossen worden. Ich schulde einem Herrn sehr viel Geld und er hat Handlanger entsandt, um sich an mir zu rächen. Ich war um einen Tag bei meiner Rückkehr spät, und sie haben meine schwangere Frau niedergeschossen, statt auf mich zu warten.«
Der Mexikaner saß nun von seinem Pferd ab und rückte sich in Friedrichs Nähe. Überraschenderweise legte er dem fast weinenden Mann eine tröstliche Hand auf die Schulter.
»Wir alle begehen Fehler«, sagte er leise. »Es ist nachvollziehbar, weshalb du dich umlegen willst. Aber glaubst du nicht, dass du zuerst diejenigen, die dir so viel schändlichen Schaden zugefügt haben, von der Erde tilgen solltest? Du schuldest ihnen Geld, aber sie hätten warten sollen. Es ist eine Schandtat und Entstellung der eigenen Ehre, eine Frau zu töten.«
»Sie werden mich niederknallen, bevor ich überhaupt in die Nähe ihres Hauptes gelangen kann«, sagte Friedrich entschlossen.
»Na und? Besser im Versuch einer Vergeltung zu sterben, als hier jämmerlich auf dieser Klippe«, bekundete der Mexikaner trocken. »Begib dich auf die Jagd nach ihnen.«
»Wieso?«
»Damit deine Frau und ungeborenes Kind Frieden finden«, sagte dieser. »Sie sind deinetwegen von der Hand niederträchtiger Männer gestorben. Das einzige, was du nun tun kannst, ist ihnen das Unrecht, das ihnen getan wurde, mit Recht zu begleichen.«
»Ich kann nicht einen einzigen Tag länger leben«, konterte Friedrich niedergeschmettert. »Ohne meine Frau bin ich nichts. Ich war immer ein Taugenichts, aber zumindest mit ihr konnte ich etwas anfangen. Ich war aus Europa gezogen, konnte vermessen...wollte damit eine Entlohnung einbringen. Amerika war vielversprechend...so viel unvermessenes Gelände. Keine wollte mich, konnte sich auf diesen Traum verlassen. Anne hatte mir vertraut, gab mir die Chance.« Seine Stimme wurde brüchig hierbei.
»Hör auf mit dem Gejammer«, schärfte ihm der Mexikaner harsch ein. »Wenn du wirklich willst, begleite ich dich hierher zurück, sodass du dir endlich den greinenden Mund mit Blei füllen kannst, aber davor musst du dich an diesen Männern gerächt haben.«
»Hol dich der Teufel!« knurrte Friedrich. »Wer bist du überhaupt? Wer hat's dir erlaubt, mich anzureden und hier raufzureiten auf deinem verseuchten Packtier? Kehr fort und verzichte gefälligst drauf, mich mit deiner Gegenwart zu behelligen.«
»Soldaten haben meine Frau und Kinder mit Fackeln zerbrannt«, sagte der Mexikaner mit einer abwesenden, verwelkten Miene. »Darüber werde ich aber nicht sprechen. Seit jeher reite ich zwischen Westen und Osten, um Watte zu transportieren. Die Züge sind natürlich schneller, doch können nicht meinen Preis überbieten. Ich kauf den Zusatz von den Plantagen ab, dann reite ich hierher zurück und versuche, etliche Verkäufe abzuschließen.«
»Mein Beileid«, sagte Friedrich betreten. »Das wusste ich nicht.«
»Ich will nicht dein Beileid«, gab der andere etwas sauer zurück. »Dir steht der Luxus zu, der dir gestattet, zu wissen, wer deine Geliebten ermordet hat. Ich konnte es in meinem Falle nicht wissen und daher wandeln sie möglicherweise für immer als Gespenster der Erde.«
»Wie heißt du?« fragte Friedrich schläfrig.
»Paco«, antwortete der Mexikaner. Er lächelte nun breit, und entblößte dabei zerknackste, vergilbte Zähne. »Meine anderen Namen kann bis heute kein Weißer aussprechen. Also stellen wir uns lieber mit Paco zufrieden.«
»Einverstanden. Wie hast du mich denn hier gesehen?«
»Ich reite immer hier lang, und war zufälligerweise in deiner Nähe, sah, wie du so unschicklich von deinem Pferd umkippte und dann, als es mir gewahr wurde, dass du dich umlegen wolltest, wurde ich wirklich interessiert. Dachte am Anfang, du wärst nur ein besoffener Narr. Als du so lang verzögert hattest, sprach ich dich an.«
»Verstehe.«
»Und du? Wie lautet dein Name?«
»Friedrich.«
Paco ärgerte sich eine lange Weile mit der Aussprache der letzten zwei Buchstaben herum, bevor er vorschlug: »Vielleicht kann ich nur Friedrisch sagen.«
»Sag was du willst«, erwiderte Friedrich gleichgültig. Er konnte aber nicht die leichte Verärgerung in seiner Stimme vertuschen. Seit seiner Ankunft in Amerika, konnte so gut wie keiner seinen Namen richtig über die Zunge befördern.
»Ich nenne dich Frieden«, sagte Paco schlüssig. »Aber du darfst diesen Namen deine Leistung der Rache nicht beeinträchtigen lassen.«
»Wird er nicht.«
»Wo wirst du mit deinem Rückschlag beginnen?« fragte der Mexikaner beklommen.
»Stonewater«, antwortete Friedrich ohne nachzudenken. »Dort war Dock zuletzt. Auch wenn er sich dort nicht aufwühlen lässt, kann ich seine Verbündeten ausfragen. Sie werden auf jeden Fall wissen, wo er seinen fetten Arsch derzeit niedergelassen hat.«
»Dann reiten wir los«, drängte Paco und schickte sich an, seinem Esel die Sporen zu geben.
»Nein«, unterbach Friedrich seine Aufregung. »Zuerst kampieren wir hier. Mein Kopf muss klar sein, und ich muss sowieso eine neue Waffe besorgen.«
»Ich habe ein Repetiergewehr in einem der Säcke hier«, erbot Paco und tätschelte einen der prahlen Beutel, die dem Tier am ganzen Hinterleib umgezurrt waren.
»Dann ist das schon erledigt. Schlagen wir ein Lager auf. Morgen früh brechen wir auf.«
Am Abend sammelten die zwei Geäst von den struppigen Sträuchern ein und entfachte ein kleines Feuer. Unter einem endlosen Meer aus Sternen und Konstellationen, legten sie sich hin. Bevor er eindöste, schwebte es Friedrich durch den Kopf, dass er doch glücklich war, am Leben zu sein. Aber war es echtes Glück, das er empfand? Sollte einer weiter voranexistieren, um einen anderen nur seines Daseins zu berauben? Als er weiter hierüber nachgrübeln wollte, übermannte ihn die Erschöpfung und er ergab sich einer Welt der grässlichen Träume, bei denen er dem Tod seiner Anne hundertmal beisitzen musste.