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Der Motivationsbrief

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10.02.2009
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Der Motivationsbrief

Liebe Mitarbeiter,

wir können nicht ohne Stolz auf eine zweitausendjährige Firmengeschichte zurückblicken, ein Zeitraum, an dem sich nicht einmal Münchner Brauereien messen können. Ich möchte hiermit ausdrücklich allen Lebenden und schon verstorbenen Mitarbeiten meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. Ohne Ihre beständige Mitarbeit wäre ein solcher Erfolg nicht möglich gewesen. Ich danke Ihnen, auch ihm Namen von ihm.

Allerdings, liebe Mitarbeiter, können wir uns nicht nur auf unseren Erfolgen ausruhen. Das endgültige Ziel der Weltherrschaft ist noch immer nicht erreicht und wir sind um etliche 100 Jahre hinter dem Zeitplan. Ich möchte sie, liebe Mitarbeiter, dazu anspornen unser eigentliches Ziel nie aus den Augen zu verlieren und darum bitten weiterhin so hart wie bisher daran zu arbeiten.

Wenn wir auf die letzten 2000 Jahre zurückblicken, werden wir sehen, daß sich unsere Geschäftsfelder, wie in jedem anderen großen Konzern auch, im Laufe der Zeit verändert haben. Hier müssen wir alle zusammen weiterhin daran arbeiten, flexibel auf die Veränderungen der uns umgebenden Welt zu reagieren.

Im Zuge dieser Umstrukturierungsmaßnahmen werden wir gezwungen sein, einige in früheren Zeiten sehr lukrative Märkte zu verlassen und uns neuen, teilweise fremden Märkten zuwenden. Diese Maßnahmen sind notwendig, weil zum einen manche Dienstleistungen nicht mehr in Anspruch genommen werden oder die Konkurenz große Marktanteile übernommen hat. Hier ist jeder einzelne gefragt, die verlorengegangenen Anteile wieder zurückzuerobern.

So muß die Abteilung für Plündern und Brandschatzen leider endgültig aufgelöst werden. Nach unserer Marktanalyse ist in den kommenden Jahren nicht mit weiteren Kreuzzügen zur Ausdehung unseres Machtbereiches zu rechnen. Hier müssen wir seit dem Mißerfolg in Jugoslawien ganz klar einsehen, daß die Seligsprechung eines Angriffkriegs zur Ausrottung von Ungläubigen zwar prinzipiell nicht abgelehnt wird, dafür aber keine materielle Gegenleistung zu erwarten ist.

Auch die Abteilung Mord und Totschlag wird bis auf weiteres eingestellt. Einer Umfrage zufolge, denken weniger als 1% unserer Gläubigen, daß die Kirche der richtige Ansprechpartner für Auftragsmorde, Attentate und Folterung ist. Hier hat die Marketingabteilung hoffnungslos versagt und damit eines unser größten Geschäftsfelder praktisch weggeworfen. Und dem Codenamen „Heiße Hexe“ werden wir in den nächsten Jahren versuchen verlorengegangene Marktanteile wieder zurückzugewinnen.

Dies betrifft auch die Abteilung Unterdrückung und Ausbeutung. Hier wissen wir noch nicht genau, wer schuld daran ist, aber Tatsache ist, daß das Volk immer mehr Bildung und Wissen vermittelt bekommt und es neuerdings wagt uns zu kritisieren. Dabei konnten wir mit unseren Instituten zur Volksunterdrückung jahrhundertelang das Volk für blöd verkaufen und dafür die Gefälligkeiten der ansässigen Adeligen kassieren. Einige Mitarbeiter vermuten, daß das Fernsehen oder auch das Internet daran schuld sein könnte. Wir werden hinsichtlich dieser Vermutung die Eigung der neuen Medien zur Volksverdummung prüfen um gegebenenfalls selbst in diesem Bereich wieder aktiv zu werden. Allerdings belegten einige Voruntersuchungen, daß in diesem Bereich schon einige Nichtchristen erfolgreich zugange sind und dies Realityshows nennen.

