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Der letzte Tag

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23.03.2017
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Der letzte Tag

Der letzte Tag


Seit dem Aufstehen spüre ich ein gefräßiges Etwas, das heute zusammen mit mir aufgewacht ist und an meinen Nerven nagt. Nach der Dusche hat es sich zunächst zurückgezogen, aber kaum habe ich mich an den Tisch gesetzt und bei einer Tasse Kaffee den Kalender aufgeschlagen, kommt es wieder. Heutiger Termin: Die Ankündigung einer freudlosen halben Stunde voller Glückwünsche und guter Ratschläge. Danach ist der Kalender leer.

Ich habe mir meinen Ruhestand einmal im Anschluss an einen Banktermin vorgestellt, weil mich jemand nach meinen Vorsorgeplänen gefragt hat. Es sollte ein beschaulicher Lebensabend sein. Ein kleines Häuschen in der Provence, das in ferner Zukunft auf mich wartet. Genauer gesagt im Jahr 2038. Auf eigenen Wunsch vielleicht auch früher. Aber alles ist schneller gegangen und mit einem eigenen Wunsch hatte es nichts tun. Ein ernster Zusammenbruch (Ursache physischer Natur!), schon stand der Termin im Kalender. Dazu kam eine zwanzig Jahre jüngere, belastbare Ausgabe meiner selbst, die meine Stelle übernehmen wird und die ich in den letzten Wochen per Skype – schließlich war ich krankgeschrieben – mit den wichtigen Abläufen vertraut machen durfte.

Heute ist casual Friday. Meine Sachen liegen bereit, wie immer am Vortag herausgelegt. Ob zwecks Verabschiedung eine Krawatte angemessen ist? Ich vermute, einer meiner Vorgesetzten wird anwesend sein und ich will auf keinen Fall einen schlechten Eindruck machen. Ein kurzer Blick auf die Uhr, der Griff nach dem Jackett und ich gehe, mein Etwas im Schlepptau, zur Tür.
Ein gestern in Augenhöhe angebrachter Zettel bringt mich mit dem Hinweis aus dem Konzept, heute, entgegen aller Gewohnheit, an meine Ersatzschlüsselkarte zu denken. Im ersten Moment will ich sie holen, entscheide mich aber doch dagegen. So habe ich Grund zu einem späteren Besuch und den letzten Tag in der Firma durch diesen Kunstgriff noch einmal aufgeschoben.
Der Weg zur Arbeit dauert mit dem Auto kaum zehn Minuten, trotzdem fahre ich immer mit einem Puffer von weiteren zehn. Die Vorstellung, zu spät im Büro zu erscheinen, ist mir ein Gräuel. Heute allerdings sehne ich mich geradezu danach, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Irgendetwas, das die Gleichförmigkeit meiner Routine durchbricht und mir erlaubt, den kurzen Weg auszukosten. Als nichts passiert, fahre ich eine Querstraße vor meinem Arbeitsplatz plötzlich ab und will einmal um den Block. Kaum abgebogen, fühlt es sich falsch an: eine trotzige Geste, lächerlich in ihrer Plattheit. Ich wende, parke den Wagen in der Tiefgarage und fahre hinauf.

Um 8:02 Uhr öffnen sich die Fahrstuhltüren: Die Empfangsdame sieht auf und rüstet sich zum Gruß. Sie staunt wahrscheinlich nicht schlecht, als sich die Türen mit einem leisen Pling wieder schließen, ohne dass ich ausgestiegen bin. Als sie, neugierig geworden, den Etagenknopf drückt, der die Tür des Aufzugs öffnet, und einen Blick hineinwirft, stehe ich erstarrt in der Mitte der Kabine. Erst auf die Frage, ob alles in Ordnung ist, vermag ich zu reagieren.

