Der Mann der zur Kartoffel wurde
Der Mann, der zur Kartoffel wurde
Mein alter Freund Jonathan Tremont und ich, wir gehören der Vereinigung pensionierter Lehrer in einer freundlichen Kleinstadt im Staate Idaho, USA, an.
Er ist schon sehr lange dabei, während ich gerade erst aus dem aktiven Schuldienst ausgeschieden bin. Als Pensionär kann man sich sehr schnell einsam und überflüssig fühlen. Entweder man hat eine verständnisvolle Ehefrau, die einen mit in den Haushalt einbezieht und zu beschäftigen weiß, oder man sucht sich ein erfüllendes Hobby. Ich hatte das Glück, dass mir ersteres zuteil wurde.
Die Frau meines Freundes war schon lange gestorben und so widmete er sich seit nunmehr fünfzehn Jahren dem sinnvollsten und schönsten Hobby, das man sich hier vorstellen kann: der Kartoffelzucht.
Wie jedermann weiß und deshalb erwähne ich es nur am Rande, ist Idaho berühmt dafür, die besten Kartoffeln der Welt anzubauen. Sie sind, abgesehen von ihrer stattlichen Größe und schönen Farbe, die aromatischsten, die je ein Acker hervorgebracht hat. Wir sind sehr stolz darauf.
Seit ich nun also pensioniert bin, habe ich doch nicht immer Lust, einkaufen zu gehen, oder den Rasen zu mähen. Arbeiten, die meine verständnisvolle Ehefrau nun mir überläßt. So schlendere ich denn ab und zu zum Haus meines Freundes. Er wohnt am Ende der Straße und hinter seinem Haus hat er den größten Teil seines Rasens in einen Acker verwandelt und der Kartoffelzucht gewidmet. Nebenan steht ein Treibhaus, das er erst kürzlich selbst gebaut hat. Ich muss dazu sagen, dass mein Freund Jonathan Tremont zu einiger Berühmtheit gelangt ist. In den letzten acht Jahren war er es gewesen, der auf den beliebten Landwirtschaftsausstellungen jeweils den ersten Preis für die dickste Kartoffel mit nach Hause brachte.
Bei einem meiner zahlreichen Besuche verriet er mir ein bisher strengstens gehütetes Geheimnis unter der Bedingung, dass ich, was auch immer geschehe, es niemals verraten dürfe. Ich versprach es und er zog mich hinaus in sein Treibhaus. Er verschloß die Tür und winkte mich in die hinterste Ecke.
Verschwörerisch senkte er die vor Aufregung zitternde Stimme zu einem Flüstern.
„Aber dass Sie mir nichts verraten, unter gar keinen Umständen! Die Sache ist revolutionär. Meine Erfindung wird die gesamte Kartoffelindustrie Idaho’s, nein, der ganzen Welt bereichern, ach, was sage ich. Auf den Kopf stellen! Wie gesagt, revolutionieren! Sehen Sie, lieber Freund!“
Er schloss eine Schublade auf und entnahm ihr ein kleines Glasfläschchen.
Die Flüssigkeit darin hatte die Farbe von, ja wie soll ich sagen? Von dunkel grauem Schmutz. So, als hätte er die Ecken seines Hauses ausgekehrt und den gesamte Dreck mit Wasser vermischt in dieses Fläschchen gefüllt. Er entkorkte es und sagte: „Probieren Sie es, mein Freund.“ Entsetzt wich ich zurück. „ Vielen Dank, aber ich...“, „ Ach was“, unterbrach er mich. „ Probieren Sie schon. Es schmeckt hervorragend, einfach außergewöhnlich und es ist völlig ungiftig.“
Er tauchte seinen Finger hinein und steckte ihn in den Mund. „ Köstlich, einfach umwerfend“, stellte er fest. Vollkommen unsicher, auf was ich mich da einließ, benetzte ich nur die Fingerspitze. Sodann ließ ich den kleinen Tropfen der ekligen Flüssigkeit auf das äußerste Ende meiner Zunge tropfen. Mein Freund lachte mich aus. „ Nun machen Sie schon. Wie schmeckt es?“ Ich verteilte das Gebräu im Mund. Was soll ich sagen? Eine innere Erregung packte mich. Niemals zuvor hatte ich etwas Derartiges gekostet. Es war ein Genuss sondergleichen. Süß und herzhaft zugleich, dabei mild und im Hintergrund sogar etwas nussig. Es war unvergleichlich. Tremont schaute mich erwartungsvoll an. „ Na, was ist“ - “ Unbeschreiblich! Das ist das Beste, was ich je probiert habe. Ein unvergleichlicher Genuss! Was zum Teufel ist das?“, wollte ich nun wissen.
