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Der magische Ort

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27.05.2008
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Der magische Ort

Es war einmal vor langer Zeit, als Bäche noch von Magie angereichert bedächtig hinabflossen und das Land in prunkvoller erhellender Güte ein Lächeln in die Gesichter der Fremdlinge hinein zu zaubern vermochte. Sie kamen von weit her, denn sie hörten in Legenden von jenem Ort. Sie wollten in Gefilde vordringen, von denen sie begonnen hatten zu träumen in ihren Fantastereien.
Sie seien nicht verklärt, erwähnten sie in den Gesprächen mit ihren Schwestern und Brüdern. Sie seien diese Welt nur leid, am Morgen die Arbeit, dann zu Mittag bei Tisch und abends gehe man langsam schon wieder zu Bett. So nähmen sie ihr Leben wahr und existiere dieser Ort nicht, dann lebe man immerhin in der Hoffnung ihn eines Tages, vielleicht unter riesig-saftig-ovalen Blättern vergraben, zu finden. Denn um an jenen Ort zu gelangen, müsse man in ein Loch springen, so sagt es die Legende. Natürlich gibt es verschiedene Varianten, doch sie alle erwähnen einen Ort, der vor Mystik und Zauberei regelrecht überquillt.

„Schon oft habe ich von diesen Geschichten gehört. Frappierend ist nur, dass jemand an sie glaubt. Ich meine, sie glauben an jenem Ort würden Hexen Gutes herbeizaubern und Zwerge bestellten die Felder - wie lächerlich!", stellte ich mal wieder zur Verwunderung meiner Freundin fest, die mich mit ihren großen klar funkelnden braunen Augen verdutzt anschaute und musterte.

„Ist dir noch nie etwas passiert, was du dir nicht erklären kannst? Hast du nie einen Geist oder so etwas gesehen? Du glaubst doch nicht etwa, dass diese grob stoffliche und von Rationalität geprägte Welt alles ist, was das Leben an Schätzen beherbergt?", erwiderte sie mit einem herzergreifenden traurigen Klang in ihrer Stimme, der mich trotz meiner oberflächlichen Kälte im Innern erweichen ließ. Ich verstand es jedoch als meine Pflicht, sie wieder an die Tatsachen heranzuführen.

"Es ist wie es ist, ja ich denke es gibt keine Zwerge oder sonstige mystische Wesen!", erzählte ich ernsthaft. In ihren Augen sah ich Ernüchterung, denn sie hatte wohl anderes von mir erwartet. Trotzig, wenn auch mit schlechten Gewissen, fügte ich nun hinzu: „Denn jene würden wohl kaum in einem Loch unter der Erde hausen."
Sie strich sich leicht mit einem Finger das herabfallende Haar von ihrer Stirn zur Seite, denn wir schauten einander lange und intensiv an. Ihre Augen waren nun vollgelaufen vor Trauer und Enttäuschung wie eine Badewanne, dessen Wasser fast über die Ränder schwappt.
Ihre Mimik vernahm ich kaum, nur ihre riesigen braunen Augen, bis ich den Kontakt abbrach und meinen Blick verlegen in der Umgebung wild herumwandern ließ, so als interessierte mich diese immens.
"Ich bin eine Hexe, so oft habe ich es dir gesagt, dass ich Feen sehen kann", flüsterte sie zu mir herüber.
Ich kann es nicht glauben, nun fängt sie schon wieder damit an. Ich weiß, was mit jenen passierte, die dachten sie wären Hexen. Gott im Himmel, sie hat braunes prächtiges Haar, das kraftvoll glänzt. Sie trägt ihr Haar bis zu den Hüften; ich mag es, wenn sie sich einen Zopf flicht. Es schaut für mich dann aus wie ein majestätischer Schweif. Sie lächelt, wenn ich sie anschaue und dies erhellt mir häufig den miesen Tag. Ihre Haut ist so weich, jung und rein - eben nicht fahl, faul oder dekadent. So schaut doch keine Hexe aus!

Vater hat immer gesagt: Junge, es gab einmal Geschöpfe, die konnten Dinge zum Fliegen bringen - sie aufwärts und herab schweben lassen, als ob sie der Wind wären. Hüte dich vor jenen Schlangen, denn sie werden nur Gram und Unheil über dich bringen. Junge, sie verwandeln den Tisch in eine Vase voll Gold und das Gefäß in ein Ungeheuer, dies sage ich dir. Sie trinken aus Kelchen voll Blut von Gestalten, die dein Auge nicht wahrnehmen kann und singen seltsame grässliche Lieder. Ihr verhärmter Klang soll dich nicht täuschen, denn für sie ist die Trauer nur ein Instrument, um ihren Einfluss zu stärken.
Oder ist sie doch eine Hexe?

"Ich werde es dir beweisen. Mehr als ein Jahr kennen wir uns nun schon. Ich habe dir viele Geschichten erzählt. Ich kann dich zu jenem Ort führen, doch du musst bereit sein deine Ansichten zu hinterfragen", sagte sie aufrecht und lächelte mal wieder, als ich auf ihren Vorschlag, wenn auch zögernd, einging.
Sie trägt oft ein schwarze Kleid aus Tüll, was so manchen Mann fast vom Pferd fallen lässt. Es schimmert ein verführerischer Hauch von nackter Haut durch ihr Kostüm. Sie ist etwas kleiner wie ich, aber für eine Frau normal gewachsen. Was ist normal? Normal ist, was nicht aus der Masse hervorsticht. Sie stammt aus einer okkult angehauchten Bauernfamilie. Sie meinte einmal zu mir, dass ihre Verwandten ebenfalls Fähigkeiten hätten, die gewöhnliche Menschen nicht haben.
Sie würden Visionen zum Beispiel empfangen, so wie ihre Mutter. Sie sah ihre zukünftige Gestalt schon, nachdem sie die Empfängnis gespürt hatte, in einer Offenbarung in der darauf folgenden Nacht. Sie liebt außerdem Pferde und das einfache Leben. Das Wogen des Grases und den sanften Frühlingswind, der die ersten Knospen zum Platzen bringt. Vor allem die Tulpen mit rosa Blättern haben es ihren Sinnen angetan.