„Ich bin noch nie zu spät gekommen“, sage ich etwas hilflos in dem Versuch zu erklären, was eben passiert ist. Ich kann ihr ja schlecht erzählen, dass Etwas habe angesichts der künstlichen Verspätung Hunger bekommen und wieder an meinen Nerven genagt. Auch wenn das der Wahrheit entspricht.
„Wenigstens ist das erste Mal auch das letzte Mal, dass Ihnen so etwas passiert“, antwortet sie eifrig und lächelt mich aufmunternd an. „Ich bringe Ihnen gleich einen Kaffee, dann haben Sie etwas zum Wärmen, während Sie Ihr Büro ausräumen.“
„Lassen Sie nur, Frau Kappnik, das ist nicht nötig. Ich brauche nicht lange. Sind ja nur ein paar Sachen“. Mit wiedergewonnener Kontrolle über meine Muskeln haste ich an ihr vorbei zu meinem Arbeitsplatz. Schnell schließe ich die Tür hinter mir, setze mich an den Schreibtisch und lasse zum Abschied meinen Blick durch den Raum schweifen. Ich mochte mein Büro. Es ist recht hell, ansonsten typisch für den Mittelbau. Nicht zu klein, aber eben auch nicht so groß, dass es für mich nicht seit meinem Einzug Ansporn gewesen wäre, mich weiter unermüdlich in meine Arbeit hineinzuknien, um irgendwann in ein wirklich großes und noch helleres Büro umzuziehen. ,Schluss mit der Träumerei’, ermahne ich mich. ,Hör auf, das Ding in dir zu füttern! Es wächst nur und lacht über dich.‘ Ich sehe auf die Uhr und verstaue die wenigen persönlichen Dinge – ein Bild meiner Eltern, meinen Füllfederhalter und ein bisschen Kleinkram – in meiner Aktentasche. Dann mache ich mich auf den Weg zum Aufenthaltsraum, in den mich meine ehemaligen Kollegen zitiert haben.

Das halbe Dutzend bekannter Gesichter aus meiner Abteilung hat sich artig um den in der Mitte stehenden stellvertretenden Abteilungsleiter Lohmann aufgestellt. Ein etwas gezwungener Applaus empfängt mich und ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab. Jemand drückt mir, als ich nähertrete, ein Stück Kuchen in die Hand. Lohmann, ein sonnengebräunter Mittvierziger in Jeans, Hemd und tailliertem Sakko, schüttelt mir die kuchenstückfreie andere. „So förmlich, Stickel? Es ist doch Freitag“, sagt er mit gespielt strengem Gesicht, lächelt dann aber milde, als wolle er mir den krawattenen Fehlgriff ausnahmsweise noch einmal durchgehen lassen. Hätte ich mir eigentlich denken können, was ist schon eine Abschiedsfeier gegen die Macht der Gewohnheit.

„Der Chef lässt sich entschuldigen. Er hat ein strategisches Meeting mit Ihrem Nachfolger. Ich war vorhin schon kurz dabei; alles state of the art, was der einbringt! Muss nach dem Termin hier auch gleich wieder hin.“ Es entsteht eine etwas peinliche Stille, da ich nicht so recht weiß, was ich antworten soll, und stattdessen den Kuchenteller in meiner Hand mustere.

„Aber egal! Der Chef bat mich, Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg zu wünschen und Ihnen im Namen der Firma diesen Gutschein für ein Wellnesswochenende in Bad Godelsberg zu überreichen. Damit Sie mal so richtig ausspannen können.“ Seine Stimme hat sich merklich gehoben, so, als wolle er sichergehen, dass jeder der Kollegen Zeuge dieser großzügigen Geste wird. Einmal in Fahrt, preist er meine zuverlässige Arbeit. Man solle sich doch bitte am unermüdlichen Einsatz des Kollegen Stickel ruhig ein Vorbild nehmen. Er betont es, schließlich bin ich für den Augenblick so etwas wie ein Kollege der Herzen. Wieder gibt es Applaus und man schüttelt mir der Reihe nach die Hand, wünscht alles Gute, ab und an ergänzt von einem: „… der Kuchen ist köstlich! Den müssen Sie gleich noch probieren.“ Ohne rechten Appetit tue ich ihnen den Gefallen. Es wird viel geredet, aber wenig gesagt. Keiner fragt mich nach meinen Plänen, aber ich hätte ohnehin nichts zu antworten gewusst. Ich hoffe inständig, dass der Spuk bald vorübergeht.

