Der Nebenbuhler
Luise, so hieß meine Angebetete, war eine Frau, wie man sie nur selten trifft. Sie war eine Schönheit in allen Belangen, und ihr anmutiges Wesen hatte mich vom ersten Augenblick an verzaubert. Ich kann es nicht anders sagen: Ich war Luise hoffnungslos verfallen.
Dass Luise mir verfallen gewesen wäre, kann man allerdings nicht behaupten. Kein Zweifel, sie liebte mich, wie ich sie liebte, aber da war noch jemand in ihrem Herzen, mit dem ich die Liebe zu Luise teilen musste.
Wenn ich Ihnen, werter Leser, jetzt sage, dass dieser Jemand seinerzeit gemeinsam mit uns im Bett gelegen hat, werden Sie den Kopf schütteln und fragen: "Kann denn so etwas sein?"
Aber es ist so, wie es ist. Leo, so hieß er, schlief in unserem Bett, schmuste vor meinen Augen mit meiner Luise, legte sich sogar auf sie, und ich konnte nur zusehen, wo ich blieb. Glauben Sie mir, es waren für mich Höllenqualen, aber ich musste sie ertragen, denn ich liebte Luise über alles und wollte sie nicht verlieren.
Ein einziges Mal wollte ich mich gegen meinen Nebenbuhler wehren, indem ich Luise aufforderte, sich für einen von uns beiden zu entscheiden. Sie entschied sich für Leo, diesen fiesen, kastrierten Kater, dem partout nichts anderes anfiel, als zu fauchen, wenn wir uns zu nahe kamen.
Dieser fette Kater war Luises ganz besonderer Liebling, der, wie ich später erfuhr, sämtliche Vorgänger von mir erfolgreich in die Flucht geschlagen hatte. Nun war offensichtlich ich an der Reihe. Aber ganz so einfach wollte ich es diesem Blutsauger nicht machen.
Ich kann mich an den Augenblick noch genau erinnern, als ich den Entschluss fasste, das Biest ein für allemal aus dem Weg zu räumen. Luise und ich lagen gerade im Bett, und wir waren kurz davor, das zu tun, was Männer und Frauen nun einmal tun, wenn sie gemeinsam im Bett liegen und sich mögen. Doch es musste kommen, wie es kommen musste. Gerade als ich damit beschäftigt war, Luises Negligé hochzuziehen, sprang dieser verfluchte Kater aufs Bett, miaute und jammerte, als würde ich sein Frauchen massakrieren. Sofort befreite sich Luise aus meiner Umarmung und nahm ihren armen Schützling auf den Schoß. Mir blieb wieder einmal mehr die Statistenrolle und statt meiner, bekam dieser Fettklops die Streicheleinheiten, während er mich mit zurückgeklappten Ohren anknurrte.
Und so fasste ich den folgenschweren Entschluss, dass es nur einen Weg in die Zukunft gab: entweder der oder ich.
Nun muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich ein wahres Herz für Tiere habe, und es schien mir anfangs unerträglich, aus Eifersucht ein Tier zu ermorden. Einen anderen Mann hätte ich sofort und ohne mit der Wimper zu zucken für alle Zeiten beseitigt, aber ein Kätzchen, auch wenn es dieser fette Kater war, konnte ich nicht so ohne weiteres abmurksen.
Ich beschloss, den sanften Weg zu gehen.
Die Vorbereitungen zur Durchführung meines Planes waren schnell getroffen, und an einem Samstagmorgen, gerade als Luise zum Einkaufen in die Stadt gefahren war, schlug ich zu. In einem günstigen Augenblick, nämlich beim Fressen - eine Ganztagsbeschäftigung dieser Fettqualle - packte ich den Teufelsbraten am Nacken und stopfte ihn in einen Kartoffelsack. Das war gar nicht so einfach, aber unter Anwendung gröbster Gewalt schaffte ich es dann doch, den Sack zu verschnüren.
Mein Vorhaben hatte grundsätzlich humanen Charakter.
