Der Namenlose auf der A4
Mein Blick schweifte über das Wasser. Die Mittagssonne hatte den Stein auf dem ich saß aufgeheizt. Um mich herum waren Fischerboote mit verschiedenen Farben und Anstrichen. Eines der Schiffe gefiel ir besonderes. Es hatte eine braun-weiße Lackierung und wippte im Wellengang auf und ab. Es war keine Wolke am Himmel und die Sonne brannte mit ihrer schier endlosen Kraft auf den ausgetrockneten Boden. Zwischen den Wohnung aus deren Fenster die Satellitenschüsseln hängen, gibt es unzählige Geschäfte. Ich beschließe mir in einem nahegelegen Geschäft eine Wasserflasche zu kaufen. Ich wende also meinen Blick von der Schönheit des Meeres ab und schlendere über den heißen und staubigen Boden. Umgeben von einem riesigen Schatten schaue ich nach oben. Ein Flugzeug. Nein. Ein Militärflugzeug. Noch bevor ich einen Gedanken fassen kann, werde ich zu Boden gerissen. Kurz darauf eine weitere Erschütterung. Der Geschmack von Blut füllt meinen Mund. Ich habe Angst aufzustehen. Ich höre Schreie, gefolgt von weiteren Einschlägen. Vielleicht ist eine Gasleitung explodiert. Jetzt vernehme ich einen Presslufthammer in der Ferne. Ich bin erleichtert. Ein weiterer Presslufthammer. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Das sind keine Presslufthammer, es sind Maschinengewehre. In meinem Heimatland. Das Land meiner Vorfahren. Ich nahm all meinen Mut zusammen und schaute nach oben. Es war keine Gasleitung gewesen, es waren Bombeneinschläge. Es riss mich von den Beinen, als eine weitere Bombe beinahe neben mir einschlug. Ich hörte nichts mehr. Ich lief zielos umher. Dort wo früher ein schöner Park mit jeder Menge Palmen waren, lagen zerfetzte Körper. Der staubige Boden war blutrot. Die Gebäude waren eingestürzt. Nur die Grundmauern standen noch. Ich konnte nicht ausmachen wieviele Leichen um mich herum lagen. Vor mir saß ein Mann. Er hatte seinen Sohn in den Armen. Sein Mund war blutverschmiert. Sein war tot. Eine Frau lief mir entgegen auf den Armen hatte sie ihr Baby. Beim vorbeilaufen erkannte ich das ihr Baby noch lebte und war erleichtert. Plötzlich brach sie zusammen. Ein Reflex riss mich zu Boden. Man hatte ihr in den Kopf geschossen. Ihr Baby wurde ebenfalls getroffen. Beide waren auf der Stelle tot. Weitere Bombeneinschläge waren zu vernehmen. Im selben Moment stand ich auf und rannte so schnell ich konnte. Vorbei an den Trümmern. Vorbei an den Erinnerungen an meine Kindheit. Vorbei an zerfetzten Körpern und Glassplittern. Ich bog in eine Seitengasse ein in der ich eine Gruppe von Menschen ausmachen konnte. Sofort ging ich in Deckung. Das Maschinengewehrfeuer traf die Gruppe. Ein Militärfahrzeug war im Rauch sichtbar. Mehrere Soldaten stiegen ab. Sie feuerten auf die am Boden liegenden Menschen. Die Maschinengewehre war laut. Zwischen den Trümmern hoffte ich das man mich nicht finden würde. So verharrte ich mehrere Stunden In dieser Zeit hörte ich immer wieder Schüsse und Schreie. Die Dämmerung setzte ein und ich gewann wieder Selbstvertrauen. Ich schaute mit großer Vorsicht aus meinem Versteck. Ich war alleine. Am Strassenrand lagen Leichen. Ich stand auf und lief los. Mein Ziel war meine Familie. Ich wollte jetzt bei ihr sein. In der Dämmerung konnte ich die Feuer die über der Stadt brannten besser sehen. Ich verspürte keine Müdigkeit. Hatte ich vergessen wo ich wohne. Ich fand unser Haus nicht. Nur Trümmer und noch mehr Leichen. Ein Nachbar kam auf mich zu. Er sagte mir das keiner den Bombeneinschlag überlebt hat. Er schaute mich noch kurz an und verschwand. Meine Familie war tot. Meine Schwester, Mutter, mein Vater und mein Bruder waren von den Trümmern begraben worden. Ich fiel auf die Knie und weinte. Ich fragte mich warum Gott das zulässt. Warum hat er mir meine Familie genommen.