Die nun unwiederbringlich ehemaligen Kollegen wünschen mir noch einmal das Beste und verschwinden wieder in ihren Büros. Als sie gegangen sind, tritt Lohmann an mich heran. „Was für ein netter Abschied! Sie wissen ja, wir legen immer größten Wert auf ein gutes Miteinander. Ich finde, ein gelungener Ausstand ist als Teambuilding-Maßnahme eine feine Sache. Da wissen die Leute: Die Firma und die Kollegen kümmern sich bis zum letzten Moment.“ Mit leuchtenden Augen schüttelt er noch einmal meine Hand. „Ach, eines noch, bevor Sie gehen. Sie haben doch bestimmt an die Ersatzschlüsselkarte gedacht?“
Ich bin überrascht. Mit so einer Nachfrage habe ich nicht gerechnet. „Verzeihen Sie, Herr Lohmann, die habe ich völlig vergessen. Ich werde sie gleich am Montag vorbeibringen“, lüge ich, mich nach anfänglicher Überraschung wieder meines Plans entsinnend, den ich vor Arbeitsbeginn geschmiedet hatte. Wenigstens ein kleiner Lichtblick. „Sie haben doch noch nie etwas vergessen! Stickel, es wird wirklich Zeit, dass Sie in Rente gehen!“ Argloses Grinsen lässt darauf schließen, dass mein Gegenüber der Ansicht ist, ihm sei hier ein letzter Spaß zum Renteneintritt geglückt. „Bemühen Sie sich nicht! Wir können die Karte einfach deaktivieren, dann ist sie nur noch ein Stück Plastik. Aber fachgerecht entsorgen! Unserem Unternehmen ist es ernst mit der Mülltrennung.“ Er sieht auf die Uhr. „Entschuldigen Sie, Stickel. Nun muss ich aber auch wieder! Das Meeting – Sie verstehen bestimmt. Wenn Sie mich fragen, müsste der Tag eigentlich mindestens 30 Stunden haben! Ich grüße den Chef und Ihren Nachfolger von Ihnen … Ein fantastischer Mann, habe ich Ihnen das schon gesagt?“ Er winkt noch einmal, dann ist er auch schon zur Tür heraus.

Wieder allein greife ich nach der Aktentasche und will mich gerade auf den Weg machen, als ich ein Räuspern höre.
„War nicht schlecht der Kuchen,“ sagt das Etwas.
„Schokolade ist nicht unbedingt unsere Lieblingssorte, aber das weiß du ja,“ antworte ich pflichtschuldig. „Kommst du mit nach Hause?“
„Klar! Ich achte schon darauf, dass dir in der Rente nicht langweilig wird.“
„Beruhigend wenn sich wenigstens einer bis zu Letzt um einen kümmert. Ich schätze den Firmenwagen wollen sie auch gleich hierbehalten. Nehmen wir die Bahn oder laufen wir?“
„Wir laufen. Zeit haben wir ja nun genug.“

 

Hallo Blumenberg ,

Allem voran: Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Was dir in meinen Augen gut gelungen ist, ist das Einfangen dieser hektischen Welt, von der heute ja alle durchgehend reden, und welche Tücken sie innehält. Durch den distanzierten Schreibstil, der ohne viele emotional aufgeladene Adjektive funktioniert, bringst du dieses abrubt Rausgerissene gut rüber. Gerade bei der Ich-Perspektive erwarte ich sonst eher sehr detailliert beschriebene Gefühle. Getreu dem Motto "Dokumentation ist immer besser als Argumentation" arbeitest du schön raus, wie aberwitzig dieser geheuchelt kameradschaftliche Abschied ist und legst dem Leser somit nahe, dass dein Prot sich mehr erhofft hat und sich eigentlich an seinen Plan halten wollte. Was auf den Anfang zurückführt: Wie gehen wir mit dieser stets schnellen Welt um, die sich immer nur für das Nächste interessiert und das Gewesene gerne vergisst. Und was passiert, wenn gewisse Anker, wie hier der Plan der Hauptperson, sich plötzlich lösen? All das schneidest du subtil gut an, indem du einfach einen letzten Arbeitstag vorn der unerwarteten Frührente dokumentierst, ohne dabei zu groß auf Gefühle einzugehen. Wenn es subjektiv wird, dann nur als sarkastische Pointe und auch die werden dank der Ich-Form klar als subjektiv markiert. Ich mag das, weil es dann dem Leser überlassen ist, was er draus macht. Das Präsens tut dem nur gut. Hier nur ein Beispiel dieses dokumentativen Charakters:

Jemand drückt mir, als ich nähertrete, ein Stück Kuchen in die Hand. Lohmann, ein sonnengebräunter Mittvierziger in Jeans, Hemd und tailliertem Sakko, schüttelt mir die kuchenstückfreie andere

So viel zu dem, was mir gut gefällt. Meine Kritikpunkte sind folgende:

1) Am Ende charakterisiert du das "Etwas" als etwas (höhö), das schon lange mit deinem Prot "zusammenlebt"

„Schokolade ist nicht unbedingt unsere Lieblingssorte, aber das weiß du ja.“

Am Anfang jedoch suggerierst du dem Leser, das Etwas und deine Hauptperson würden es seit dem Aufstehen miteinander zu tun haben

Seit dem Aufstehen spüre ich ein gefräßiges Etwas, das heute zusammen mit mir aufgewacht ist und an meinen Nerven nagt

Ist in meinen Augen etwas (höhö) unlogisch.

2) Ab und zu kommt es mir so vor, als hättest du kleine Tempus-Fehler drin. Also dass du vom Präteritum im gleichen Zusammenhang noch ins Präsens wechselst und umgekehrt.

Dazu kam eine zwanzig Jahre jüngere, belastbare Ausgabe meiner selbst, die meine Stelle übernehmen wirdund die ich in den letzten Wochen per Skype – schließlich war ich krankgeschrieben – mit den wichtigen Abläufen vertraut machen durfte

Ich mochte mein Büro. Es ist recht hell, ansonsten typisch für den Mittelbau (...)

3) Ab und zu sind ein paar Flüchtigkeits-Kommafehler drin.

4) An einer Stelle finde ich die Wortwahl etwas übertrieben

Die Empfangsdame sieht auf und rüstet sich zum Gruß

Sie rüstet sich zum Gruß? Ist dein Prot sonst so gemein? Bei rüsten kommt mir immer eine Ritterüstung in den Sinn. Oder eine sehr lange Vorbereitung. Hat die Empfangsdame vielleicht einen Sprachfehler und muss sich beim Grüßen konzentrieren? Oder mögen der Prot und sie sich nicht? All das sind Assoziationen, die mir beim Wort "rüsten" hier in den Sinn kommen.

5) Ich finde, das Etwas brauchst du gar nicht. Klar kann ich mir denken, wofür es steht. Aber vor diesem nüchternen und präzisen Schreibstil wirkt es als unfassbar subjektiver Einblick etwas (höhö) unpassend und gezwungen. Ende doch damit, dass er sich selber überlegt, dass er läuft, weil er ja jetzt genug Zeit hat.

Soweit meine Meinung.

Schöne Grüße
RobotBoy

 
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“In the present state of the art
this is all that can be done.”
Henry H. Suplee Gas Turbine (1910)​

„Wenigstens ist das erste Mal auch das letzte Mal, dass Ihnen so etwas passiert“, antwortet sie eifrig ...

Hallo Blumenberg,

mit Dir lebt ein Stück Literatur der Arbeitswelt wieder auf. Gerade übers Schicksal eines Erwerbslosen und jetzt der letzte Tag eines Freigestellten ... ich sag's mal so ironisch, darf ich trotz des Ernstes der Stunde auch, wenn der Arbeitgeber

ein Wellnesswochenende in Bad Godelsberg
(eher unfreiwillig, wie ich finde) zum Abschied spendiert, was wohl nahe beim Loriotschen Godeldiplom liegt -

was den Ernst der Stunde jedoch nicht schmälern soll.

