Was ist neu

Der Nachttrinker

Mitglied
Beitritt
11.06.2014
Beiträge
8
Zuletzt bearbeitet:

Der Nachttrinker

„Du meine Bruder Hernandes totgemacht, du verflucht, du meine Bruder gehören - bald.“ Mit diesen noch aus der Diele laut in das Arbeitszimmer des Herrn Professor geschleuderten Worten sei die junge Frau nach einem lautstarken Wortwechsel zornig aus der Wohnung gerannt. Das Gesicht der an der offenen Küchentüre Vorbeistürmenden habe sie nur undeutlich erkennen können, doch sei sie sich ziemlich sicher, dass das Fräulein Ausländerin gewesen sei: nicht so schwarz wie eine Negerin, aber schwärzer als die Zigeunerinnen, die gelegentlich an der Haustüre bettelten. Und kleiner als diese, jedoch stämmiger, kräftiger. Der Herr Professor sei zwar regelmäßig von Studenten zuhause aufgesucht worden, doch habe sich bislang noch niemand so unerhört aufgeführt. Manchmal habe es dabei Tränen gegeben, manchmal sogar lautere Dispute, wenn Prüfungsergebnisse den Traum vom Arztberuf hatten platzen lassen, zumeist aber nur ausdruckslose Enttäuschung in den Gesichtern der Gehenden.

Dieser Streit aber sei anders gewesen. Obwohl sie in der Küche nur einzelne Worte habe verstehen können, habe sie den Eindruck gehabt, der Herr Professor sei sehr erregt gewesen, ja fast verängstigt. Und als sie kurz darauf wegen des Mittagessens nachfragen wollte, sei der Herr Professor blass und fahrig an seinem Schreibtisch im Sessel gekauert und habe in fast panischer Angst diesen hässlichen Frauenkopf angestarrt und immer wieder geflüstert: „Der Nachttrinker kommt, oh Gott, der Nachttrinker wird kommen!“

Ihr sei in jenem Augenblick nicht klar gewesen, von wem der Herr Professor gesprochen habe und diese Worte auf die zornige junge Frau bezogen. Daher sei sie etwas verwundert gewesen, dass sich der Herr Professor vor dieser kaum anderthalb Meter großen Person derartig gefürchtet haben könnte. Und ja, es stimme, diese Büste sei vor dem Besuch dieser Studentin noch nicht im Regal gestanden. Als tägliche Zugehfrau, die die ganze Wohnung gründlich putze, kenne sie schließlich jeden Winkel und hätte die Büste sicherlich schon irgendwo gesehen, wenn sie bereits vorher im Haus gewesen sei. Mehr könne sie dem Herrn Hauptkommissar nicht sagen.

Grimm bedankt sich kurz bei Frau Koziol und geht zum Arbeitszimmer des Professors zurück, wo er mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt stehen bleibt. Von diesem Standort aus sucht der Hauptkommissar den Raum mit den Augen systematisch nach bislang vielleicht übersehenen Tatindizien ab. Zugleich versucht er, sich den möglichen räumlichen Ablauf der Tat vorzustellen. Das Arbeitszimmer des Professors ist etwas über fünf Meter lang, knapp vier Meter breit und der blanke Parkettboden in der Raummitte mit einem alten, vermutlich teuren Perserteppich bedeckt. Typisch für diese Villen aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist die Deckenhöhe: Der Hauptkommissar schätzt sie auf fast drei Meter. Dominiert wird der Raum von einem mächtigen Schreibtisch aus dunklem schwarzbraunem Nußholz. Dahinter steht ein mächtiger schwarzer Ledersessel, davor zwei altmodisch gedrechselte Holzstühle mit stoffbespannter Sitzfläche und langer Rückenlehne - offenbar für Besucher gedacht, die nicht allzu bequem sitzen sollen. Die Längsseiten des Raumes sind komplett mit zwei bis zur Decke reichenden Regalen zugestellt, die im Laufe der Zeit scheinbar wahllos mit Büchern unterschiedlichster Größe und Farbe vollgestopft worden sind. Lediglich die deutlich größeren Fächer in der Mitte der Regale sind bücherfrei geblieben und beherbergen eine wohlgeordnete Parade uralter Fotokameras - ganz offensichtlich eine Sammelleidenschaft des Herrn Professor. Im dem Schreibtisch gegenüberliegenden Mittelfach waren einige der Kameras offenbar lieblos beiseite geschoben worden, um der von der Zugehfrau erwähnten Büste Platz zu schaffen. An seiner Stirnseite hat der Raum zwei hohe, durch Sprossen gegliederte Fenster, durch die nebliges Herbstlicht in den Raum fällt. Vor den Fenstern stehen drei tischhohe Aktenschränke mit Hängeregistraturen - Forschungsunterlagen und Studentenakten, wie der Kriminalbeamte vermutet. Vielleicht können die Studentenakten Hinweise darauf enthalten, was sich in diesem Raum abgespielt hat?

