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Der Mann und sein Äffchen
Teil 1
Er wurde hin- und hergerissen, als hätte er sonst was für eine Behinderung. Vor allem sein rechter Arm hatte eine Spastik oder so was, jedenfalls schlug er unkontrolliert nach links und rechts.
Ich lehnte mich zurück und war froh, solchen Scheiß nicht zu haben. Ich musste klar werden im Kopf, das war mein Problem, und trank deshalb gerade meinen dritten oder vierten Kaffee. Vor mir auf dem Tisch lag eine Tüte Sonnenblumenkerne.
Der Typ war schrankbreit, aber dünn. Er trug einen vergilbten Anzug und Sandalen. Das Gesicht des Mannes war dermaßen ausgedörrt, dass seine Wangen im Mundraum aneinanderkleben mussten. Um seine eingefallenen Schläfen wölbten sich Knochenhügel und inmitten seines Gesichts stand eine Nase mit groteskem Höcker.
Den hat es aber ganz schön erwischt, dachte ich, kannst froh sein. Ich massierte meine Mundwinkel.
Als der Typ sich meinem Tisch bis auf zwei Schritte genähert hatte, bemerkte ich den Grund seiner zappeligen Bewegungen: Ein junges Kapuzineräffchen, das er an einer langen Leine führte, sprang hektisch in alle Richtungen und zog den Arm des Mannes hin und her. Nirgends blieb es stehen, bestenfalls schnüffelte es an einem herumliegenden Krümel, klaubte ihn auf, steckte ihn sich ins Maul, blickte kauend umher, dann wieder weg.
Zirkus, schlussfolgerte ich. Schausteller oder wie die heißen.
Unweit des meinen fand der Typ einen freien Platz. Er breitete die Lammdecke auf seinem Schoß aus, dann, begleitet von einem widernatürlichen, grellen Laut, der wie "Jjjjjj-ah!" klang, riss er brutal an der Leine.
Das Äffchen überschlug sich und krachte gegen ein Tischbein.
Der Mann grinste.
Von den Gästen hatte anscheinend niemand etwas mitbekommen. Ich sah eine Oma, die ein zu großes Sahnestück auf ihre graue Zunge schmierte, und weißhaarige Totenköpfe, die murmelnd zusammensteckten. Warm war es und es roch nach Kaffee. Caféhaus-Gemurmel, leises Klirren von Geschirr.
Langsam und mechanisch zog der Mann das Äffchen zu sich. Auf seinen Fingerrücken entdeckte ich Haare, die wie Spinnenbeine aus der Haut stachen.
Das Äffchen schleifte über den Rücken. Es versuchte hektisch, sich umzudrehen und gegen den Zug anzukämpfen, doch es misslang. Verzweifelt kratzte es an seinem Halsband.
Als der Mann es endlich ganz zu sich herangezogen hatte, hob er es auf und setzte es auf seinen Schoß.
Das Äffchen fingerte noch einmal an dem Halsband - dann schüttelte es sich und, als wäre nichts geschehen, legte seine platten Händchen auf den Tisch und blickte neugierig umher. Sein langer aufgerollter Schwanz drückte gegen den Mann.
Ich schnippte mir einen Sonnenblumenkern in den Mund.
Das Teil hatte echt menschliche Gesichtszüge, stellte ich nicht ohne Verwunderung fest, es sah aus wie ein Greis. Wäre das Antlitz nicht umfellt, könnte man denken, da säße eine zu winzig geratene uralte Seele. Ich erinnerte mich, dass es eine seltene Krankheit gab: Die ließ einen klein bleiben, aber ratzfatz altern. Seltsame Viecher.
Der Typ griff in seine Anzugtasche und legte eine Handvoll Erdnüsse auf den Tisch. Das Äffchen schnappte sich eine, pulte in Rekordzeit und steckte sie sich in den Mund; die Schalen ließ es achtlos auf den Boden fallen. Schon folgte die zweite.
Unterdessen kraulte der Mann den Bauch des Äffchens. Anfangs mit gleichgültiger Zärtlichkeit, begann der Typ mit einem Mal seine Hand kräftiger und rhythmischer zu bewegen. Fast sah es aus, als zwickte er dem Äffchen in den Bauch. Immer heftiger, immer schneller wurde die Bewegung.
Das Äffchen hatte aufgehört zu fressen und sich entspannt nach hinten gelehnt und die Augen geschlossen.
Der Mann grinste breit und starrte auf seine Hand.
Plötzlich bäumte sich das Tierchen auf. Es krallte sich am Anzug des Mannes fest, verzog das Gesicht, als habe es große Schmerzen, dann krümmte es sich zusammen und sackte, als wäre es ohnmächtig geworden, in sich zusammen. Nur der kleine Brustkorb bebte.
Der Mann legte seinen Kopf in den Nacken und lachte. Lachte laut und höhnisch und mit einem gekünstelten, fast gerufenen Haha.
Ne, oder?, dachte ich. Was war denn das für eine Nummer? Hast du das richtig gesehen?
