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Der Montag danach

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08.11.2001
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Der Montag danach

Der Montag danach

Eigentlich ist mir nicht klar, wie es dazu gekommen ist. Nur, dass es nicht dazu hätte kommen sollen. Aber hier und jetzt ist nichts daran zu ändern. Nicht mehr.
Ich hab mir ein paar Mal gewünscht, es ändern zu können. Es ungeschehen zu machen. Aber das sagt sich so leicht. Und dann, auf einer gar nicht so langen Autofahrt, denkt man drüber nach. Es ungeschehen machen. Nie geschehen sein. Aber dann wären diese Erinnerungen in Luft aufgelöst. Ich will nicht, dass sie sich in Luft auflösen. Nein, eigentlich noch schlimmer. Wäre das alles nicht geschehen, dann hätte ich diese Erinnerungen nie gehabt. Sie wären nie entstanden. Und dann, am Ende dieser Autofahrt, denke ich, es wäre besser, ich könnte alle anderen vergessen lassen, dass es geschehen ist. Auch ihn. Besonders ihn. Und dann, beim Aussteigen, denke ich, dass es dann doch nie passiert wäre. Und wenn er es nicht mehr wüsste, wäre es dann noch wahr? Wäre es noch dasselbe? Aber solange er es weiß, werde ich keine Ruhe damit finden. Als die Autotür zuschlägt, habe ich noch keine Entscheidung getroffen, darüber, was ich wollen würde, wenn ich wollen könnte. Aber das trockene Klappen macht mir klar, dass das ohnehin nicht in meiner Macht steht.

Er sitzt schon an seinem Schreibtisch, als ich hereinkomme und ich muss an ihm vorbei. Verdammt. Ich entscheide letztlich, mein allgemeines "Morgen zusammen" über den Raum zu streuen und ihm danach einfach zuzunicken. Persönlich genug, aber auch vollkommen innerhalb unserer stillen Vereinbarung.
Vereinbarungen und Deals. So führt er sein Geschäft und unsere Affäre auch. Affäre. Das klingt so schmutzig. So unpersönlich. Und so, ach ich weiß nicht, so etikettiert. Aber so hat er es genannt. Samstag nacht. Kurz bevor wir auf meinem Bett landeten. Und manchmal glaube ich doch tatsächlich, ich hätte nicht mit einem Mann geschlafen, sondern mit zwei verschiedenen. Nein, nicht gleichzeitig. Oder eigentlich doch. Also, was ich meine: Er war zärtlich, einfühlsam, perfekt, als wir die Bar verließen. Da war dieses Kribbeln in meiner Magengrube, als wir ins Taxi stiegen. Er ist ein perfekter Mann, aber er ist mein Chef. Nun gut. Ihn schien es nicht zu stören.
Und dann in meiner Wohnung. Da war er so intensiv. So dicht. So unglaublich wunderbar. Einfach unglaublich. Ich habe mich gefühlt, wie eine Prinzessin.
Wir sanken ins Bett, nein, zuerst auf die Couch. Dann auf mein Bett. Ich verfluchte, nicht aufgeräumt zu haben, aber er sah es nicht. Wir verschmolzen und ich gab mich hin, ohne es in Frage zu stellen.
Nur Sekunden nach dem Höhepunkt stand er auf. Ich dachte, er geht vielleicht ins Bad. Aber er zog sich an und ging, mit einem über die Schulter gerufenen "Bye, Baby!". Ich bewegte mich nicht, bis ich die Wohnungstür klappen hörte. Dann kamen die Tränen. Aus dem Kribbeln im Magen war ein saures Brennen geworden und ich rollte mich unter der Decke zusammen.

Als ich das Büro betreten habe, hat er mich nicht mal angesehen. Vielleicht ist ihm sein Abgang von Samstag noch peinlich. Also werde ich es ihm leicht machen. Nein, vielleicht will er es gar nicht leicht haben. Vielleicht war das am Samstag ernst gemeint. Als er gegangen ist. Wie dem auch sei, ich werde jetzt dort herübergehen und mir einen Kaffee holen. Nur Meter von ihm entfernt stehen. Dann hat er Gelegenheit, etwas zu mir zu sagen. Dann wird sich alles klären. Denn sonst will ich es vergessen. Es ungeschehen machen. Was ich nicht kann.
Ich gieße mir eine Tasse ein und er sitzt direkt hinter mir am großen Tisch. Aber er sagt kein Wort. Zucker. Erst einen Würfel, dann noch einen, und langsam umrühren. Er hat mich gesehen. Vielleicht braucht er nur noch einen Moment.
Himmel, Herrgott, Sakrament! Wir sind erwachsen. Ich will doch nicht viel. Nur eine Reaktion. Damit diese Spannung verschwindet. Mehr nicht. Der Löffel klirrt in der Tasse. Er muss mich bemerken. Nur und allein ein paar belanglose Worte, damit es belanglos wird.
Aber es war phantastisch. Es darf nicht belanglos werden. Ohnehin: Das liegt nicht bei mir. Ich trinke einen Schluck und immer noch sagt er kein Wort zu mir. Länger kann ich hier nicht mehr stehen bleiben, ohne dass es auffällt.
Also drehe ich mich um und will zu meinem Tisch zurück. "Frau Wagner", seine Stimme jagt meinen Puls in die Höhe, aber er ist so nüchtern. Und "Frau Wagner"! Am Samstag hieß ich noch "Melanie", gehaucht, in mein Ohr. Schon im Taxi. Ich drehe mich um und sehe ihn an. Er mich nicht. Er schiebt einen Stapel Papier über den Tisch.
"Davon brauche ich sieben Kopien, sortiert, geheftet, gelocht. Sofort." Ich könnte heulen. Aber ich habe keine Wahl. "Sicher. Sofort."

