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Der Maler
Mit einem ohrenbetäubenden Scheppern landete das Metall auf dem Asphalt. Ein Krähen durchbrach die Nacht, als sich ein Schwarm Vögel, vom Lärm aufgeschreckt, aus einer nahen Eiche erhob und laut protestierend in der Dunkelheit verschwand.
"Idiot!" Sven fuhr ihn an. "Was kannst du eigentlich?" Frank wollte etwas erwidern, doch die Schärfe in der Stimme seines Freundes ließ ihn innehalten. Widerstrebend beließ er es bei einem Grummeln und hob das Brecheisen auf, das vor ihm auf dem Boden lag. "Komm jetzt!", hetzte ihn Sven in seinem aggressiven Befehlston, den Frank so verabscheute. "Und pass gefälligst auf!" Ohne auf ihn zu achten, überquerte Sven die menschenleere Straße und blieb vor dem ausladenden Eisentor stehen, dass den verwilderten Garten der Kozejew-Villa von der Friedrich-Wagner-Straße abgrenzte. Verdrießlich folgte Frank, mit aller Mühe darauf bedacht, nicht noch einmal zu stolpern. Sein hämmerndes Herz, dessen Rhythmus seit einigen Minuten an eine moderne Techno-Hymne erinnerte, ließ ihn zittern und ruhige Schritte unmöglich erscheinen. Falls Sven ebenfalls nervös war, konnte er es gut zu verbergen, auf Frank wirkte er desinteressiert und gelassen wie immer, als wären sie nicht gerade dabei eine Straftat zu begehen, die ihnen mehrere Jahre Gefängnis einbringen konnte.
"Gib mir die Zange!", herrschte sein Freund ihn an, worauf Frank ihm die schwere Rohrzange aus seinem Rucksack reichte. "Und hör auf so zu gucken, du machst mich noch ganz irre mit deiner Paranoia. Du hättest zu Hause bleiben sollen." Frank wollte widersprechen, doch ein metallisches Knacken band seine Aufmerksamkeit. "Na bitte!", lachte Sven triumphierend, "Ich habs doch gesagt: Der Kanacke ist ein Idiot. Ich kenn Fahrradschlösser, die sind stabiler. Nun komm schon, beeil dich!" Schnell trat Sven auf das Grundstück und hielt das Tor einen Spalt auf, damit Frank hindurchschlüpfen konnte. "Sofern du nicht die Hosen voll hast."
"Natürlich nicht", erwiderte Frank und trat betont langsam durch das Tor, in der Hoffnung, sein Herz auf diese Weise beruhigen zu können. Als er über den Garten auf das dreistöckige Herrenhaus blickte, erschien es ihm, als wäre er in eine andere Welt getreten. Schatten tanzten unheilvoll über das mit Bäumen übersäte Grundstück und ließen nur punktuell Platz für das warme Licht der Straßenlaternen. Der überwucherte Weg, der in Schlangenlinien durch den Garten führte, war nur mit Mühe erkennbar. Wohnte dieser Typ überhaupt hier? Zweifel, mächtig und einnehmend, breiteten sich in Frank aus. Wie konnte er sich nur auf so etwas einlassen? "Alkohol", flüsterte es in ihm, doch das war nicht alles. Armut, das war das eigentliche Problem. Er hatte es satt, jeden Euro zweimal umdrehen zu müssen, nur um am Ende des Monats trotzdem nichts übrig zu haben. Hatte er es nicht verdient, wenigstens einmal Urlaub zu machen? War es nicht ungerecht, dass er für einen Hungerlohn arbeitete, während Typen wie dieser Kozejew dutzende Häuser besaßen? Ja, zur Hölle das war es. Er würde sich nehmen, was ihm zustand, nur dieses eine Mal. Vielleicht würde der Kerl nicht mal bemerken, wenn etwas Bargeld fehlte. Vielleicht. Entschlossen beschleunigte Frank seine Schritte, um jeden Preis darum bemüht, nicht wieder in Angst zu verfallen. Zweimal wäre er fast gestolpert, doch beide Male hatte er das Gleichgewicht im letzten Moment wiedererlangt, ohne das Sven etwas bemerkte. Als sie die Türschwelle erreichten, deutete nichts auf einen Bewohner hin, das Haus lag tot und leer vor ihnen.
