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Der Montag danach
Der Montag danach
Eigentlich ist mir nicht klar, wie es dazu gekommen ist. Nur, dass es nicht dazu hätte kommen sollen. Aber hier und jetzt ist nichts daran zu ändern. Nicht mehr.
Ich hab mir ein paar Mal gewünscht, es ändern zu können. Es ungeschehen zu machen. Aber das sagt sich so leicht. Und dann, auf einer gar nicht so langen Autofahrt, denkt man drüber nach. Es ungeschehen machen. Nie geschehen sein. Aber dann wären diese Erinnerungen in Luft aufgelöst. Ich will nicht, dass sie sich in Luft auflösen. Nein, eigentlich noch schlimmer. Wäre das alles nicht geschehen, dann hätte ich diese Erinnerungen nie gehabt. Sie wären nie entstanden. Und dann, am Ende dieser Autofahrt, denke ich, es wäre besser, ich könnte alle anderen vergessen lassen, dass es geschehen ist. Auch ihn. Besonders ihn. Und dann, beim Aussteigen, denke ich, dass es dann doch nie passiert wäre. Und wenn er es nicht mehr wüsste, wäre es dann noch wahr? Wäre es noch dasselbe? Aber solange er es weiß, werde ich keine Ruhe damit finden. Als die Autotür zuschlägt, habe ich noch keine Entscheidung getroffen, darüber, was ich wollen würde, wenn ich wollen könnte. Aber das trockene Klappen macht mir klar, dass das ohnehin nicht in meiner Macht steht.
Er sitzt schon an seinem Schreibtisch, als ich hereinkomme und ich muss an ihm vorbei. Verdammt. Ich entscheide letztlich, mein allgemeines "Morgen zusammen" über den Raum zu streuen und ihm danach einfach zuzunicken. Persönlich genug, aber auch vollkommen innerhalb unserer stillen Vereinbarung.
Vereinbarungen und Deals. So führt er sein Geschäft und unsere Affäre auch. Affäre. Das klingt so schmutzig. So unpersönlich. Und so, ach ich weiß nicht, so etikettiert. Aber so hat er es genannt. Samstag nacht. Kurz bevor wir auf meinem Bett landeten. Und manchmal glaube ich doch tatsächlich, ich hätte nicht mit einem Mann geschlafen, sondern mit zwei verschiedenen. Nein, nicht gleichzeitig. Oder eigentlich doch. Also, was ich meine: Er war zärtlich, einfühlsam, perfekt, als wir die Bar verließen. Da war dieses Kribbeln in meiner Magengrube, als wir ins Taxi stiegen. Er ist ein perfekter Mann, aber er ist mein Chef. Nun gut. Ihn schien es nicht zu stören.
Und dann in meiner Wohnung. Da war er so intensiv. So dicht. So unglaublich wunderbar. Einfach unglaublich. Ich habe mich gefühlt, wie eine Prinzessin.
Wir sanken ins Bett, nein, zuerst auf die Couch. Dann auf mein Bett. Ich verfluchte, nicht aufgeräumt zu haben, aber er sah es nicht. Wir verschmolzen und ich gab mich hin, ohne es in Frage zu stellen.
Nur Sekunden nach dem Höhepunkt stand er auf. Ich dachte, er geht vielleicht ins Bad. Aber er zog sich an und ging, mit einem über die Schulter gerufenen "Bye, Baby!". Ich bewegte mich nicht, bis ich die Wohnungstür klappen hörte. Dann kamen die Tränen. Aus dem Kribbeln im Magen war ein saures Brennen geworden und ich rollte mich unter der Decke zusammen.
Als ich das Büro betreten habe, hat er mich nicht mal angesehen. Vielleicht ist ihm sein Abgang von Samstag noch peinlich. Also werde ich es ihm leicht machen. Nein, vielleicht will er es gar nicht leicht haben. Vielleicht war das am Samstag ernst gemeint. Als er gegangen ist. Wie dem auch sei, ich werde jetzt dort herübergehen und mir einen Kaffee holen. Nur Meter von ihm entfernt stehen. Dann hat er Gelegenheit, etwas zu mir zu sagen. Dann wird sich alles klären. Denn sonst will ich es vergessen. Es ungeschehen machen. Was ich nicht kann.
Ich gieße mir eine Tasse ein und er sitzt direkt hinter mir am großen Tisch. Aber er sagt kein Wort. Zucker. Erst einen Würfel, dann noch einen, und langsam umrühren. Er hat mich gesehen. Vielleicht braucht er nur noch einen Moment.
Himmel, Herrgott, Sakrament! Wir sind erwachsen. Ich will doch nicht viel. Nur eine Reaktion. Damit diese Spannung verschwindet. Mehr nicht. Der Löffel klirrt in der Tasse. Er muss mich bemerken. Nur und allein ein paar belanglose Worte, damit es belanglos wird.
Aber es war phantastisch. Es darf nicht belanglos werden. Ohnehin: Das liegt nicht bei mir. Ich trinke einen Schluck und immer noch sagt er kein Wort zu mir. Länger kann ich hier nicht mehr stehen bleiben, ohne dass es auffällt.
Also drehe ich mich um und will zu meinem Tisch zurück. "Frau Wagner", seine Stimme jagt meinen Puls in die Höhe, aber er ist so nüchtern. Und "Frau Wagner"! Am Samstag hieß ich noch "Melanie", gehaucht, in mein Ohr. Schon im Taxi. Ich drehe mich um und sehe ihn an. Er mich nicht. Er schiebt einen Stapel Papier über den Tisch.
"Davon brauche ich sieben Kopien, sortiert, geheftet, gelocht. Sofort." Ich könnte heulen. Aber ich habe keine Wahl. "Sicher. Sofort."