Ich sah mich um: Die Sahne-Oma kaute.
Quatsch, dachte ich. Völlig absurd. Nicht hier und überhaupt: Das macht doch keiner!
Als das Äffchen wieder zu sich gekommen war, rappelte es sich mühsam auf. Es schien völlig erschöpft zu sein.
"Ich bin dein bester Freund", hörte ich den Mann sagen.
Die Oma zog ihre hautfarbene Nylonsocke unauffällig über ihre krampfadrige Wade. Anscheinend ebenso alt und ausgeleiert wie ihre Besitzerin, rutschte sie sofort wieder herunter.
Ich trank meinen Kaffee aus und hob die Hand.
Eine Kellnerin, die zufällig in der Nähe war, kam. Sie trug einen schwarzen Mini, eine schwarze Strumpfhose und eine weiße Bluse mit Rosenstickereien drauf, was ich immerhin nicht schlecht fand. Ich stellte mir vor, wie sie im Bett sein musste.
"Zahlen", sagte ich.
Sie legte ihr nasses Tablett ab und zog einen Taschenrechner oder so was.
Sie tippte.
"Elfzwanzig", sagte sie, "Bon?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Stimmt so", sagte ich.
Sie drehte sich um und ging davon. Unter ihrem Mini zeichneten sich deutlich die Nähte ihrer Strumpfhose ab, insbesondere der obere Gummizug verlief wurstartig quer über den Hintern.
So wird das aber nichts mit uns, dachte ich. Ich war froh, die Kleine nicht genommen zu haben.
Ich stieß mich von meinem Tisch ab und rollte in Richtung Ausgang. Die Reifen quietschten. An der Tür blickte ich noch einmal zurück: Der Typ gab gerade eine Bestellung auf. Der Kellner, jung und pickelig, ein Student vielleicht, rieb sich nach jedem Wort, das er notierte, die Nase. Er schien nichts Verdächtiges zu bemerken. Auch nicht, dass das Äffchen seinen Unterleib zum Mann bog.
Teil 2
Auf dem Weg zurück kam ich nach kurzer Zeit an einer langen weißen Mauer entlang. In ihrer Mitte befand sich eine Holztür, deren grüner Lack an diversen Stellen abblätterte. Ein Griff fehlte.
Ich blieb stehen. War die auf dem Hinweg auch schon da? Irritiert sah ich auf die andere Straßenseite -:- Nichts. Nichts dabei, an das ich mich erinnern konnte. Weder an das große Sportgeschäft an der Ecke, nicht an die Rentnerbank mit dem aufgesprayten Motte "Carpe diem", noch an das vollplakatierte Plattengeschäft (und das wäre mir mit Sicherheit aufgefallen).
Ich sah mich um und überlegte, ab wo ich mich verfahren haben könnte. Das Café konnte ich nicht mehr sehen. Aber die Straße war gerade verlaufen, keine Abzweigung, keine Überquerung. Ganz sicher nicht. Ich konnte mich nicht verfahren haben!
Ich rollte ein Stückchen weiter und näherte mich der grünen Tür - da schlug mir plötzlich jenes seltsame "Jjjjjj-ah!" an die Ohren, das ich bereits im Café gehört hatte, als der Typ seinen Affen zu sich gerissen hatte. Als hätte mich der Flügelschlag eines riesenhaften schwarzen Vogels getroffen, zog ich meinen Kopf ein.
Ich sah zur Tür.
Hatte ich mich verhört?
Und wieder: "Jjjjjj-ah!"
Das kann nicht, dachte ich. Unmöglich. Der Typ konnte mich nicht überholt haben. Ich hatte nirgends eine Pause eingelegt... und ein Auto hatte ich auch nicht bemerkt... außerdem... der Typ hatte gerade erst eine Bestellung aufgegeben...
Ich schob mich vorwärts. An der Tür spähte ich durch einen Schlitz: Ich sah eine große, wirbelnde Schar Kinder. Die meisten trugen ein orangenes Kostüm, eine Art Uniform, einige wenige, die sich am Rand bewegten, kurze Shorts und T-Shirts. Man jagte sich, fiel hin, raufte, bocksprang, purzelbaumte und zog einander wie wild an den Armen. Ein eigentümliches wuseliges Durcheinander. Doch etwas war besonders merkwürdig: Ich hatte es zuerst nicht bemerkt, aber - ich vernahm keinen Laut. Keinen einzigen! Die Kinder tobten vollkommen stumm.
Ich stemmte mich auf meinen Armlehnen hoch, um mehr sehen zu können - da entdeckte ich tatsächlich den Typen aus dem Café. Und das Äffchen. Sie lagen direkt vor mir auf dem Rasen, nur die Tür trennte uns.
Etwa einen Meter voneinander entfernt, hatte der Typ das Äffchen am Bein gepackt. Griff um Griff zog er es zu sich heran. Seine Mundwinkel zuckten.
