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Der Mann mit der Glatze
Dieses ekelhafte Gefühl der Leere im Kopf, gepaart dumpfer Verzweiflung und der Unruhe beim Anblick einer leeren Seite, von der es galt sie mit Buchstaben zu füllen, machte ihn fast wahnsinnig. Jenes weiße Stück Papier, das förmlich danach schrie, als Träger von Tinte zu fungieren, schien ihn förmlich zu verhöhnen. Dabei war übermorgen Abgabe. Es brannte. Hätte er doch nur seinen Urlaub in Somalia anders gelegt. Das hatte er jetzt davon. Und er dachte, alte Kultstätten zu erforschen und die Voodoopriester zu befragen würde ihm eine zündende Story liefern.
„Mh…solange mir nichts einfällt könnte ich ja die Küche putzen…?“, dachte er. Gesagt, getan. Während er die Oberflächen seiner Kochzeile sorgfältig reinigte, keimte eine Idee in ihm.
„Warum schreibe ich eigentlich nicht über…? Nein, das ist nichts“, entschied er und fuhr wütend mit dem Lappen über die weißen Fließen oberhalb des Terranfeldes. Das Putzen hatte schon fast eine meditative Wirkung auf ihn. Zwischen Meister Proper und Viss konnte er so richtig ausspannen. Ein leises Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus. Wie gut diese Putzmittel eigentlich rochen…das war ihm nie aufgefallen.
Seine Hände waren schon rot und rissig, aufgescheuert von den scharfen Reinigungsmitteln und er putzte trotzdem weiter. Er hatte das Gefühl, dieser Geruch half ihm beim Nachdenken. Das Auftreffen der ätzenden Moleküle auf seine Nasenschleimhaut verursachte ein wohltuendes Brennen an den Innenwänden seiner Nasenflügel. Ihm war schwindlig, doch er machte weiter.
Die Recherche musste warten. Er nahm seinen roten Putzeimer, den violetten Lappen und seinen geliebten Meister Proper und verlagerte seinen Arbeitsort ins Badezimmer. Eigentlich hatte er das Bad erst vor drei Tagen grundgereinigt, aber egal, schließlich fiel ihm eh nichts ein, was ihm dabei helfen könnte, seine Ideen auszuarbeiten.
Dieser Geruch…er schloss die Badtür. Der beissende Reinigungsgeruch wurde immer intensiver, schien sich in dem kleinen Raum zu verdichten. Die Flasche Meister Proper stellte er auf Augenhöhe auf den kleinen Mauervorsprung längs der Badewanne.
Entschlossen bereitete er einen neuen Eimer mit Reinigungsmitteln vor.
„Na, da hat wohl jemand einen kleinen Reinigungsfetisch?“ erklang es plötzlich.
Der Mann schaute sich verwirrt um. Die Badtür war geschlossen, die Haustür abgesperrt…er musste sich die Stimme eingebildet haben.
„Schon blöd, wenn man sich von der Arbeit ablenkt“, erklang es wieder.
Erschrocken fuhr der Mann auf.
„Das gibt’s nicht!“, dachte er.
„Hier bin ich!“, tönte es in dem kleinen Bad.
„Wo zu Hölle, und wer überhaupt??“
„Badewanne“, erwiderte die Stimme knapp und bestimmt.
Er blickte sich um sah nichts außer der Flasche, auf der das Konterfei eines glatzköpfigen Mannes mit Goldohrring prangte.
„Na endlich…“, sagte das Gesicht.
Der Mann machte vor Schreck einen Satz rückwärts, und prallte mit dem Rücken zur Tür. Er rieb sich die schmerzende Stelle und fragte ängstlich: „W-w-wer bist du??“
„Deine Fantasie“, kam prompt die Antwort.
„Meine Fantasie…?“
„Ja“
Diese kurzen, abgehakten Sätze mit dem befehlsgewohnten ‚Unterton waren unheimlich. Keine Erklärung, was es mit dem Gesicht auf sich hatte, keine Erklärung, was das alles mit seiner Fantasie zu tun hatte…Nichts.