"Und er ist sicher nicht da?", fragte Frank zweifelnd, während er Sven das Brecheisen reichte. "Das hab ich doch gesagt!", gab sein Freund barsch zurück und öffnete die Tür mit einem lauten Krachen. "Das ist ja fast zu einfach! Denkt wohl, sein dickes Haus wäre Einschüchterung genug. Tja, falsch gedacht." Selbstzufrieden zog Sven die Tür auf und betrat den dunklen Flur der Villa. Frank folgte zögerlich und mit bleichem Gesicht, als beträte er die Hölle selbst und nicht das offenbar unbewohnte Haus eines Millionärs.
Sven hatte seine Taschenlampe bereits eingeschaltet. Als sie über die Schwelle traten, tat Frank es ihm gleich. Die Einrichtung, modern und luxuriös, stand in krassem Kontrast zum Garten des Anwesens. Während draußen nichts darauf hindeutete, dass das Gebäude überhaupt bewohnt wurde, war es im Inneren penibel gepflegt. Ein weinroter Teppich erstreckte sich auf dem dunklen Parkettboden, die Schränke an den Wänden glänzten, als hätte man sie erst kürzlich poliert. Und dann waren da noch die Gemälde. Surreale Gestalten, nur entfernt menschlich, wie aus einem Traum geschnitten, blickten sie von den Wänden an, so real, das Frank beim ersten Anblick zusammengezuckte. "Was ist das für ein Kerl?", fragte er Sven, um eine ruhige Stimme bemüht. "Ich meine, was macht er?" Einen Moment ignorierte Sven ihn. Auf ihn schienen die Bilder keine Wirkung zu haben, er hatte bereits die Schublade einer Kommode geöffnet, um sie nach Wertsachen zu durchsuchen. "Keine Ahnung", raunte er desinteressiert, "Künstler, Bildhauer, irgendwie sowas. Großes Ding in der High Society." Wütend schloss er die Schublade wieder. "Und jetzt frag nicht, sondern hilf mir suchen. Der wird doch irgendwo Geld haben."
Doch sie fanden nichts. Sie suchten überall. In Schränken, Schubladen, ja sogar hinter einigen Gemälden sahen sie nach. Dieser Mann schien tatsächlich keine Wertsachen zu besitzen und falls doch, ließ er sie nicht herumliegen. Kein Schmuck, kein Bargeld. Nicht, dass es an teuren Möbeln gemangelt hätte und die Bilder waren sicher auch etwas Wert, aber darauf waren sie nicht aus. Sie wollten Geld, höchstens Schmuck, aber ganz sicher nichts, was sich schwer transportieren und noch schwerer verkaufen ließ. Aber Sven wollte nicht aufgeben. Etwas lag in der Luft. Eine undefinierbare Spannung, die Sven immer weiter trieb und Frank mit jeder Sekunde ängstlicher werden ließ. Hatte er nicht gerade ein Knacken gehört? Hatte jemand das Haus betreten? "Beruhig dich!", tadelte er sich selbst mit aller Überzeugung, die er aufbringen konnte, "Es gibt hier nichts zu fürchten, nur die leeren Räume in der Villa eines Irren." Und seine Gemälde. Oh Gott diese Gemälde. Welchen Raum sie auch betraten, überall warteten sie, starrten mit finsteren Blicken auf sie herab. Menschen mit Tierköpfen, grausam entstellte Gesichter und skurrile Portraits. Einmal hätte Frank beinahe aufgeschrien, als er die Tür zu einer Kammer öffnete und mit Taschenlampe direkt in das Gesicht eines gemalten Mannes leuchtete, aus dessen geöffnetem Rachen kleine Spinnen krabbelten. Der Realismus war beängstigend, als hätte der Künstler eine reale Szene auf Leinwand gebannt. Warum zur Hölle hängte man soetwas auf?