 

hei Frauke, ich möchte mich Imperator nicht so ganz anschließen.

Rüber kommt auf alle Fälle das Hoffen und Bangen der Frau, dass es nicht so ist, wie ihr ihre Impulse nach dem "Bye Baby" verraten haben. Sie möchte nicht als ein Stück Fleisch vom Chef betrachtet werden. Sie hat Angst ihre Würde zu verlieren, ihre Selbstachtung sinkt, sie fühlt sich ausgenutzt. Ich halte sie nicht unbedingt für naiv, sie traf auf einen Schauspieler, schwierig sich davor zu schützen.

Die Verhaltensweisen des "Arschloch-Chefs" sorgen dann doch für den innerlichen Zusammenbruch. Leider!

Es ist ein kleiner Auszug aus dem Leben, es bedarf meines Erachtens nicht großartiger Beschreibungen von Charakteren. Kommt auch so gut genug durch.

Mal eben kurz ins Leben gegriffen mit diesen Zeilen und deswegen: Gelungen!

Liebe grüsse Stefan

 

@imperator:

Danke für Deine Kritik.
ich hatte wirklich nicht gedacht, daß es "Sinn machen" würde, "sie" so genau darzustellen. Sie kann eigentlich irgendjemand sein. Besondere Eigenschaften braucht sie nicht.
Und ob ich jemanden, der sich so verhält, automatisch als "naiv" bezeichnen würde? Ich weiß nicht.... manche sicher, alle vermutlich nicht... es gibt eine gewisse Begründung dafür, an das Gute im Menschen - selbst im Lover - zu glauben :D

Ich glaube aber nicht, daß sie sich "häufiger" so benutzen läßt. Es scheint ihrer Reaktion nach eher eine neue Erfahrung zu sein...

Ich bin da aber für eine "Abstimmung" offen: braucht diese Frau mehr Charakterisierung?

@Archetyp:

Danke natürlich auch an Dich. So hatte ich es mir gedacht und ich freue mich, daß mich jemand versteht...

Mal eben kurz ins Leben gegriffen mit diesen Zeilen
ich denke, das trifft mein Konzept bei vielen Geschichten recht genau.

Lieben Dank,

Frauke

 

Hallo Frauke,

also mir hat's gefallen. Das Thema ist einfach interessant: Verletzte Gefühle - wen lässt sowas schon kalt? Und du hast keine weinerliche Geschichte daraus gemacht, was bei so einem Thema eine Gefahr ist.

Mir war aber der erste Absatz zu lang. Man weiß als Leser noch nicht, worum es eigentlich in der Geschichte geht. Eine Zeitlang erhöhen die Überlegungen die Spannung - aber ich finde, du hast es übertrieben. Die Hälfte wäre ok.

Grüße,
dein Stefan aka leixoletti

 

hi Stefan!

danke für die Kritik und schön, daß es Dir gefallen hat. Ich werd mir den ersten Absatz mal ansehen, ob ich da was streichen kann, ohne daran zu verbluten :D

Warst Du nach der Spannung eher enttäuscht von dem Ergebnis? Oder paßte es schon zusammen?

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hallo Arc, ich bins nochmal.

ob ich enttäuscht war? Nein. Sonst passt es, finde ich. Ich hab ja schon gesagt, dass ich das Thema wichtig finde.

Zu dem, was der Imperator gesagt hat: Ich glaub ich weiß, was er meint. Ich hab auch bis vor ein paar Monaten so kurze 1000-Wörter-Geschichten geschrieben. Da geht es dann nur um ein Gefühl, alles andere bleibt ein bisschen auf der Strecke. Die Charakterisierung der Figuren zum Bleistift.

Man weiß auch nicht, wie diese junge Frau aussieht, wie alt sie ist, wie alt der Chef ist, wie ihre Wohnung aussieht. Man erfährt vor allem etwas über die Innenwelt der jungen Frau. Die Phantasie des Lesers wird nun aber eher durch Details angeregt, als wenn man hier im Dunkeln stehen bleibt.

Dein Stefan

 

hi Stefan!

danke für das feedback. Ich seh mir den Anfang nochmal an. Klar.

