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Der Maler
Das Zuschlagen der schweren Tür hallt in dem großen Raum wider.
Durch die Scheiben der hohen Fenster fällt das letzte Licht des Tages und malt die Wände an.
Er steht allein mitten im Raum, streicht sich mit der Hand durch sein Haar, welches an den Schläfen bereits ein wenig grau durchwirkt erscheint. Seine große, schlanke Gestalt, die markanten Züge um Kinn und Nase lassen ihn fast heroisch erscheinen.
Mit einigen wenigen Schritten durchmisst er den Raum bis hinüber zu den Fenstern und bleibt stehen.
Er legt den Kopf schräg, runzelt die Stirn und schiebt eine Hand in die Hosentasche.
Die Manschetten des halb zugeknöpften Hemdes wehren sich.
Er zieht eine zerdrückte Packung Zigaretten hervor, steckt eine Zigarette routiniert eine zwischen die Lippen, lässt mit der anderen Hand den kleinen Feuergeist erscheinen und inhaliert tief.
Seine Hände tragen noch die Spuren des Tages; grün in allerlei Schattierungen von der wilden Landschaft, die er mit einer deutlichen Erinnerung an einen Traum auf die Leinwand gebracht hatte und deren Entstehen er heute fasziniert erlebt hatte.
Ebenso wie die Anfänge der kühnen roten Formen, welche noch zu interpretieren sein werden.
Wie gerne würde er sich nun weiter tragen lassen und der geübten Hand vertrauen.
Wie gerne würde er jetzt ein paar Schritte nach hinten gehen, die Arme verschränken, nachdenken und sich dann wieder an die Arbeit machen. Wie gerne würde er das Kratzen der alten, spröden Pinsel spüren und bei lauter Musik die Zeit vergessen.
Noch eine halbe Stunde.
Sein Blick wandert langsam durch den Raum, in dem er so viele Stunden verbringt. Der Raum, dessen Boden von unzähligen Farbflecken bereits schorfig ist und der all das beherbergt, was bei seiner Arbeit wichtig ist. Die ungezählten Bücher im schiefen Regal an der Wand gegenüber. Kompositionen alter Meister auf Glanzkarton mit Eselsohren. Darauf unzählige Stapel losen Papiers mit den Versuchen, Träume und Gedanken zu bannen, sie festzuzurren und wieder sichtbar zu machen. Das vertraute Durcheinander aus Zeichnungen, Fotos und Zeitungsausschnitten an den Wänden lässt ihn lächeln.
Unter den Fenster ein Tischchen mit Gläsern, Dosen und Blechbüchsen aller Farben und Größen. Pinsel, bereit, das Werkzeug seiner Gedanken zu werden.
Davor, der niedrige Tisch mit dem Sammelsurium verschiedener Stühle. Die verkratzte Platte mit den Gläsern, auf deren Boden noch ein wenig Rotwein klebt.
Er lässt sich auf einen der Stühle fallen, drückt die Zigarette etwas zu fest aus und schließt für einen kurzen Moment die Augen.
Der Geruch von Farbe, Terpentin und feuchtem Papier beruhigt ihn.
Die Farbe riecht auf der Leinwand anders als auf der Palette und frisches Rot riecht ebenfalls anders als das Graubraun, welches entsteht wenn letztlich alles vermischt wird.
Werden sie das wissen?
Gleich werden sie da sein und die Stille zerreißen mit dem Geklirre ihrer Gläser und dem Stakkato ihrer Absätze und harten Sohlen. Sie werden schwatzen, kichern, deuten.
Sie werden den anderen, den großen, weiß getünchten Raum mit den furchtbar glatten Wänden hinter der Tür bevölkern - manche in betonter Exzentrik.
Er kann es schon hören, das Warmlaufen der scheinbar Wissenden, der Interpretierenden in glatter Garderobe.
Gleich werden sie seine Bilder zerdenken, bewerten und vielleicht auch kaputt interpretieren.
Sie werden kommen und ihm Fragen stellen und er wird dabei stehen, sein Glas langsam in den Händen drehen, artig zuhören, die Farbspuren entdecken und lächeln.
Sie werden ihn so viel fragen und er wird seine Worte sorgfältig wählen, in druckreifen Sätzen sprechen und geduldig sein. Wie er es immer ist.
Es ist Zeit.
Er steht auf, schiebt die Schultern nach hinten und wirft noch einen Blick in den Raum, wohin er sich sogleich zurücksehnen wird.
Dann tritt er durch die Tür.