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Der Lottogewinn
Ein gemütlicher Sonntagabend war das. Herr Kurz und Frau Kurz genossen die friedliche Ruhe, die wenige noch verbliebene Zeit in dunkler Vorahnung auf den sehr arbeitsreichen Montag, der gewohnheitsgemäß eigentlich nicht der angenehmste Arbeitstag in der Woche war. Das Bett war frisch überzogen und beide waren große Tatort Fans. Während dem Tatort merkt frau Kurz kurz an, dass er, Herr Kurz, doch nicht die Aufgabe des von ihr ausgefüllten Lottozettels vergessen solle. Sie weiß, dass Ihr Mann, ein fabelhafter Zahnarzt in seiner Arbeit ein Meister, aber sonst sehr zerstreut Dingen gegen über ist, für die er sich nicht wirklich begeistern kann oder ihn schlichtweg nicht interessieren. Beim Bohren eines Loches in den Zahn hingegen, beim Anpassen einer Krone, bei Hineinschrauben eines Zahnwurzelwerkzeuges, beim Schleifen eines Zahnes, beim Setzen einer Anästhesie, usw. war er nahezu unschlagbar.
Notwendige Vertragserklärungen, Anmeldungen von Mitarbeitern bei der Sozialversicherung, den Antrag für eine Anrainerparkerlaubnis, die Aufgabe eines Lottoscheines für seine Frau usw, das waren Dinge, die Herr Kurz gar nicht konnte. Jetzt drängt sich die Frage auf, warum die Frau daher ausgerechnet ihm, den Herrn Kurz, mit dieser Aufgabe betraute. Naja – es war die Macht der Gewohnheit, die Gemütlichkeit aber vor allem, Frau Kurz wusste wie es ihr gelänge diesen Auftrag auch durchgeführt zu sehen.
Der gemütliche Sonntag klingt aus. Ein Schluck vom guten Rotwein, eine letzte Zigarette und ab ins Bett. Dort noch ein paar Seiten lesen und schon ist der graue, kalte, verregnete – so hässliche - Montag da. Herr Kurz frägt sich am Morgen - vor allem am Montag - immer, weshalb die Menschen eine diametral gegen die Natur sprechende Lebensweise an den Tag legen; nicht nur am Montag auch die folgenden Tage. Weshalb muss der Mensch früher aufstehen, als er schläft. Weshalb muss er den Schlaf unterbrechen? Warum muss er Dinge vor dem Aufstehen tun?
In der Ordination angekommen, ist die Bitte seiner Frau längst vergessen, was seine Frau natürlich weiss. Daher läutet kurz vor der Mittagspause das Telefon. Herr Kurz plagt sich gerade mit der Einpassung einer Brücke ab, und schleift einen der darunter liegenden Zähne. Sich wirklich beim Zahnarzt wohl zu fühlen, ist kaum denkbar. Eine der zahnärztliche Assistentinnen, welche gerade nicht an der Seite dem behandelnden Kurz auf seinen Zuruf diverse Utensilen und Werkzeuge reicht, deren Fachbezeichnungen (Mundsperren, Wangenheber, Wurzelheber, Handmeisel, Scharfe Löffel)vieles über den Beruf des Zahnarztes preis geben, informiert Herrn Kurz vom Anruf seiner Frau. Sie sei noch am Apparat und müsste ganz dringend mit dem Dr. reden. Auf die Aufforderung erwidert Kurz – ziemlich genervt – „Sagen Sie ihr ich rufe zurück“. Nix da – die Assistentin kehrt nachdem Sie das Rückrufversprechen weitergeleitet hat, mit den Wort zurück „Es ist sehr dringend – sagt sie – Ihre Gattin.“ Sichtlich verärgert bricht Herr Kurz die Behandlung ab – zieht die Handschuhe aus – und geht zum Telefon.