Während er den Raum durchschreitet, hat Grimm plötzlich das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. An den Aktenschränken angekommen, wendete der den Körper mit einer jähen Bewegung und fixiert, einer Eingebung folgend, die Augen der Frauenbüste. Langsam und ohne den Blick von diesen unergründlich dunklen Augen zu lassen, geht er Schritt für Schritt zur Türe zurück - und staunt: Seiner Erfahrung und jedem physikalischen Erklärungsversuch Hohn sprechend, hatten ihn die Augen bei seinem Gang Schritt für Schritt verfolgt. Und das, obwohl sie sich ganz offensichtlich nicht bewegt haben können. Der Hauptkommissar dreht einen der Besucherstühle dem Regal zu und mustert aufmerksam die Büste.

Weil in das kleine Messingschild am Büstensockel lediglich das Wort „Ciuacoatl“ eingraviert wurde, ist sich Grimm nicht schlüssig, ob es den Bildhauer oder dessen Modell benennt. Die lebensgroße Darstellung der etwa 30jährigen Indiofrau erinnert ihn jedenfalls spontan an seine erste Moorleiche, eine ungefähr gleichaltrige Selbstmörderin. Allerdings ist die ledrig-grobporige dunkelbraune Haut der Büste kein wenig eingeschrumpelt, sind die Zähne im leicht geöffneten Mund ebenmäßig weiß und die glasigen Augen feuchtglänzend - alles für Moorleichen völlig atypische Eigenschaften. Die blauschwarzen, filzigen Haare hängen strähnig zu beiden Seiten des Gesichts herab. Die Frau ist mit ihrer hochgewölbten Stirn, den harten Backenknochen und der großen, höckrigen Nase nicht hübsch. Doch geben die dichten schwarzen Augenbrauen, die halbgeöffneten, braunschwarzen Augen und die leicht heruntergezogenen Mundwinkel dem Gesicht einen dominanten Ausdruck: Obwohl der Blick leicht gesenkt ist, scheint er herrisch über den ganzen Raum zu gebieten.

Fellbach, Grimms Assistent, betritt mit seinem obligatorischen Klemmbrett den Raum: „Ist ja toll - da haben wir schon den Mörder, Pardon: die Mörderin! Und die passt auch gut zur Spurenlage: Wir haben nämlich nirgends Fingerabdrücke gefunden!“ Mit einem spöttischen Seitenblick auf die Büste wühlt er kurz in seinem Zettelwust und beginnt, Grimm Bericht zu erstatten.

Fellbach beginnt mit dem Befund des Pathologen. Der habe an der Leiche des Professors mehrere Hämatome an Armen, Beinen und Stirn festgestellt, die dafür sprächen, dass der Professor von mindestens fünf Personen und mit äußerster Brutalität gewaltsam nach hinten durchgebogen worden sei. Dann würden die weitere Auswertungsergebnisse jedoch skurril. Der Schnitt, mit dem der oder die Täter den Brustkorb geöffnet haben, sei mit einem völlig undefinierbaren Werkzeug ausgeführt worden. Eine ähnliche Schnittstruktur sei ihm, dem durchaus berufserfahrenen Pathologen, bislang erst einmal untergekomment: Als sich während des Studiums der Chirurgie-Professor mit seinen Studenten einen Scherz erlaubt und die angehenden Pathologenschar mit einem Feuersteinmesser gefoppt hatte. Er, der Pathologe, empfehle zudem, unbedingt einen Profiler in den Fall einzubinden, da dem armen Professor das Herz offenbar bei lebendigem Leibe herausgerissen worden war. Zudem fehle auf dem Hinterkopf ein ganzes Büschel Haare - beides Handlungen, die dem Profiler Rückschlüsse auf das Täterprofil ermöglichen sollten.

Sonderbares, so Fellbach weiter, enthalte auch der Bericht der Spurensuche. Obwohl der vermutete Tathergang eigentlich Unmengen an Blutspuren erwarten lasse, sei keine einzige gefunden worden - außer dem großen Blutspritzer unterhalb der Büste, den man ohnehin mit bloßem Auge erkennen könne. Auch seien von den doch mindestens sechs Beteiligten weder Finger- oder Fußabdrücke noch sonstige Spuren nachweisbar.