„Nun denn, wann brechen wir auf?", antwortete ich keck und erhoffte mir noch, dass sie lediglich scherzte, um hinzuzufügen, „denn du weißt, ich muss noch einigen Personen Bescheid geben."
„In der Früh", sagte Isabel lakonisch und ging ohne mich wie sonst zu umarmen.
Ich wusste, dass sie es ernst meinte, denn das entsprach einfach ihrer spontanen Lebensphilosophie. Sie tauchte in meinem Leben wie ein Blitz am Himmel auf, unberechenbar und kräftig. Jeden Hügel erklomm sie leichtfüßig, um in der Ferne neue Möglichkeiten zu erspähen. In ihrem Gemüt wallten und frohlockten die Tulpen - trotzend der Sterblichkeit, versprühten sie in Fontänen ihr beneidenswertes Lebensglück.
Es überraschte mich deswegen kein bisschen, als sie mir vorschlug, mir jenen Ort zu zeigen.
Ob ich daran glaubte? Nein, aber was sollte mich hier halten in diesem kleinen Dorf.
Früh kräht der Hahn und die Kirchenglocke läutet verhängnisvoll und schrill. Es zermartert mich innerlich, ein jäher Schreck von Tag zu Tag. Ich reagiere empfindlich und hochsensibel auf jeden überraschenden Laut. Ja es überwältigt mich, auch wenn ich es gewohnt sein müsste. Die Libellen und Zirpen, die ich von klein auf kenne aus dem kleinen Städtchen meiner Kindheit, wenn ich spazierte, regelrecht flanierte auf den Wiesen und den Feldern der näheren Umgebung, ja selbst die sind meinem Empfinden ein Stachel, der mich sticht und Schmerzen bereitet. Gut, dies verfolgt mich wohin ich auch gehe, und ein Ort ohne diese Pein wird wohl kaum existieren.

Es ist auch so, dass ich alleine ohne Frau, Kind und Tier hause; und ja, da kann schon mal die Einsamkeit an einem Menschen nagen. Ich wäre so gerne kein Mensch - lieber Irgendein Tier, wie wäre es mit einem Löwen oder einem Adler? Der Mensch an und für sich ist mir suspekt. Liegt es daran, dass ich als Kind der Prügelknabe war? Bin ich aufgrund meiner Lebensverhältnisse gefrustet, alleine in einem beschaulichen Heim?
Es ist wie es ist, sprach ich mir selbst Mut zu, und schau mein Nachbar, wie er flink sputet, auf das die Treppen knarren. Was dem wohl peinlich ist?
Ich bin es, ein Held, der mit einer jungen bezaubernden Frau aufbricht, um einen Schatz zu finden, den ich stets belächelt habe.
Eine Antwort erhoffe ich mir. Nein im Ernst, ich will hier einfach weg aus diesem Dorf. Sie scheint auch keinen Mann zu haben, sonst würde er sie doch nicht entbehren. Vielleicht finde ich mit ihr oder durch ihre Hilfe ein wenig Lebensglück. Mein Vater starb schon früh im Alter von 40 Jahren, als ich bereits vom Sprössling zum jungen Mann herangereift war.
Meine Mutter litt stark darunter, und so zog es mich fort, denn meinen Trost empfand ich als ungenügend. Aufopfernd kümmerte sich fortan alleine meine Schwester um sie. Ich ging, ich kleiner mieser Zögling rannte und rannte soweit ich konnte. Ich landete hier, fand aufgrund meiner Bildung eine Arbeit in der Bibliothek, später dann beim Anwalt, denn mein Vater gehörte ebenfalls diesen Berufsstand an und war mir ein guter Lehrer.

II

Wir trafen uns am Morgen, die Sonne ging hinter den Hügeln auf und fing zögerlich an zu flammen. Die Ruhe des Morgens, dieses vertraute frische Gefühl, das einen durchdringt.
Ich liebe es, denn es legt sich sanft auf mein Gemüt. Ich atme die klare Luft ein und der Duft der nahe liegenden Wälder und Wiesen mischte sich mit den Gerüchen des Dorfes. So empfing ich sie früh an jenem Tag, sie kam zu mir, lächelte und freute sich, um mich dann zu umarmen. Mein Arbeitgeber interessierte mich nicht, ich hatte im Grunde gelogen, als ich sagte, dass ich noch einigen Leuten Bescheid geben müsste.
Mein Gewissen wollte ich allerdings nicht ganz so arg belasten, weshalb ich beschloss, es zumindest meiner Vermieterin zu erzählen, die ich noch am späten Abend antraf. Sie krächzte und konnte kaum sprechen. Ich schaute in ihre schmerzenden blauen Augen; sie war wirklich kränklich und sehr heiser. Sie war nicht mehr in dem Alter, wo ihr Äußeres in mir ein starkes Entzücken hervorrufen konnte. Mir schien es trotzdem als hätte ich ein angenehmes Verhältnis zu ihr; doch ich würde losziehen, um mich von meinen Hemmungen und Berührungsängsten zu befreien. Sie schaute wahrscheinlich in traurige kalte grüne Augen, ich vermochte ihr das nicht zu ersparen. Ich wusste nicht, was der nächste Tag für Früchte mit sich bringt, deren Kerne ich schon mit meinem heutigen Beschluss gelegt hatte, damit sich morgen das saftige Fleisch, um sie legt.
Wir unterhielten uns anfangs kaum, und wenn, dann redeten wir oft aneinander vorbei.

Isabel: „Weiß du wie viel Zeit man braucht, um zu verstehen, was es mit den Elementen dieser Welt auf sich hat? Ich denke, dass wird man nie ganz und gar verstehen. Als ich noch jünger war, verliebte ich mich oft, um dann mir etwas einfallen zu lassen, wie ich demjenigen näher kommen könnte. Einmal verkleidete ich mich als Obst-Verkäuferin, nur um dann barsch fortgeschickt zu werden. John, kennst du das denn nicht?"