„Was ist denn?“
Ich weiß mein Schatz, dir scheint das vielleicht nicht wichtig genug, aber bitte, bitte, vergiss nicht in der Mittagspause den Lottoschein aufzugeben.
JAAAA …. Kruzidür…..
Keine Minute dauert es, hat er den Wunsch schon vergessen. Der Anruf seiner Frau ärgert ihn dermaßen, dass er den eigentlichen Grund des Anrufes gleich vergisst.
Mit einer der drei zahnärztlichen Assistentinnen konsumiert er – wie immer in der Mittagspause – in einem um die Ecke gelegenen Restaurant sein Mittagsmenü.
Das Mittagessen ist vorüber. Eine ungestört zu bleibende Zufriedenheit umfängt Herrn Kurz. Ein paar Sonnenstrahlen verwöhnen sein Gesicht am Weg zurück in die Ordination. Wie schön doch die Wärme der Sonne ist. Kurz ist satt. Kurz ist glücklich. Kurz vergisst. Vergessen ist im Übrigen der wichtigste Grund für Glück. Die zahnärztlichen Assistentin fordert er auf, sie möge doch vorgehen, er müsse einen Sprung in die Trafik.
Herr Kurz kehrt mit einem Wochenmagazin und zwei Packungen Zigaretten in die Ordination zurück und verstaut alles hinter der Rezeption auf einem Regal. Der nächste Patient wartet schon im Behandlungszimmer, deutet ihm die Assistentin. Wie doch das wenige Glück in diesem Moment platzt. Wie eine Bombe zerreißt es die kurze zufriedene Zeit nach der Mittagspause. Es bleibt keine Zeit. Der Zahnarzt beginnt daher seine Arbeit am Patienten fortzusetzen.
Die Ordinationszeiten enden spätestens um 15 Uhr. Auch bei der Einteilung der Patiententermine wird darauf geachtet, dass der letzte Patient daher nicht nach 14:30 Uhr aufgerufen wird. Selten werden Patienten nach Hause geschickt.
Um 15 Uhr endet also der Tag. Mundhygienen stehen noch an, aber hierzu braucht der Doktor nicht in der Ordination zu sein. Die zahnärztliche Assistentin macht das.
Er fährt daher – wie immer am Montag – zu Franz. Mit Franz pflegt er und zwei weitere längst zu Freunden gewordene Spielteilnehmer – stets am Montag einen Bridge Nachmittag abzuhalten. Dabei wechselt der Ort – ebenso wie der Ausspielzyklus – im Uhrzeigersinn der Spielteilnehmer. Heut ist Franz der Gastgeber, und bei Franz ist es immer besonders nett.
Franz weiß besonders feine Fingerhäppchen zu servieren. Meist macht er sich die Arbeit schon am Wochenende diese auszuwählen und vorzubereiten. So steht heute, neben selbst gemachten Aufstrichen, einer Grammelbogatschn mit foigrois, selbstgemachte Hühnerleberaufstrich auf dünnem getostetem Weißbrot und – und das ist sozusagen eine Krönung – eine kleine Variation von Nachspeisen (cheesecake / petit foi / klein geschnittener Apfelstrudel) auf dem Tisch. Dies als Begleitung zum Bridgespiel – das – so Franz – man nie zu Ernst nehmen darf. Führt nur zu fürchterlichen Konflikten, wenn man es zu ernst nicht. Er sieht die Brötchen und Nachspeisen daher als ein Mittel um seine Meinung – wie man Bridge spielen sollte – zu verwirklichen.
Die Runde beginnt. Man spielt immer drei Runden. Das Team das zwei gewinnt – gewinnt. Wie immer gewinnt Nort – Ost die erste Runde, Süd – West die Zweite, wobei als Runde der Gewinn eines ganzen Spieles gemeint ist. Dh das solange gespielt wird, bis die Punkteanzahl erreicht ist, die zu erreichen ist (so denkt sich Kurz, wie allerdings gezählt wird mit contra und recontra, mit der Bewertung der Farbe und der Anzahl der Stiche – das weiss Kurz nicht). So begüngt sich daher Kurz mit dieser Erklärung.
Zu den Brötchen wird Bier, Wein und selbstverständlich schottischer Whiski serviert. Man spielt auf einem eigens hiezu gefertigen Spieltisch in der Bibliothek im Haus. Die Wände, die Decke schweres schönes Kirschholz. Der Spieltisch mit seinem Samtbezug. Für je zwei der Spieler ein kleiner Beistelltisch – wohl gemerkt teilen sich zwei Spielteilnehmer jeweils aus dem gegnerischen Feld das Beistelltischchen mit den Brötchen. Einfach eine Freude. Einer der Spielteilnehmer – Frau Bogner – nimmt es mit dem Spiel etwas ernster. Daher liegt ein kleiner Notizblock am Tisch auf welchem Sie die bereits gespielten Karten notiert, um mit der letzten Karte in einer Farbe noch einen grandiosen Stich zu erzielen, so sie zum Spielzug kommt. Sie ist mehr am Spiel und an diesem einen Zug interessiert, als das Spiel zu gewinnen. Horst hingegen ist verbissen. Der dritte in der Runde, Rudolf, spielt gern, isst gern, vergisst gern und träumt gern. Kurz und Rudolf mögen einander sehr.
Es kündigt sich die letzte Partie an. Ein Blick auf die Uhr lässt alle erschrecken. Franz hat die ursprünglich in der Bibliothek befindliche Uhr verräumt. Er mag es gar nicht in so schönen Stunden durch einen Dong der Uhr gestört zu werden. Mag nicht – wenn er gerade – völlig hingebungsvoll in einem Buch sich verliert, durch einen Dong dieses wunderschöne Gefühl zu zerstören. Er mag das nicht, also steht jetzt die Pendeluhr im Keller.
Es ist 21:12 Uhr, und sie spielen seit 16 Uhr. Kurz schreibt seiner Frau, dass er spätesten um 22:15 da ist.
Sie antwortet mit einem verständnisvollen Smiley. Manchmal,denkt sich Kurz, wäre er jetzt bei einer Freundin, und wüßteseine Frau nichts von der Freundin, dennoch, aus einem nicht erklärbaren Grund – es käme kein verständnisvolles Smiley – wie immer diese Antwort aussieht. Es ist ein besonderer Sinn den Frauen besitzen.
Das Spiel endet nach einem contra viel früher als erwartet, welches dazu führt, dass bereits die Partie die ausgespielt wird zum Gewinn von Süd West führt. Brötchen sind bis auf das letzte aufgegessen, einzig ein Stückchen cheese cake liegt noch da.
Kurz springt auf. Dabei merkt er, dass er wohl eine Glas zu viel Whiski getrunken hat. Eilt zur Gaderobe nimmt zuvor sein Sakko vom Sessel, verabschiedet sich herzlich aber sehr kurz, und eilt zum vor dem Haus parkenden Auto. Franz ist sehr wohlhabend. Vor der Villa kann man direkt parken, es ist alles Privatgrund hier.
Im Auto, am Weg nach Hause verzehrt er noch das letzte Stückchen cheese cake.
Zuhause angekommen, begrüßt ihn seine Frau mit einem Kuss – sehr liebevoll. Kurz legt das Gewand ab, stülp seinen Bademantel um, nimmt sich ein Glas Rotwein und gesellt sich zu seiner lieben Frau ins Wohnzimmer, die vor dem Fernseher sitzt.
Eine Werbepause kündigt die Lottoziehung an.
Kurz ist derart glücklich, dass ihm jedes Gefühl, jede Vorahnung für den gefährlichen Moment fehlt. Mit reinem Gewissen sitzt da. Die Ziehung läuft gerade. Seine Frau – auch ein wenig in der abendlichen Sorglosigkeit – beobachtet zwar die Ziehung der Lottozahlen, schenkt aber nicht die sonst zu erwartende aufgeregte Aufmerksamkeit dieses Ereignisses, sondern stöbert währenddessen in einem Frauenmagazin.
Plötzlich hebt sie den Kopf. Springt vom Sessel und läuft in die Küche um einen Notizblock samt Kugelschreiber zu holen, stürmt zurück und erreicht gerade noch rechtzeitig jenen Teil der Lifeziehung bei welchem die gezogenen Zahlen nochmals in aufsteigender Reihenfolge genannt werden. Danach stürmt sie wieder in die Küche. Dort liegt in einer Glassichtfolie sauber aufbewahrt ein Durchschlag aller von Ihr gespielten Lottoscheine, welche noch teilnahmeberechtigt sind. Sie setzt sich – diesmal – gleich auf einen Küchenstuhl und vergleicht die gespielten Zahlen mit den gezogenen.
Ihr Atem stockt. Nochmals prüft sie die Übereinstimmung der Zahlen. Dann sitzt sie starr da. Einen kurzen starren Moment, wie der Gräber eines verborgenen Schatzes, wenn er vor der gefundenen Truhe steht. Ein kurzes Luftanhalten und dann – ein überschäumendes Freudegefühl, dass den ganzen Körper durchdringt. Sie springt vom Sessel läuft ins Wohnzimmer, umarmt den im Ohrensessel sitzenden Kurz und flüstert ihm, mit erregter leiser Stimme – Mein Schatz wir haben gewonnen.
Stille
Herr Kurz fühlt die warme Backe auf seiner. Er erstarrt. Er nutzt dieses kleine ihm bleibende Zeitfenster um einen Freudenschrei zu erzwingen. Er springt aus dem Ohrensessel und tanzt und umarmt seine Frau.
Vor langer Zeit hatte Herr Kurz einen Gedanken. Er wollte den Unterschied zwischen einem Erfolgsmoment welcher auf einer Einbildung fußt zu einem solchen welcher auf Tatsachen fußt erforschen. Er wollte wissen, ob genau in diesem Moment des Erfolges, des Glückes, der erfreulichen Mitteilung in jenen Fällen, in denen diese Momente auf einer Einbildung, Lüge, falscher Annahme beruhen, dieselben Gefühle beim Betroffenen hervorrufen, wie solche Fälle, wenn sie auf Tatsachen fußen. Nein meint man zunächst. Aber Kurz meint, es gäbe einen Unterschied. Der Versuch diese Unterschied herauszuarbeiten, wäre auch für andere Zusammenhänge wichtig, denkt Herr Kurz. Allerdings verrauchen diese seine Gedanken sehr schnell. Weiß er doch in welcher Bredouille er sich jetzt befindet.
Diese Gedanken sind es, die seinen Kopf durchströmen als er sich redlich bemüht, ein Glück vorzutäuschen.
Es wird eine Flasche Wein geöffnet, Champagner gibt’s leider keinen. Frau Kurz meint, dass die Quittung des Lottoscheines jetzt sehr sorgsam aufbewahrt werden müsse; „Wo ist denn die Quittung“. In der Ordination hätte er sie am Rezeptionspult liegen gelassen. Aber Sie solle unbesorgt sein, gleich morgen in der früh wird er sie im Tresor verstauen, damit sie ja nicht in Verlust gerät. Frau Kurz ist beruhigt. Aber wir löst man einen solchen Gewinn ein; geht man in die Trafik?
Ein friedlicher, glücklicher Schlaf war das – für Frau Kurz. Herr Kurz hingegen schlief gar nicht gut.
Am nächsten Morgen beeilt sich Herr Kurz der erste in der Ordination zu sein. Er glaubt schon selbst daran, dass er den Lottoschein aufgegeben hätte und die Quittung am Arbeitsplatz läge.
Was tun? Was tun?
Guter Rat ist jetzt sehr teuer!
Also: Herr Kurz studiert die Spielbedingungen, genauer die Auszahlungsbedingungen. Zeit gewinnen, Zeit gewinnen.
Welch Hoffnungsschimmer. Die Auszahlung von Großgewinnen erfolgt 4 Wochen nach der Ziehung. Welch Glück. Vier Wochen gewonnen. Jetzt nur keine Panik.
Nur Zeit gewinnen um über eine Lösung nachzudenken. Also zunächst Frau Kurz erklären, dass nach Auskunft der Lotteriegesellschaft die Auszahlung des Gewinnes frühestens 4 Wochen nach der Ziehung stattfindet. Das Wörtchen „frühstens“ ist kein Zitat der Teilnahmebedingungen. Es ist natürlich von Herrn Kurz eingewoben. Es ist derart bedeutungslos betont, so schnell eingefügt so flügelhaft in seiner Bedeutung, dass natürlich Frau Kurz auf dieses Wort keinen besonderen Wert legt.
Für Herrn Kurz hingegen ist dieses Wort eine weitere Hoffnung, eine Türe am dunklen Ende des Tunnels welche er noch aufstossen kann um vielleicht eine Woche, vielleicht auch nur ein paar Tage oder gar nur einen Tag zu gewinnen.
Jeder Tag vergeht schneller als der Tag zuvor. Herr Kurz hofft dass die Zeit stehen bleibt, dass sie langsamer verläuft – aber nein – sie rast.
Am 10 Tag geschah dann etwas Unerwartetes. Herr Kurz hatte plötzlich keine Sorge mehr. Er kann nicht sagen warum, er kann es nicht erklären, weshalb plötzlich der Druck nachließ; offenbar tief in seiner Seele oder seinem Verstand hat er erkannt dass es keine Lösung gibt. Hat er verstanden, dass die Suche um eine solche vertane Zeit ist. Daher schreiten wir doch dem unvermeidlichen gelassen entgegen. Wenn das Schicksal eine Lösung findet, dann widerfährt es uns ohnehin. Wenn das Schicksal uns im Stich lässt, lässt es uns im Stich. Nichts ist mehr beeinflussbar. Herr Kurz ist eine Nussschale im Schicksalsmeer. Er lässt sich treiben, genießt es in den Wellen zu schaukeln und die Sonne auf seinem Gesicht zu spüren.
Das was diese wunderbare Zeit stört, ist seine Frau. Immer wieder schwärmt sie von den vielen Dingen die sie jetzt gemeinsam oder auch alleine machen könnten. Von fernen Reisen, die über mehrere Monate währen, die Welt zu entdecken, das Haus der Eltern am Land grunderneuern, ein neues Auto anschaffen, usw.
Frau Kurz disponiert. Sie hat bereits Ihren Halbtagsjob den sie überwiegend von zu Hause aus bewältigte, gekündigt. Sie hat bereits Angebote für Weltreisen gesammelt. Es muss ein neues Auto sein – und weil die Lieferzeiten ohnehin so lange dauern, hat sie das neue Auto auch gleich bestellt und anbezahlt. Dies mit den angesparten Reserven, welche eigentlich für Notfälle gedacht sind – jetzt kann es ja keinen Notfall mehr geben.
Die Wellen auf dem Schicksalsmeer werden höher, denkt Herr Kurz. Aber sie haben seine Nuß noch nicht erreicht; also weitertreiben, weiter gedankenverloren – ja verantwortungslos die Zeit verstreichen lassen. Man kann ohnehin nichts tun.
Die Zeit vergeht – das ist ganz gewiß – und in solchen Lagen besonders schnell, das ist offenbar ein Naturgesetz. Man könnte das Verstreichen der Zeit mit tagelangen Kokainnächten vielleicht verlängern. Aber das führe nur zu richtigen Panikattaken. Also lässt Herr Kurz das. Er arbeitet in der Zeit aber viel mehr. Er bleibt länger in Ordination, verbringt länger mit den Gehilfinnen nach Dienstschluss Zeit; lädt alle zum Essen ein, usw. Er will einfach die Zeit die er mit seiner Frau zu verbringen hat, auf ein Minimum reduzieren. Erspürt, wie froh er ist, nicht bei seiner Frau Kurz zu sein.
Das ist schon seltsam – was so ein Lottogewinn, sei er auch eingebildet, bewirkt.
Es hilft nichts. Herr Kurz – er weiß er muss die Wahrheit sagen – entscheidet sich jedoch, dies in der letzten möglichen Minute zu tun. „Lass Sie schwelgen in Ihrem Glück“, denkt er sich – soviel Glück wird sie nie wieder empfinden, weiß Herr Kurz. Und danach – nach der Offenbarung – danach wir sie ohnehin sehr, sehr unglücklich sein.
Also behindert er Frau Kurz in keiner Weise. Ja er bestärkt sie sogar in Ihrem Irrglauben und wünscht das größte Extrapaket beim neuen Auto. Es wird nicht die billige Klimaanlage für das Haus der Eltern gewählt; nein die teure ohne zu wissen, ob es tatsächlich einen qualitativen Unterschied gäbe.
So vergeht die Zeit und dann ist der Tag gekommen, der 1 Tag nach Ablauf der Wartefrist oder Abkühlphase, welches Wort eine ganz neue Bedeutung für Herrn Kurz gewann.
Frau Kurz will an diesem Tag doch gleich zur Zentrale der Lotterien mitfahren und dabei sein, wenn das Geld überwiesen wird. Das ist leider unmöglich, weil ich ja heute die Kieferchirurgin bei mir in der Ordination habe. Und wir wissen nicht wie lange der Eingriff bei der Patientin B dauer. Es könne eine Stunde sein, es können aber auch drei Stunden sein. Sie solle sich keien Sorgen machen, sobald er bei der Lotteriezentrale alles erledigt hätte, ruft er sie an.
Der Nachmittag vergeht. Das Telefon leutet nicht. Herr Kurz verläßt um 15 Uhr die Ordination. Herr Kurz weiss was er jetzt zu tun hat.
Er öffnet die wohnungstüre und trifft seine Frau auf der Terasse sitzend an. Sie schmunzelt ihn an – immer noch im festen Glauben, alles wäre gut. Herr Kurz offenbart ihr, dass er den Lottoschein nicht aufgegeben hat.
Stille – fast dieselbe Stille die Frau Kurz bei der Ziehung der Lottozahlen empfang – Stille. Tränen fließen, der Unterkiefer von Frau Kurz beginnt zu zittern. Das heulen mengt sich unter das Tränenmeer – sie steht langsam vom Sonnenliegestuhl auf – sie dreht sich um – sie geht in die Garderobe – Kurz folgt ihr nicht.
10 Minuten später steht sie da mit dem gepackten Weekender. Sie verlässt ihn – sie sei ihr ganzes Leben noch nie so enttäuscht worden, wie kann er nur auf so etwas vergessen – ach Gott sie hätte es wissen müssen; sie will und kann mit Herrn Kurz – nach diesem Erlebnis –mehr zusammensein. Immer wenn Sie ihn sieht würde ein wilder leidenschaftlicher Zorn ja ein Hass in Ihr aufsteigen; das funktioniert nicht – es ist aus.
Herr Kurz bleibt regungslos auf einem Teaksessel neben der Sonnenliege – auf welcher seine Frau noch vor wenigen Minuten ihr Sonnenbad nahm, – sitzen und sieht auf die Wohnungstüre die gerade frisch zugeschlagen wurde. Auf der Sonnenliege riecht er noch die Haut seiner Frau.
Herr Kurz bildet sich ein, dass das Türblatt noch zittert vom wutentbrannten Zuschlagen – und plötzlich, plötzlich
breitet sich in seinem Gesicht ein breiter, breiter Grinser aus.