Sowohl die Befragungen an der Universität als auch die Studenten- und Patientenakten hätten keinerlei verwertbare Hinweise erbracht. Lediglich im Archiv der Chirurgischen Abteilung sei die Sekretärin auf einen Patienten namens Hernandes Morales gestoßen, den der Professor vor fast drei Jahrzehnten während seiner Assistenzzeit am Blinddarm operiert habe und der an überraschend aufgetretenen postoperativen Komplikationen verstorben sei.

Auch in der Nachbarschaft habe niemand Auffälliges beobachtet. Lediglich die Wohnungspartei aus der zweiten Etage, ein pensionierter Beamter und seine Frau, gaben an, dass der Professor, der stets nur zu duschen pflegte, am Abend vor seinem Tod überraschender Weise ausgiebig gebadet habe. Auch seien die beiden gegen Mitternacht durch rhythmisches Klatschen und Stampfen sowie einen lauten Singsang in einer fremdländischen Sprache in ihrer Nachtruhe gestört worden, „wo doch der Herr Professor all die Jahre so ruhig gewesen ist!“

Schließlich zog Fellbach mit ironischem Grinsen einen beschriebenen Bogen von seinem Klemmbrett und reichte ihn Grimm: „Ihr 'Abschiedschiedsbrief' ist wohl doch keiner. Ich hab' den Text übersetzen lassen – ist irgend so'n spanischer Uralttext und stammt aus der 'Chronik des Fray Bernardino de Sahagún'...“ Der Hauptkommissar nahm wortlos den Zettel und überflog ihn:

„ … so vom Volke aber auch Raubthier und unheilvolles Zeichen genannt wird, bringt Ciuacoatl aber als Rachegöttin Armut, Tod uns Elend über jeglichen Menschen. Derenthalben werden ihr im Maismonat am „Adlerleutetag“ mannigfache Ehrengaben und zahlreiche menschliche Blutopfer dargebracht. Zur Abendstunde jenes Tages aber, der dem Tage vorangeht, an welchem die Totgeweihten, die „Adlerleute“, ihren Opfertod erleiden sollen, werden selbige ausgiebig gereinigt, einem feierlichen Bade unterzogen und mit dem prächtigen Adlerfedermantel bekleidet. Um Mitternacht tanzen alsbald die federgeschmückten Krieger mit Jaguarschild und Obsidianschwert im Gemeinschaftshaus stampfend und dumpf brüllend den „Adlerleutetanz“. Auch schmücken sie eine Büste Ciuacoatls mit Haarsträhnen der „Adlerleute“, so sie jenen mit dem Knochenmesser am Wirbel abgeschnitten haben. Am Opfertage selber wird geblasen, werden die Muschelhörner geblasen, man pfeifet, singet und schlägt die Rasselstäbe. Derweil aber werden die „Adlerleute“, die nach dem Sonnenland bestimmten, von den Kriegern einzeln die hohe Tempeltreppe hinauf vor das Angesichts des steinernen Uitzilopochtlis gezerrt und feierlich den federgeschmückten Priestern übergeben. Fünfe von jenen indess, mit Reihenfederfahnen auf den Schultern, pressen den „Adlermann“ mit der Brust nach oben auf den Opferstein. Dann tritt, in das Fell des Jaguars gehüllt, über und über mit blutroten Streifen bedeckt und mit weißen Truthahnfedern beklebt, „der in der Nacht trinkt“ nach vorn. Denn dessen Amt, dessen besonderes Geschäft ist das Vollziehen des Opfers, ist das Töten. Der „Nachtrinker“ aber ergreift das dicke, breite Obsidianmesser und schneidet mit raschem Schnitt dem „Adlermann“ die Brust auf. Dannach greift er in den Leib des Opfers und reißt selbigem mit schaurigem Schrei das pochende Herz, die „Adlerfrucht“, aus dem Leib, das er bluttriefend weihend der Sonne, dem „Türkisprinzen“, unter dem entsetzten Aufschrei der Stammesmitglieder emporhält, damit die, so nennen sie es selbst, im Opferblute baden könne. Endlich ergreift der „Nachtrinker“ das „Adlersaugrohr“, stellt es in die Brust des „Adlermannes“, an selbige Stelle, wo dessen Herz gewesen, saugt es voll Blut und übergießt damit die Büste Ciuacoatls, die, so ihr religiöser Irrglaube, solchermaßen getränkt, in ihrem Bluttriebe nunmehr gestillet sei.“

Weil sie bereits seit Tagen in ihren Ermittlungen nicht weitergekommen waren, wollten sich Grimm und Fellbach nochmals im Areitszimmer des Professors umsehen. Plötzlich wirkt Grimm elektrisiert: „Frau Koziol, Sie haben das versiegelte Arbeitszimmer doch nicht mehr betreten - auch nicht Staub gewischt?“ „Ganz bestimmt nicht, Herr Hauptkommissar!“ Während Fellbach seinen Chef verständnislos von der Seite ansieht, laufen diesem kalte Schauer über den Rücken: Alles im Zimmer ist von einer dünnen Staubsicht überzogen - nur die Büste nicht.

