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Der Mann in Schwarz
Während die Sonne langsam niedergeht, gräbt ein Mann eine grosse Grube. Schon den ganzen Tag sitzt er in seinem Loch und trägt Erdschicht um Erdschicht ab. Als schon die ersten Sterne zu erkennen sind und die Dunkelheit immer weiter fortschreitet, hält er inne und entzündet seine Laterne. Im Schein des kleinen Lichts sieht er an sich nieder. Seine schwarze Kleidung ist von Staub und Schmutz überzogen, sie wirkt braunschwarz, wie die Erde, in der er stundenlang gegraben hatte. Er ist erschöpft, die Sonne brannte den ganzen Nachmittag lang auf ihn nieder und die wenigen Bäume konnten ihm kaum Schatten spenden. Bevor er selbst aus dem Loch heraus klettert, wirft er seine Schaufel in die Büsche.
Den ganzen Sommer über hatte er wenig zu tun. Natürlich hat einer, der seinen Beruf ausübt immer genug Arbeit, doch in den letzten Wochen nimmt die Anzahl seiner Kunden einfach überhand. Und so arbeitete er sich an fast jedem Tag den Rücken in einem neuen Loch krumm. Es wird langsam Zeit für einen Lehrling. Aber einen solchen zu finden ist schwer, kaum einer wählt den Beruf freiwillig. Weder ist seine Arbeit mit angemessenem Profit verbunden, noch würde man sie als prestigeträchtig bezeichnen. Er selber macht sie nur weil ihm nach dem Tod seines Vaters nichts anderes übrig blieb. Es ist ein wichtiger Beruf, eine schwerer noch dazu. Doch keiner bewundert ihn, eher wird er gefürchtet. Doch das störte ihn nie. Er erledigte seine Arbeit, bezog seinen kleinen Lohn und legte sich jede Nacht in seiner ärmlichen Hütte zur Ruhe. Ja, Ruhe, die kennt er gut genug. Er hatte nie eine Frau, wie denn auch wenn er Tag und Nacht im Wald und auf den Feldern verbringt.
Er blickt in die Ferne. In der dunklen Nacht sind nur noch die flackernden Lichter des kleinen Dorfes zu sehen. Und noch weiter hinten kann er das Militärlager der Besatzer erkennen. Ihn störten sie nicht. Für Politik und Krieg hatte er seit jeher höchstens ein geschäftliches Interesse. Auf der Ebene unterhalb des Dorfes, gegenüber der alten Eiche, haben sich einige Bauern gegen die übermächtigen Streitkräfte erhoben. Sie hatten keine Chance. Für ihn würde sich ohnehin nichts ändern, er würde seine Freiheit behalten.
Langsam geht er zu seinem Pferd und treibt es, gemeinsam mit dem Karren, das es zieht, zum Rand der Grube. Er beginnt damit, die toten Körper in das Loch zu werfen. Sie sind von Hellebarden durchstochen, von Pfeilen durchlöchert und von Schwertern zerteilt. Ihre Angehörigen baten um ein anständiges Begräbnis. Ein solches kann der Mann in Schwarz nicht bieten, aber jetzt verwesen sie immerhin nicht auf einem grossen Haufen im Feld. Er schaufelt genug Erde auf die Leichen, bis sie ganz bedeckt sind. Dann setzt er sich auf seinen Karren und zieht durch die dunkle Nacht davon.