Sie schaute mich mit ihren vor Leben sprühenden und glitzernden Augen an. Ich wendete meinen Blick wieder schnell nach vorne und schaute zu den Feldern, an denen wir vorüberschritten - als wenn an einem Acker voll Mais irgendetwas interessant ist. Auf der anderen Seit wogte das frische Gras im Winde. Eine leichte Prise schlug uns von vorne sanft entgegen.
Ich musste wieder tief Luft holen.
Ein stiller korpulenter Trottel wie ich erweckte nicht oft das Interesse einer Frau, und wenn dann fiel es mir schwer, dieses zu bemerken. Ich wäre Jüngling, wenn nicht diese Dorf-Nymphomanin mich verführt hätte. Es geschah in einer lauen Nacht, vielleicht war es auch nur ein Traum, denn ich hatte von Rausch-Aprikosen genascht, die manch seltsamen Effekt vermögen herbeizurufen.
So schlenderte ich und führte Selbstgespräche, ein zufriedenes sowie auch schwindelndes Gefühl beflügelte mich. Es war nicht Benommenheit, die mich erfasst hatte, eher eine Art Gedankentohuwabohu. Jeder Baum und selbst ein Hügel schien magisch zu rascheln, ich hörte mein Herz ruhig schlagen. Da kamen ich und jene Frau ins Gespräch, mehr weiß ich nicht mehr.
Ich erinnere mich nur, dass die Farben so pastellen hell mir erschienen und der Wind mir ein Lied säuselte, das in meinem Geist zu spielen begann, während ich auf der Wiese lag. Sie strich sanft mit den Fingerkuppen über meine Brust und wir küssten einander. Ihr Mund war wollüstig - man schmeckte die Leidenschaft und ihren Atem, der mich verführte.
Ich verfiel ihr, obwohl ich wusste, wie viele Männer sie schon beglückte. Daran dachte ich während sie mir ihre enttäuschenden Liebesgeschichten erzählte, tief atmete und seufzte: Ist mit dir etwas? Kennst du das also nicht?
Sie schaute mich neugierig an und war etwas aufgedreht. Ich erzählte ihr einst davon, wie ich meine Jungfräulichkeit glaube verloren zu haben; doch sie meinte, dass dies nicht an der Aprikose lag, sondern ich lediglich manisch war. Sie hat die Aprikose doch selbst nie gegessen.

Ich: „Ja, mit mir ist alles okay, du weißt ja wie das mit schlagflüssigen Kerlen ist", sagte ich leise, sodass es fast der morgendliche Wind verschluckte. Ich mochte das Wort fett nicht, so benutzt ich dieses, um etwas lauter hinzuzufügen, während ich mich aufrichtete, was selten war, denn oft ging ich geknickt durch Stadt und Land, „viele von denen haben Probleme. Sie werden erniedrigt von dieser Welt und das laugt sie aus."
Isabel: „Sei doch nicht so negativ. Du bist wunderschön und ich finde schon, dass du angenehm lächelst."

Sie sprach Leuten oft Mut zu und meinte - aus meiner Sicht Erscheinungen - irgendwen oder irgendetwas aus der Feenwelt wahrzunehmen. Ich denke, sie sah diese Energien und Wesen nur sporadisch, so wie man auch nicht aller Tage eine Vision hat. Egal, so sehr interessiert es mich dann auch wieder nicht!

Ich: „Und du bist nun also eine Hexe?"
Mit einem etwas fraglichen Unterton begleitete ich diese Frage, irgendwo zwischen Verwunderung und Spott.
Isabel: „Ja, zum allerletzten Mal ... Ja!"
Ich: „Und was kannst du sonst alles noch?"
Isabel: „Na ich kann singen und tanzen."

Sie fing an fröhlich auf dem Weg, der aus relativ weichem Waldboden bestand, zu tanzen und zu singen. Ich holte meine Flöte aus der Tasche meiner Jeans und musizierte mit ihr, deshalb genoss ich die Zeit mit ihr. Dieses Spontane war es, was mich kitzelte und aus meiner Lethargie befreite.
So gingen wir bis in die Mittagsstunden hinein, bis sie anhielt.
Isabel: „John, immer bist du so, naja so verschlossen. Ich kann nicht glauben, wie man alles ausschließlich kompliziert betrachten kann. Ja, ich weiß, dass ich eine Schräge bin. Du kommst immer nur, hörst zu und lauschst, so erscheint es mir, weißt du."
Ich: „Ich sage doch etwas, nun rede ich ja in diesem Moment und auch vorhin."
Isabel: „Vorhin?"
Ich: „Ja, vorhin!"

Ich antwortete genervt, denn solch Fragen und Gespräche mochte ich gar nicht.
Sie ging darauf verbal nicht ein und füllte ihr Backen mit Luft, um anschließend alles auszublasen. Nun verzog sie ihr Gesicht und daraufhin dünkte es mir, als würde sie tief in sich hinein sinnen. So erschien sie mir selten bis nie. Sie stand auf einmal da und schaute in die Ferne - ein grüner Horizont voller kleiner Erhebungen.

Isabel: „Ich werde dich von deinem schändlichen Weltbild befreien. Die Welt ist voller Wunder und Zeichen, nur du siehst sie nicht."

Ich: „Du bist doch auch über manche Enttäuschung nicht wirklich hinweg gekommen. Mich hat erst neulich im Traum ein Skorpion gebissen, der in seiner Arglistigkeit mein Glaube ans Gute verletzte, denn er stach mich von hinten in den Rücken. In meinem Traumtagebuch - dass du mir geschenkt hast - steht nun, dass ich einen heimlichen Feind habe. Schau, da hast du es und sehe ein, ich bin gar nicht so rational. Mal ein anderes Thema, wie kommt es eigentlich, dass du als Bauernmädchen so gebildet bist?"

Isabel: „Ich könnte wirklich kurzen, was für Beziehungen stellst du denn her. Befreie dich doch mal davon! Wir müssen im Übrigen ins Dorf Cöllna, um einen verwunschenen Zwerg zu treffen."

Ich: „Ja, was sonst."

III

Wir erreichten das Dorf in den frühen Abendstunden. Ich strich mir mit meinen groben Händen durch mein gekräuseltes geschupptes schwarzes kurzes gewelltes Haar. Ich mochte es viele Adjektive aneinander zu reihen. Ich bin kein Possenreißer, nein - das bin ich nicht.