Mässig läuft auch der Bereich Bitten und Betteln. Als die Gläubigen noch in die Kirche gingen konnte mittels gruppendynamischer Zwangsabgabe einiges an Spenden für die Kirche erbettelt werden. Die Einnahmen in diesem Bereich haben in letzter Zeit sehr nachgelassen. Auch das Zahlen eines Ablasses, statt für getane Sünden Buße zu tun, ist immer mehr aus der Mode gekommen. Hier spreche ich gerade sie als Mitarbeiter in einer Vorbildsfunktion an. Wenn Sie sich zur Bestrafung ihrer Sünden von einer Nutte in schwarzen Lederklamotten auspeitschen lassen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn ihnen unsere Mitglieder munter nacheifern. Ich appelliere hier an sie, sich bei Bedürfnissen dieser Art in alter Tradition an ein Kloster zu wenden, in dem ihnen sicherlich Erleichterung verschafft werden kann ohne dass dies nach Außen bekannt wird.

Der Bereich Dienstleistung läuft mehr oder weniger zufriedenstellend, obwohl auch in diesem Bereich in den letzten Jahrhunderten deutlich mehr Gewinn erwirtschaftet wurde. Einträglich sind nach wie vor die Zwangsverbandelung von Mann und Weib, sowie das Verbuddeln von Toten unter aufwendigem Trara, was wir uns teuer bezahlen lassen. Die Tradition, Neugeborene in Wasser zu tunken und damit automatisch zu einem unserer steuerpflichtigen Mitglieder zu machen ist nach wie vor ungebrochen. Weiß der Teufel warum, aber das ist natürlich nur für sie, liebe Mitarbeiter. Um aus diesem Bereich wieder mehr Geld abzuschöpfen, empfehlen wir allen Priestern, den Gläubigen vermehrt einzutrichtern, daß wertvolle Grabbeigaben den Zugang zu Gott und so vereinfachen, das übliche halt.

Verbleibt noch der Bereich Mitgliederwerbung. Hier müssen wir wieder deutlich zulegen und den Leuten auf der Strasse unser Programm wieder vermitteln. Es kann nicht angehen, daß einige Kollgegen sich auf die faule Haut legen und erklären, daß es der SPD ja auch nicht besser gehe und es denen im Prinzip ja auch wurscht ist. Hier müssen wir uns ganz besonders anstrengen, denn bedenken Sie, jedes Mitglied ist ein potentieller Kunde, der Steuern zahlt, heiratet, neue Gläubige macht und irgendwann stirbt. Jedesmal kann man da abkassieren, das sollten wir nicht auslassen. Auch hier droht die Konkurenz, deren Markanteil beständig wächst. Ausgenommen sind hier die schweizer Lichtjünger, deren Gläubige erfreulicherweise nach kurzer Mitgliedschaft verhungern.

Auch wenn dies nicht alles gute Nachrichten waren, hoffe ich, daß wir weiterhin in lockerer Atmosphäre und einem guten Gläschen Wein produktiv zusammenarbeiten werden. Wenn wir die nächsten Jahre erfolgreich sind, das Geld horten, anstatt es für Bedürftige auszugeben, sehen wir dem Plan einer feindlichen Übernahme des Buddismus gelassen entgegen.

Auf die nächsten 2000 Jahre

 

Hallo Reiswind,

mit dem ersten Satz bekommt der Leser die Pointe des Textes fast wie auf dem Silbertablett kredenzt: Haha, die Kirche als Konzern betrachtet, das ist ja mal etwas ganz Neues. Warum hier nicht mit einem schönen Understatement aufwarten: »langjährige Firmengeschichte« – das hätte mit dem, dann sehr gut passenden, Schlusssatz einen schönen Bogen ergeben. Dazu wären aber auch die ganzen Zaunpfähle dazwischen in Scheinblumen umzuwandeln. Ein Unternehmen, das derart höhnisch über ihre »Kunden« auch in internen Mitteilungen herzieht, überlebt 2000 Jahre wohl kaum.

Jedoch, einmal ganz abgesehen davon, dass es sich hierbei sowieso um keine Geschichte handelt, hagelt es Plattitüden noch und nöcher. Das finde ich nicht witzig, geschweige satirisch.


-- floritiv.

 

Hallo Reiswind,

das Ziel Weltherrschaft und die betriebswirtschaftliche Orientierung lassen mich eher an eine andere Religionsgemeinschaft denken. Eine Organisation darzustellen, als würde sie nach einem ganz anderen Prinzip funktionieren - das ist schon witzig. So könnte man einen internationalen Konzern als Kirche zeigen. Auch politische Parteien, die für sich Unfehlbarkeit beanspruchen und ihre Grundsätze durch Offenbarungen erhalten haben, wären ein dankbares Objekt. Überhaupt macht es Spaß, etwas darzustellen, als sei es in Wirklichkeit etwas Anderes: der Mann, der sich für einen Hund hält in Witzen usw.

