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Der Magier und sein Süppchen
Die Temperatur unter dem riesigen Topf reichte nicht aus. Langsam hatte der Große Magier den Eindruck, dass niemand mehr Lust zum Arbeiten hatte. Der fette Kater sollte eigentlich den Blasebalg bedienen, aber er war nicht da, bei allen Teufeln der tiefsten Hölle! Er pfiff nach dem Unglücks-Raben, der sich eilfertig auf die Schulter seines Herren setzte und gefällig seinen Kopf neigte, um auch nicht den leisesten Ton aus dem Munde des Herrschers zu überhören.
„Such den Kater und schaff ihn mir herbei!“, sagte der Meister. „Es stinkt zum Himmel: das Feuer geht fast aus und der Faulpelz liegt irgendwo auf einer Mieze ...“.
Mit kräftigen Flügelschlägen entfloh der Rabe dem Bereich des gefährlichen Zornes, froh darüber, dieses Mal ungeschoren davon gekommen zu sein.
„Ich muss irgendetwas tun“, dachte der Große Magier, „und zwar ganz anders als bisher, sonst gelingt es mir nicht, ein rechtes Süppchen zu kochen“. Nach einem kurzen Blick über die Regale entschied er sich für ein Fläschchen mit der Aufschrift ‚Sand für die Augen’. Er schüttelte es kräftig, bevor er den Verschluss öffnete und den berauschenden, leicht fauligen Geruch einsog.
„Ja“, murmelte er vor sich hin, „davon ein paar Tropfen in den Kessel, das kann nicht schaden“. Inständig hoffte er, dass das Feuer nicht ausging, bevor der Kater kam, und er zählte vorsichtig sieben mal sieben Tropfen ab, die er dem Gebräu auf dem Herd hinzu fügte. Ein leises Blubbern sowie die Bildung kleiner Bläschen an der Oberfläche des Sudes stimmten ihn zuversichtlich, denn offenbar zeigten die Tropfen ihre Wirkung und waren nicht nutzlos vertan.
Alsbald stellte sich der Kater ein und ging sofort zum Blasebalg, um das Feuer kräftig zu schüren. Dem wütenden Fußtritt des Großen Magiers wich er geschickt aus; nur einem aufgebrachten Fauchen war zu entnehmen, dass er sich ungerecht behandelt fühlte.
„Was hast du dir zu den ewig leeren Kassen ausgedacht?“, versuchte der Kater schließlich ein Gespräch anzufangen. „Oder haben dir die fünf Auguren, deren Seelen schon öfter verkauft wurden als die Anzahl ihrer falschen Voraussagen, eine praktikable Lösung vorgeschlagen?“
Ungefragt kläffte ein schwarzer Pudel dazwischen, der sich lässig auf einer Bank streckte: „Wir haben uns für die Blätter der ‚X für ein U Pflanze’ entschieden“, bellte er bissig, „ich habe das Kraut letzte Nacht gleich hinter dem Galgenberg gerupft und ganz frisch in den Kessel getan. Es hat ein wenig nach Weihrauch gerochen beim Aufkochen. Ich denke, sie werden es wie Manna schlucken, hat es doch den anheimelnden Schein göttlicher Wahrheit“.
Der Große Magier begann, den Schaumlöffel schwingend, um den Herd mit dem Kessel herum zu tanzen. Flammen schlugen aus der Öffnung unter dem Kessel, züngelten an seinen Wänden empor. Im hellen Feuerschein konnte man die im Kreis sitzenden Meerkatzen erkennen, vornehm gekleidet und mit den ernsten Minen von Ministern und Staatssekretären. Zum Tanz des Meisters stimmten sie einen Singsang an:
„Koche, koche Süppchen,
wir füttern unsre Püppchen.
Die Suppe macht die Kindlein satt,
doch müde nicht. Wer schafft uns Rat?
Hexe komm geschwind herbei,
hilf uns beim Suppenallerlei!“
Unter dem Zwang der beschwörenden Formeln fuhr die Hexe aus dem Ofenrohr. Ein Stück rotglühendes Blech zischte mit bösartigem Surren durch den Raum.
„Warum habt ihr mich gerufen, Großer Magier?“, fragte sie sogleich, ohne sich der Mühe einer Begrüßung der Anwesenden zu unterziehen.
