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Der Leviathan von Nova Concordia
Numeri 16, 32
Nova Concordia, zwölf Lichtjahre vom Zentrum der Föderation entfernt im Sonnensystem Cagri 2 gelegen, viele Arten von Gemüse exportierend und vor 60 Jahren noch Kolonie, erlebte wieder einmal eine Regierungskrise. Der Senat diskutierte ein Misstrauensvotum. Der Oppositionsführer prangerte die stümperhafte Haushaltspolitik der Regierung an. Das ging nun so seit einigen Stunden. Man fürchtete ihn wegen seiner Pedanterie und wegen eines phänomenalen Gedächtnisses für Fakten. Äußerlich verliehen ihm sein Bart und sein ausgeprägter Kiefer das Aussehen eines vorsintflutlichen Raubtiers. Unbeirrbar hallte seine Stimme in den konzentrischen Sitzreihen wider:
"... gab S., ein Beamter im Finanzministerium an, wie sie im Bericht des Untersuchungsausschusses nachlesen können, von der Ministerin selbst den Auftrag bekommen zu haben, alle Daten über Geldflüsse in ein geheimes militärisches Projekt mit dem Codenamen 'Leviathan' verschwinden zu lassen. Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Was will die Regierung vor uns verbergen? Wollen wir wirklich weiterhin zusehen, wie Unsummen in dubiose Projekte fließen, während der Staatshaushalt Jahr für Jahr ein neues Rekorddefizit aufweist?"
Die Vorsitzende der "Partei für Reformen" lehnte entspannt in ihrem Stuhl, kaute am Bügel ihrer antiken Brille, lächelte von Zeit zu Zeit zu den Reihen der "Demokratischen Union" hinüber. Dort freilich verrieten die Gesichter wenig Begeisterung.
Und der Premierminister selbst? Gab er sich schon geschlagen? Dieser nichtssagende Mann, der seit drei Jahren regierte und mit dem nicht einmal die Karikaturisten etwas anfangen konnten. Immerhin betätigte er sich manchmal als Vermittler in Krisenregionen (Erde, Alpha Centauri usw.). Er war einer von diesen Parteisoldaten. Vor zwei Jahren hatte er dann einen Politikberater, einen gewissen "Ndok" aus dem Elysium-Nebel, engagiert. Dessen Methoden galten als unorthodox aber wirkungsvoll ...
Als sein Kontrahent endlich fertig war, ging der Premierminister zur Rednertribüne, räusperte sich. Ohne auch nur einen Kommunikator bei sich zu haben, oder den Holo-Teleprompter zu benutzen, begann er zu sprechen: "Sehr geehrter Herr Vorsitzender, geehrte Abgeordnete! Sollte Schadensbegrenzung Ihr Anliegen sein, würde ich Ihnen raten, auf schnellstem Weg die Plätze der Opposition zu verlassen."
Spöttisches Gelächter im Plenum. Weiter oben, auf den Zuschauertribünen, saßen Reporter, manche aus weit entfernten Welten und musterten den Premier mit Aasgeierblicken. Sensoren vermaßen Körpersprachen. "Er scheint ja gut in Form zu sein", flüsterte der Korrespondent von "Neue Horizonte" seinem Aufnahmetechniker, einem Lauscher vom Planeten Uria 3, zu.
Plötzlich zerriss ein Unheil verkündendes Ächzen die Luft. Der Fußboden knirschte! Tumult brach aus. Schreie ausstoßend sprangen die Abgeordneten von ihren Plätzen. Manche stürzten über die Sitzreihen hinweg auf den Ausgang zu. Lautsprecher dröhnten. Der Fußboden brach auf! Während die gesamten Abgeordneten der Oppositionsparteien in das Loch im Boden stürzten, oder ihm entkommen wollten, rief der Vorsitzende scharf nach Ordnung.
Dann Totenstille! Alle Augen schauten auf den riesigen Krater. Auch Teile der Außenwand stürzten ein. Über die verbliebenen Reihen im Saal legte sich eine Staubschicht. Das Publikum auf den Rängen saß da wie vom Donner gerührt.
Nur die Schritte des Premierministers hallten durch den Saal, als er unter verstörten Blicken, vor allem der Kritiker in der eigenen Partei, an seinen Platz zurückkehrte.
Dann ertönte die Stimme des Vorsitzenden: "Meine Damen und Herren! Bitte schreiten Sie zur Abstimmung!"