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Der nächste Tag

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15.01.2002
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Der nächste Tag

Erschlagen von dem ganzen Tag lag Mark um 16.00 auf seiner Couch im verrauchten Milieu des Wohnzimmers seiner Mutter. Er hatte früher Feierabend gemacht, weil ihn das penetrante Gelaber seines altersschwachen Chefs genervt hatte. Seine Begründung: Er müsse auf die Beerdigung seiner kürzlich verstorbenen Großmutter.
Einen Sinn für Geschmack hatte Mark noch nie gehabt, doch das blieb seine Sache. Für den nächsten Feierabend hatte er sich schon etwas Neues zurechtgelegt. Das war nicht gerade schwer gewesen, er hatte ja das große Repertoire seiner Kumpels, die jeden Freitag mit ihm in ihrer Stammkneipe ein paar Bierchen hoben. Die waren zwar mittlerweile alle arbeitslos, das jedoch hatte angeblich andere, tiefgehende Gründe und war daher für Mark nicht von größerer Bedeutung. Sparmaßnahmen, Kürzungen, Verschiebung oder Aufgabe des Betriebs, es gab immer einen Grund, was weiß ich.
Mark zog an seiner Lucky, an der gerade die letzten Millimeter abglühten. Er schmiss die Zigarette auf den feinen Teppich seiner Mutter. Sie liebte ihre Teppich, er war ein Erbstück ihrer Großeltern, ein echter Perser, handgemacht. Doch das alles war ihm, dem großen Mark egal.
Er öffnete die Bierdose, welche er in Vorsorge neben die anderen auf den Tisch gestellt hatte, mit einem gekonnt eingeübten Knacken. Sprudelnd ergoss sich das Billigbier in das noch viel niveaulosere Glas und schäumte anschließend langsam und bedächtig auf den Wohnzimmertisch.
Im Fernsehen lief gerade ein spannender Film mit gut durchtrainierten, starken, vor Schweiß triefenden Männern, Männern, die gerade dabei waren sich die Köpfe einzuschlagen. Wenigstens ein aufregender Moment an diesem tristen Feierabend, bei dem man sich bedächtig zurücklehnen konnte, mit dem beruhigenden Gedanken, wieder einmal ausreichend getan zu haben.
Versehentlich schaltete die im Sitz eingeklemmte Fernbedienung auf einen anderen Kanal, als Mark gerade dabei war seinen vollen Hintern in eine gemütlichere Position zu bringen. Der Kanal zeigte ein paar Studenten, denen lächelnd ihr Diplom entgegengestreckt wurde, nicht ohne das Lob, dass sie ausgezeichnete Arbeit geleistet hätten. Während Mark mit der einen Hand in der Zigarettenschachtel auf der Sessellehne eine nicht existente Zigarette suchte, versuchte er verkrampft mit der anderen an die Fernbedienung zu gelangen. Diese steckte jedoch inzwischen zwischen Holzgestell und Polsterung und war daher so schwer zu erreichen, dass er beide Hände einsetzen musste. Leider gelang er mit seinen Wurstfingern nicht weit genug in den Sessel und drückte die Fernbedienung nur noch weiter hinein, bis sie endgültig in den unerreichbaren Hohlraum des von seinem Gewicht strapaziertem Gestells rutschte.
Mark fluchte und musste miterleben, wie sich die Studenten mit zufriedenen Minen nun alle in ein zukunftreiches Leben begaben. Er atmete tief und erhob sich, tat die nötigen Schritte, drückte den Ausschaltknopf des Fernsehers, und ließ sich anschließend wieder in den Sessel fallen, schwer atmend von dem Weg, den er zurückgelegt hatte.
Nachdenklich beobachtete er erst das letzte Glimmen des abgebrannten Filters, dann das festgetrocknete Bier auf dem Holztisch und das halb abgestandene Bier in dem Glas, an dem gerade eine Fliege genüsslich herumnuckelte. Ja, es war ein beschissenes Leben, das er führte.
Jetzt bekamen bald seine Kollegen ihren richtigen Feierabend, mit dem beruhigenden Gefühl etwas vollbracht zu haben. Mark überlegte, was er alles ändern konnte in seinem Leben. Es war viel Arbeit, sicher, aber er würde das durchstehen... Mark sah sich wie einer der braun gebrannten, durchtrainierten Männer, mit Waschbrettbauch, der Retter des Anstands. Er hatte sich vor dem Sessel aufgerichtet. Er würde das alles machen, koste es was es wolle.