Ein Zwerg und das alles nur, weil mich mein Leben langweilt; und es doch nicht wirklich schlimmer kommen kann. Kann es doch nicht? Oder?

Wir landen jetzt bestimmt in einer schimmelnden heruntergekommenen Kaschemme;
und sie erzählt mir, welch ungeheure Aura hier wütet. Dann müssen wir schlafen und schon bald erreichen wir jenen Ort. Ja ... Ja, ich war mit meinen Selbstgesprächen besser bedient. Nun muss ich auch noch ab und an ein Wort sagen. So ähnlich kam es dann auch, den Zwerg empfangen wir morgen oder besser gesagt, es ist Schicksal.

Cöllna ist ein wirklich kleines Dorf mit bescheidenen Leuten, die einen freundlichen und offenen Eindruck hinterlassen - selbst bei mir. Eine Schule, eine Apotheke, zwei Ärzte, ein paar Geschäfte, eine Schneiderei ... nichts Ungewöhnliches. Bis auf ... das alles gewöhnlich ist.
Mir fiel der Schlaf sehr schwer, sodass ich oft gegen die Wand schlug und irgendetwas murmelte, bis ich mich beruhigt hatte. Erst so konnte ich schlafen. Das war schon seit meiner Kindheit eins meiner Probleme - naja zum Glück schlief ich ja immer allein ... nein auf Dauer wohl eher zum Unglück.

Wir bezogen zwei Einzelzimmer, dachte ich zumindest; sie traf noch zufällig eine Freundin und so bezogen sie gemeinsam ein Quartier. Ich war als redlich, loyal, gefügig und pflichtbewusst ... soll ich noch mehr aufzählen? ... bekannt, nur das mich kaum jemand kennt. Das wird sich jetzt ändern, diese Reise wird mein Leben aufwirbeln wie Blätter, die durch einen Windstrudel an das Gefühl des Fliegens herangeführt werden. Nun schlafe ich hoffentlich tief und fest ... genug Irrsinn wieder gedacht ... von allem zu viel, wie immer.
Ich erwachte mit trockener Kehle, wieder so eine Nacht, und ich schwitzte viel zu sehr.
Das Anziehen und etwas Wasser sowie auch Nahrung zu mir zu nehmen, waren eine eher lästig Routine. Ich schaute ungerne in einen Spiegel und wippte, um meine Nerven zu beruhigen von einem Bein auf das Andere - denn am Morgen keine Menschenseele zu erblicken, das war selbst mir unheimlich. Ich ging nun zum Zimmer von Isabel und klopfte zögerlich und nicht zu laut an die Tür.
Ich: „Kann ich herein kommen?"
Isabel: „John was soll der Scheiß, wir sehen uns dann doch unten!"

Ich setzte mich an einen leeren Tisch und wehe einer käme, um sich zu mir zu setzen. Ich schaute mich um, bis auf eine süße Kellnerin mit blondem Haar war niemand zu geben. Sie war eher klein und hatte eine schöne Oberweite, ich genoss den Blick zu ihr und spielte mit dem Löffel auf dem Tisch. Ich wendete ihn und schnipste unsichtbares Zeugs mit ihm, während ich leicht in mich hinein griente.

Auf einmal stand unter mir dieser Clown mit roter Nase und bekleidet mit Lumpen. Ich kann es gar nicht beschreiben. Was war das? Eine Art um den Körper gebunden braune Decke (wenn mit was bisher gesehenen vergleichbar, dann mit einem antiken Gewand) trug er. Sein Heiligtum war verziert mit Kunstrosen, die in kleine Öffnungen gesteckt worden; und auch der Rest dieses grauenvollen Kostüms war mit Herzchen verbrämt - sinnloser Schmuck.
Seine Schuhe waren rot und liefen vorne spitz zusammen. Er hatte kein Haar und maß vielleicht um die 1,25 Meter. Seine Ohren waren anliegend und seine Haut war durchaus geschmeidig sowie gepflegt. Seine Augenbraunen waren buschig und seine blauen Augen funkelten wie der Widerschein der Sonne. Meine traurigen Äugelein verbrannten sich in den Seinen.
Sein Mund war mit zwei dicken Lippen meiner Ansicht nach eine Forte zu einem Schlund, in die man einmal gefallen, sich wünscht, man hätte lieber der schlimmsten Oper gelauscht. Er erschien mir vom ersten Eindruck als ein recht sportlicher Clown; doch sein Kopf war eher wie eine Kugel, er schaute vom Gesicht her fast wie ein wohl genährter Buddha aus.
Zwerg: „Ich bin Julian, aus einer Clownsfamilie. Ich kann Clownerie, Artistik und Jonglage, doch das Beste daran, mich durchströmt pure Magie, die ich an jedem Ort verteile, der meiner begrüßen darf.
Hallo John, geehrt dich endlich kennenzulernen von Aug zu Aug.
Ich tanze nie und singen mag ich auch nicht. Dadamm ... Dadammm."

Ich war erst erschreckt, doch nach einiger Zeit fing ich an mich zu fangen. Sogar ein Lächeln und Gespräch kam zu Stande. Er wollte mich zaghaft an der Schulter berühren, ich schreckte zurück; denn ich kenn ihn doch eigentlich gar nicht, diesen seltsamen Kauz.

Ich: „Hallo Julian. Isabelle sagte mir schon, dass wir hier einen Zwerg antreffen würden."

Julian: „Ach, was beliebt es euch immer von Zwergen zu sprechen. Kleinere Wesen sind auch nur Geschöpfe wie du und ich."

Ich: „Wollte dich nicht beleidigen Julian." Ich fühlte mich beim Reden mal wieder unwohl und mochte ihn auf Distanz halten, deshalb fügte ich lakonisch hinzu, „wir warten glaube ich besser auf Isabel."


IV


Julian: „Lass uns die Zeit widmen, um einander Barrieren einzureißen. Julian, was ist dein schönstes Hobby?"