„ Ich dachte schon, Sie würden nie fragen, lieber Freund. Dies ist mein Geheimdünger!“ - „ Dünger?“, fragte ich ungläubig. „ Tremont, wenn Sie das Zeug in Flaschen abfüllten und verkauften, Sie wären in kürzester Zeit Millionär. Man würde es Ihnen aus der Hand reißen!“ Aber er hatte Einwände. „ Nein, nein, nein. Ich habe etwas anderes damit vor. Überlegen Sie mal. Dies ist ein spezieller Kartoffeldünger. Ich besprühe regelmäßig den Acker und die Kartoffeln nehmen einen guten Teil des Geschmacks an. Dazu wachsen Sie schneller und werden noch größer als meine bisherigen Siegerexemplare.“
„Fantastisch“, erwiderte ich begeistert. „ Eine solche Kartoffel hat es selbst in Idaho noch nicht gegeben. Und dann verkaufen Sie den Dünger an andere Farmer?“, warf ich ein, aber mein Freund war in dieser Beziehung unschlüssig.
„Ich bin mir noch nicht sicher. Ich habe ihn gerade erst fertig gestellt und erste Versuche unternommen. Ich brauche einen Langzeitversuch, bevor es ans große Geldverdienen geht. Sie verstehen? Bitte zu keinem Menschen ein Wort!“
Ich versprach es und ging nach Hause. Es fiel mir schwer, meiner Frau nichts davon zu erzählen. Abends im Bett konnte ich nicht schlafen und wälzte mich von einer Seite auf die andere. Gedanken von Siegerpokalen, staunenden Gesichtern und nicht zuletzt von unermesslichem Reichtum verhinderten meinen Schlaf in den nächsten Nächten. Schließlich beobachtete ich eine langsam aufsteigende Regung in mir, die ich sehr gut kannte. Der Neid kroch mir in alle Glieder und erfüllte zuletzt mein ganzes Wesen. Ich stellte mir vor, diese Erfindung wäre mir gelungen. Alle Ehrungen würden mir zufallen und wenn ich so über die Rente eines pensionierten Lehrers nachdachte, kam ich zu dem Schluss, dass ich das Geld sehr gut gebrauchen konnte. Ich besuchte Tremont nicht mehr so oft, sondern beobachtete seine Arbeit auf dem Acker von fern. Wenn es dunkel wurde, schlich ich zu seinem Grundstück, um irgend etwas zu entdecken, das meiner Neugier und meinem Neid neue Nahrung geben konnte. Einmal erwischte er mich abends an seinem Treibhaus, doch da er nichts argwöhnte, war er lediglich überrascht.
Er bat mich herein und bot mir ein Glas seines Düngers an. Er verriet mir, dass er sich ab und zu ein Glas von diesem hervorragenden Zeug genehmigte. Unsere Gesprächsthemen kreisten um allgemeine Dinge, wiewohl ich immer wieder versuchte, ihn auf sein Hobby anzusprechen. Ich war begierig zu wissen, welchen Fortschritt seine Kartoffeln machten. Er vertröstete mich und ich hatte das Gefühl, dass er mir auswich. „ So eine Sache braucht Zeit, mein Lieber. Es tut sich noch nichts.“ Selbstverständlich glaubte ich ihm nicht. Irgend etwas musste doch passieren. Er war die meiste Zeit des Tages im Treibhaus. Was trieb er da?
Aber ich durchschaute ihn. Er konnte mir nichts vormachen. Natürlich wollte er das Geld und den Ruhm für sich. Der Alte wollte nicht mit mir teilen. Das war es.
Ich gab mir Mühe, meine Ungeduld und meine Neugierde zu verbergen. Schließlich verließ ich ihn. Nichts hatte ich erfahren und kochte innerlich vor Wut.