"Katzen gehören nun einmal in die Natur und nicht in die 23. Etage eines Hochhauses", sagte ich mir und das stimmt ja auch.
Leo und ich machten einen kleinen Ausflug, der uns weit, sehr weit weg führte, bis ich ein geeignetes Plätzchen für ihn entdeckt hatte. Ringsherum war nur Wald und Wiese, mitten in einem Sumpfgebiet - genau der richtige Ort für das kleine, verwöhnte Miezekätzchen.
Ich werde nie seinen verblüfften Blick vergessen, als er aus dem Sack schlüpfte und nach einigen Umdrehungen um die eigene Achse merkte, daß er alles andere als zu Hause war. Er legte die Ohren an und fauchte. Blanker Hass sprach aus seinen Sehschlitzen, aber das traf mich nicht, denn ich hatte gewonnen.
Als ich nach Hause kam, war Leos Verschwinden natürlich bereits aufgefallen. Luise war dabei, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen, doch wie man sich denken kann vergeblich. Die erste Nacht ohne ihren kleinen Darling war schrecklich, auch für mich.
In den nächsten Tagen war mit Luise überhaupt nichts mehr anzufangen. Sie heulte ohne Pause, und alle fünf Minuten lief sie hysterisch durch die Wohnung und kreischte nach ihrem Leo.
Ungefähr nach einer Woche war der erste Schmerz überwunden, und ich versprach Luise, einen neuen rotgetigerten Kater zu beschaffen.
Endlich hatte ich das Eis gebrochen, Luise sah mich wieder und fiel mir in die Arme. Oh, was für ein schöner Augenblick das doch war, sie so zärtlich wie lange nicht mehr in meinen Armen zu halten.
Ich wollte gerade Luises BH lösen, als sie mich unerwartet von sich stieß.
"Hörst du das?" rief sie mit weit aufgerissenen Augen.
"Nein, was denn? Was soll ich hören?"
"Na, das Jaulen."
Und tatsächlich, ich hörte es, das vertraute Jaulen Leos. Was war das nun?
Da war er also wieder, dieser Unruhestifter.
Ich hatte ja schon viel über Haustiere gehört, die ihren Besitzern über weite Entfernungen folgen, und sie auch wiederfinden, aber dass dieses Fettpolster tatsächlich über hundert Kilometer in einer Woche zurücklegt, hätte ich nie und nimmer für möglich gehalten.
Kurz und gut, da lag er wieder in unserem Bett, fauchte mich an, und Luise war hin und weg von ihrem wiedergefundenen Schatz.
Es führte also kein Weg daran vorbei: Ich musste zum Mörder werden.
Die Gelegenheit war günstig. Luise hatte aus Sorge um ihren Leo einen Tierarzt konsultiert, der dem Vieh eine Beruhigungsspritze verabreicht hatte. Nun lag mein Opfer benebelt in der Ecke und bekam gar nicht mit, wie ich ihn abermals in den Kartoffelsack steckte und aus der Wohnung schleppte.
Seine letzte Fahrt ging zum Müllbeseitigungswerk, wo ich einen verständnisvollen Müllmann fand, der es mir gestattete, den Sack höchstselbst in die Feuerung zu werfen. Es puffte nur einmal kurz, und der gute Leo hatte sich zu meiner Erleichterung in den gasförmigen Aggregatzustand verwandelt. Ich bekreuzigte mich und nahm mir fest vor, Luise dafür um so mehr mit Liebe zu überschütten.
Zu Hause angekommen, war Leos Abgang für alle Zeiten noch nicht entdeckt worden. Jedenfalls saß Luise vor dem Fernseher und strickte gerade an einem Pullunder für ihr Juwel, also für Leo.
Ich war vollkommen am Ende, in mir brodelte es und ich traute mich nicht, Luise in die Augen zu schauen.
"Und? Wie war dein Tag, mein Schatz?" fragte mich Luise.
"Och, ganz gut."
"Du schaust so abgespannt aus. Soll ich dir eine Brühe machen."