Gern wäre sie selbst an der Stelle des Meisters gewesen, aber ihre Stunde war noch nicht gekommen. Zu tief war noch der Schock über die Jahre, in denen so viel Kohl geredet worden war bei denen, auf deren Gunst sie angewiesen war. Doch sie war geduldig und wusste zu gefallen, wenn es sie ihrem Ziel näher brachte.
„Schau in den Kessel, was für ein feines Süppchen ich bereitet habe“, sagte der Bocksfüßige. „Viele Zutaten gab ich hinein, selbst die Früchte einer verrotteten Eiche mit der bekannten geldsaugenden Wirkung, und von meiner Muhme eine gespendete gespaltene Zunge. Doch fehlt eine entscheidende Ingredienz, so scheint es mir. Vielleicht hilfst du mir beim Abschmecken, ob dir etwas zum Verhexen einfällt?“. Verschlagen blinzelte der Große Magier die Hexe an.
Die mächtige Hexe, die dem noch mächtigeren Magier jetzt helfen musste, wenn sie ihn später vernichten wollte, beugte sich über den Kessel. Dann holte sie ihren schwarz-gelben Zauberstab hervor und rührte vorsichtig in dem brodelnden Sud, trennte rote von grünen Bestandteilen und sann über die Zusammensetzung nach. Schnell wurde ihr klar, dass mit dem üblichen Abrakadabra nichts auszurichten war. Es war eine ganz besondere Suppe, die hier gekocht wurde. Sie musste sehr lange reichen, vielleicht viele Jahre.
Nachdem die gerissene Alte alles reiflich geprüft und bedacht hatte, wandte sie sich an den Meister:
„Höre mich Herr, ich will dir das Süppchen vollenden. Der Ansatz ist wahrlich nicht ideal, doch lässt sich das nicht ändern. Gar viele Reförmchen und manche Reform kann sie bewirken, wenn man noch Brechwurz und Trollblume hinzu gibt. Das macht schlank und reinigt innerlich wie äußerlich. Die Därme entleert es wie geschmiert mit dem Öl aus der Hexenmilch. All das will ich dir dazu geben.“
„Willst du mich foppen, Hexe?“, rief drohend der Große Magier. „Nicht nach Mittelchen habe ich gefragt; die nehme ich gern, doch noch fehlt hier das Mittel!“.
Scheinheilig schaute ihn die Hexe durch ihre halb geschlossene Lider an. „Gib mir deinen Pudel“, forderte sie, „und ich will dir sogleich das Mittel beschaffen. Aber der Hund muss sterben, so will es der Brauch. Das ist mein letztes Wort.“
„Sprich weiter“, forderte der Große Magier, „und vollende das Werk. Es scheint, wir müssen alle Opfer bringen“. Auf den winselnden Pudel, dem Geifer aus dem Maul troff und der von einer Verschwörung vor sich hin bellte, hörte er nicht weiter.
Die Hexe rührte mit dem Schwarz-Gelben in der Suppe, bis sich eine Welle bildete. Dann hob sie diese mit einem Ruck heraus und sprach, rittlings auf ihrem Besen sitzend, die Beschwörung:
„Welle, walle mit dem Hund
im Mondschein in der Geisterstund
zu dem alten Galgenbaume
und bind den Hund an die Alraune.
Schreie Pflanze, stirb du Tier,
Welle, bring die Wurzel mir!“
Im Nu war das Werk vollbracht. Die Hexe gab die Wurzel in den Kessel und sprach eine weitere Formel:
„Zaubertrank, wirke geschwind,
lulle ein das große Kind,
lass des Volkes Zorn verrauchen,
mach es so, wie wir es brauchen.“
Verblüfft hatte der Große Magier die Zeremonie verfolgt. Verlegen wischte er sich ein paar Schweißperlen von der Stirn.
„Danke Alte“, sagte er anerkennend, „das hätte ich allein nicht geschafft. Es war gut, dass wir für den Moment unseren Zwist vergessen haben. Schließlich haben wir alle eine Verpflichtung, die über kleinliches Machtgerangel geht.“
Schwarz-rot-gelb kleckerte die Suppe beim Brodeln über den Rand des Topfes. Einige grüne Fäden darin störten nicht das Gesamtbild. Ein gelungenes Mahl war entstanden durch die vereinten Anstrengungen der Geister der Unterwelt.