Dann hustete Mark, weil ihm der Rauch im Zimmer in die Nase gestiegen war. Er musste schnell etwas trinken. Das Bier stand bereit. Mark ließ sich zurückfallen

Ja, er würde es alles versuchen und sicher auch schaffen........morgen.

[Beitrag editiert von: Frederik am 13.04.2002 um 23:45]

 

@Frederik

Wie ich dir schon sagte, hab ich Deine Geschichte nach "Alltag" verschoben.

Gruß, Sav

 

Seltsam Sav, bevor ich diese Geschichte hier veröffentlicht habe hab ich tatsächlich gedacht, sie hätte einen teils satirischen Charakter, aber ausnahmsweise werd ich es dir einfach mal glauben. :)

Gruß, Fred

[Beitrag editiert von: Frederik am 11.01.2002 um 13:18]

 

hi Frederik,

eine Satire ist das meines Erachtens nicht. Stimmt mich eher depressiv, diese Geschichte.
Das Milieu ist sicherlich gut beschrieben, allerdings kann ich das gottseidank nicht so richtig beurteilen. Klingt aber sehr autentisch...

gruss,
philipp

 

aehm, oeh. das erste richtig coole, was ich heute lesen durfte. authentisch, ja, doch.
angenehm.

 

Yo Freddy To!
Keine schlechte Story, das.
Authentisch, ja.
Milieu klar abgegrenzt, sicher. Der Appell kommt natürlich auch nicht zu kurz - aber hättest du nicht das verdammte

......morgen.
weglassen können? Ist doch auch schon vorher alles gesagt, und dann kommt man doch gleich auf dieses dümmliche Sprichwort.
Vielleicht weniger Stereotypisierung - allein die Lucky macht noch keinen Proleten (da müsste sich Müller aber wundern).
Er öffnete die Bierdose, welche er in Vorsorge neben die anderen auf den Tisch gestellt hatte, mit einem gekonnt eingeübten Knacken.
Wie übt man Knacken?
In Vorsorge = vorsorglich (kommt besser, das :p )
Mark fluchte und musste miterleben, wie sich die Studenten mit lachenden Gesichtern nun alle in ein zukunftreiches Leben begaben.
Zwangsläufig? Glaub´ ich nicht! :)
Trotzdem, muss man erst mal toppen.
Gruß, Cheese and Bacon.

 

hättest du nicht das verdammte

Zitat:
--------------------------------------------------------------------------------
......morgen.
--------------------------------------------------------------------------------


weglassen können?


Nein, dieses "morgen" ist die Pointe des Textes, siehe Titel, und schließt den Text mE genau richtig ab.

Vielleicht weniger Stereotypisierung - allein die Lucky macht noch keinen Proleten

Nein, allein eine Lucky macht keinen Proleten, sie macht auch nur einen Teil seiner Typisierung aus.

Hier sind nur ein paar Beispiele, die das Klischee eines Proleten charakterisieren sollen:

hatte früher Feierabend gemacht, weil er keine Lust mehr gehabt hatte

Einen Sinn für Geschmack hatte Mark noch nie gehabt

mit ihm in ihrer Stammkneipe ein paar Bierchen hoben

Sprudelnd ergoss sich das Billigbier in das noch viel niveaulosere Glas

Naja, vielleicht siehst du´s ja jetzt.

Wie übt man Knacken?

Eigentlich sehe ich da kein Problem. Ich wollte damit nur zeigen, dass der Protagonist diesen Prozess schon über eine längere Zeit ausübt.

Naja, nichts für ungut

Frederik

 

Hier sind nur ein paar Beispiele, die das Klischee eines Proleten charakterisieren sollen:

hatte früher Feierabend gemacht, weil er keine Lust mehr gehabt hatte

Einen Sinn für Geschmack hatte Mark noch nie gehabt

mit ihm in ihrer Stammkneipe ein paar Bierchen hoben

Sprudelnd ergoss sich das Billigbier in das noch viel niveaulosere Glas


Verdammich! Ich bin ein Prolet. Verflucht!
Jetzt muss ich noch schnell alle meine niveaulosen Gläser verstecken, bevor die noch jemand sieht! :D

 

Hm, ich habe das Gefühl missverstanden zu werden.