 

Hallo winter

Im Ansatz finde ich Deine Geschichte nicht uninteressant. So manches dünkt mich jedoch langwierig umschrieben, was verhinderte, dass mir Spannung aufkam. Bereits zu Beginn lässt Du die Zugehfrau unnötig umständlich lamentieren. Die Situation, in der sie sich befindet, ist stark emotionsbesetzt, sie muss verstört sein, was direkt anbieten würde kurze Sätze zu bilden, mit der sie ihr Erleben schildert.

Und als sie kurz darauf wegen des Mittagessens nachfragen wollte, sei der Herr Professor blass und fahrig an seinem Schreibtisch im Sessel gekauert und habe in fast panischer Angst diesen hässlichen Frauenkopf angestarrt und immer wieder geflüstert: „Der Nachttrinker kommt, oh Gott, der Nachttrinker wird kommen!“

Das Bild des kauernden Professors wollte sich mir nicht so recht erschliessen. Als kauern stelle ich mir eine Stellung vor, in der jemand die Knie gebeugt hält. Von der Szene her böte sich da vielleicht treffender im Sessel versunken an.
Der Frauenkopf wird nachfolgend als Büste umschrieben, in der Regel also aus Marmor, Metall oder Gips angefertigt. Bei Deiner „Büste“ ist es jedoch ledergegerbte Haut mit glasigen Augen. Da kam mir erst ein Schrumpfkopf der Indios in den Sinn, doch stimmen die Indizien dazu nicht. Ein normal mumifizierter Kopf ist da eher naheliegend, nur die Augen, wenn sie belassen wurden, werden zu einer tauben und unförmigen Masse. Denkbar wäre dann noch eine Imitation aus Leder, deren Augen mit Glaskugeln eine Wirkung erzielen könnten, sie verfolgten einen Betrachter, der sich bewegt. – Man kann auch bis am Schluss nur mehr erahnen als Gewissheit erlangen, was der Kopf auf sich hat.

Weil in das kleine Messingschild am Büstensockel lediglich das Wort „Ciuacoatl“ eingraviert wurde, ist sich Grimm nicht schlüssig, ob es den Bildhauer oder dessen Modell benennt.

Auch etwas das unbeantwortet bleibt ist, was das Messingschild soll? Das eingravierte Wort ist der Rang eines Schatzmeisters im Inkareich. Für rituelle Zwecke eine solche Bezeichnung anzubringen scheint mir ein etwas verwegener Gedanke.

Leider vermag das Fragment von Bernardino de Sahagún, der als spanischer Missionar und Ethnologe durchaus die Kultur der Azteken in Notizen aufzeichnete, das Rätsel dieser Geschichte keineswegs zu lösen. Es mag Hinweis sein, auf ein Ritual, doch darüber hinaus lässt es den Leser im freien Feld stehen.

Für mein Empfinden ist diese Geschichte wie dargelegt nicht vollendet. Ein offenes Ende ist durchaus zulässig, doch sollte es nicht so vage bleiben, dass verschiedene Fragen im ganzen Geschehen keine Antwort finden. Als Leser kann ich vermuten, dass er nach drei Jahrzehnten rituell getötet wurde, da man ihn für den damaligen Tod eines Patienten verantwortlich machte. Doch dies ist mir als Leser zu wenig, ich will nicht „im Geiste des Bernardino“ nur Fragmente erfahren. Diesbezüglich solltest Du die Geschichte überarbeiten, die Handlung straffen, den Gegebenheiten Sinn zuordnen und zu einem schlüssigen Ende führen, auch wenn sich dies dann nicht ganz zu lösen braucht.

Soweit mein Eindruck. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

herzlichen Dank für Deine Anregungen!

Ich habe zwischenzeitlich tatsächlich eine "gestraffte", überarbeitete Form der Geschichte geschrieben, bin aber - offen gestanden - noch unschlüssig, welcher der beiden Versionen ich den Vorzug geben soll.

