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Der neue Swimmingpool

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23.10.2003
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Der neue Swimmingpool

Es war wohl die schönste Feier die Andreas jemals erlebt hatte. Im Minutentakt dirigierte er leckere Grillwürste und saftige Koteletts in Richtung Festtafel und sah zufrieden mit an, wie es seinen Gästen mundete. Interessierten Bekannten gab er begeistert Auskunft über seine Methoden der hohen Kunst des fachgerechten Grillens. Welche Gewürze passen am besten, wird das Fleisch wirklich besser wenn man eine Flasche Bier über den Grillrost verteilt?. Auf diesem Gebiet war Andreas eine anerkannte Größe und seine Freunde wussten das auch zu schätzen.
Es war Zwei Uhr an diesem Sonntag, mitten im schönsten August den diese Welt wohl jemals gesehen hatte. Und zum ersten Mal seit langem war Andreas wieder glücklich. Zufrieden, mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen, prostete er seinen Gästen zu und ließ seinen Blick schweifen. Marion, seine über alles geliebte Frau, war gerade in ein anscheinend hochinteressantes Gespräch mit ihrer besten Freundin vertieft. Sie gestikulierte wild mit den Armen, nur um Sekunden später wieder in ein herzhaftes Lachen zu verfallen. Sein Bruder Christian ließ sich den Anlass nicht nehmen um seinen, unterdrückt leidenden, Schwiegersohn einmal mehr lautstark die Vorteile der neuen BMW-Serie zu verdeutlichen, während seine Frau Susanna weitestgehend damit beschäftigt war ihre Enkel unter Kontrolle zu bringen, und die Grillspeisen gerecht unter der Rasselbande aufzuteilen.
Doch die meiste Bewunderung galt seiner Tochter Kristine. Scheu wie ein kleines Reh saß sie da, und zugleich wunderschön wie noch nie. Ihre langes Haar hatte den matten, ausgebleichten Ton von früher endlich abgeworfen, und erstrahlten nun wieder in einem satten, kräftigen Rot. Das liebliche Gesicht, mit der unwiderstehlichen kleinen Stupsnase, stand dem in nichts nach und von der ursprünglichen Leichenblässe vergangener Tage war nichts mehr zu sehen.
Auch die Einschnitte an den Armen waren besser verheilt als Andreas zunächst befürchtet hatte. Es waren wohl noch Narben zu sehen, schmale Striche, beinahe wie kleine Gespenster zogen sie sich durch ihre gebräunten Arme. Die verbliebenen Zeichen einer Zeit, an der diese Familie beinahe zerbrochen wäre.
Doch jetzt war alles wieder gut, er wusste es, die ganze Familie wusste es.
Die letzten Drei Jahre erschienen Andreas nur mehr wie ein böser Traum, der erst diesen Sommer sein Ende gefunden hatte. Drei Jahre die er eher einer schlechten TV-Seifenoper zugeordnet hätte als seiner Familie.
Andreas musste, unmerklich von allen anderen, seine Tränen unterdrücken als die Erinnerungen unweigerlich über ihn hereinbrandeten. Der tragische Autounfall seines Sohnes Markus, und das Zerbrechen seiner Tochter, die ihren Bruder so sehr geliebt hatte. Er und seine Frau waren zu betäubt, noch zu schmerzerfüllt um ihrer Tochter in dem Maß beizustehen das sie gebraucht hätte.
Nie mehr würde er den Anblick vergessen als er vor nunmehr zwei Jahren seine Tochter in ihrem Zimmer auffand. Eine Vision an die zu denken er nicht mal bereit war, wurde zur qualvollen Wirklichkeit. Schmerztabletten, und noch unzählige andere Medikamente lagen zur Schau gestellt, wie zum Hohn seiner Ignoranz, ausgebreitet in einer das ganze Zimmer einnehmend drohenden Blutlache. Und darin seine Tochter, schmerzerfüllt wimmernd, und ihn anstarrend aus kalten, hasserfüllten Augen.
An die darauffolgenden Wochen konnte sich Andreas kaum mehr erinnern. Es waren jene Informationen, die das Gehirn ob ihrer schieren Grausamkeit zum Wohle der Seele auf ewig versperrt hielt.
Andreas musste tief schlucken um sich wieder in Fassung zu bringen. Sein Neffe Harald, ein kleiner Knirps von gerade mal Vier Jahren, rüttelte derb an seinem Bein, untermalt von lautstarken Rufen, die Andreas jäh wieder ins Hier und Jetzt zurückholten.