2 Monate später befinde ich mich auf dem Weg nach Deutschland. Ich hatte schon viel über dieses Land gehört. Über die Gastfreundschaft während der Fussball-Weltmeisterschaft. Eine gefestigte Wirtschaft und Arbeitsplätze. Ich könnte auch mein Studium nach einem Deutschkurs weiter machen. An der Grenze zur Türkei trafen wir einen Mann, dem wir unser Erspartes gaben. Er sorgte dafür das wir nach Deutschland kommen. Der kleine LKW bietet ungefähr Platz für 60 Menschen. Auf meine Frage, ob noch ein weiterer LKW für die restlichen 40 Menschen gibt, wird verneint. Ich solle mich beeilen. Ich zwängte mich in den Laderaum. Ich konnte kaum atmen. Der Mann dem wir das Geld gegeben haben schloss die Ladeluke. Das nächste mal wenn diese Luke sich öffnen würde, wäre ich in Deutschland.
Der LKW kam zum Stillstand. Ich konnte mir ein Freudenseufzer nicht unterdrücken. Als die Luke sich öffnete konnte ich ein Wort deutlich lesen: Bulgaria. Der Mann machte uns klar das wir am Ende der Reise waren. Ich stieg aus und schaute die anderen fragend an. Niemand wusste wie es weitergehen würde. Wir mussten uns in eine Reihe stellen. Man begutachtete uns. Der Blick des Mannes fiel auf meine goldene Kette, die ich von meinem Vater bekommen hatte. Er sagte mir das ih weiterfahren dürfte. Die Kette müsste allerdings bei ihm bleiben. Ich hatte die Wahl zwischen der Heimreise in ein Land ohne Wohnung, Schutz und Familie und der Chance ein Leben in Deutschland. Ich gab ihm die Kette und durfte mit 90 weiteren Menschen weiterfahren.
Erneut kamen wir nach einem Tag zum stehen. Beim aussteigen bemerkte ich das wir in Rumänien waren. Wir mussten uns wieder in einer Reihe aufstellen. Wir wurden von einem Polizisten oder Grenzbeamten gemustert. Er wollte allem Anschein nach unsere Papiere haben. Ich suchte in meiner Tasche bis ich die Plastiktüte fand. In meiner Plastiktüte hatte ich ein Schreiben der Universität und meinen Pass. Viele andere hatten keinen Pass mehr, und mussten weitere Habseligkeiten abgeben. Ein älterer Herr trug nur noch ein Hemd und seine Hose. Man hatte ihm die Schuhe abgenommen. Das war also der Preis für die Freiheit. Wir stiegen wieder ein und fuhren weiter.
Ein röcheln weckte mich auf. Das atmen fällt mir schwer. Ein unangenehmer Geruch und die Dunkelheit machen mir zu schaffen. Ich klopfe gegen die Wand des LKW´s. Dieser hält an. Ich versuche die anderen mit den Worten zu beruhigen, das der Fahrer gleich die Tür aufmacht. Dem Geräusch nach zu urteilen öffnet er gerade die Tür. Ich drücke von innen dagegen. Sie rührt sich nicht. Ich bekomme Panik. Das atmen fällt mir immer schwerer. Ich sehe kleine Blitze vor den Augen. Die Kinder schreien. Nach wenigen Minuten ist es ruhiger. Ich rufe in die Dunkelheit. Ih erhalte keine Antwort. Ich klopfe gegen die Luke und versuche sie zu öffnen, doch vergeblich. Plötzlich höre ich ein Auto. Es hält an. Ich rufe um Hilfe. Ein Mann sagt etwas. Ich klopfe gegen die Luke mit aller Kraft. Ich rufe um Hilfe. Die Stimme entfernt sich wieder. Holt er Hilfe. Der Motor eines Autos wird gestartet. Ich werde sterben. Die Dunkelheit um mich herum verwandelt sich in etwas wunderschönes.
Ich bin ein Namenloser Flüchtling der auf der A4 erstickt ist.