"Komm her!", riss ihn Sven aus seinen Gedanken, "Hier ist was!" Resigniert folgte Frank der Stimme seines Freundes. Er fand ihn in dem langen Flur, der den zentralen Bereich des Hauses mit dem Westflügel verband. Triumphierend erwartete er ihn, neben ihm ein Wandteppich, den er soeben heruntergerissen hatte. Dort, wo er gehangen hatte, führte eine kleine Treppe abwärts in einen schmalen Gang, an dessen Ende ein grünes Blinken die Dunkelheit durchbrach. "Ein Panic-Room?", fragte Frank warf einen argwöhnischen Blick auf die Entdeckung seines Freundes. "Wohl eher ein Safe!", stellte Sven klar und drängte sich begierig durch den engen Tunnel. Sein kehliges Lachen ließ Frank zusammenzucken. "Der Idiot hat nicht abgeschlossen!", jubelte Sven, während er die schwere, gepanzerte Tür öffnete. "Komm schon! Jetzt geht's ans Eingemachte!" Frank wollte etwas erwidern, doch sein Freund war bereits verschwunden. Eilig folgte er ihm. "Wohl doch kein Safe.", waren seine ersten Gedanken, als er den Raum musterte, der sich hinter der schweren Tür verbarg. Mit über zwanzig Quadratmetern war er deutlich größer, als Frank es erwartet hatte, doch seine Größe waren nicht das Seltsamste. Eine Staffelei stand in der Mitte des ansonsten leeren Zimmers, die Leinwand darauf in jungfräulichem Weiß. "Hier ist noch eine Tür!", rief Sven ihn heran, der bereits weiter in den Raum vorgedrungen war. "Wir sind reich!", tönte seine Stimme erneut, "Komm her, wir sind reich!" In diesem Moment geschah etwas Seltsames: Die Angst, die Frank den ganzen Abend begleitet hatte, fiel von ihm ab. Er horchte in sich, doch sie war tatsächlich fort, wie ein fernes Echo oder eine längst vergangene Erinnerung.
Langsam ging er zu seinem Freund und leuchtete in den Nebenraum. Geldscheine bedeckten den Boden, Fünfziger und Fünfhunderter, außerdem Goldschmuck, auch einige Münzen waren dabei. "Wir sind reich...", flüsterte nun auch Frank, während Bilder sich in sein Bewusstsein drängten. Palmen, Hotel und Sonne – doch das war noch nicht alles. Mit all dem würde er sich neue Möbel kaufen können – und einen neuen Fernseher! Schallend lachten sie gemeinsam, während sie ihre Rucksäcke füllten. Die Anspannung, die zwischen ihnen geherrscht hatte, war vergessen. "Ich habs dir doch gesagt, ich habs dir doch gesagt!", wiederholte Sven immer wieder, doch seine Stimme klang nicht vorwurfsvoll. "Frank, wir sind reich!". Sie fielen einander in die Arme, ja tanzten sogar inmitten all der Reichtümer, berauscht von ihrem Erfolg und dem, was sie sich kaufen würden. Doch gerade, als die Taschen gefüllt und sie abmarschbereit waren, durchbrach ein Geräusch das fröhliche Miteinander: Klack. Erschrocken drückte sich Sven an die Wand und hob die Hand, damit Frank es ihm gleich tat. Binnen einer Sekunde war er wieder angespannt und ernst. "Warte hier.", flüsterte Sven ihm zu und zog etwas aus der Innentasche seiner Jacke. Einen Moment konnte Frank nicht erkennen worum es sich handelte, doch dann traf es ihn wie ein Blitz: Eine Waffe. Sven hatte eine Pistole dabei! Seine Knie begannen zu zittern. Was zur Hölle hatte er vor? "Verdammt!", hörte er Sven rufen. "Lass uns raus du Schwein! Komm doch her!" Nun trat auch Frank wieder in den Raum mit der Staffelei. Sven hämmerte mit beiden Händen gegen die verschlossene Tür, die Pistole noch immer in der Hand. Verschlossen. Nein, das durfte nicht sein. Unwillkürlich stiegen Frank Tränen in die Augen. Er wollte nicht ins Gefängnis, nicht jetzt, wo alles Glück der Welt so greifbar schien. Es musste einen Weg geben, um all dem zu entkommen – mehr noch – all das mitzunehmen, was sie gefunden hatten. Hektisch blickte Frank sich um, jede Ecke und jeden Fleck mit der Taschenlampe beleuchtend. Sein Herz blieb stehen, als der Lichtstrahl die Staffelei erreichte. Alles verschwand um ihn herum, wie in einem Nebel. Franks Flüche schrumpften zu einem Rauschen, vollkommen unwichtig neben dem, was er gerade sah. Dünne Bleistiftlinien verzierten die Leinwand, kunstvoll zu zwei Gesichtern verbunden.