Das Thema gibt also eine Menge her, die Umsetzung ist aber recht platt:

So muß die Abteilung für Plündern und Brandschatzen leider endgültig aufgelöst werden. Nach unserer Marktanalyse ist in den kommenden Jahren nicht mit weiteren Kreuzzügen zur Ausdehung unseres Machtbereiches zu rechnen. Hier müssen wir seit dem Mißerfolg in Jugoslawien ganz klar einsehen, daß die Seligsprechung eines Angriffkriegs zur Ausrottung von Ungläubigen zwar prinzipiell nicht abgelehnt wird, dafür aber keine materielle Gegenleistung zu erwarten ist.
Demnach gibt es Abteilungen, die alles liefern, was der Markt verlangt, und zwar gegen jegliche Moral. Da bleibt kein Raum für Heuchelei und Doppelmoral - die sich ja so wunderbar anbieten, wenn man die Kirche durch den Kakao zieht. ;)

Durch die toleranteren neuen Löschungsregeln darf dieser Text stehenbleiben. Vor ein paar Wochen noch hätte ich mich gefragt, ob es sich hier um eine Geschichte handelt. Der Stil ist dem Sujet angemessen. Inhaltlich finde ich das Ganze eher dünn.

Beste Grüße,

Berg

 

Hi Reiswind,

die Betrachtung der (katholischen) Kirche als kriminelle Vereinigung mit mafiaähnlichen Strukturen ist ganz sicher nicht neu. In der Ausführung bist du dabei konsequent geblieben, für mein Gefühl bleibt es gerade deshalb harmlos.
Der Bezug zur Überzeugung und zur Umwelt wird ausgeblendet, die Motivation zur "Weltherrschaft" ignoriert.
Die gefährlichsten Täter sind Überzeugungstäter, die für sich die Moral außer Kraft setzen, weil sie von der Sache überzeugt sind. Das kann im politischen wie im religiösen Dogma der Fall sein. Die Abteilungen "Plünderung und Brandschatzung" oder "Mord und Totschlag" beleuchten ja nur Ergebnisse einer Philosophie, die letztlich mit "froher Botschaft" und "Erlösung" verkauft wird. Die Überzeugung, den richtigen Weg zum Glück aller Menschen zu haben, als Triebkraft für die Gewaltbereitschaft, dieses Glück zu erreichen, Menschen zu ihrem Glück zwingen zu müssen, ist doch im Grunde der satirisch anzugreifende Punkt. Missonsauftrag und Missionierungseifer als Ursache und Auslöser krimineller Energie fehlen in deiner Satire. Dadurch bleibt es in besten Falle Comedy, zum Kabarett fehlt noch einiges.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Reiswind,

ich muss mich meinen Vorrednern anschließen. Für eine Satire ist mir das einfach nicht bissig genug, obwohl ich die Grundidee - Kirche als Konzern - gut finde.
Auch für mich stellt sich die Frage, inwieweit es sich um eine Geschichte handelt. Das eigentliche Problem mit der gewählten Form ist aber mE, dass du hier nicht konsequent bleibst in den Worten und dem Tonfall, die du wählst. Würde ein interner Mitarbeiterbrief nicht viel beschönigendere Worte für all das finden? Teilweise gleitest du zu sehr in die Umgangssprache; kein Konzern würde so an seine Mitarbeiter schreiben, dadurch geht einfach Flair verloren, das dem Text gut täte. In dieser Hinsicht solltest du da noch einmal drüber gehen oder vielleicht schauen, ob du nicht doch eine andere Form des Erzählens wählst (eine "Werksbegehung" im Vatikan, zum Beispiel?), bei der du direkt handelnde und sprechende Figuren zeigen kannst. Auch hier müsstest du aber meiner Meinung nach versuchen, subtiler zu werden. Satire ist kein Holzhammermetier und gerade deshalb so schwierig.

Liebe Grüße,
ciao

Malinche

 

Die Geschichte ist schon witzig oder satirisch genug, um hier zu bestehen, doch sie krankt an zu vielen Zaunpfählen, wie das schon floritiv festgestellt hat. Ein einziger Hinweis – z.B. auf 2000-jährige Geschichte des Unternehmens - dürfte genügen, um zu wissen, dass es sich um die katholische Kirche handelt.