„Kann ich noch ein Grillwürstchen haben Onkel?“ Andreas musste ein mehr als erschrecktes Gesicht gemacht haben, denn Harald wich hastig einen Schritt zurück, und sah seinen Onkel unsicher an.
Andreas, über sich selbst erschreckt, versuchte schleunigst wieder ein freundliches Lächeln aufzusetzen und antwortete hastig.
„Aber klar, Kleiner. Dein Onkel war grad etwas in Gedanken. Wie wäre es denn mit einem Grillwürstchen, und für deine lange Wartezeit lege ich noch ein Käsewürstchen drauf. Na, wie klingt das?“ Die Antwort seines Neffen war eine Mischung aus Danke und gleichzeitigem Schmatzen, da er sich bereits einen Gutteil des ersten Würstchens genehmigt hatte. Dankbar nahm er auch das zweite entgegen und machte sich eiligst davon, wohl um seinen Kameraden vorzuhalten welch reichliche Beute er bei seinem Onkel abgestaubt hatte.
Mit einem kleinen Kopfschütteln versuchte Andreas wieder einen reinen Kopf zu bekommen und machte sich erneut ans Wenden der aufgelegten Brotscheiben und Koteletts. Während er langsam aber sicher wieder ganz in den Kampf um das Anbrennen der aufgelegten Köstlichkeiten verwickelt war, riss ihn die volltönende, schon leicht angetrunkene Stimme seines Bruders abermals aus seinen Gedanken.
„Sag mal, kleiner Bruder! Wann willst du denn endlich deine neue Badewanne einweihen. Ich will meine Badehose nicht umsonst mitgenommen haben“ vernehmliches Gelächter ertönte von allen Seiten.
Andreas kam auch nicht herum über die Aussage seines Bruders zu schmunzeln.
„Du kannst gerne unsere Badewanne einweihen, den Weg kennst du ja. Der Rest kann derweilen ein paar Runden in unserem neuen Swimmingpool drehen.“ Christian schaute noch kurz verdutzt bevor er das schallende Gelächter rings um ihn lauthals unterstütze.
Andreas wandte seinen Blick mit einem Lächeln hin zu seinem frisch fertiggestellten Prachtstück. Erst gestern waren noch die letzten Betonplatten rings um den Pool verlegt worden, und für eine kurze Zeitspanne fürchtete Andreas sich, das diese unter dem bald losbrechenden Ansturm verrutschen würden. Doch das war ihm heute eigentlich nicht mehr wichtig. Der Pool stellte für ihn und seine Familie so viel mehr da als die Möglichkeit ein kurzes Erfrischungsbad zu nehmen. Sie hatten ihn zusammen gebaut, als Familie. Der Pool sprühte vor Dekadenz, war eigentlich viel zu groß für ihren bescheidenen Garten, und an die finanzielle Seite mochte Andreas gleich gar nicht denken. Verspielte Säulen, mit wunderschönen, mystisch verschnörkelten Ornamenten waren rings um das Becken aufgestellt worden. Der Pool selbst lud mit einer halbkreisförmigen, drei Meter breiten Treppe dazu ein sich in das darin befindende Vergnügen zu begeben, und eine sündteure Gegenströmanlage tat das übrige für einen perfekten Badegenuss dazu. Der einzige Schnörkel war noch die unter der Treppe angebrachte Folie, die noch gute Dreißig Zentimeter hervorstand. Andreas wollte sie eigentlich noch am Vormittag abschneiden, war dann aber mit den Vorbereitungen für das Grillfest zu beschäftigt.
So beließ er es bei der Warnung an die Kinder aufzupassen, um nicht auf der Folie auszurutschen.
Den ganzen Sommer hindurch arbeiteten sie daran. Natürlich immer wieder mit Unterstützung ihrer Freunde und Verwandten, aber was ihm am meisten bedeutete war die Anteilnahme seiner Tochter. Er wusste am Anfang nicht ob das die richtige Art von weiterführender Familientherapie sei, aber Kristine war so begeistert von dem Gedanken, sodass jeglicher Zweifel alsbald von ihm abgefallen war.
Und wenn er nach der schönsten Erinnerung seines Lebens gefragt worden wäre, so wäre es das Aufblühen seiner Tochter in diesem Sommer gewesen. Alle Qualen, alles Leid das sie zusammen durchstehen mussten waren hier und jetzt vergessen. Sie hatten alles hinter sich gelassen und waren zusammen.

