Der Niedergang
DER NIEDERGANG
„Scheisse! Wieder mal einer dieser Tage!“ grummelte er vor sich hin. Sass in seinem kleinen, übermöblierten Wohnzimmer, hockte vor einem dieser kleinen Schachcomputer und machte seinen Rücken, durch schon ungesund aussehendes Beugen, völlig kaputt. „Wieder mal einer dieser Misttage!“ grummelt er weiter. Die heutigen Schachcomputer sind so gerissen, die können jedermann mit unglaublicher Leichtigkeit an die Wand und in den Wahnsinn spielen. Und dieser hier hatte dafür ein besonderes Talent. Das hatte er schon lange gedacht. Er merkte es ja. Wie es ihn kribbelte. Angefangen hatte es mit diesem unbehaglichen Gefühl, das nun schon das Ausmass von „unbeschreiblich nervend“ angenommen hatte. Und dieses Gefühl, es hatte sich indes schon in erwähntem, physischen Symptom geäussert, konnte ihn noch irgendwann in den Wahnsinn treiben, wenn er’s nicht schon war. Das Kribbeln in den Fingerspitzen steigerte sich immer zu und gekoppelt mit dem Bedürfnis den elenden Computer endlich vom Tisch zu schiessen, war es schon bald zu immens für ihn. Er hatte schon die Hand zu jenem vernichtenden Schlag auf den vermeintlich intelligenten Computer erhoben.
In diesem Moment sprang die Tür in einem rekordverdächtigem Tempo auf und knallte mit einem ebenso verstiegenen „Wumms!“ an den dahinter stehenden Stuhl.
„Das gibt’s doch nicht!“ rief sie. „So eine Schande“ Er platzierte die Hand genüsslich auf den massiven Holztisch und fragte mit künstlich besorgter Stimme: „Was ist denn?“ „Diese verdammte, alte Gans von nebenan! Wie kann man es nur fertig bringen den ganzen Tag hinter dem Vorhang auf die Nachbarn zu lauern.“ „Ach komm schon, das bildest du dir doch nur ein...“ meinte er, ihre Bemerkung herunterspielend, während er den Blick wieder von ihr löste und geistig an seinem nächsten Zug herumfeilte. Er wusste nicht warum, aber wenn die anderen litten, dann ging’s ihm doch gleich irgendwie besser.
„Doch, du kannst mir schon glauben. Die Hexe hockt den ganzen Tag da und wartet auf ihr nächstes Opfer. Wie einer dieser kleinen Springteufel, die es kaum erwarten können dem nächsten Idioten ins Gesicht zu hopsen! Und wenn endlich ein Passant oder Nachbar vorbeikommt, vorzugsweise natürlich ich, dann müssen urplötzlich die Gardinen gestrafft, die Jalousien geschlossen oder diese hässlichen Blumenkistchen geputzt werden.“ „Aber wieso regst du dich denn so auf? Das ist nun mal eine alte Frau, die nichts besseres zu tun hat. Lass sie doch gaffen, wenn sie gaffen will.“ , fügte er ihrer Beschwerde etwas genervt, aber beschwichtigend zu.
„Oh das glaub ich nicht! Jetzt nimmst du die auch noch in Schutz?“ sie machte eine Pause, aber als sie bemerkte, dass es ihm zuwider war darauf zu antworten, schob sie die Augenbrauen zusammen und sagte: „Na ja, was erwarte ich denn eigentlich von einem, der sowieso den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hat als vor dem Schachcomputer zu sitzen und Däumchen zu drehen.“
Sollte er das auf sich sitzen lassen? Er war ja eh schon gereizt genug. Und wenn er jetzt darauf einstiege, dann könnte sie heute noch den Kopf verlieren... Also schwieg er und beobachtete, wie sie mit grimmiger Miene die Handtasche auf die Sitzgelegenheit platzierte und die Einkaufstüten in die Küche brachte. Er hörte das dumpfe Geräusch trotzend fallengelassener Tüten, samt den Dosen, die sich in ihnen befanden. Gleichgültig wandte er sich wieder dem Spiel zu.
Vom Regen in die Traufe. Kaum hatte er ein paar Züge hinter sich, da hatte ihn dieser Mistkerl auch schon wieder in der Mangel. Und zu allem Überfluss musste sie jetzt auch noch ins Wohnzimmer stolziert kommen und sich erhaben, wie Königin Kleopatra höchstpersönlich, auf die Couch neben ihm niederlassen. Provokativ schaltete sie eine Seifenoper in voller Lautstärke ein. „Oh! Manuel! wenn meine Halbschwester das rausbekommt, dann wird sie die Scheidung einreichen.“ säuselte es vom Bildschirm her.