Ich: „Bogenschießen, denn ich habe Kraft in den Armen, nur sieht man so recht keine Muskeln. Das geht, das sage ich dir."

Julian: „Also Bogenschießen, da muss man sicherlich seine Konzentration bündeln; damit man zum Bogen werde, auf dass das Unterfangen gelinge. Dammm ... Damm."

Ich: „Ja, das ist schon was dran."

Komm doch Isabel ... nun komm ... komm her

Julian: „Und man flüsterte mir im Walde, du magst es die Flöte erklingen zu lassen."

Ich: „Ja, mein Vater meinte, ein jeder sollte mindestens ein Musikinstrument erlernen."

Julian: „Dein Vater, vermisst du ihn?"

Ich antwortete zornig: „Das geht zu weit Julian. Das geht dich nun wirklich nichts an!"

Julian: „Ist okay ..."

Er wollte mich schon wieder an der Schulter fassen, erneut wich ich mit einer Bewegung nach hinten aus. Ich zeigte meine Emotionen eigentlich ungern, doch dieser Zwerg war zu viel des guten. Sein Lächeln erzeugte in mir eine Scheu vor jedem Wesen, das so wie er ist ... ein Zwergenclown.

Julian: „Soll ich dir was zeigen?"

Gut, dann muss ich wenigstens nicht mehr kommunizieren ...

Ich: „Okay ..."

Seine anscheinende Sanftmütigkeit, mir ging es fast die Galle hoch; ich war bedient und der Morgen war für mich bereits in schwarzen modrigen Tümpeln untergegangen. Er jonglierte erquickt und keck, warf freudig Bälle wirr umher, nur bei Fünfen ließ er das Tricksen sein. Konnte man ihn schon als Virtuose bezeichnen? Vielleichte sein Gesamtwerk, einschließlich Clownerie, doch dazu müsste ich ihn auch als Menschen akzeptieren, und dazu fühlte ich mich nicht imstande.
Isabel traf dann doch noch ein, ich empfand vollkommene Erleichterung, denn sie würde sich jetzt bestimmt mit ihm auseinandersetzen. Sie trug ihr braunes Haar heute nicht geflochten. Es erinnerte mich an die Mähne eines Pferdes. Sie lächelte uns beide an und setzte sich mir gegenüber an den Tisch, der Clown stand links neben mir und glotzte mich noch immer wie ein kleines Kind an, dass zum ersten Mal eine neue Farbe oder jemand Fremdes betrachtet und diese Eindrücke regelrecht aufsaugt.

Isabel: „Hallo Julian und einen schönen Morgen, auch dir John."

Wie kann man um diese Uhrzeit nur so gut gelaunt sein?

Isabel: „Ihr wisst, wir sind auf einer magischen Reise. Ich werde mich von meiner Intuition führen lassen und euren Herzen zum Strahlen bringen."

Julian: „Das ist fantastisch! Ich werde tausend Purzelbäume schlagen, Räder und Überschläge vollführen."

Er strahlte über das ganze Gesicht und spielte mit kindlichem Charme an den Rosen seines Gewands. Nun schaute er zu mir wieder herüber.
Julian: „John, mein stiller Begleiter, wir werden auch dein Herz zum Erblühen bringen - Versprochen!"

Oh bitte, schafft diesen Typen fort. In mir regte sich nur der Wunsch nach Gnade. Ich wollte von diesem Geschöpf befreit werden. Isabel, das kann doch unter keinen Umständen dein ernst sein, diesen Tölpel nennst du doch nicht etwa deinen Freund. Manchmal hätte ich Isabel gerne berührt und sanft über ihr Wangen gestreichelt, doch ich fürchtete mich davor sie zu berühren; denn ich wüsste nicht, ob ihr das gefiele oder Unmut in ihr erzürnte, so ließ ich es sein und strich neben den Umarmungen nur manchmal leicht über ihre Schulter oder fasste sie gar nur am Arm.
Dies traute ich mir, da sie mich ebenfalls ab und an - um mir mit etwas Trost beizustehen - am Arm streichelte. Ich hoffte eines Tages mich von meinen Berührungsängsten zu befreien, denn ich kann ja nicht immer hoffen, dass eine Nymphe meine Wege kreuzt, damit ich berauscht von speziellen Aprikosen, mich ihr hingeben kann.

Ich wusste, dass ich sie verletzt hatte, da ich vor einiger Zeit bei einem Feste im Dorf sehr früh gegangen war. Jemand dichtete im Schein des Fackelfeuers, als er die letzte Silbe ausgesprochen hatte, stand ich schleunigst auf und ging von dannen. Es war nicht nur die Menschenmenge, deren Gegenwart ich nicht ausstehen konnte. Es war einfach, dass ich glaubte, ich sei ihr im Grunde egal. So behandelte ich sie auch abwertend und arrogant. Ich merkte es im Hier und Jetzt, dass zwischen uns das Feuer ab und an nur noch glühte.

Ich wollte wärmer werden, als ich erkannte wie kalt ich geworden war; der Schnee fiel in Böen, die ihn herumschleuderten, in mein Gesicht. Der Wind peitschte mir entgegen und ich verlor mehr und mehr den Kontakt zu meinen Gefühlen. Die Welt war in meinem Herzen erfroren, wohin ich auch blickte, waren nur Frost, Eis und Schnee. Das Helle in mir war tief vergraben. Ich wollte jenes Kind in mir wiederfinden ohne zu wissen, ob es überhaupt existierte. Diese Reise, ich wollte doch daran glauben, tief und fest, so sehr, dass man mich erhöre.
Es muss jener Ort existieren, bitte, ja jetzt spürte ich wie sehr ich es ersehnte; aber ehrlich daran zu glauben, dazu fühlte ich mich nicht in der Lage. Allmählich gewöhnte ich mich an die Gegenwart von Julian, der jeden Moment mir etwas glücklicher erschien wie den vorangegangen. Woher hatte er nur diese Lebensfreude?