Dezenter Applaus begrüßte Tomasz, als er die Bühne betrat und die bewundernden Blicke des Publikums ihn streiften. Sie schienen nicht zu wissen, wohin sie ihre Blicke lenken sollten. Einige betrachteten ihn, andere das Bild und wiederum andere begafften die wunderschöne Frau an seiner Seite. Er genoss all die Emotionen, die auf ihn einströmten: Bewunderung, ob seiner Kunst – Abscheu, ob seiner Motive - und Begehren, ob der Schönheit seiner neusten Eroberung. Man könnte förmlich spüren, wie die Blicke der Männer an ihren makelosen Beinen entlangwanderten, über ihren flachen Bauch und ihre perfekten Brüste, bis hin zu ihrem selbstbewussten Lächeln und den goldenen Haaren. "Wie die Hunde.", dachte Tomasz abfällig, ohne sein Publicity-Lächeln aufzugeben. Ob sie noch genauso gaffen würden, wenn sie wüssten, wie viele OPs die Frau hinter sich hatte? Vermutlich. Der Reporter räusperte sich: "Einen wunderschönen guten Abend Herr Kozejew. Es freut mich, Sie heute hier begrüßen zu dürfen." Tomasz lächelte noch breiter und begrüßte den Mann, wenn auch deutlich weniger freundlich. Immerhin bin ICH hier der Künstler. "Nun.." Der Reporter schien nach Worten zu suchen, offenbar war Marias Schönheit auch ihm nicht entgangen. "Wen haben sie heute mitgebracht?" Tomasz warf ihr kurz einen Blick zu, dann wandte er sich an den Reporter: "Das ist Maria, meine neuste Entdeckung." Applaus ertönte, einige Zuschauer pfiffen. "Doch Sie sind nicht hier, um uns ihre Freundin vorzustellen, so sehenswert sie auch sein mag. Nicht wahr?" Der Report ließ ein künstliches Lachen hören und sprach dann weiter. Ein Projektor wurde eingeschaltet und ein Bild erschien an der Wand hinter ihnen – SEIN Bild. Zwei Männer, mit eingefallenen Körpern und streichholzdünnen Gliedmaßen, auf einem Totenbett aus Geld und Schmuck, den Mund mit Edelsteinen gefüllt. Ein Raunen ging durch den Zuschauerraum, hier und da entbrachen Diskussionen. "Ein wirklich eindrucksvolles Gemälde!", stellte der Reporter fest und warf Tomasz einen anerkenenden Blick zu. "Sehr ausdrucksstark und mit einer Botschaft, die wir uns allen zu Herzen nehmen sollten." Wieder lachte er ins Publikum. Was für ein Idiot. "Aber nun, Herr Kozejew, bevor wir näher auf ihr neustes Werk eingehen, bitte verraten sie mir Eines: Was planen sie als nächstes?" Erwartungsvolle Stille wich den Gesprächen im Zuschauerraum. "Nun..", begann Tomasz genüsslich, den Arm um Maria gelegt: "Mir schwebt da etwas über Eitelkeit vor."