So etwas gab’s doch nicht! Wie konnte er denn das verdient haben? Durchdringend sah er sie nun an, doch sie tat als hätte sie dies nicht bemerkt und fixierte den Bildschirm so, wie das niemand ausser ihr konnte. „Könntest du bitte die Tagesschau einschalten“ fragte er so freundlich, wie das wohl das ganze Jahr hindurch noch nie der Fall gewesen war. Ohne den Blick von dem engumschlungenen Liebespaar zu trennen erklärte sie ihm: „Aber ich bin hier etwas am Schauen. Ich habe gerade erst eingeschaltet. Warum hast du denn nicht schon vorher Nachrichten geschaut?“ Wohl wissend das dies eine rhetorische Frage war, gab er vor, dass ihm das erst jetzt in den Sinn gekommen wäre. „Tut mir leid, aber jetzt habe ich schon angefangen, du kannst sie ja in 2 Stunden noch mal schauen.“
Noch genervter als zuvor widmete er sich erneut dem Schach. Leider hatte dieser Computer hier, nebst allen Eigenschaften, die ihm – so schien es heute – der Teufel aufgebunden hatte, auch die, dass er jedes Mal, wenn ein unmöglicher Zug geschah, einen schrillen Piepston erklingen liess. Das war jetzt auch wieder der Fall. Einmal ging ja noch. Das konnte höchstens den Ohren schaden, aber jetzt wollte er nicht mehr. Egal was getan wurde, er piepste. Schwarzer Springer auf G6 – Pieps! Schwarzer Turm auf H4 – Pieps!
Fast schon lärmend fragte er „Was soll denn das?“ Seine Miene legte sich in Falten und benutzte einige von den 52 Gesichtsmuskeln, die er wohl vorher noch nie betätigt hatte. Pieps! Pieps! Wenn er’s nicht besser gewusste hätte, hätte er gedacht, der Computer verspotte ihn. Stänkernd fragt sie dazu auch noch „Ja, was soll das eigentlich? Ich schaue hier fern!“ Jetzt hatte sie verpasst, wie die Ehefrau Manuel erwischte, während er sie mit ihrer Halbschwester betrog...
Er nahm die Fernbedienung und stellte die Flimmerkiste symbolisch ab. Das konnte sie kaum glauben! Wie konnte er es wagen? „Geht’s noch!“ rief sie aus. „Es nervt mich, wenn da die ganze Zeit irgendwelche Leute irgendwas rumsülzen!“ erklärte er. „Es geht mir nicht um die Serie, vielmehr schient das offen zu Tage zu legen, dass du keinen, aber auch gar keinen Respekt vor mir hast!“ „Doch, den habe ich, aber im Moment nicht!“ schrie er sie mit übertriebener Gestik an. „Schrei mich nicht an!“ , schrie sie zurück. „Ich schreie hier, wann es mir passt!“ sagte er wiederum.
„Na gut, dann schaue ich fern, wann es MIR passt!“
Sie nahm die Fernbedienung in die Hand und war schon kurz vor dem ekelhaft grünen Knopf, als er sie ihr aus den Fingern riss und auf den Boden schmiss. Wahrhaft erbost, griff sie zu seinem Schachspiel und schmiss es mit gekonnter Eleganz gegen die Bibliothek, so dass es dem Wurf entsprechend schepperte. Wütend stand er auf und ging zu ihrer chinesischen Vase. „Hier, das kannst du haben.“ meinte er triumphierend. Mit einem grellen Klirr vertonte die Vase die momentane Stimmung. Ihr Gesicht zog sich lang und ihr Mund war so weit offen, dass bestimmt jeder Zweite die Öffnung für einen Tunnel gehalten hätte.
Wütend gingen die beiden auf einander los und packten sich bei den Haaren. Sie griff zu dem Brieföffner, der - wie für eine solche Situation platziert – dalag. Sie nahm ihn zwischen ihre wild zappelnden Finger und rammte ihn in sein rechtes Knie. Wie ein wildes Tier schrie er auf und sackte zu Boden, kauerte sich zusammen und wimmerte Unverständliches vor sich hin.
Mit den Händen, die sie vor ihren Mund schlug, schien sie auch die Vernunft wieder in sich hinein zu pressen. Langsam kniete sie nieder und mit unfassbar leiser Stimme fragte sie ihn nach seinem Befinden. Welch blöde Frage! Wie würde es ihr denn gehen, wenn sie einen Brieföffner ins Knie bekommen hätte? Aber besser als gar nichts. Tröstend legte sie ihm die Hand auf die Schulter und zusammen mit ihren gestammelten Worten, die an den Haaren herbeigezogene Ausreden suggerierten, fing auch er an, sich wieder zu sammeln.
Vielleicht lag es aber auch daran, dass er keine Zeit mehr hatte, sich mit dem unterhaltsamen Streit zu beschäftigen...
Dann gleich noch eine Frage: Kann ich unten ein "coyright by fff" hinschreiben und dann ist das gültig?