Mit Freuden beobachtete er wie seine Neffen seiner Aufforderung nachgingen, und wahre Wasserfontänen verspritzend im Becken landeten. Auch Marion und Kristine hatten sich umgezogen und planschten beherzt im Pool. Fröhlich, und in diesem Augenblick von allen Sorgen dieser Welt entbunden. Und wie wunderschön sie doch aussahen. Kristine einfach nur als hübsch zu bezeichnen wäre eine Beleidigung gewesen . Selbst in der harten Zeit des Entzugs war ihre wahre Schönheit unantastbar geblieben. Leichenblass, abgemagert, und am Ende ihrer Kräfte, und doch strahlte das Erbe ihrer Mutter durch sie hindurch, verlieh ihr selbst in den schlimmsten Momenten einen Hauch von Anmut und Glanz. Er hatte schon früh aufgehört an Gott zu glauben, doch in diesem Moment schien er unter ihnen zu sein, und seine Familie in ein warmherziges, unendlich erhellendes Licht zu tauchen.

„Kommst du, Papa?“ Kristines Stimme zauberte ein weiteres Lächeln auf sein Gesicht, und als er bemerkte das er sich als einziger noch nicht im Pool aufhielt, machte er sich schleunigst daran ins Haus zu eilen und sich umzuziehen.
„Bin gleich wieder da, nicht weglaufen!“ mit diesen Worten hastete er in sein Haus und kam keine Minute später an den Rand des Pools.
Mit einem verschmitzten Grinsen betrachtete Andreas das freudige Durcheinander im Pool, und überlegte fieberhaft, ob es überhaupt noch Worte zur Einweihung von ihm benötigte. Er beschloss es kurz und schmerzlos zu machen, um endlich selbst in das erfrischende Nass einzutauchen.
„Wie ich sehe habt ihr euch schon von den Qualitäten meiner neuen Badewanne überzeugt“ aus den Stimmen und Antworten die ihm entgegenschlugen war die seines Bruder natürlich die lautstärkste.
„Es ist kalt und das Becken ist viel zu klein, aber am besten du überzeugst dich endlich selbst davon.“
„Punkt für dich“ dachte Andreas erheitert und wandte seinen Blick noch ein weiteres Mal zu seiner Tochter.
Auch diese schien allmählich ungeduldig zu werden.
„Jetzt komm schon rein“ sie kreiste mit ihrer Hand und nur einen Augenblick später traf ein Schwall kühles, erquickendes Wasser Andreas, und ließ ihn klitschnass stehen.
„Na warte du nur“ Andreas schnellte einen Schritt nach vor und erinnerte sich in diesem Moment entsetzt an die rutschige Folie, vor denen er die Kinder noch Minuten davor gewarnt hatte. Und plötzlich schien die Zeit angehalten. Grotesk und unendlich langsam schien die Kante von Treppe und Becken näher zukommen. Er sah seine Freunde seine Verwandten, versteinert und in jeder ihrer Bewegungen eingefroren.
Er konnte es nicht mehr verhindern, nicht mehr ausweichen, und diese Tatsache wurde ihm in dieser unendlich erscheinenden Sekunde auf erschreckende Art und Weise bewusst. Der letzte Impuls seines Gehirns war nur noch die Augen zu schließen, bevor der Film des Lebens begann. Bilder blitzten auf, in diesen ihm noch verbleibenden Momenten entfesselte er alle Gedanken, Ereignisse und Erinnerungen seines Lebens. Und als sein Genick brach endete der Film. In dem Augenblick, in diesem Sommer, an dem er seine Tochter wiedererblühen sah. Mit dem letzten Gedanken seines Lebens befand er, dass es ein guter Film war.

 
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Hallo Atrachis!

Deine Geschichte hat mir ziemlich gut gefallen.
Sprachlich habe ich daran absolut nichts zu bemängeln.

Was mir jedoch fehlt ist eine genauere Beschreibung der Familie, Während du 2/3 der Geschichte mit Einwürfen über Griller, Swimmingpools und "unwichtige" Verwandte und Bekannte verbrauchst, ist die Beschreibung der Familienverhältnisse doch etwas kurz geraten.

Das Ende war zwar einerseits relativ willkürlich, aber andererseits doch überraschend, da ich deinen Stil noch nicht kannte.

Gruß Andy

 

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