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Der Morgen
Der Morgen
Die Frage ist doch wirklich, was ich hier soll? Oder ist sie, was ich hier will? Zu schreiben ist das die Kreativität oder die Disziplin in eine bestehende Sache Struktur zu bringen... warum hat Gott mir kein Talent gegeben und warum habe ich bloß das Gefühl den Abschaum der Welt zu unterstützen. Man hat mich aus etwas herausgedrängt und nun befinde ich mich im Niemandsland...
Warmes Sonnenlicht flutet die Allee, lässt Staubpartikel aufflammen und überhaupt erstrahlt die Umgebung in Postkartenidylle, die mich denken lässt, dass der Mensch und sein menschliches Umfeld in diesem doch unvergleichlichem Szenario nur als Störfaktor auffällt und gewiss niemals durch seine Schönheit. Unvergleichlichkeit.
Diese eher misanthropische Ansicht resultiert aus meiner jetzigen Situation, denn eigentlich gehöre ich eher zu den lebensbejahenden Existenzen. Aber wir sind ja bekanntlich ein Produkt unserer Umwelt, und die Meinungen anderer Leute materialisieren sich ja auch hauptsächlich aus ihrer eigenen Erfahrung und beziehen selten das Spektrum anderer mit ein.
Die letzten Tage habe ich versucht meinen Optimismus hochzuhalten und dem was da kommt mit Offenheit zu begegnen. Eigentlich versuche ich das schon, seit mich die Realität eingeholt hat.
Jetzt bin ich - mal wieder - an einem Punkt angelangt, an dem ich mich in Vorwürfe anderen gegenüber flüchten möchte, um mein eigenes Versagen nur durch eine Nebelschicht in weiter Ferne ab und zu auftauchen zu sehen.
Als Kind habe ich immer geglaubt, dass das Leben einem Perpetuummobile gleicht, einmal angeschoben nimmt es seinen Lauf und die meisten Dinge ereignen sich von selbst.
Meine größte Überzeugung aber galt dem Punkt, dass jeder Mensch genau das bekommt, was er sich wünschte, was zu ihm gehörte.
Das entsprang weniger einem großen Gerechtigkeitssinn, als aus der eigenen Erfahrung immer alles das zu bekommen, was man sich wünschte, was zu einem gehörte.
Dass diese Überzeugung im Laufe der Zeit nicht mehr haltbar wird, ist einer der Gründe, warum das Erwachsenwerden traumatisieren kann, warum einige Persönlichkeiten daran zerbrechen und warum ich es als einen Prozess empfinde, in dem man mehr verliert als man gewinnt.
Die Person, die mich seit einer Weile gefangen hält, ist auch zerbrochen. Sie hat etwas bekommen, was sie nicht verdiente und der Ernst des Lebens hat fast alles, was sie bis dahin war, ausgelöscht. Nichts ist mehr ganz, nichts ist mehr vollständig, nichts ist mehr wirklich da. Die Person gleicht einer Hülle, ohne Inhalt ohne Leben. Verletzt und alleingelassen. Verwirrt und verirrt.
Ich stehe nur da und warte. Ich warte schon lange. Warte darauf, dass meine Gedanken sich lösen, dass ich aufwache. Warte darauf, dass mein Körper reagiert, auf das Übergeben, die Ohnmacht. Aber ich stehe nur da, und alles um mich herum dehnt sich zu einer gewaltigen Luftblase, in der die Zeit still steht. Ich könnte ewig so stehen. Es ist wieder einer der Momente, in denen ich mich sehe wie ich wirklich bin; Ein Mensch, der in jeglicher Situation nur sich selbst im Mittelpunkt sieht, die Situation auf sich bezieht.
Ich stehe bloß da und existiere, betrachte die Menschen um mich herum und versuche mich gedanklich in dieser Welt zu positionieren. Es gelingt mir nicht und ich hänge weiterhin haltlos und kraftlos im Raum.
Meine eigene Identitätslosigkeit bedeutet nicht, dass all die wohldefinierten Existenzen, die mich umgeben, meinen Platz nicht sorgsam bestimmt und meinen Aktionsradius festgelegt hätten.
Ich stehe da und bin verloren. Verloren und gleichzeitig von Ihnen gefunden. Gefunden von all denen die mich umgeben, die mich brauchen: Als Statistin in ihrem ganz persönlichen Alltag. Als Zuschauerin in ihren Leben. Zum Reden, zum Profilieren, zur Selbstdefinierung, zum Atmen, zur Haushaltsführung, zum Lernen, zum Erklären, zum Arbeiten.
Ich bin fester Bestandteil eines Gefüges. Ich bin wichtig. In jedem Moment, wie jetzt:
Ich bin die Frau an der Haltestelle.
[ 16.05.2002, 15:49: Beitrag editiert von: Worldpeace ]