Der nächste Tag
Erschlagen von dem ganzen Tag lag Mark um 16.00 auf seiner Couch im verrauchten Milieu des Wohnzimmers seiner Mutter. Er hatte früher Feierabend gemacht, weil ihn das penetrante Gelaber seines altersschwachen Chefs genervt hatte. Seine Begründung: Er müsse auf die Beerdigung seiner kürzlich verstorbenen Großmutter.
Einen Sinn für Geschmack hatte Mark noch nie gehabt, doch das blieb seine Sache. Für den nächsten Feierabend hatte er sich schon etwas Neues zurechtgelegt. Das war nicht gerade schwer gewesen, er hatte ja das große Repertoire seiner Kumpels, die jeden Freitag mit ihm in ihrer Stammkneipe ein paar Bierchen hoben. Die waren zwar mittlerweile alle arbeitslos, das jedoch hatte angeblich andere, tiefgehende Gründe und war daher für Mark nicht von größerer Bedeutung. Sparmaßnahmen, Kürzungen, Verschiebung oder Aufgabe des Betriebs, es gab immer einen Grund, was weiß ich.
Mark zog an seiner Lucky, an der gerade die letzten Millimeter abglühten. Er schmiss die Zigarette auf den feinen Teppich seiner Mutter. Sie liebte ihre Teppich, er war ein Erbstück ihrer Großeltern, ein echter Perser, handgemacht. Doch das alles war ihm, dem großen Mark egal.
Er öffnete die Bierdose, welche er in Vorsorge neben die anderen auf den Tisch gestellt hatte, mit einem gekonnt eingeübten Knacken. Sprudelnd ergoss sich das Billigbier in das noch viel niveaulosere Glas und schäumte anschließend langsam und bedächtig auf den Wohnzimmertisch.
Im Fernsehen lief gerade ein spannender Film mit gut durchtrainierten, starken, vor Schweiß triefenden Männern, Männern, die gerade dabei waren sich die Köpfe einzuschlagen. Wenigstens ein aufregender Moment an diesem tristen Feierabend, bei dem man sich bedächtig zurücklehnen konnte, mit dem beruhigenden Gedanken, wieder einmal ausreichend getan zu haben.
Versehentlich schaltete die im Sitz eingeklemmte Fernbedienung auf einen anderen Kanal, als Mark gerade dabei war seinen vollen Hintern in eine gemütlichere Position zu bringen. Der Kanal zeigte ein paar Studenten, denen lächelnd ihr Diplom entgegengestreckt wurde, nicht ohne das Lob, dass sie ausgezeichnete Arbeit geleistet hätten. Während Mark mit der einen Hand in der Zigarettenschachtel auf der Sessellehne eine nicht existente Zigarette suchte, versuchte er verkrampft mit der anderen an die Fernbedienung zu gelangen. Diese steckte jedoch inzwischen zwischen Holzgestell und Polsterung und war daher so schwer zu erreichen, dass er beide Hände einsetzen musste. Leider gelang er mit seinen Wurstfingern nicht weit genug in den Sessel und drückte die Fernbedienung nur noch weiter hinein, bis sie endgültig in den unerreichbaren Hohlraum des von seinem Gewicht strapaziertem Gestells rutschte.
Mark fluchte und musste miterleben, wie sich die Studenten mit zufriedenen Minen nun alle in ein zukunftreiches Leben begaben. Er atmete tief und erhob sich, tat die nötigen Schritte, drückte den Ausschaltknopf des Fernsehers, und ließ sich anschließend wieder in den Sessel fallen, schwer atmend von dem Weg, den er zurückgelegt hatte.
Nachdenklich beobachtete er erst das letzte Glimmen des abgebrannten Filters, dann das festgetrocknete Bier auf dem Holztisch und das halb abgestandene Bier in dem Glas, an dem gerade eine Fliege genüsslich herumnuckelte. Ja, es war ein beschissenes Leben, das er führte.
Jetzt bekamen bald seine Kollegen ihren richtigen Feierabend, mit dem beruhigenden Gefühl etwas vollbracht zu haben. Mark überlegte, was er alles ändern konnte in seinem Leben. Es war viel Arbeit, sicher, aber er würde das durchstehen... Mark sah sich wie einer der braun gebrannten, durchtrainierten Männer, mit Waschbrettbauch, der Retter des Anstands. Er hatte sich vor dem Sessel aufgerichtet. Er würde das alles machen, koste es was es wolle.
Dann hustete Mark, weil ihm der Rauch im Zimmer in die Nase gestiegen war. Er musste schnell etwas trinken. Das Bier stand bereit. Mark ließ sich zurückfallen
Ja, er würde es alles versuchen und sicher auch schaffen........morgen.
[Beitrag editiert von: Frederik am 13.04.2002 um 23:45]