"Ja, das wäre jetzt genau das richtige. Ein schöne heiße Brühe, ja, das wäre fein. Das macht mich bestimmt wieder fit."
"Na, dann mache ich mal für euch zwei das Abendbrot fertig."
Wen meinte sie mit "euch zwei"?
"Kriegen wir heute noch Besuch?"
"Wieso Besuch, Schatz?"
Und da sah ich das, was mir fast einen Herzschlag bereitet hätte. Ich rieb mir die Augen vor Unglaube, aber auch das half nicht, das Gespenst zu vertreiben, das um Luises Beine strich.
"Was hast du, mein Liebster? Du bist auf einmal kreideweiß geworden? Ist dir schlecht?"
"Wer ist das", schrie ich Luise an und zeigte auf den Geist, der wie Leo aussah.
"Wer ist wer? Wen meinst du?"
"Na, den da, den Kater."
"Wer das ist? Wer soll das schon sein? Leo ist das."
"Nein, das kann nicht sein. Das ist nicht Leo. Das kann Leo nicht sein."
"Aber natürlich ist das Leo. Was hast du auf einmal? Hast du Fieber? Lass mal fühlen."
Der kalte Schweiß stand mir auf der Stirn und Luise beschloss, dass ich ins Bett gehörte.
Mit der Hoffnung, das Wiedersehen mit Leo nur halluziniert zu haben, erwachte ich am nächsten Morgen aus meinen Alpträumen. Aber meine Wünsche wurden nicht erfüllt. Leo lebte, war quicklebendig und genauso bösartig wie zuvor.
Ich weiß, Sie werden jetzt sagen, ich binde Ihnen einen Bären auf, aber es war so, wie ich es Ihnen schildere. Leo war wieder da, einfach so, als wäre er nie in der Müllverbrennungsanlage verpufft. Die Unmöglichkeit der plötzlichen Wiedergeburt Leos war mir vollkommen klar, und ich suchte verzweifelt nach dem Fehler, den ich bei der Ermordung begangen haben musste. Aber ich konnte ihn einfach nicht finden. Das Bild, als Leo in Rauch aufging, blieb mir in allen Einzelheiten klar und deutlich vor Augen.
Eine ganze Woche war ich mehr oder weniger krank. Ich litt unter permanenten Angstzuständen, insbesondere wenn ich Leo sah oder hörte. Es reichte allein der Gedanke an diesen Satan und ich zitterte wie Espenlaub.
Doch mit der allmählichen Genesung, sammelte sich auch wieder mein Verstand, und ich entschied, den angefangenen Mord zu Ende zu führen. Ich will Ihnen nicht in allen Einzelheiten veranschaulichen, wie der zweite Mordversuch vonstatten ging - nur so viel: Es war schrecklich, und diesmal klebte sogar richtiges Blut an meinen Händen. Doch Leo war tot, mausetot, das stand fest.
An jenem Abend, als ich von meinem Verbrechen heimkehrte, empfing mich Luise wie immer mit einem Küsschen und einer Überraschung: Leo war immer noch da.
Ich musste nicht lange nach Lösung des Rätsels suchen. Das Phänomen war ganz logisch und einfach zu erklären: Leo hatte, wie es sich nun einmal für Katzen gehört, sieben Leben.
"Also schön", sagte ich mir, "wenn das so ist, muss ich eben siebenmal zum Mörder werden."
Allerdings holte ich vorher Rat ein, und zwar bei einer stadtbekannten Wahrsagerin.
"Siebenmal müssen Sie töten", sagte sie, "um von dem Dämon erlöst zu werden. Doch passen Sie auf sich auf: Ein Mensch hat nur ein Leben. Also gehen Sie nicht zu weit, sonst droht Ihnen Unheil. Handeln Sie mit Bedacht, und wägen Sie ab, ob der hohe Preis von sieben Morden Ihre Kraft nicht übersteigt."
"Ach was", sagte ich bei mir, dankte der guten Frau, und es stand außer Zweifel, was ich als nächstes zu tun hatte.