Julian ging neben mir her, als er anfing mich von seiner Herkunft zu unterrichten: „Ich bin aufgewachsen in einer spirituellen Artistenfamilie. Meine 2 Brüder und 3 Schwestern sind ebenfalls im Showgeschäft anzutreffen. Ich war der Kleinste und Jüngste in meiner Familie. Sie beschützten mich, lehrten mich aber auch sich zu verstecken, wenn es von Nöten war. Ich war klein, doch ebenso flink. Man schaut nach rechts und ich stehe schon links. Verstehst du John, ich bin ein Meister im Ausweichen; und man lehrte mich auch, die Energie meine Feinde bei der Verteidigung zu nutzen. Naja, eigentlich hilft mir eher meine Gewandtheit. John, wie sieht es bei dir aus?"

Ich wollte eigentlich nicht antworten, doch ich musste ja noch relativ viel Zeit mit ihm verbringen. So gab ich ihm leise sprechend zu verstehen:
„Weißt du, mein Leben verlief nicht so toll. Ich mag nicht so viel darüber sprechen."

Julian: „Komm schon! mmhhhh"

Ich: „Nein, ich kann einfach nicht. Sorry, so schnell kann ich niemanden an mich heran lassen."

Julian: „Geht in Ordnung John, das respektiere ich."

Er schien wohl wirklich verständnisvoll zu sein und respektierte Grenzen. Seine Sanftmütigkeit schien mir mit einer unglaublichen Zufriedenheit einherzugehen.

Ich: „Julian, du bist so heiter, so extrem war das nicht mal heute früh."

Julian: „Ja, weißt du, auch ich habe mich sehr auf unser Anliegen hier gefreut; und ich sehe es als eine mir entgegenkommende sanfte Prise Bestätigung, dass ich nun mit euch beiden hier wandle.

V

Er musste doch irgendeinen wunden Punkt haben, diese Ausgeglichenheit empfand ich als befremdend. Isabel schwieg heute, so erlebte ich sie eigentlich selten bis nie. Ich wollte sie nun an ihrem Arm fassen und fragen, ob denn bei ihr alles stimme; doch wieder hemmte mich etwas. Ich musste doch nur meine Hand in Richtung ihres Armes strecken, nur dieses winzig kleine Stück - in mir brodelte ein Vulkan. In letzter Zeit war sie häufiger gereizt, dies waren bei ihr, soweit ich sie vermochte kennenzulernen, eigentlich unübliche Verhaltensmuster. Sie neigte dazu, nun auch einmal wirsch zu reagieren.

Ich: „Isabel, wann sind wir da?"

Isabel: „Was meinst du mit wann?"

Ich: „Die Uhrzeit?"

Isabel: „Wo wir hingehen, gibt es so etwas nicht."

Ich: „Ja, was frage ich überhaupt!"

Sie schaute nachdenklich aus. Was war denn nur geschehen?
Nach wenigen Minuten schweigsamen Gehens sprach Isabel, so als müsste sie sich zumindest dies einmal von der Seele sprechen, denn es belastete sie wohl arg und schon lange:

„Wisst ihr, es ist nur schwierig, so viele Menschen kommen zu mir, weil sie dies anscheinend als Notwendigkeit betrachten. Sie laugen mich aus und es fällt mir schwer, mich immer wieder auf sie einzustellen. Jeder Mensch tickt nun mal ein wenig anders."

Sie erschien mir wirklich verstört, dabei sollte sie doch eigentlich mir helfen. Ich konnte sie irgendwie nun mal nicht in den Arm nehmen. Deshalb fasste ich meinen gesamten Mut zusammen und streckte meine Hand in Richtung ihrer Schulter. Ein seltsames Gefühl durchströmte mich, als breche ein jahrelang zugefrorener See langsam auf.
Irgendetwas bewegt sich und arbeitet im Eis. Es will raus, denn es hat ein Recht darauf nicht unter Metern von Eis begraben zu sein. Geht das überhaupt, dass nun in dieser Situation mein Arm sie berührt? Ich war fast da, während ich so langsam innerlich zusammenbrach. Dieses ungestüme Gefühl, dieser Drang mich an ihre Schulter zu lehnen und zu weinen; aber sie war es doch, die meiner Hilfe bedarf. Können wir nicht gemeinsam weinen? Nun berührte ich sie mit der Handfläche am oberen Arm. Ich ließ ihn ein paar Sekunden verweilen, dies hatte ich noch nie getan und empfand es als befremdend - aber auch irgendwie interessant. Es sollte eine Geste des Trostes sein - ich hoffe, sie verstand es.

Ich: „Das wird schon wieder. Gönne dir doch erst einmal eine Pause. Können ich und Julian dir vielleicht etwas abnehmen?"

Isabel: „Nein, was soll denn das?"

Ich: „Ich dachte nur ..."

Isabel: „Was John? Magst du es in der Gegend herum zu watscheln? Ja, wir sind ja schon da!"

Ich: Echt Isabel?

Isabel schaute mich genervt an und meinte wir müssen zu dem Baum, der auf diesem Hügel neben der Statue steht, die an den verstorbenen Flieger Uldan erinnern soll. Seine Maschine flog nie. Das wilde Gras des Hügels leuchtete hellgrün und verzauberte mich, die milde laue Luft schien mit dem sachten samtweichen Biegen des Rasens zu harmonisieren. Die Sonne stand hoch, doch es war eher, als schenke sie uns ihren Segen.

Ich: „Ja, das dachte ich mir schon."

Julian: „Das ist wirklich traurig. Fühlst du nicht die Demut, die diesem Objekt eingehaucht wurde von den Trauernden, die um diese Statue einst standen?"

Ich: „Dann lasst uns beten!"

Isabel: „Ja klar, du betest."

