Der Mann
Es war einmal ein Mann, der hatte nichts ausser Buchstaben im Kopf.
Morgens, waehrend er fruehstueckte, lass er gierig die Zeitung des Tages im kleinstem Detail. Er studierte die Berichte sorgfaeltig, schnitt die schoensten Ueberschriften mit einer kleinen Schere aus, und haengte sie mit einer Pinnadel an die Wand.
Nachmittags fand man ihn im Park auf einer Bank sitzend, ein Buch auf seinen Knien aufgeschlagen, sorgfaelltig lesend, bis die Daemmerung der Nacht seine Augen erschoepfte.
Jeden Abend, bevor er sich entscholoss, in sein Schalfzimmer zurueckzuziehen, las er mit einer hochkonzentrierten Visage die Bibel. Sein Interesse, jedenfalls, ensprangen nicht aus religioesen Gruenden... es war mehr die Laenge dieses Buches, die unzaehlignen, einanandergehaengten Reihen von Woertern und Paragraphen , die ihn so sehr faszinierten, dass er sich schon mindestens zehn mal mit ihr befasst hatte.
Vielleicht waere die Faszination der Bibel nicht so intensiv gewesen, wenn die Stimme nicht so sehr ueberzeugt waere, dass sie Laenge des Buches die Qualitaet reflektiert.
Fuer ihn waren Buchstaben das Elixier, das ihn am Leben hielt.
Den taeglichen Spaziergaenger des Parkes war sein Gesicht schon seit einer Weile bekannt; und ab und zu fand man eine diskutierende Gruppe von zweien or dreien um den Ententeich stehen, die sich fragend nach ihm drehten.
Und wenn sich mal ein ganz neugieriger Spatziergaenger diskret nach dem Buch erkundigte, wurde seine Wissbegierde nie gestillt.
Der von Parkliebhabern ernannte Buecherwurm wusste meistens selber nicht, was er gerade vor seinen Augen hatte, ganz abgesprochen von wieso er lese.
Die Stimme hatte es ihm befohlen. Wiederspruch bedeutete Einsamkeit.
Seine Gedanken auf dem Weg zur Arbeit waren stets den Pausen gewidmet, in denen er durch all die bunten, woechigen Magazine blaettern konnte, um nur noch mehr buntere Buchstaben und Ueberschriften zu finden.
Zu seiner Umwelt regierte er kaum. Und als sein Arbeitsgeber mal nachfregte, ob er auch andere Interessen als Lesen haette, war seine Frage mit einem kurzen und steifen "Nein" erwiedert. Von diesem Tag an, wurden Gespraeche mit dem Mann bereitschaftesbereit vermieden.
Gerne haette der Buecherwurm ab und zu ein paar Worte mit seinen Mitarbeitern ausgewechselt. Die Stimme, jedoch, verbiet ihm jeglichen Kontakt mit der Umgebung und ihren Besetzern - der Menschheit.
An die Stimme aber, hatte er sich schon seit langem gewoehnt. Den Kampf, um sich gegen sie durchzusetzen, hatte er ebenfalls seit langem verloren. Schliesslich war sie ja sein einziger Kompanion, Gespraechspartner, und Ratgeber. Sein Schuetzer, hatte sie ihm erzaehlt.Mache Buchstaben deinen Freund. Sie betruegen dich nicht. Sie werden dich belehren. Sie werden dir Antworten geben! Wissen ist alles heutzutage. Und Wissen ist Macht!
Nach einiger Zeit gab er ihr Recht. Zuzugeben, dass er nichts von den gelesenen Texten verstand, wollte er jedoch nicht.
Eines morgens, wie immer, sass er am Tisch waehrend er sein Musli ass und natuerlich die Tageszeitung las. Sein Gesicht erstarrte; die Kehle schnuerte ihm sich zu, als ob er dabei sei, seinen letzten Lebenhauch auszuatmen. In einem Bericht war folgendes geschrieben:
"Nach Zeugen Bericht, wurde der Vorbestrafte in einem Park gesichtet. Eine pensionierte Krankenschwester,die ihn einige Monate pflegte, hatte den Taeter nach einem Spatiziergang zufaellig erkannt und es sofort der Polizei berichtet. Der Geisteskranke brach vor zwei Jahren aus dem Mentalem Spital aus nachdem er mit Schizophrenie diagnosiert wurde. Die erfolglose Jagt nach ihm, wurde nach einem halben Jahr unterstellt. Zu seinen Taten zaehlt der Mord seiner Lebenspartnerin und mehrere Angriffe auf hilfslose Rentner. Er gilt als hoechstgefaehrlich. Falls sie weitere Hinweise haben, wenden sie sich bitte an ihre lokale Polizei Station."
"Keine Sorgen. Dein Gesicht erkennen sie nicht" ,beruhigte ihn die Stimme.
[ 27.05.2002, 13:50: Beitrag editiert von: Nudzejma ]