An Schlaf war wiederum nicht zu denken. In meiner Vorstellung erntete er bereits die größten und besten Kartoffeln, die die Welt je gesehen hat. In meinen Wachträumen wurde er reich und reicher, geehrt und hochgelobt. Ich stand am Rande und er sah verächtlich grinsend auf mich herab. „ Hätten Sie sich nur beizeiten ein sinnvolles Hobby zugelegt, mein Freund“, hörte ich ihn höhnen.
Mein Neid steigerte sich zur übelsten Missgunst, bis ich ihm voller Hass alles erdenklich Schlechte wünschte.
Schlagartig hielt ich in meinen Gedanken inne. Hatte er sich nicht irgendwie verändert? Sah er nicht kränklich aus? Ich dachte jetzt angestrengt nach und rief mir seine äußere Erscheinung wieder ins Gedächtnis. Etwas war anders gewesen als ich ihn das letzte Mal sah. Sicherlich war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, als dass ich bewusst etwas an ihm wahrgenommen hätte. Eine Weile grübelte ich noch, dann fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
In den nächsten Tagen geschah nichts Besonderes, bis mich meine Frau eines Vormittags aus meinen mürrischen Grübeleien riss. „ Hast du den armen Jonathan gesehen? Er sieht ja furchtbar aus. Weißt du, was ihm fehlt?“ Träge antwortete ich, dass ich es nicht wüßte und es mich auch nicht interessierte - aber halt!
Er sah furchtbar aus? Meine Frau stand ärgerlich in der Tür und musterte mich unzufrieden. „ Ich dachte, Jonathan und du, ihr seid Freunde. Was ist los? Habt ihr Streit?“ - „Nein, nein“, beruhigte ich sie. Ich war aufgestanden und ging zu ihr hinüber. „ Ich war gerade mit den Gedanken woanders. Entschuldige. Ich weiß wirklich nicht, was ihm fehlt. Ich habe ihn schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Wie sieht er denn aus?“ Nun beschrieb mir meine Frau Jonathan Tremont’s seltsam verformte Nase. Sie sei irgendwie dicker geworden und hatte eine hässliche rotbraune Farbe angenommen. Auch sein Gesicht sei angeschwollen und er atmete schwer. Sie war ihm aus dem Weg gegangen, da sie eine ansteckende Krankheit befürchtete. Seine Nase! Seine Nase war mir aufgefallen, an dem Abend als er mich am Treibhaus erwischt hatte. Sogleich stürzte ich die Treppe zu unserem Schlafzimmer herauf und nahm mein Fernglas aus der Schublade. Aus der kleinen Luke auf unserem Dachboden konnte ich genau in seine Küche spähen.
Ich stellte das Glas scharf und suchte das Zimmer ab. Ich hatte Glück. Dort am Kühlschrank stand er. Er öffnete ihn und nahm etwas heraus. Ja, ich erkannte das Fläschchen mit dem Dünger. Hastig schraubte er es auf und stürzte die Flüssigkeit hinunter. Seine Hände zitterten. Ich traute meinen Augen kaum. Er sah schlimm aus. Seine Nase, nein sein ganzes Gesicht sah aus wie, wie... mein Gott!
Er sah aus wie eine Kartoffel. Seine Haut an den Händen war die einer Kartoffelschale. Entsetzt nahm ich das Fernglas von den Augen. Welche schreckliche Krankheit konnte ihn so verändert haben? Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Dies war keine Krankheit, nein, Jonathan Tremont war nicht krank. Ich schauderte bei dem Gedanken, der mir jetzt kam. Er trank regelmäßig, vielleicht sogar süchtig geworden, von seinem selbst gebrauten Kartoffeldünger, und nun? Ich wagte kaum, den Gedanken zu Ende zu bringen, aber es war offensichtlich: Er verwandelte sich langsam in eine Kartoffel!
An den folgenden Tagen beobachtete ich angstvoll mein eigenes Äußere genauestens im Spiegel. Jedes Pickelchen, jede kleine Unebenheit verursachten in mir schweißtreibende Panik. Ich hatte zweimal von dem Zeug getrunken und meine übersteigerte Nervosität spiegelte mir die grausigsten Verwandlungsszenen vor mein geistiges Auge. Ich verbot meiner überraschten Frau, die viel von ihrem Verständnis verloren zu haben schien, strikt Kartoffeln zu kaufen und sie in einem Gericht zu verwenden. Ja, allein das Wort „Kartoffel“ stürzte mich tiefer in meine seelische Krise. Dieser bemitleidenswerte Zustand hielt an und ich begann diesen Giftmischer Jonathan Tremont dafür verantwortlich zu machen.