„Und was willst du?“ fragte der Mann immer noch verängstigt.
„Helfen“
„Du willst mir helfen? Wie denn?“
„Das siehst du, wenn du aufwachst.“, sagte der Glatzkopf, mit seltsamen Unterton in der Stimme, den der Mann nicht einordnen konnte.
Dann wurde alles schwarz.
Als er mit einem Stöhnen erwachte, saß er auf seinem Schreibtischstuhl. Neben sich, fein säuberlich getippt, eine Reportage über Somalia und die derzeitige Lage der Bevölkerung.
„Hab ich das geschrieben…?“, fragte er sich.
„Nein, ich.“, hörte er eine vertraute Stimme in seinem Kopf.
„Wie hast du das gemacht?? Und wie kommst du in meinen Kopf?“
„Ich bin deine Fantasie…ich bin ein Teil von dir, schon vergessen?“, erwiderte die Stimme boshaft.
„Aber wenn du nicht willst, dass ich dir helfe, dann gut.“
„Nein, warte, warte, warte, ich war nur verwirrt“, dachte er schnell.
„Ich merks. Also, hier sind die Spielregeln: Ich helfe dir, aber nur unter der Bedingung, dass du meine Methoden nicht in Frage stellt. Klar?“
„Ok…alles klar.“, er fragte sich, ob er seine Entscheidung bereuen würde.
„Vergiss nicht, ich bekomme mit, was du denkst. Schließlich sind wir zusammen in einem Kopf.“
Schnell beeilte er sich seine Zweifel zu verdrängen.
„Entschuldigung.“, dachte er.
„Geht doch“, erwiderte die Stimme zufrieden. „Und jetzt pass auf, morgen wirst du eine klasse Story haben.“
„Was für eine?“
„Das überlass mir.“
Am nächsten Tag fühlte sich der Mann wie gerädert. Auf seinem Tisch jedoch lag eine äußerst blutrünstige Geschichte über einen grausamen Ritualmord.
Als er die Geschichte las, liefen ihm Schauer über den Rücken.
„Wo hast du diese Geschichte her?“, dachte er.
„Halt dich an die Regeln. Keine Fragen.“, lautete die barsche Antwort.
„Gut...solange unsere Zusammenarbeit weiterhin klappt….“, dachte er.
„Das wird sie mein Freund, das wird sie.“, versicherte ihm die Stimme in seinem Kopf.
Die nächsten Wochen vergingen und jeden Tag lag eine neue Geschichte auf seinem Schreibtisch. Eine grausamer als die andere. Mord, Vergewaltigung, Folter.
„Ich möchte dabei sein.“, dachte der Mann eines Tages.
„Was?“
„Du hast mich schon verstanden, ich will die nächste Geschichte selbst schreiben.“
„Vergiss es…halte dich an die Abmachung.“
„Bitte!“
„Nein“, sagte die Stimme. Es klang endgültig.
„Dann geh aus meinem Kopf.“
„Spinnst du? Wir sind so ein gutes Team.“ Die Stimme klang amüsiert.
„Verschwinde!“
„Also gut, wenn du meinst…aber glaub mir, du wirst es bereuen.“
„Das glaub ich nicht!“
„Du wirst es sehen.“
Die Stimme in seinem Kopf klang jetzt eiskalt und schneidend. „Du wirst es sehen“
Erneut wurde alles schwarz.
Das Klingeln und Klopfen an der Tür weckte ihn. Als er die Tür öffnete standen zwei Polizisten vor ihm. Sie sagten, sie hätten ihn auf Video.
Als sie ihn wegen Mordes an einem hochrangigen Polizeibeamten festnahmen, hörte er eine leise Stimme gehässig sagen: „Ich habe es dir doch gesagt. Du wirst es bereuen…“