Ich fand, auf die Äußerlichkeiten der Frau und es Chefs kommt es so absolut gar nicht an. Und das ermöglicht eben jedem, genau die Personen dort zu sehen, die er möchte. Charaktere, die ihm ähnlich sind, oder ganz anders, Stereotypen, oder auch nicht.
Für ihre Gefühle ist es unerheblich, ob er Adonis oder Quasimodo ist. Und für die Geschichte fand ich es auch unerheblich, ob sie dick oder dünn, groß oder kein, blond oder schwarz ist. Leser müssen bei KGs ohnehin mehr selbst einfügen, als bei Romanen.

Frauke

 

Hi again,

natürlich sind die Äußerlichkeiten für die Handlung und für die Emotionen, die in der Geschichte hochkochen, egal. Die klassischen Nachkriegsgeschichten von Böll, Borchert & Co. lassen sowas auch eher weg. Aber das ist Kahlschlagliteratur, wir sind 50 Jahre weiter.

Kurzgeschichten sind keine Romane, da stimme ich dir zu. Biografischen Hintergrund, Charakter und Aussehen der Personen kann man da nicht ausführlich wiedergeben, nur skizzieren. Aber das sollte man wohl auch tun.

Ich finde es wichtig, als Autor die Phantasie des Lesers in Schwung bringen. Dazu braucht der Leser aber einen Anhaltspunkt. Eine abwägende Handbewegung des Protagonisten, ein zuckendes Augenlid, schwarz behaarte Hände, irgendwas. Sonst stell ich mir gar nix vor.

Die meisten Bücher übers Kurzgeschichten-Schreiben empfehlen, den Hauptpersonen ein Erkennungsmerkmal zu geben (z.B. Jack M. Bickham, Short Story, Verlag Zweitausendeins, 2003). Das könnte in deiner Geschichte nur für den Chef gelten, denn die Ich-Erzählerin sieht sich ja nicht selber. Ich sehe ihn als einen wankelmütigen Charakter. Was passt dazu? Eine flattrige Handbewegung vielleicht? Oder der Geruch seines Parfüms, bei dem die Ich-Erzählerin sich nicht sicher ist: Riecht es nun nach Basilikum oder nach Estragon?

Stefan

 

Riecht es nun nach Basilikum oder nach Estragon?
:D

ja, ich weiß schon, was Du meinst, aber manchmal - hier zB - würde es mich tatsächlich eher stören, den beiden mehr Volumen einzuhauchen.
Bei der Charakterisierung hab ich eben auf ihre erfolglosen Verdrängungs-Versuche und seine Ignoranz gesetzt. Dachte, das wäre genug.
Ist nur so ein Gefühl. Aber mir war sie als Frau und er als Chef schon deutlich genug. Bleibt da so viel auf der Strecke? Ich les sie in ein paar Tagen nochmal mit mehr Abstand. Vielleicht fällt es mir dann auf.

Frauke

 

hey frauke!

ich weiß nicht, hast Du schon was geändert seit dem?
Mir jedenfalls hat Dein Text gut gefallen, gerdae ihre Gefühlswelt kommt bei mir an, finde ich sehr gelungen ausgearbeitet.ö Am Anfang hab cih mich allerdings auch gefragt, worum gehts denn eigentlich, und der erste Absatz erschien mir einfasch ncoh zu bedeutungslos, ohne die Ursachen zu kennen. Der Rest, insbesondere der Schluss zeichnet sich zwar ab, ist aber dennoch gut beschrieben. Ein teilweise wirklich intensiver Text!

schöne Grüße
Anne

 

hi Anne!

Lieben Dank für Deine Kritik. Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen, etwas zu ändern. War am WE zu viel unterwegs :)

Nach Deiner Anmerkung mach ich mir aber jetzt wirklich Gedanken, daß ich den ersten Absatz kürzen muß. Wenn einer das meint... nagut, daß kann noch Geschmack sein. Aber wenn es sich häuft, ist es Zeit für eine Überarbeitung.
Ich muß mich nur noch entscheiden, ob ich den Absatz kürze, oder ob ich schon dort Hinweise auf den weiteren Verlauf einwebe.
Deine Kritik hat mir dabei sehr weitergeholfen. Danke.

Schön, daß Du die Gefühle der Person(en) nachvollziehen konntest.

Lieben Dank,

Frauke

 

Hallo Frauke,

mir hat der kurze Blick in das Leben Deiner Protagonistin gut gefallen! Ich konnte sofort mit ihr mitleiden und mitleben. Mit wenigen schlichten Worten beschreibst Du ihr großes Glück an dem Abend, als der Geliebte bei ihr war und dann später die grausame Enttäuschung, als er sie nach dem Beischlaf einfach links liegen läßt und geht. Er hat sie nur benutzt und dann weggeworfen. Das stellst Du nüchtern klar, ohne Sentimentalität. Ich finde die Geschichte ist Dir gelungen. :)
Liebe Grüße
Barbara

 

Hi Barbara!

Vielen Dank für Dein Lob. Ich freue mich, daß Dich die Charaktere angesprochen haben. Mehr als ein kurzer, recht nüchterner Einblick sollte es auch nicht sein. Schön, wenn es jemanden anspricht!

Lieben Gruß,

Frauke

 

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