Die "langwierige", "umständliche" Sprache - die zudem beim Leser "keine Spannung" aufkommen lassen will (ich hoffe, ich habe Dich richtig verstanden) ist so gewollt: Der sprachliche Erzählstil orientiert sich insgesamt an der nüchternen Amtssprache der Polizei. So ist das "Lamento" der Zugehfrau ein Polizeiprotokoll - per se also kein Schriftstück, das besonders "spannend" berichtet. Auch der Fragment-Text entstammt einer (überarbeiteten) wissenschaftlichen Dokumentation, ist also im Grunde ebenfalls sprachlich fad!

Diese nüchterne, reale Sprache kontrastiert mit dem irrealen Inhalt des Erzählten, der "blutarme" Erzählstil mit der doch recht blutigen Handlung.

Das ist allerdings nur die eine Seite der Geschichte. Ich habe mich darüber hinaus bemüht, bewusst gegen die Zeitmode zu schreiben: Geschriebenes soll heute möglichst schnell, möglichst verkürzt, und möglichst mit "action" überladen daherkommen. Zudem soll Sprache tunlichst auf Harry-Potter-Niveau reduziert werden!

Warum das? Du hast richtig erkannt: Die Geschichte handelt von einem Ritualmord. (Ciuacoatl ist eine aztekische Erd- und Rachegöttin, s. u.)

Aber es bleibt offen, wer der Täter ist, was es mit der Göttin bzw. ihrer Büste auf sich hat (auch die Azteken hielten Idole, also Götterbilder teilweise für belebt!) - daraus resultiert nach meinem Dafürhalten der eigentümliche Reiz dieser Geschichte. Denn im Grenzbereich zur Metaphysik bleibt eben vieles unerklärlich...

Im Grunde soll die Geschichte nur als Vehikel dazu dienen, den Leser mit dem Transzendenten zu konfrontieren, ihn zu zwingen, sich auf die metaphysische Herausforderung, die die Geschichte für unser alltägliches naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild darstellt, einzulassen.

Vielleicht liest Du Dir die Geschichte unter diesem Aspekt nochmals durch - wäre Dir dankbar für Deine Rückmeldung.

Und - falls Du willst - schicke ich Dir dann die zweite Fassung zum Vergleich.

Nochmals herzlichen Dank für Deine Mühen,

Gruß, Winter


PS: Quellen (nur Internet) zu Ciuacoatl:
Die tlamanime, die "Fänger", trugen bei der einmaligen öffent-
lichen Zeremonie, wo sie vor allen als Krieger, die allein und ohne
Mithilfe anderer einen Gefangenen gemacht haben, anerkannt wur-
den, die Bemalung der Göttin Ciuacoatl Quüaztli.

http://archive.org/stream/Imago.Zei...yseAufDie_185/Imago_1923_IX_Heft_4_k_djvu.txt

vgl. auch: http://www.voelker-der-erde.de/voelker/azteken_goetter.htm

in anderer Schreibweise:
Coatlicue (Weitergeleitet von Cihuacoatl)
http://de.wikipedia.org/wiki/Cihuacoatl

 

Hallo winter

Ich war zwei Wochen abwesend, weshalb ich erst heute dazu komme, auf Deine Antwort einzugehen.

Ich habe mich darüber hinaus bemüht, bewusst gegen die Zeitmode zu schreiben: Geschriebenes soll heute möglichst schnell, möglichst verkürzt, und möglichst mit "action" überladen daherkommen. Zudem soll Sprache tunlichst auf Harry-Potter-Niveau reduziert werden!

Es gab zu jeder Zeit literarische Ansprüche und Qualitäten als auch Trends im Stil. Aber ich denke nicht, dass man die heutige Literatur sprachlich auf „Harry-Potter-Niveau“ reduzieren kann. Da kommt es vorab darauf an, welches Genre man heranzieht. Davon abgesehen braucht es wohl doch einiges, um Rowling oder anderen verschmähten Autorinnen das Wasser zu reichen.
Natürlich gibt es Modetrends im Sprachjargon, doch knappe sprachliche Ausführungen sind vorab auch ein Merkmal von Kurzgeschichten. Floskeln sind allerdings auch in Romanen schnell mal Ballast und spannungsarme Geschichten müssen zumindest sprachlich brillant verfasst sein, damit sie dem Leser nicht zur Qual werden.

Aber es bleibt offen, wer der Täter ist, was es mit der Göttin bzw. ihrer Büste auf sich hat (auch die Azteken hielten Idole, also Götterbilder teilweise für belebt!) - daraus resultiert nach meinem Dafürhalten der eigentümliche Reiz dieser Geschichte. Denn im Grenzbereich zur Metaphysik bleibt eben vieles unerklärlich...