Ich schloss mich jetzt jeden Tag mit meinem Fernglas auf dem Dachboden ein, um zu beobachten, wie es ihm immer schlechter ging. Jedesmal, wenn er in seine Küche kam, hoffte ich, eine noch schlimmere Veränderung seines Aussehens feststellen zu können. Bösartig kicherte ich in mich hinein, wenn er sich gebückt durch das Zimmer schleppte, immer mehr zur Kartoffel werdend. Er sollte büßen! Dafür, dass er mich übervorteilen wollte, dafür, dass er den Ruhm und das Geld für sich allein haben wollte, dafür, dass er den Hochmut besessen hatte, die schmackhaftesten Kartoffeln der Welt noch verbessern zu wollen.
Zwei Tage später ging ich vergeblich auf den Dachboden.
Ich wartete über eine Stunde, doch er erschien nicht ein einziges Mal in der Küche. Am Abend fragte ich meine Frau, die mir gegenüber nicht mehr sehr gesprächig war, ob sie etwas von Tremont gehört hatte. Kurz angebunden schlug sie mir vor, ihn anzurufen, um mich selbst nach seinem Befinden zu erkundigen. Ich entschied mich jedoch dafür, die Dunkelheit abzuwarten, um mich dann zu seinem Garten zu schleichen. Das Haus lag still und dunkel da. Vorsichtig kletterte ich über den Zaun und ging zuerst zum Treibhaus. Nichts rührte sich. Die Tür war abgeschlossen.
„Typisch Tremont“, dachte ich. „ Bei deinen schändlichen Laborversuchen soll dich keiner überraschen.“ Plötzlich spürte ich eine Berührung an meinem Bein. Ich erschrak furchtbar und schaltete meine Taschenlampe an. Eine durch den Lichtstrahl geblendete große Katze verschwand schnell im Gebüsch. Es war mir nie aufgefallen, dass Tremont eine Katze besaß. Mit Herzklopfen wandte ich mich nun dem Haus zu. Leise klopfte ich an die Tür.
„ Tremont, sind Sie da?“, flüsterte ich. Es kam keine Antwort und nervös fingerte ich an der Tür herum. Sie war nicht abgeschlossen und so stahl ich mich in sein Haus. Mehrfach wiederholte ich seinen Namen in die Dunkelheit. Nichts.
Vorsichtig ging ich die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer. Sein entsetzliches Aussehen immer vor Augen, erwartete ich jeden Moment den Schrecken, ihn plötzlich vor mir zu sehen. Doch auch sein Bett war unberührt. Es kam mir nun zum Bewusstsein, dass er nicht zu Hause war. Aber weit konnte er doch in seinem Zustand nicht sein. Das letzte Mal, als ich ihn mit meinem Fernglas beobachtet hatte, kam er kaum noch von der Stelle. Jetzt machte ich Licht im Haus und ging zur Küche hinunter. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Ich starrte auf den Küchentisch und mein Atem stockte. Auf der Seite, wo Tremont immer gesessen hatte, lag eine riesengroße, braune, unförmige Kartoffel. Meine erste Reaktion hätte ein Außenstehender sicherlich als lächerlich bezeichnet, doch für mich war die Situation offensichtlich. „ Tremont?“, fragte ich, die Kartoffel anstarrend.
„ Jonathan, können Sie mich verstehen?“ Ich machte einen Bogen um den Tisch.
Die Kartoffel hatte die unglaubliche Größe einer Wassermelone, aber sie war hässlich und unförmig. Mit zitternden Fingern berührte ich sie. Es war keine Erde daran, sie war vollkommen sauber. Also kam sie nicht vom Acker. Vorsichtig nahm ich sie in die Hände und führte sie an meine Lippen. „ Jonathan, das sind Sie doch, nicht wahr?“ Es war natürlich sinnlos, auf eine Antwort zu warten.
Unsicher, was zu tun war, beschloss ich, ihn erst einmal mit zu mir nach Hause zu nehmen. Ich kehrte mit der Kartoffel unter dem Arm zu meinem Haus zurück.