Der blühende Yulan-Magnoglien-Baum stand vor uns, die Pergionblätter strahlten im allerschönsten weiß wie zu einem Feste. Sein Anblick ließ mich bedächtig werden. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Freude zu schreien. Es war so hinreißend und wunderbar, wie seine sanften rosa- und grün-weißen Blüten aus den Blättern herauslugten. Der sanfte Wind raschelte im Baum und eine Blüte samt Blatt erhob sich im Wind, flog über unsere Köpfe, um im gütigen Grün zu landen, auf dem wir standen.
Ich ergötzte mich nicht daran, nein ich nahm es auf und wurde zum Bestandteil dieses Ortes. Ich fühlte die Magie und stellte mir vor, die weißen Blätter sowie die Blüten würden schweben. Alsbald begannen sie in der Luft zu tanzen, so wie ich es mir erträumte und vorstellte. Sie tanzten zu meiner Musik, sie schwebten zu meinen Gedanken auf und ab und manchmal flogen sie zur Seite.
Ein Schauspiel, eine Freude war es, die in mir einen Funken der Hoffnung zu sähen vermochte. „Siehst du das Isabel", schrie ich aufgelöst, doch sie stand nur da und schaute in eine andere Richtung, ihr Blick schweifte in die Ferne ... weit, so weit. Sie wirkte traurig und Julian, der war fort.
Nun wollte ich die Statue verwandeln, die auf mich wie ein erstarrter silberner Mensch wirkte. Sie war sehr klein. Julian, bist du das? Wo war er nur, der Clown mit der roten albernen runden Nase? Die Statue stand mit einem Bein nach vorne, so als wäre sie im Gehen erstarrt. Nun werde auch du zum Baum. Ich dachte Baum, Baum und sie wurde zum Baum. Sein Laub war bunt und verfault, sowie ein Herbstbaum ... ein kleiner Herbstbaum so wie Ich? Isabel schau, was ich alles kann, doch Isabel war gegangen.
Oh Isabel, was habe ich dir getan? So stand ich verloren und traurig herum für ein paar Minuten, um dann den Entschluss zu fassen, heimzukehren. Ich wollte meine Schwester unterstützen oder vielleicht war ich auch nur einsam, doch hielt mich nichts mehr von ihr und meiner Mutter fern. Isabel sah ich nimmermehr.

 

Ho,

Es war einmal vor langer Zeit, als Bäche noch von Magie angereichert, bedächtig hinabflossen und das Land in prunkvoller erhellender Güte ein Lächeln in die Gesichter der Fremdlinge hineinzuzaubern vermochte
Der erste Satz ist schon falsch.
Als Bäche noch von Magie angereichert bedächtig hinab flossen.
Das Komma, was du da drin hast, hinter „angereichert“, entweder muss da hinter „Bäche“ auch noch eins stehen, oder gar keins. Das ist eine Partizipialkonstruktion. Wenn man davon keine Ahnung hat – und das haben die wenigstens – lässt man vom verdammten Partizip besser die Finger.
Das zweite: „in prunkvoll erhellender Güte“ – da lass ich den Kellner kommen und sage: „Zahlen, ich bin satt“, also – nichts gegen ein bisschen Epik, aber das ist mal echt dick aufgetragen. In prunkvoll erhellender Güte – was soll das überhaupt sein? Der Bach erhellt das ganze Land mit seinem Prunk – okay, aber mit der „Güte seines Prunks“? Wirklich?

Sie wollten in die Gefilde vordringen, von denen sie angefangen hatten zu träumen in ihren Fantastereien.
Kein Artikel vor Gefilde, das killt den Klang.
Und nicht „angefangenen hatten“ – begonnen. Stilebene bitte, das muss man doch hören. Du kannst im ersten Satz nicht „prunkvoll erhellende Güte“ und dann im 3. „angefangen“ statt „begonnen“ – das sind Stilebenen, die dann durcheiannder gehen.

So nehmen sie ihr Leben wahr und existiere dieser Ort nicht
Du hast ein Talent dich in grammatikalisch und stilistisch komplexe Ecken zu schreiben. Hier willst du doch die indirekte Rede haben. Dann brauchst du 2mal Konjunktiv nicht nur einmal. Hier brauchst du „nähmen“. So nähmen sie ihr Leben wahr.

Denn um an jenen Ort zu gelangen, muss man in ein Loch springen, so sagt es die Legende.
„müsse“ und eigentlich auch „so sage“, oder bist du in einem ganz anderen Gedanken wieder?
Eben haben noch die „sie“ – du sagst ja gar nicht, wer das ist – ihren Schwestern und Brüdern davon erzählt in der indirekten Rede. Da musst du im Konjunktiv bleiben. Oder du bist hier schon wieder raus, auf einer anderen Erzählebene, und sagst was die Lege so zu sagen hat, das ginge im Indikativ.
Also wirklich. Großes Talent dafür, dich in komplexe grammatikalishe Probleme zu schreiben. :)

Natürlich gibt es verschiedene Varianten, doch sie alle erwähnen einen Ort, der vor Mystik und Zauberei regelrecht überquillt.
Immer noch dasselbe Problem. Und hier „Was leistet denn regelrecht?“ Das ist ja furchtbar in einem Fantasy-Text. Füllwort, wenn man doch grade das Bild haben will.

Schon oft habe ich von diversen einander ähnelnden Geschichten dieser Art gehört.
Der Satz ist cool wieder, das ist wie so ein Deutsch-Test. Finde den Fehler.
Diverse einander ähnelnde Geschichten dieser Art.
Hä? :)
Das sind 3 Glieder, die etwas ziemlich ähnliches sagen.
Divers heißt: einige verschiedene (aber im Kern durchaus ähnlich, wenn ich sage: Diverse Quellen haben berichtet, meine ich damit: Die FAZ, die Bild, die Taz, ich meine nicht: Die Faz, ein Huhn, der Mars und meine Mutter)
Dann: Einander ähnelnde – alles klar, das heißt „gleiche Art)“
Und hinten dran noch mal: Dieser Art
Also sagst du uns dreimal: Es sind verschiedene Geschichten, aber alle ähneln sich. Und das sagst du uns drei Mal.

stellte ich mal wieder zur Verwunderung meiner Freundin fest, die mich mit ihren großen klar funkelnden braunen Augen verdutzt anschaute und musterte.
Wo kommt denn jetzt auf einmal der „ich“-Erzähler her? Bis dahin war es doch ein „sie“ und „der Ort“.
Ich wittere weitere vorzügliche Grammatik-Probleme, in die dich der Ich-Erzähler gleich reiten wird!

