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Der Messias
Ignorante Narren! Was wissen sie denn schon von Gerechtigkeit? Sehen sie denn nicht, dass ich sie erlösen wollte? Dass ihr sterbliches Leben nichts ist im Vergleich zu dem, was ich ihnen biete? Nun wollen diese Kleingeister mich hinrichten, einem langsamen Tod verantworten. Ach, ich hätte es wissen sollen. Hätte erkennen müssen, welch falsches, käufliches Wesen ich als einen meiner Jünger erwählt habe. Ist das der Dank für meine Fürsorge? Für die Mühe, ihn zu lehren meinen Weg?
Die Last ruht schwer auf meinen Schultern, und ich frage mich, was ich hätte anders tun sollen. Beinahe breche ich in die Knie, doch ich zwinge meinen geschundenen Körper mit einem leisen Ächzen, das Gewicht wieder hochzustemmen. Zu meiner Linken sehe ich aufgebrachte Männer mit kurzem Haupthaar und schwarzen, gelockten Haarsträhnen zu beiden Seiten des Gesichts. Sie stoßen Verwünschungen aus und werfen mit Steinen nach mir, bis einige Soldaten mit glänzenden Brustpanzern und breiten Kurzschwertern in den Fäusten sie zurückdrängen. Ihre Helme mit Wangenschützern verbergen ihr Gesicht vor mir, als sie mir die Seite zuwenden. Doch auch ohne sie zu erkennen weiß ich, dass ihr Blick mich nicht mit Wohlwollen treffen würde.
Die Sonne steht hoch am Himmel und brennt unbarmherzig, die Lehmhäuser zu beiden Seiten flimmern in der Hitze. Auf meiner Haut jedoch ist kein Tropfen Schweiß, denn ich bin nicht etwa irgendein einfacher Mensch. Ich bin der, den sie hassen und zugleich fürchten. Ich bin der Erlöser.
Ich war es, der so viele Menschen von ihrem körperlichen Leid geheilt hat. Der die Blinden sehend machte, die verkrüppelten Glieder der Lahmen kräftig werden und die Krankheit aus ihrem Leib vertrieb. Und der ihnen beibrachte, dass sie ihren Nächsten brauchen. Dass sie ihre ganze Kraft aus der Menschlichkeit beziehen. Aus der Essenz, die in jedem einzelnen steckt.
Ihr Toren! Wollt ihr eure Aussicht auf Unsterblichkeit aufgeben und nur eurem beschränktem sterblichen Dasein frönen?
Nun zwingen sie mich, das Kreuz von meinem Rücken niederzulassen, auf dass es mich trage, wie ich es zuvor getragen. Zwei stehen bereits auf dem Hügel. Wie können sie das tun? Wie können sie mich neben gemeinen Mördern kreuzigen wollen? Mit einem Seufzen erinnere ich mich an die letzte Zeit. Die Frau, welche sie „Sünderin“ nannte. Ich nahm mich ihrer an, wie sie ausgestoßen ward. Sie sollte mein Vermächtnis weiterführen. Doch sie war zu schwach, den Kelch meines Blutes zu nehmen. Eine andere hätte ich sicher finden können, denn Zeit war es nie, was mir mangelte. Doch dann hat der heuchlerische Judas mich verraten. Für ein paar blinkende Münzen verkaufte er, was ich ihm zu bieten hatte. Verspielte sich die Möglichkeit, mir ebenbürtig zu werden. Dabei sollte die Gabe ihm gehören; ich dachte er sei würdig, sie zu erhalten. Nein, dieser Irrtum war mein Untergang. Schon packen sie mich, um meine Glieder an das tote Holz zu nageln. Doch dies ist nicht wirklich das Ende. Ich werde zurückkehren und vollenden, was ich begann. Vielleicht werden sie mich im Laufe der Zeit in einem anderen Licht sehen...
Während der Hammer ausholt, verziehe ich die Lippen noch einmal zu einem Grinsen, als ich daran denke, wie ich mich mit der Frau vergnügt habe. Und an ihre Schreie.
"Seht", ruft einer der Männer, "dies also ist dieser Jesus, wie er in Qualen für seine Vergehen bezahlt. Seht ihn euch an! Jesus... der Vampir von Nazareth!"
Skallagrim