Ich will Sie, werte Leser, nicht weiter aufhalten, und mich deshalb auf die Schilderung des letzten Mordes beschränken.
Dazu machte ich mir nicht mal mehr die Mühe, die Wohnung zu verlassen. Ich hatte mir eine Stockschlinge gebastelt und ein Paar Arbeitshandschuhe zugelegt, und mit etwas Geduld konnte ich den kleinen Bastard überall einfangen, wo er sich auch verkrochen hatte.
Zweimal hatte ich ihn nun schon in der Badewanne ertränkt, heute sollte das dritte und letzte Mal folgen.
Unvergesslich wird mir der Augenblick bleiben, als ich meinen Feind am Stock baumelnd in die Badestube trug. Er fauchte und jaulte, schlug um sich und entlud seinen Darm - er wusste, dass es nun endgültig aus und vorbei war. In seinen Augen konnte ich sogar so etwas wie einen um Gnade flehenden Blick erkennen. Aber nach all den Strapazen mit diesem Drachen, gab es kein Zurück mehr - seine Zeit war um. Nie mehr würde er Luise und mich stören.
Genüsslich hielt ich ihn über die volle Wanne, während er zappelte und sich wie ein Aal wandte, aber die Schlinge um seinen Hals zog sich nur noch enger zu. Er verdrehte die Augen, streckte seine kleine, rosa Zunge heraus und schnappte nach Luft - dann tauchte ich ihn voller Genugtuung unter.
Oh doch, es war schon festlicher Augenblick, als ich nach zehn Minuten den durchtränkten Kadaver aus der Wanne hob und in eine Tüte stopfte, die ich dann in den Müllschlucker warf.
Luise war völlig außer sich und einem Nervenzusammenbruch nahe, als sie feststellte, dass ihr Schoßtierchen verschwunden war. Überall in der Nachbarschaft mussten wir Zettel aushängen, die eine Belohnung von sage und schreibe tausend Gulden für ein Wiederauffinden versprachen. Sogar Zeitungsannoncen wurden geschaltet, und Besuche im Tierheim wurden zur täglichen Pflicht. Doch Leo blieb wie vom Erdboden verschluckt.
Wochen vergingen, dann Monate, und Luise gewöhnte sich daran, mit nur einem Kater im Bett zu liegen. Dann begann die schönste Zeit in unserer Liebesbeziehung. Auf einmal war sie da, die Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit, die ich zu Leos Lebzeiten so vermisst hatte.
Nur ab und an, kehrte Leo in Luises Bewusstsein zurück, aber nur wenn sie schlief. Ich ertappte sie zwei-dreimal dabei, wie sie nachts hochschrak und laut seinen Namen rief. Aber sonst war Luise wie neugeboren, und statt eines Ersatzes für Leo, drängte sich bei ihr der Wunsch nach einem Kind in den Vordergrund, was ich selbstverständlich freudig begrüßte.
An einem milden Septemberabend, als wir bei einer Flasche Wein auf dem Balkon saßen, brach die Stunde an, in der wir für alle Zeiten eins werden sollten. Endlich war ich am Ziel meiner Träume. Luises Augen glänzten und ihre vollen Lippen bebten vor Begehren. Ein leidenschaftliches Lächeln flog über ihr Gesicht, und ich war kurz davor in den siebenten Himmel abzuheben.
Plötzlich schrak Luise auf. Sie erhob sich und flüsterte: "Bist du das?" Dabei sah sie nicht mich an, sondern irgendeinen Punkt unten auf der Straße.
"Was ist mit dir, mein Liebes?" fragte ich nichtsahnend.
"Ich habe Leo gehört. Er ruft mich. Ich soll zu ihm kommen und ihn holen. Er ist da draußen und braucht meine Hilfe."
Ich war gerade im Begriff irgendetwas Törichtes zu antworten, als Luise rief: "Leo, mein Liebling, warte, ich hole dich."
Dann schwang sie sich über das Geländer des Balkons.
"Leo, ich komme!"
Und weg war sie, meine Luise.
[Beitrag editiert von: Zensor am 12.03.2002 um 20:17]