Du glaubst doch nicht etwa, dass diese grob stoffliche und von Rationalität geprägte Welt alles ist, was das Leben an Schätzen beherbergt?
Hä? Die Welt ist der Schatz, der vom Leben beherbergt wird? Was? Du willst sagen: Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, das Eure Schulweisheit usw.
Das sagst du aber nicht, sondern du baust ein total schräges Bild da hin. Die Welt wird doch nicht beherbergt. Das Universum beherbert die Welt von mir aus. Beherbergt, das ist eine Herberge, das ist die Idee da, da wohnt die Welt im untersten Zimmer des Lebens, oder was? Sehr, sehr seltsam.
(Und die sprechen auch sehr seltsam).

der mich trotz meines kummernden Gemüts im Innern erweichen ließ.
„jummernden Gemüts“ – urgs.
Ja … das mit im Innern erweichen, wo denn sonst? Also im Äußeren erweichen, das wäre ja schlüpfrig.

In ihren Augen sah ich Ernüchterung, denn sie hatte wohl anderes von mir erwartet.
Willst du mir grade verklickern, dass da ein Typ und seine Freundin in einer Fantasy-Welt leben und noch nie über Zwerge gesprochen haben? Wenn ich mit einer Frau in einer Fantasy-Welt wäre, wüsste die aber ganz genau, wie ich zu der Z-Frage stehe.
Und das dieser eine Satz, dann immer gleich so Reaktionen auslöst, ist auch typisch. Also wenn ich jemandem was sage, entgleist ihm nie gleich riesig das Gesicht.

Ihre Augen waren nun vollgelaufen vor Trauer und Enttäuschung wie eine Badewanne, dessen Wasser fast über die Ränder schwappt.
Mann! Das ist trashig! Wie ein Schober, wie ein Badezuber, sowas wengistens.

"Ich bin eine Hexe, so oft habe ich es dir gesagt, dass ich Feen sehen kann", flüsterte sie zu mir herüber.
Sabrina? Bist du’s?
Also tut mir leid, aber ei ei ei ei ei ei ei ei.
Du bist hoffentlich noch sehr jung, oder?

Ja, die Beschreibung passt ja schon zum Teil zu ihr.
Da hast du mal einen halbwegs stimmungsvollen Absatz hinbekommen, wenn der Vater spricht, und machst ihn so kaputt mit diesem Schulhof-Sprech.
„passt schon zum Teil“

Ich kann dich zu jenem Ort führen, doch du musst bereit sein deine Ansichten zu hinterfragen",
Das ist so schlecht aufgebaut. Sorry, ich les jetzt auch nicht mehr weiter.
Kurz, wie der Text aufgebaut ist.
1. Irgendwelche Leute unterhalten sich irgendwo über irgendwas, vielleicht über Zwerge.
2. Auf einmal ist ein Ich-Erzähler da, der aber mit dem Gespräch gar nichts zu tun hat, und der hat eine Freundin.
3. Er sagt der Freundin, dass er nicht an Zwerge glaubt.
4. Die Freundin weint.
5. Die Freundin ist eine Hexe
6. Die Freundin lädt den Freund zu einem Abenteuer ein.

Da stellen sich mir doch echt ein paar Fragen. :)
Es ist erstmal, bevor du da 50 Seiten schreiben willst, echt wichtig, dir über STILEBENE Gedanken zu machen .Das ist das A und O bei deiner Schreibe. Stilebene. Wie klingt ein Satz, was ist das richtige Wort, wie will ich mich anhören, woran soll der Leser denken. Das geht kreuz und quer durcheinander bei dir, dadurch kriegt es etwas lächerliches. In einem Satz wirft sich einer in Pose, als stände er bei einem Mittelalter-Jahrmarkt in vollem Kostüm rum, und dann nuschelt einer im Straßenbahn-Deutsch daher.
Am Anfang eben: „Prunkvoller Glanz ihrer Güte!“ und dann dieses „ja, er hatte angefangen soundso“ – das ist wirklich eine Baustelle.
Und wenn du dich damit beschäftigt hast, und in einem Stil schreibst, in dem du dich wohl und zu Hause fühlst, passiert dir der ganze Grammatik-Kram nicht mehr und dann kannst du dich noch auf die Struktur deiner Geschichten stürzen und dich damit beschäftigen.

STILEBENE!!! Unbedingt! Da macht man sich lächerlich, wenn das schief geht.
Und ändere deinen Namen am besten noch, da denkt man bei „Lyrikexperiment“ immer, es kommt ein riesen Ding, und es ist halt – also ich geh mal davon aus, dass du noch sehr jung bist und zur Schule gehst – dann seltsam.

Wenigstens macht dir das Schreiben Spaß, aber wenn du nicht anfängst, dich mit deinen Texten auseinander zu setzen, dann wird’s dem Leser halt nie welchen machen

Gruß
Quinn

 

Ich bedanke mich für deine Antwort. Die liebe gute Grammatik gehört wirklich nich zu meinen Stärken, aber hoffentlich bessere ich mich diesbezüglich noch.

 

Hey, ich hab noch mal den Kommentar durchgelesen, vielleicht war ich bisschen schnippisch.
Alle deine Probleme resultieren daraus, dass du in einer Sprache schreiben möchtest, in der du dich nicht zu Hause und wohl fühlst. Das ist echt unheimlich wichtig, ich sag dir das als jemand, der selbst schreibt, es bei sich selbst beobachtet hat und bei vielen anderen: Schreib in einer Sprache, in der du dich wohl fühlst und die du beherrscht, die du richtig einschätzen kannst.
Und wenn du das kannst und hast eine Sprache gefunden und hast da ein paar Texte, wo du selbst sagst: Okay, sprachlich ist das gut, das Feld ist erstmal zur vorläufigen Zufriedenheit geklärt, dann kannst du anfangen, deine Stimme ein bisschen zu verstellen und neue Sachen auszuprobieren (das ist auch sehr wichtig):

Aber wirklich: Wähle eine Sprache, in der du dich wohlfühlst, dann tauchen die meisten Probleme mit Grammatik überhaupt nicht auf.
Es gibt in der deutschen Grammatik Ecken und Winkel, in die man nie auch nur einen Fuß setzen muss, und man kann trotzdem wunderbar schreiben. :)

 

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