Alle Kulturvölker wie auch unsere frühen Ahnen hafteten dem magischen Denken an. Dies ist im frühen Kindesalter heute noch so, ein natürlicher Schutzfaktor um mit Ängsten umzugehen.
Der Begriff Metaphysik, den ich streng gerafft als „Hinterfragung der Wirklichkeit“ verstehe, wird allzu oft esoterisch verformt. Natürlich gibt es immer wieder Dinge, die (vorläufig) nicht erklärbar sind. Die Natur etwa definiert sich immer wieder neu, wie sich z. B. an bis anhin nicht aufgetretenen Krankheiten erkennen lässt. Es ist meines Dafürhaltens durchaus legitim auch über Magie zu schreiben, doch gehört es klar in das Gebiet der Fantasie. Aber auch da muss es einer Logik folgen und sollte den Leser nicht einfach vor Rätsel stehen lassen.

Im Grunde soll die Geschichte nur als Vehikel dazu dienen, den Leser mit dem Transzendenten zu konfrontieren, ihn zu zwingen, sich auf die metaphysische Herausforderung, die die Geschichte für unser alltägliches naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild darstellt, einzulassen.

Dies ist nicht der Sinn einer Geschichte, deren Zweck literarische Unterhaltung ist, genauso wenig wie ein religiöses Traktätchen, das der Erbauung dient. Eine Geschichte darf schon die Ebene der Wirklichkeit weit hinter sich lassen, doch sollte ein Autor sich bewusst sein, welcher Art Leser er anspricht.

Soweit zu Deiner Antwort, nun lese ich noch kurz die Neufassung der Geschichte.

Ah, es liest sich nun flüssig. Zur „Geschichte“ fehlt mir aber noch immer das Wesentliche, ein Schluss, der sich nicht einfach in einem Rätsel auflöst. Um es mit den Worten eines Literaturwissenschaftlers zu formulieren:

[Zitiert nach Jonathan Culler, Literaturtheorie]

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass eine Geschichte einer Transformation bedarf. Es muss eine Ausgangssituation geben, einen Wandel, der irgendeine Form der Verkehrung mit sich bringt, und eine Lösung, die den Wandel als bedeutungsvoll ausweist. (…)

Eine reine Abfolge von Ereignissen macht noch keine Geschichte.


Noch ein kleiner Vertipper, welcher sich fast wie eine althochdeutsche Übersetzung liest, was im Kontext zum übrigen zitierten Schriftstück jedoch nicht sein kann:

Derenthalben werden ihr im Maismonat am „Adlerleutetag“ mannigfache Ehrengaben und zahlreiche menschliche Bluthopfer dargebracht.

Blutopfer

Noch viel Freude beim Lesen, Kommentieren und Schreiben hier im Forum. :)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

irgendwie ist da etwas daneben gegangen - hatte gestern (vermeintlich) geantwortet, heute ist nix mehr da. (Ich hatte mich angemeldet und direkt online geschrieben, als ich fertig war sollte ich mich nochmals anmelden - dubios! Und dummer Weise habe ich keine Offline-Kopie... Nun gut, dann eben nochmals kurz:

1. Nochmals herzlichen Dank für Deine Anregungen - Du verfügst offenbar über mehr Schreiberfahrung als ich: Ich schreibe quasi "fachfremd", bin nämlich kein gelernter Germanist o.ä. sondern Philosoph, genauer. Erkenntnistheoretiker mit Schwerpunkt Begriffsgegensatz. Und die Leute ticken ja bekanntlich seltsam!

2. Unter "Zeitmode" beim Schreiben habe ich Erfolg bei den Lesern gemeint - und da sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache: Die Werke, die sich tatsächlich gut (millionenfach) verkaufen zeichnen sich weder durch lästiges Reflektieren noch sprachliche Meisterschaft aus. Wenn man dann noch bedenkt, dass Amazon die tatsächlichen "Renner" gar nicht listet (weil erotischen Inhalts)...

3. Als "Unterhaltung" (im Sinne Cullers) sollte bei dieser Geschichte die Schlusspointe dienen: Sie zwingt den Leser, die eben abgelaufene Geschichte mit anderen Vorzeichen neu zu deuten. Wobei diese Deutung außerhalb der beiden gängigen Weltbilder, d.h. der begrifflichen Welterklärungssysteme (naturwissenschaftliches, metaphysisches) liegen sollte, weil sie sich in keinem der beiden logisch begründen lässt. Die Geschichte wäre demnach dazu angetan, den Leser dazu aufzufordern, sein Weltbild zu hinterfragen.
Ok, vermutlich habe ich mehr gewollt als tatsächlich erreicht, aber mich hat der aztekische Text zu derlei Reflexionen animiert - wahrscheinlich muss man da schon Begriffslogiker sein, um seine Freude an derlei Gedankenspielereien zu finden.