Das Äffchen kämpfte dagegen an. Es zappelte und schlug mit seinem freien Fuß unentwegt auf die zerrenden Klauen. Die Augen weit aufgerissen, versuchte es sich vergeblich mit seinen Fingern in die Rasennaht zu krallen. Kein Ton war zu hören.
Während dieses Kampfes standen mehrere Kinder im Kreis um die beiden, hielten abwechselnd ihre Arme und Beine zum Mann und hatten ihren Spaß.
Doch den Mann schien das Drumherum nicht zu interessieren. Bestenfalls drückte er einen Fuß beiseite, der ihm zu nah vors Gesicht gehalten wurde.
Mit einem letzten Ruck riss der Mann das Äffchen zu sich und drehte sich, wohl um ihn besser unter Kontrolle zu bekommen, mit seinem ganzen Gewicht rücklings auf den Brustkorb des kleinen Körpers. Nur die Beine waren noch zu sehen. Als diese schließlich erschlafften, machte der Mann sich augenblicklich am Schritt des Tieres zu schaffen. Wieder zuckten seine Mundwinkel.
Der Strahl, nadeldünn und beinahe durchsichtig, schoss hervor und ergoss sich über Hand und Fell.
Na, der ist aber sportlich unterwegs, dachte ich. Was ein Ferkel. Ich musste grinsen. Dass ausgerechnet mir das widerfahren musste, war ja auch irgendwie klar. Bei so was war ich immer an der Front.
Ich schüttelte den Kopf und sackte zurück auf meinen Sitz. Dann musste ich lachen.
Als ich mich wieder eingekriegt hatte, nahm ich mein Handy aus der Jackentasche und rief die Polizei. Bei aller Unterhaltung, dachte ich, hier läuft gerade was ganz seltsam schief. Am Ende fummelt der Vogel noch an den Kindern.
Ich schilderte kurz, was ich gesehen hatte (wobei ich hin und wieder ein Päuschen machen musste, um mein Lachen zu unterdrücken), ferner dass ich im Rollstuhl säße und selbst nicht eingreifen könne und man ohnehin die Tür von außen nicht aufbekäme und überhaupt. Da ich ihnen nicht mitteilen konnte, wo ich mich befand, sagte man mir, man wolle es über Ortung versuchen.
Drei Minuten später bog ein Streifenwagen langsam um die Ecke und fuhr auf mich zu. Er hielt und zwei Beamte mit ernsten Gesichtern stiegen aus. Sie setzten ihre Mützen auf.
"Ham Sie angerufn?", fragte der Fahrer. Er blickte sich mürrisch um, als ob noch jemand da wäre.
Ich nickte und wies mit dem Daumen auf den Schlitz in der Tür. Ich hielt meine Hand vor den Mund.
Der Fahrer nahm seine Mütze vom Kopf und schaute hindurch, danach tat es sein Kollege ihm gleich.
"Was wolln Se denn gesehn haam?", fragte der Fahrer.
"Der Typ da", sagte ich, "der wichst die ganze Zeit seinen Affen."
Ich verzog meinen Mund.
"Wo denn?", fragte der Beifahrer.
"Wichsn, ja?", sagte der Fahrer, "Ein Affn."
Er sah mich mit mürrischem Gesichtsausdruck an -
"Wolln Se uns verarschn?", donnerte er plötzlich, "Son Scheiß kann ziemlich teuer für Sie werdn!"
Ich erschrak.
"Auch für Sie", fügte der Beifahrer hinzu, der sich inzwischen dazugesellt hatte. Mit seiner Fußspitze stupste er gegen meinen Reifen.
"Aber der Typ da", warf ich etwas verdattert ein, "nicht, dass der als nächstes die Kinder..."
Die beiden Polizisten warfen sich einen verständigenden Blick zu.
"Schon klar", sagte der Fahrer.
Die beiden schlenderten kopfschüttelnd zum Wagen. Nachdem sie an der nächsten Straße abgebogen waren, rollte ich zur Tür und sah durch den Schlitz: Nichts. Kein Kind weit und breit, auch der Mann und das Äffchen waren nirgends zu sehen. Nur eine große asphaltierte Fläche wie die vor einer Fabrik. Alles leer.
Teil 3
Nachdem ich wieder im Kloster angekommen war, rollte ich durch den dunklen Gang, der zu meiner Schlafkammer führte. Aus dem Keller gelangte leises Gemurmel herauf, in einigen Nischen saßen ältere Leute, einige allein, einige zu zweit im Gespräch. Es war warm. Dann und wann stieß ich mit meiner Armlehne versehentlich gegen eine Wand.
Als ich in meinem Zimmer war, verschloss ich hinter mir die Tür. Ich stand auf und wankte zum Bett. Ich setzte mich. Vor mir an der Wand das Kruzifix. Jesus mit Hakennase und eingefallenen Wangen. Kein Lendenschutz. Wo sein Geschlechtsteil war ein klaffende Wunde. Das Blut feucht.
Ich stützte meinen Kopf auf die Hände und rieb mir die Augen. Unter meinen Füßen entdeckte ich hellbraune Krümel.