Durch die Hintertür lief ich zum Schlafzimmer hinauf und bettete den armen Jonathan Tremont auf ein Kissen und versteckte ihn unter meinem Bett. Meine Frau brauchte nichts davon zu wissen. Meine Nerven waren noch nicht so zerrüttet, als dass ich die Verrücktheit dieser Situation nicht klar erkannt hätte.
An Schlaf war wiederum nicht zu denken und ich überlegte hin und her, was nun zu geschehen hätte. Die Polizei rufen? Die Feuerwehr? Das biologische Institut der Universität? Seine Tochter verständigen? Bei einer Katastrophe oder einem Unfall wäre all das sicher angebracht gewesen, doch was sollte ich jetzt erzählen? Die halbe Nacht erwägte ich bald dieses, bald jenes. Langsam jedoch wurde mir klar, dass man wahrscheinlich mich in die nächste Klinik schaffen würde, wenn ich meinen Verdacht auch nur andeutete. An all dem war wiederum niemand anderer schuld, als dieser Jonathan Tremont. Er hatte sich selbst und zu guter letzt auch mir diese Sache eingebrockt. Seine gerechte Strafe hatte er erhalten, doch stimmte mich dieser Gedanke nicht froh. Eine Kartoffel zu sein war sicherlich nicht angenehm, doch was zum Teufel sollte ich jetzt mit der Knolle machen? Schließlich nahm ich sie wütend unter dem Bett hervor und polterte in die Küche hinunter. Es gab nur einen Ausweg, die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen! Von dem Lärm erwacht, war meine Frau mir in die Küche gefolgt.
„ Was tust du um diese Zeit hier“, wollte sie wissen. „ Ich habe Hunger und mache mir etwas zu essen“, war meine knappe Antwort. Sie deutete auf Tremont. „ Wo hast du die denn her? Ich dachte, du verabscheust Kartoffeln.“ Ich gab keine Antwort und endlich ging sie mit einem Kopfschütteln wieder nach oben. Wild entschlossen begann ich, die riesige Knolle zu schälen und in kleine Stücke zu schneiden. Ich fragte mich durchaus, ob Tremont etwas spüren mochte, doch als er, säuberlich in Streifen geschnitten, mit Zwiebeln und Eier als Bratkartoffeln auf meinem Teller lag, verschwendete ich keinen Gedanken mehr an ihn. Es war eine unvorstellbare Menge und ich brauchte bis zum frühen Morgen, um alles restlos zu verspeisen.
Es schmeckte ausgezeichnet, einfach hervorragend. Danach war ich so satt, dass ich mich kaum vom Stuhl erheben konnte, aber ich war zufrieden. Zufrieden über die Entscheidung, wie ich die Situation gemeistert hatte. Jetzt, wo der unselige Tremont nicht mehr war, hatte ich endlich meinen Frieden wieder. Ich stapfte die Treppe hoch und legte mich schlafen. Bis zum späten Nachmittag dauerte der so lang ersehnte, heilsame Schlaf und in den folgenden Tagen erlangte ich wieder eine stabile seelische Verfassung. Hin und wieder dachte ich an meinen Freund und bedauerte in gewisser Weise sein Schicksal, jedoch konnte ich nicht verhindern, dass mir dabei das Wasser im Mund zusammenlief.
Eine Woche war nun seit dem vorzüglichen Mahl vergangen, als das Telefon klingelte. Ich nahm den Hörer ab-- und erstarrte. Mein Herzschlag schien auszusetzen und ich fühlte kalten Schweiß in den Handflächen. Schwarze Punkte begannen vor meinen Augen zu tanzen. „ Hallo, mein lieber Freund, haben Sie mich vermisst?“, tönte es aus dem Hörer. „Wissen Sie, es ging mir nicht so gut. Ich hatte einen schweren Asthmaanfall letzte Woche. Mitten in der Nacht, stellen Sie sich vor! War im Krankenhaus für ein paar Tage. Furchtbar, diese Katzenallergie. Hab’ schlimm ausgesehen. Meine Tochter muss sich demnächst jemand anderen für das Tier suchen, wenn sie in Urlaub fährt. Waren Sie mal bei mir drüben, mein Freund? Ich hatte keine Zeit mehr, es Ihnen zu sagen. Auf dem Küchentisch lag mein erstes Zuchtexemplar. Der Dünger, wissen Sie noch? Aber jetzt ist es weg. Es sollte eine Überraschung für Sie werden. Hallo? Sind Sie noch dran? Hallo?...“