4. Danke auch für die sprachlichen Hinweise - habe das "Bluthopfer" sprachlich modernisiert. Hoffe, dass ich damit keine Spielregeln verletzt habe, nach denen das nachträgliche Herumbasteln an einmal eingestellten Texten verboten ist. ;)

Nochmals Danke & Gruß,

winter

 

Hallo winter

Hoffe, dass ich damit keine Spielregeln verletzt habe, nach denen das nachträgliche Herumbasteln an einmal eingestellten Texten verboten ist.

Eine solche „Spielregel“ besteht nicht. Ein Autor darf hier jederzeit an seinem eingestellten Text noch Änderungen vornehmen. Das Forum dient eben dem Zweck, sich verbessern zu lernen, was oftmals durch eine Überarbeitung aufgrund von kommentierenden Hinweisen aus Leser- oder Kritikerperspektiven möglich wird. Ob und inwiefern ein Autor noch Änderungen vornimmt, obliegt einzig seiner eigenen Einschätzung und seiner Intention, wie die Geschichte sich präsentieren soll.

Eine Ausnahme bilden Texte, die während einer zehntägigen Frist in der Kreativwerkstatt im Projekt „Maskenball“ aufscheinen. Bei diesen besteht ein Schreibschutz. Sobald ein Autor sich nach der Frist dann entlarvt, wird die Geschichte in sein Account verschoben und er kann aufgrund von Anregungen nochmals daran arbeiten.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo :)

Ich habe zu so später Stunde doch noch einmal Lust bekommen, ein bisschen im Forum zu stöben. Den ausführlichen Bericht in indirekter Rede ist ein sehr ambivalentes Stilmittel. Erinnert mich ein bisschen an Dürrenmatt - ein Trick, um viel Inhalt kurz darzustellen, aber andererseits auch durch sprachliche Distanzierung in die Länge zu ziehen. Da gehen die Meinung wohl wie bei so vielem auseinander, die passende Länge dafür muss man individuell entscheiden (und selbst dann wird es noch "Pro-" und "Kontrahenden" geben). Den Gebrauch des Konjuktivs beherrschst du, wie ich das so beim ersten Durchlesen einschätzen konnte, recht gut bis auf ein paar Kleinigkeiten. Aber wer kann das schon perfekt im Deutschen? ;)
Wie es sich für einen richtigen Detektiv gehört, sieht er sich am Tatort auch schön um. :) Hast du diesbezüglich Erfahrun und bei der Polizei gearbeitet?

Inhatlich: Man bringt Mordopfer NICHT zum Pathologen. Das sind normalerweise ganz zart besaitete Wesen, die in Ohnmacht fallen, wenn man ihnen einen mit Messerstichen bestickten Leichnam präsentiert.
Du meinst wohl den Gerichtsmediziner?
Und auch der ist nicht so allwissend, dass er sagen kann, dass der Mann von mindestens 5 Menschen festgehalten wurde. Du stellst dir vor, dass an jeder Extremität ein Mensch stand und am Kopf ein weiterer?
Durchaus nachvollziehbar, könnte so gewesen sein.
Allerdings könnte auch je ein starker Mann die Arme und ein anderer die Beine fixiert haben.
Zu solch genauen Aussagen lässt sich kein Gerichtsmediziner verleiten!
Diesbezüglich tritt man als Laie leider fast immer in die Falle... Leider.

Liebe Grüße

 

Hallo Alix,

danke für Deine Hinweise - werde den Text nochmals überarbeiten!

Nein, ich habe keinerlei polizeilichen Hintergrund, daher der falsche "Pathologe".
Allerdings haben die Festhalte-Spuren hier je weniger gerichtmedizinische Funktion - sie dienen lediglich der Sichtbarwerdung des Opferrituals, insofern hoffentlich eine "Laß-Sünde".

Nochmals herzlichen Dank,
Gruß,
winter

 

Mutet schon seltsam an, im Sommer de Winter zu lesen und einen winter hierorts zu finden.
Hallo und herzlich willkommen,

lieber winter!

Eine Variante wie Dein Zitat gegen Ende der Geschichte findet sich im aztekischen Fundus, wenn jährlich ein makellos schöner, junger Kriegsgefangener ein Jahr lang wie Gott in Frankreich leben konnte (wenn man das unter den Mexica überhaupt konnte) und während der Henkersnacht vier Jungfern beiliegen durfte, um hernach auf dem Altar der Pyramide der Sonne geopfert zu werden, indem der Priester mit Hilfe des Obsidianmessers dem vorbereiteten und keineswegs überraschten Jüngling lebendigen Leibes das Herz aus der Brust nahm und der Sonne entgegenhielt.