Also sollten die einzelnen Unternehmensbereiche auch andere und vor allem positiv klingende Namen tragen – ich empfehle

für Plündern und Brandschatzen die Bezeichnung „Private Equity Investment Group“
für Mord und Totschlag „Agency for Clarification and Disappearance“
für Unterdrückung und Ausbeutung „Valuation Office for Development Allowance and Extraction”
für Bitten und Betteln „Office for Appeals and Emotions”

Natürlich sollte dann aus der Beschreibung der Erfolge oder Probleme hervorgehen, wozu diese Unternehmensbereiche eigentlich da sind. So könnte man z.B. bei Private Equity Investment Group erwähnen, dass die Zeiten, in denen man dazu Soldaten brauchte, endgültig vorbei sind, viel lohnender sei es, sich an Rüstungsunternehmen zu beteiligen (siehe Investitionen der katholischen Pax-Bank in den Rüstungsriesen BAE Systems, welcher Atom-U-Boote und Kampfflugzeuge produziert) oder Unternehmen mit stillen Reserven und Rücklagen aufzukaufen, sie zu zerlegen und Einzelteile gewinnbringend zu verkaufen, nicht ohne die dabei entstehenden Arbeitslosen der Charity Abteilung zuzuführen, um so weitere „Kunden“ zu gewinnen.

Auf jeden Fall wird diese Kirche wie ein weltweit operierender Konzern geführt, dessen Führungspersonal im Gegensatz zu dem der anderen Konzerne überall Diplomatenstatus sprich Immunität genießt. Der Staat Vatikan wie auch der Heilige Stuhl werden von einem Diktator auf Lebenszeit regiert, der natürlich keiner weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt ist. Das ist eine einzigartige Konstruktion, die nur durch mannigfaltigen, in der Vergangenheit erfolgten Machtmissbrauch erreicht werden konnte. Gleichwohl wird das von Staatengemeinschaft weiter toleriert bzw. sogar gefördert: Allein in Deutschland zieht der Staat für die katholische Kirche 4,5 Milliarden Euro (2008) pro Jahr an Kirchensteuern ein, wovon mehr an den Vatikan überwiesen als für Caritas und andere soziale Einrichtungen in Deutschland verwendet wird.

 

Danke für eure Rückmeldungen. Ich habe dieses Machwerk schon früher einmal woanders im Internet veröffentlicht. Da hatte ich als Titel "Der Papstbrief", den hätte ich vielleicht gar nicht ändern sollen. Es war eigentlich nie geplant, das so anzulegen, dass der Leser am Schluss denkt, "ach, der meint die Kirche". War mehr so, voll drauf auf die Ka... kirche. Wobei da die satirische Überhöhung zuweilen nicht möglich ist, die Kirche ist halt so. Also, aus meiner Sicht.

Nur, damals bekam ich einfach gar keine Rückmeldungen. Da gerät man ins schlingern, ist das jetzt so mies, dass alle davon gelaufen sind oder haben sich die Leser totgelacht. Finde es gut dass hier mal klar wird, dass die Geschichte platt und dumm ist. (Hat ja auch der Papst geschrieben, gut, nicht wirklich..). Gut, richtige Satire geht anders, vielleicht darf ich es ja nochmal versuchen, wenn mir was besseres eingefallen ist.

 

Hallo Reiswind!

Da hatte ich als Titel "Der Papstbrief", den hätte ich vielleicht gar nicht ändern sollen.
Das sehe ich auch so. Eine Alternative wäre auch: "Das Krisenpapier"
Die Motivation kommt in dem Schreiben viel zu kurz. Beispiel:

Im Zuge dieser Umstrukturierungsmaßnahmen werden wir gezwungen sein, einige in früheren Zeiten sehr lukrative Märkte zu verlassen und uns neuen, teilweise fremden Märkten zuwenden. Diese Maßnahmen sind notwendig, weil zum einen manche Dienstleistungen nicht mehr in Anspruch genommen werden oder die Konkurenz große Marktanteile übernommen hat. Hier ist jeder einzelne gefragt, die verlorengegangenen Anteile wieder zurückzuerobern.
Da steckt keine einzige motivierende Aussage drin. Trübsal wird geblasen. Am Ende wird auch noch mit Arbeit gedroht. Und so geht es weiter im Text.
Die Taktik, erst Demotivation, dann Motivation, könnte hier beabsichtigt sein, dafür ist aber der Motivationsversuch, zum Beispiel im letzten Absatz, viel zu schwach. Da fehlt jedes (heilige) Feuer und ein kräftiges Halleluja!

Gruß

Asterix

 

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