Ja, es ist immer ein seltsam Ding von der Gefühlswelt her, wenn einer ausgetauscht wird vor der Zeit gegen eine vermeintlich frischere Kraft. Da will mir der Satz

Die Empfangsdame sieht auf und rüstet sich zum Gruß
nicht wie meinem Vorredner übertrieben vorkommen, "rüsten" als ein "auf etwas vorbereiten" zu nehmen. Der Betrieb selbst wird "umgerüstet", selbst wenn es nur diese eine Stelle/Position gerade ist. Was kann ein Verb dafür, dass die schwere Berufskleidung berittener "Berufs"-Krieger eben sehr aufwendig wurde jenseits des Kettenhemdes ...

Triviales,

was mit einem kleinen Schnitzer beginnt im zwoten Punkt

Sind ja nur ein paar Sachen.“. Mit wiedergewonnener ...
am Ende der wörtl. Rede, wäscht sich gegen Ende als Zichen nachlassender KOnezentration aus -

„War nicht schlecht der Kuchen.“ sagt das Etwas.

„Schokolade ist nicht unbedingt unsere Lieblingssorte, aber das weiß du ja.“ antworte ich pflichtschuldig.


Aber da wird dann doch noch eins draufgesetzt:
Beruhigend[,] wenn sich wenigstens einer bis zu Letzt um einen kümmert. Ich schätze den Firmenwagen wollen sie auch gleich hierbehalten.
"zuletzt" und "Sie"

Aber auch - nach der Rüstungs-Erfahrung - hierzu ein kleiner Vorschlag (wobei der von Dir gewählte Ausdruck keineswegs falsch ist, aber mehrdeutig, wie eben das Verb "rüsten":

Wieder für mich greife ich nach der Aktentasche ...
statt des "für sich (seins)" "allein sein" zu wählen.

Weil ich den direkten Vergleich hab, darf ich bemerken, dass der kafkaeske Hauch des Vorgängers "Die Anstellung" verweht ist ...

Bis bald

Friedel

 

Hallo Blumenberg,

oh wow, ich habe deine Geschichte eben beim Frühstück gelesen und fast meine Bahn zur Arbeit verpasst, weil ich so vertieft gewesen bin. Sehr passend zum Thema, wie ich finde :).

Ich habe die Geschichte gleich zweimal gelesen, weil sie so schön ist und mich sehr berührt hat. Besonders der distanzierte, beinahe klinische, Erzählstil gefällt mir sehr gut.

Es gelingt dir, die hektische und unpersönliche Arbeitswelt kritisch darzustellen, ohne dass man das Gefühl hat, mit dem Gesellschaftskritik-Knüppel verprügelt zu werden. Ich bin ganz nachdenklich geworden durch deine Geschichte, und habe auch noch einmal über den Personalabschied nachgedacht, den wir gestern auf der Arbeit hatten. Das mag ich am liebsten, wenn Geschichten machen, dass man die Welt danach ein kleines bisschen anders sieht.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass ich nicht ganz verstanden habe, wie lange das Etwas schon beim Protagonisten ist. Zu Beginn habe ich es so verstanden, dass es erst am letzten Arbeitstag erscheint, aber dann klingt es im Verlauf eher so, als wäre es schon länger bei ihm. Gerade weil ich das Etwas so ein tolles Stilmittel finde, würde es mir besser gefallen, wenn deutlicher gemacht würde, wie lange und wie eng es mit dem Protagonisten verwoben ist.

Vielen lieben Dank für's Teilen, ich glaube ich lese deine Geschichte jetzt direkt noch ein drittes Mal,
liebe Grüße,
Maria

 

Hallo zusammen,

zunächst einmal vielen Dank für eure Eindrücke und Anmerkungen. Die Kleinigkeiten habe ich direkt geändert, was eure Eindrücke zum Etwas betrifft sind sie mir sehr hilfreich und ich werde sehen, dass ich mir in den nächsten Tagen mal ein paar Gedanken mache, wie ich das gelöst bekomme.

@ Robotboy zu deinem ersten Punkt:

"Schokolade ist nicht unbedingt unsere Lieblingssorte, aber das weiß du ja."

Dieser Satz soll eigentlich keine längere zeitliche Beziehung der beiden ausdrücken, sondern eher, dass das Etwas, als dem Protagonisten innerliches, den gleichen Wissenstand wie dieser hat. Man selbst als Autor eines Textes weiß man nun einmal was man sich dabei gedacht hat und es erscheint einem nachvollziehbar, umso besser, wenn ein Blick von außen dabei hilft zu erkennen, wo etwas nicht direkt nachvollziehbar ist. Dein und Marias Hinweis sind mir daher sehr hilfreich. Ich werde mal sehen wie ich diese Missverständlichkeit ausgeräumt bekomme.

@ Friedrichard

Das der kafkaeske Hauch in diesem Text verweht ist, wie du sagst, empfinde ich nicht unbedingt als Kritik. Es wäre doch langweilig, wenn jeder Text gleich wäre und immer auf eine Steigerung von Unbehagen zielen würde, die Kafka wie wohl kaum ein anderer beherrscht hat.
Der Ausdruck Literatur der Arbeitswelt ist, wie ich finde, ein sehr treffender und ich muss gestehen, ich finde das ein sehr spannendes Thema, spannt sich hier doch in einem speziellen Umfeld ein ganzer Mikrokosmos auf, den zu beschreiben sich lohnt. Wobei sich der Text die Anstellung eher mit den, um mal mit Foucault zu sprechen, Disziplinierungsmechanismen moderner "Leistungsgesellschaften" auseinandersetzt, während der zweite das plötzliche verlassen einer über Jahre gewohnten Umgebung thematisiert, deren Betrieb aber einfach weitergeht und den Protagonisten eigentlich schon vergessen hat, auch wenn es da noch ein pflichtschuildiges Fest zu feiern gilt. Es gibt in Büchners Dantons Tod eine wunderschöne Passage, in der Lucille den Tod ihre Geliebten auf dem Schaffot beweint: Es regt sich Alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen das Wasser rinnt und so so alles weiter... ich will mich auf den Boden setzen und schreien, daß erschrocken Alles stehen bleibt, Alles stockt, sich nichts mehr regt. Sie hat gewissermaßen den Anstoss geliefert den Text zu schreiben.

@ MariaSteffens

Ich freue mich, dass dich meine Geschichte ein wenig ins Grübeln gebracht hat. Wenn ein Text berührt und zur Reflexion anregt, hat er sein Ziel erreicht. Mir war es wichtig trotz aller Kritik an einem so unpersönlichen und doch irgendwie auch grausamen System nicht mit der Moralkeule zu kommen, wenn das gelungen ist, freut mich das.
Deinen Kritikpunkt kann ich absolut nachvollziehen (s.o.). Ich will mal sehen, wie ich das noch etwas verständlicher ausgedrückt bekomme.

Noch einmal vielen Dank an euch drei und in ein paar Stunden einen guten Start ins Wochenende.

Blumenberg

 

Das der kafkaeske Hauch in diesem Text verweht ist, wie du sagst, empfinde ich nicht unbedingt als Kritik. Es wäre doch langweilig, wenn jeder Text gleich wäre und immer auf eine Steigerung von Unbehagen zielen würde, die Kafka wie wohl kaum ein anderer beherrscht hat.

Klar, hastu recht,

lieber Blumenberg,

und es brächte auch nichts, etwa an einem Vorbild kleben zu bleiben (Vorbilder haben wir wahrscheinlich alle, die bei ersten Schreibübungen Pate stehen - bei mir reichen sie von Abraham a Santa Clara bis Carl Zuckmayer - was natürlich nur zufällig so stimmt, die liebsten deutschsprachigen sind mir immer noch Jean Paul und Gottfried Keller). Aber seit "Salome oder das Träumen" bin ich mir sicher, dass mit Dir was ranwächst, an dem man irgendwann nicht mehr vorbeikommt ...

Tschüss und vorsorglich schönes Wochenende vom

Friedel

 

Hallo Friedel,

es brächte auch nichts, etwa an einem Vorbild kleben zu bleiben

Da gebe ich dir absolut Recht, das Forum hier scheint mir eine wunderbare Möglichkeit sich ein bisschen auszuprobieren und am Feedback zu wachsen.

Aber seit "Salome oder das Träumen" bin ich mir sicher, dass mit Dir was ranwächst, an dem man irgendwann nicht mehr vorbeikommt ...

Vielen Dank für die Blumen! Das Ranwachsen trifft es in der Tat ziemlich gut. Auch wenn ich beruflich viel mit dem Schreiben und der Sprache zu tun habe, ist es dort wissenschaftlicher Natur. Prosatexte schreibe ich erst seit etwa drei oder vier Jahren, was mich auf diesem Gebiet zu einem noch Lernenden macht, wenn auch zu einem, der das Glück hat auf ein recht breites Arsenal sprachlicher Formen zurückgreifen zu können. Das es dabei wahrscheinlich noch zu schleifen und zu tun gibt, empfinde ich eher als Antrieb denn als Hemmung, schließlich ist noch kein Meister einfach vom Himmel gefallen.

Dir ein schönes Wochenende!

Blumenberg

 

Yo Blumenberg,

ich weiß nicht so recht, wie ich deine Kurzgeschichte finden soll. Ich fand sie anstrengend, was vielleicht auch an solchen Dingern hier lag:

[...]antworte ich pflichtschuldig.[...]

Aaaah, Zehennägel ...


Heutiger Termin: Die Ankündigung einer freudlosen halben Stunde voller Glückwünsche und guter Ratschläge. Danach ist der Kalender leer.

Den Einstieg fand ich sehr cool. Mit kühlem Abgang, der Lust auf mehr macht, Lust auf das Ich.


Ein kleines Häuschen in der Provence, [...]

Das Häuschen ist doch schon klein.


Dazu kam eine zwanzig Jahre jüngere, belastbare Ausgabe meiner selbst, [...]

Ich wende, parke den Wagen in der Tiefgarage und fahre hinauf.

Okay, parkt den Wagen in der Tiefgarage und fährt dann doch hinauf - hat mich rausgehauen. Im nächsten Absatz wird zwar klar, dass er mit dem Fahrstuhl fährt ... trotzdem, hat mich aus dem Lesefluss gerissen.


[...]– ein Bild meiner Eltern, meinen Füllfederhalter und ein bisschen Kleinkram –[...]

Gleiche Problem wie mit dem kleinen Häuschen.

Das halbe Dutzend bekannter Gesichter aus meiner Abteilung hat sich artig um den in der Mitte stehenden stellvertretenden Abteilungsleiter Lohmann aufgestellt. Ein etwas gezwungener Applaus empfängt mich und ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab. Jemand drückt mir, als ich nähertrete, ein Stück Kuchen in die Hand. Lohmann, ein sonnengebräunter Mittvierziger in Jeans, Hemd und tailliertem Sakko, schüttelt mir die kuchenstückfreie andere. „So förmlich, Stickel? Es ist doch Freitag“, sagt er mit gespielt strengem Gesicht, lächelt dann aber milde, als wolle er mir den krawattenen Fehlgriff ausnahmsweise noch einmal durchgehen lassen. Hätte ich mir eigentlich denken können, was ist schon eine Abschiedsfeier gegen die Macht der Gewohnheit.

An der Stelle muss ich sagen, ich habe Schwierigkeiten mit dem Stil in Kombination mit dem Präsens. Ich stimme meinen Vorgängern zu, dass der Erzählstil distanziert ist, für meinen Geschmack aber zu sehr, als das ich dem Ich seine Sicht, die er ja gerade erleben soll, abkaufe. Wo die Stimmung des Ichs im ersten Absatz noch überrascht und Lust auf mehr machte, fing ich im Laufe der Geschichte mich an zu langweilen, weil es immer der gleiche Sound blieb, die gleiche Laier des Ichs, distanziert, sezierend und schon während es passiert zu über den Dingen schwebend. Ich glaube, ich finde das Ich dadurch zu uninteressant.

Ein Leseeindruck meinerseits, vielleicht bringt er dir ja was.

Wünsch dir noch 'nen schönen Sonntag.

Besten Gruß
PipMorris

 

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