Ungewöhnlich find ich auf jeden Fall, eine Geschichte über mehrere Absätze im Konjunktiv zu verfassen und auch durchzuhalten. Gelegentlich könnte eine Hierarchisierung in den Bericht einfließen und der Konj. I durch II ersetzt werden, etwa hier, wenn die Zeugin Koziol selber nur vermutet

…, doch sei sie sich ziemlich sicher, dass das Fräulein Ausländerin gewesen [wäre]: nicht so schwarz wie eine Negerin, aber …
oder auch hier
…, manchmal sogar lautere Dispute, wenn Prüfungsergebnisse den Traum vom Arztberuf h[ä]tten platzen lassen, zumeist aber nur ausdruckslose Enttäuschung in den Gesichtern der Gehenden.
… und hätte die Büste sicherlich schon irgendwo gesehen, wenn sie bereits vorher im Haus gewesen [wäre].

Hier solltestu zwo Kommas setzen
Mit diesen[,] noch aus der Diele laut in das Arbeitszimmer des Herrn Professor geschleuderten Worten[,] sei die junge Frau …
Nicht, dass ich ihn für falsch hielte (eine verkürzte Fassung käme auf jeden Fall ohne Komma aus, etwa so
Mit diesen […] Worten sei die junge Frau …
Die Zeichen dienten allein der Übersichtlichkeit eines ganz schön mächtigen Attributes

Hier gehörte ein Komma ans Ende des Relativsatzes

Ihr sei in jenem Augenblick nicht klar gewesen, von wem der Herr Professor gesprochen habe[,] und diese Worte auf die zornige junge Frau bezogen.
Hier ist es eine bloße Aufzählung von gleichrangigen Adjektiven und mit Komma zu trennen oder Konjunktion zu verbinden
Dahinter steht ein mächtiger[,] schwarzer Ledersessel, …
Wie überhaupt die Flut der Adjektive eingedeicht werden sollte, denn
… aus dunklem schwarzbraunem Nußholz …
spricht schwarzbraun nicht eher für eine dunkle Farbe?
Würde das erste Adjektiv das zwote verstärken, wäre es also quasi ein Attribut des Adjektivs, ginge es ohne Komma ab, dann stände aber hier auch „ein mächtig schwarzer“ Sesssel

Hier verblüfft ein kurzer Gezeitenwechsel, vielleicht Flüchtigkeit:

An den Aktenschränken angekommen, wendete der den Körper mit einer jähen Bewegung und fixiert, einer …
(Nebenbei: Das Pronomen "der" könnte der flüchtige Leser - und die meisten sind es - auch auf den Schrank beziehen ...) Warum liegt Grimms Wendung in der Vergangenheit, wo doch alles gerade gegenwärtig ist?

Einmal ist ein t zu entfernen

Eine ähnliche … , bislang erst einmal untergekomment:
Dafür fehlt hier ein b
… nochmals im Areitszimmer des Professors …

Gruß

Friedel

 

Hey!

Na ja, "Lass"-Sünden sind relativ. ;) Ist auch schwer, sowas darzustellen. Rechtsmedizin ist nicht umsonst eine Wissenschaft für sich. Und selbst bei "Tatort", die technische Berater haben, läuft da einiges schief... :/

Du kannst das mit den Hämatomen und dem "Festhalte"-Ritual einfach so beschreiben, dass das Opfer festgehalten wurde. Das kann der Gerichtsmediziner so angeben.
Von wie vielen Menschen genau ist dann seine Spekulation. Wenn er es spekulativ formuliert, dann ist das vollkommen okay. ;)

Liebe Grüße
Alix

 

Hallo Friedrichard,

danke für die Korrekturhinweise - nicht nur selbst ist man bei eigenen Texten mit Blindheit geschlagen, nein, auch die anderen "Gegenleser" haben offenbar nur bedingt getaugt. Da die Geschichte - nicht zuletzt auf Grund der Hinweise hier auf der Seite - offenbar einiger Korrekturen bedarf (nicht nur grammatikalischer!) muss ich sie wohl nochmals gründlich überarbeiten.
Dir jedenfalls herzlichen Dank für Deine Mühe,
Gruß,
winter

 

Hallo Alix,
eigentlich sollte sich das Festhalten (die Anzahl der Beteiligten, der Zweck) aus dem Chronik-Zitat erschließen - war zumindest so angedacht, offensichtlich hat's nicht funktioniert...
Nochmals Danke für Deine Hinweise,
Gruß,
winter

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom