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Eine kurze Erzählung aus der Sicht eines Mörders.
Der Mörder
Milo raste über die alte Landstraße, die Finger so fest ums Lenkrad geklammert, dass seine Knöchel weiß in der Dunkelheit schimmerten. Seine Ohren dröhnten noch und dämpften alle anderen Geräusche, sodass er nur ein leises Surren an Stelle des Motors hören konnte. Dann erklang ein anderes Geräusch in seinem Kopf. Ein leiser Kugelhagel, der wie ein Flüstern durch die Landschaft strich. Früher waren die Schüsse weit entfernt gewesen, Salve über Salve war monatelang in den Hügeln abgefeuert worden. Heute war nur ein Schuss gefallen, doch der war lauter gewesen als Milo es für möglich gehalten hatte.
Die Gasse war eng gewesen, der Idiot hatte ihnen Geld geschuldet und als er es nicht bezahlen konnte, hatte er sich entschieden eine Bar zu überfallen. Was der Idiot nicht gewusst hatte, war dass die Bar guten Freunden der Leute gehörte, denen er Geld schuldete. Milo wollte ihn am Eingang seiner Wohnung abpassen, doch der Idiot erkannte ihn und rannte. Er bog in die enge Gasse ab und da stand er als Milo ihn einholte, eine Ziegelmauer vor den Augen. Er drehte sich um zitterte. Bitte Mann, komm schon, ich wollte euch doch bezahlen, flehte er, doch Milo ging ohne zu denken drei Schritte auf ihn zu, setzte seine Pistole an den Kopf des Idioten und drückte ab. Dem Knall folgte ein lautes Surren und dann ein gedämpftes Plumpsen, als der Leichnam auf den Boden fiel wie ein Sack Mehl.
Das Auto kam zu einem schlitternden Halt. Milo stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. Er blies eine weiße Säule heraus, die sich in der Schwärze der Nacht verlor. Sein Leben ist noch schneller verloren gegangen, dachte er, jetzt ist er nur noch ein leerer Behälter mit einem klaffenden Loch wo sein Gesicht hätte sein sollen. Er sah die rote Grube vor sich, auf ihn starrend und er ließ die Zigarette fallen. Milo drehte sich zum Kofferraum zurück, er war noch immer geschlossen. Mit dem Fuß drückte er die Zigarette aus und ging in die Tankstelle hinein. Reihen von Lebensmitteln erstreckten sich vor ihm, nur ein rundlicher alter Mann stand an der Kasse.
„Abend“, sagte Milo.
„S’is nach Mitternacht Junge, weis nich ob Abend die richtige Begrüßung is.“ Der Alte kicherte. Milo ging nicht weiter darauf ein.
„Ich brauch eine Schaufel.“ Milo stützte seine Hände auf der Theke ab und lehnte sich vor, sodass er drohend vor dem Gesicht des Alten verharrte. „Hast du eine hier?“
Wieder kicherte der Alte, seine Augen glitzerten. „Und für was, wenn ich fragen darf, braucht man um diese Uhrzeit so dringend ‘ne Schaufel, dass man dafür bei ‘ner Tankstelle anhalten muss?“
Zwischen Reihen von Zigarettenschachteln in Glaskästen, die sich über die Wand hinter dem Alten erstreckten, bemerkte Milo ein einziges Bild. Ungefähr zwei Dutzend junge Männer waren in Uniform aufgereiht, manche in braun manche in grün. Alle hielten sie Gewehre in den Händen, Kalaschnikows oder Jagdgewehre. Ein ähnliches Jagdgewehr hing über einer Hintertür an der Wand. Miliz. Serben. Milos Blick verdunkelte sich weiter. „Ich arbeite,“ antwortete er schließlich, „Also hast du eine oder muss ich weiterfahren?“
Der Alte ließ nicht locker. „Schöne Arbeitszeiten hast du, dass du mitten in der Nacht schaufeln gehen musst, mein Junge.“
Milo ballte die Hand zur Faust. Der Kerl ist es nicht wert, er dachte an seine Ljuba, die Zuhause schlief, bald kann ich heim zu euch.
Seine Hand lockerte sich wieder. „Es is ein Ausnahmezustand, ich brauch die Schaufel dringend.“ Er kramte in seiner Hosentasche und holte fünfhundert Kuna aus seiner Geldtasche, die er auf die Theke vor den alten Mann legte. „Sehr dringend.“ Der Alte lächelte noch immer, doch das Glitzern war aus seinen Augen gewichen. „Ich schau hinten nach.“ Seine Stimme war flach. Er sperrte die Tür, über der das Jagdgewehr lauerte auf, trat durch und schloss sie wieder. Mit einem Knall. Der verging nicht sondern surrte weiter, bis Milo wieder die blutig klaffende Wunde vor sich sah. Er glaubte zuerst, sich die Feuergefechte wieder einzubilden, doch er bemerkte, dass sein Herz in seinen Ohren wie ein Schnellfeuergewehr pochte, während es Blut durch seinen Körper pumpte. Milo legte eine Hand hinter seinem Rücken auf die Pistole, die kalt in seiner Hose steckte. Ein Schweißtropfen rann über seine Stirn. Sein Blick verharrte auf der Tür und dem drohenden Gewehr. Jetzt schloss sich seinem pochenden Herz ein echter Kugelhagel an, er blickte erschrocken aus dem Fenster um plötzlich Regentropfen auszumachen, die gegen die Fensterscheiben prasselten.
Die Tür öffnete sich wieder. Der alte Mann hatte in einer Hand ein Bündel. Die andere steckte in seiner Jackentasche. Milo zeigte auf das Bild. „Du warst im Krieg?“ Der Alte schaute sich das Bild an und nickte. „Ja. Hab in Vukovar gekämpft, schon mal dort gewesen?“ Milo verneinte. „Schade,“ sagte der Alte, „is ‘n hübsches Städtchen. Wie alt wirst du damals gewesen sein Junge, zehn?“ „Ungefähr. Mein Vater hat auch gekämpft, er ist gestorben, bei Medak.“
Am Tag, an dem sein Vater gegangen war, hatten die Hügel geschwiegen, Milo konnte sich noch lebhaft erinnern. Er hatte den ganzen Tag am Bach verbracht, wo er sich an einem rostigen Nagel den Arm aufgeschnitten hatte. Seine Mutter war fürchterlich besorgt gewesen, er könne sich eine Blutvergiftung holen, doch Milo hatte sie nicht beachtet. Sein Vater, in dunkler Uniform, mit seinem Gewehr am Rücken, hatte ihm durchs Haar gefahren und gesagt, Das Blut, das da aus deinem Arm kommt, das ist das gleiche wie meines. Merk dir das. Jetzt geh die Wunde säubern, deine Mutter hat Recht. Dann war er fortgegangen und die Schüsse in den Hügeln hallten die nächsten Jahre jeden Tag leise durch ihr Dorf. Als sie verklungen waren, war sein Vater tot.
Der Alte hörte nicht auf zu lächeln, auch nicht als er sein Beileid aussprach. „Hör zu,“ sagte er und sein lächelndes Gesicht verriet noch immer keine Absicht, „Ich weis, dass du ‘n Mörder bist.“
Milo fühlte sich, als hätte der Alte ihm ins Gesicht geschlagen. Er stammelte, „Ich, ich bin kein-“ „Doch,“ unterbrach der alte Mann ihn, „du bist ‘n Mörder und versuch gar nicht erst es zu leugnen. Ich kenne Mörder, wenn ich sie sehe. Ich muss nich wissen was du genau getan hast, um zu sehen, dass du wen getötet hast, Junge. Ich seh‘s in deinen Zügen, wie du mich anstarrst. Du bist ‘n Mörder, genauso wie ich ‘n Mörder bin, genauso wie dein Vater vermutlich einer war. Und sein Vater vor ihm. Hier gibt‘s nur mehr zwei Arten von Leuten. Mörder und die,“ er knallte das Bündel auf den Tisch, Milo griff den Knauf der Pistole so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden, „die, die man begraben muss.“
Die rote Grube starrte ihn an. Schieß den Bastard ab. Doch Milo zögerte. Der Alte griff das Bündel und rollte es auf, um eine Schaufel zu präsentieren. „Nimm sie und mach deine Arbeit.“
Milo atmete heftig aus, er ließ seine Pistole los und nahm die Schaufel. Er war schon fast durch die Eingangstür, als er den Alten ihm nachrufen hörte. „Es is in deinem Blut, Junge!“
Milo stieg in sein Auto und blickte durch die Windschutzscheibe. Regen prasselte auf ein großes Feld, das sich gegenüber der Tankstelle in alle Richtungen erstreckte. Er startete den Wagen an und fuhr so schnell er konnte davon.
Nach einer Weile bremste er und bog in das Feld ein, wo er geradeaus über die nasse Wiese schlitterte, bis er die Straße hinter sich nicht mehr erkennen konnte. Beschissener Regen. Ich will heim, zu Ljuba … und meinem Sohn. Milo stieg aus dem Auto. Regen peitschte ihm ins Gesicht, er hörte jetzt nichts anderes mehr als das Gewitter. Seine Füße waren kalt und nass, doch wenigstens würde der Boden weich sein. Er nahm die Schaufel vom Beifahrersitz und begann hinter dem Auto zu graben. Bald wirst du auf die Welt kommen, ich werde für dich da sein, du hast mein Blut. Ich werde dich beschützen. Milo sah rot während er grub, die Scheinwerfer bluteten heiß in sein Gesicht. Als seine Schaufel auf harten Stein aufschlug, hörte er auf zu graben. Er öffnete den Kofferraum. Wie ein leeres Gefäß lag der Leichnam darin, zerfetztes Fleisch klaffte dort, wo sein Gesicht einmal war. Milo drehte sich weg. Die Grube war nicht besonders tief, höchstens einen Meter, doch er sah keine Steine an ihrem Grund. Nein, zwischen dem nassen Dreck schimmerte etwas weiß in die Nacht hinaus. Er kniete sich hin um es näher beobachten zu können. Ein krummer weißer Ast streckte sich ihm entgegen, während andere am Boden der Grube verstreut lagen. Kein Ast, daneben lagen Schädel. Knochen. Und die nasse Erde schimmerte rot wie Blut im Scheinwerferlicht. Milo hob den Leichnam aus dem Wagen und warf ihn in die Grube, zu den Anderen, nur ein weiteres Opfer, welches das Land mit seinen Knochen nährte.