Der Mutant
Sie jagten ihn. Schon seit Stunden, Er war durch die Stadt geflüchtet, hatte sich in Müllhaufen verborgen, in Straßengräben versteckt. Er war verdreckt. Er stank.
Es regnete. Das nasse Haar klebte ihm am Kopf. Das Wasser lief ihm den Körper hinunter. Sein Anzug war durchweicht. Er fröstelte. Sein Atem ging stoßweise. Oft glaubte er, er könne nicht weiter. Seine Beine schmerzten. In seiner Seite stach und in seinem Herzen pochte es.
Immer wieder warf er wilde Blicke um sich.
Es war Nacht. Er sah nichts. Nur Schatten.
Doch er wusste auch so, wo seine Feinde lauerten.
Denn er spürte sie.
Er kannte ihre Gedanken.
Er kannte jeden ihrer Schritte, den sie unternahmen, um ihn zu stellen.
Er war ein Mutant. EineTelepath.
Er war ein Monster. Für die Menschen.
Sie hassten ihn, weil er anders war als sie. Sie fürchteten ihn.
Ein Telepath. Für sie unbegreiflich. Er konnte in ihren Gedanken wühlen, alles wissen, was sie wussten. Sie bemerkten es nicht.
Er hatte sich der Wissenschaft zur Verfügung gestellt,
Für Versuche. Man hatte ihn groß in die Presse, in den Funk und ins Fernsehen gebracht. Er war bekannt geworden.
Aber man behandelte ihn nicht wie einen Menschen.
Er war eingesperrt worden, isoliert von den Menschen.
Er wäre fast wahnsinnig geworden.
Er hatte es nicht mehr ausgehalten.
Irgendwie war ihm die Flucht gelungen. Durch die Unvorsichtigkeit seiner Bewacher.
Er war gerannt. Wie noch nie in seinem Leben.
Ein Reporter erkannte ihn zufällig auf der Flucht.
Und von nun an begann die gnadenlose Hatz.
Sie hatten sich zusammengerottet. Fast alle Menschen in diesem Bezirk der Stadt.
Sie wollten ihn töten.
Sie waren eine blutgierige Meute. Dass spürte er. Entsetzen überrollte ihn. Er zitterte am ganzen Körper.
Er wusste zwar, wo sie sich alle befanden, aber es waren zu viele für einen Einzelnen. Ein wirres Netz von Gedanken stürzte auf ihn ein - tödliche Gedanken.
Zu viele, der Ring wurde enger.
Seine Augen suchten die Umgebung nach einein Versteck ab.
Er rannte, fiel hin, erhob sich und rannte weiter.
An einer Wand stützte er sich ab und sammelte Kraft.
Er besaß fast keine mehr.
Er wollte einfach abschalten und sich niedersetzen.
Doch dann fing er wieder die Gedanken der Menschen auf, die ihn jagten.
Er wollte leben.
Er rannte weiter.
Sie kamen näher. Immer näher.
Hohe Häuser umgaben ihn. Es war stockdunkel.
Er hörte die Menschen mit seinen Ohren. Sie schrieen. Sie schossen.
Sie hatten ihn eingekesselt.
Er war allein.
In einem Hof. Eine Sackgasse.
Nein! Da! Kellertreppen!
Er rannte eine hinunter und warf sich gegen die Tür.
Er schrie wütend und verbittert auf.
Verschlossen!
Er heulte. Er brüllte. Er trommelte mit seinen Fäusten gegen die eiserne Kellertür, trat dagegen und spuckte sie an.
Gehetzt hielt er inne.
Da waren sie wieder. Diesmal noch näher. Sollte er hier am Ende der Treppe bleiben? Vielleicht fanden sie ihn nicht?
Nein! Er wollte nicht starr dasitzen, wie das Kaninchen vor der Schlange. Er sprang die Treppen hoch und rannte zum nächsten Niedergang. Die Tür war auch hier verschlossen.
Er sackte zusammen.
Warum? schrie er telepathisch. Alle konnten es in ihren Hirnen verstehen.
Warum?
Aber ihr Hass steigerte sich dadurch nur um ein vielfaches mehr.
Sie wollten ihn vernichten.
Er hockte zusammengesunken auf dem Hof, die Hände an den Körper gezogen, den Kopf an die Brust gelegt.
Er war am Ende. Er bewegte sich nicht mehr.
Er spürte ihren Hass, ihre Angst.
Dann brachen sie in den Hof herein.
Eine Meute, die keine Liebe mehr kannte. Dutzende.
Und vor ihnen der Mutant.
Er lag im Dreck des Hofes.
Er hörte sie, ohne sie zu hören. Sie war da.
Und der erste Knüppel fuhr auf ihn hernieder!
Alles war Hass. Sie und er - Hass ...
Ende
[Beitrag editiert von: t-k-k am 07.04.2002 um 17:45]