Natürlich wollte ich damit nicht sagen, dass jeder, der in die Kneipe geht, um ein Bier zu trinken, ein Prolet ist. Nur, dass es (mE) unter anderem in den Typ des Proleten hineinpasst. Und weiter spielt der Prolet eigentlich keine wirklich große Rolle. Ich habe die Geschichte geschrieben, weil ich diesen "mach-ich-morgen" Effekt bei mir selber kenne und nicht, um mich über irgendwelche "Proleten" zu beschweren bzw. diese durch den Protagonisten zu charakterisieren.
Och menno. :heul:

Frederik

[Beitrag editiert von: Frederik am 04.02.2002 um 15:15]

 

Nana, wer wird denn gleich resignieren. Außerdem ist es auch niveaulos, "niveuavolle" Gläser zu stehlen, oder etwa nicht?
Und zu dem "morgen" ... schon klar, dass das die Pointe ist. Aber die kann man sich auch denken. Der Kerl ist ja eh ´ne Lusche.
Hey, ich bleibe dabei, dass das ne gute Story ist!
Also!
Gruß, Cheese and Bacon.
...und nachher Bergsma.

PS: Ist (mE) ´ne anerkannte Abk. f. "meines Erachtens"?

[Beitrag editiert von: BigXtra am 04.02.2002 um 18:44]

 

Das was du rüberbringen wolltest, ist bei mir genau so angekommen.
Das letzte Wort finde ich passend. Bei mir wäre sonst der Eindruck entstanden, er macht sich tatsächlich daran sein Leben zu ändern.

Ein Satz hat mich allerdings gestört

Es war viel, es war viel Arbeit

Das erste „es war viel“ würde ich weg lassen.

Meiner Meinung nach ist der Alltag von Mark sehr gut beschrieben. Durch die guten bildliche Darstellungen konnte ich mich gut in die Situationen hineinversetzen.

denn mal

L.o.C.

 

Hi

Danke erstmal für deine Kritik Camsterlady. Die Stelle, die du zitierst ist nicht gewollt, nur ein nicht gesichteter Fehler ;) Werd ihn gleich mal korrigieren.

Bis denne
Frederik

-carpe diem-

 

Gut erzählt. Die geistigen Stufen eines suffigen Taugenichts, der die Welt verändern will und bereits bei sich selbst scheitert.
Kann ich mir richtig vorstellen, wie der nasse Lappen in irgendeinem Hinterhaus in seinem Mief dem Ungeziefer den Rang streitig macht. Ich für meinen Teil hätte es gerne gelesen, wenn Du tiefer in der Wunde seine Nutzlosigkeit gebort hättest. :D

Weiter so...avni

 

Tja, das könnte ich in der Tat mal machen. Deprimiert mich übrigens selber ein wenig......

[Beitrag editiert von: Frederik am 30.03.2002 um 03:01]

 

So, hab mich mal an die Arbeit gemacht, aber nur geringfügige Änderungen vorgenommen. Werde das Stück ein anderes Mal weiter bearbeiten. Vielleicht könnt ihr ein paar Anregungen posten. Würde mich drüber freuen.

Grüße, Frederik

 

Nochmal hey du.

Hier ist der Erzähler nicht so neutral, gefällt mir gleich viel besser, besonders...

es gab immer einen Grund, was weiß ich.

war ein schöner Einwurf. Funktioniert bei der Länge allerdings auch nur ein, zwei Mal.

Ich empfand den Text am Ende als unausgeglichen (müßte mir eigentlich ja gefallen ;) )...die ganze Wohnzimmer-Blaumach-Biertrink-Atmospäre ist gut aufgebaut...aber dann geht alles zu schnell...ich meine, es ist so schön amüsant, ausgerechtnet nachdem die Fernbedienung außer Reichweite gerät, kommen Marks Denkströme tatsächlich mal in Bewegung. Aber Du lässt ihn zu wenig denken und zu schnell erkennen. Warum lässt Du ihn nicht mal richtig träumen, Pläne schmieden, die Zukunft ausmalen, etc...und dann erst wieder den Arsch zurechtrutschen und zum Bier greifen. Würde die Pointe verstärken...

Gruß,
Sandra

 

@Rabenschwarz

Deine Überlegung ist gerechtfertigt. Tatsächlich verläuft die Handlung an dieser Stelle etwas schnell und unübersichtlich. Werde mir da mal was ausdenken, aber träumen lass ich einen solchen phantasielosen Faulpelz sicher nicht. ;) Mal schauen.

LG
Frederik

 

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