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Der letzte Glockenschlag

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27.10.2013
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Der letzte Glockenschlag

Auge in Auge standen wir uns nun gegenüber, nur zehn Meter Staub der großen Hauptstraße, die sich einmal quer durch Dove Falls Town zog, trennten uns voneinander. Dove Falls Town, eine kleine Stadt am Rande einer großen Wüste, die Herkunft ihres Namens war mir schleierhaft, weder gab es hier einen Wasserfall, noch hatte ich jemals andere Vögel als die dreckigen Aasgeier gesehen, die sich auf jedes noch so kleine Stück Fleisch stürzten, das in der heißen Sonne verweste. Und dennoch hatte das Schicksal es so vorgesehen, dass wir hier aufeinandertreffen würden, nach all den Jahren, endlich.
Wir bewegten uns nicht, sondern warteten. Auge in Auge. Jedoch warteten wir nicht allein, die ganze Stadt hatte sich um uns versammelt, dieses Spektakel zu sehen. Die Menge stand linker Hand, in den kühlenden Schatten des heruntergekommenen Saloons oder der nebenliegenden Bank, und rechts von mir drängten sie sich auf den Stufen der kleinen Kirche, deren Glockenschlag wir mit steigender Anspannung erwarteten. Genau zwölf Uhr mittags sollte es geschehen, dann wenn die Sonne in den Zenit eintrat und beide die gleichen Sichtverhältnisse hatten. Niemand sollte behaupten können, der glorreiche Sieg wär den blendenden Sonnenstrahlen zu verdanken gewesen. Unsere Mäntel hatten wir längst in den Staub fallen lassen, waren sie doch, einst eine schützende Hülle, die uns vor neugierigen Blicken bewahrte und uns in den kalten Nächten warmhielt, jetzt nur noch lästige Hindernisse, die ganz entscheidend das Folgende beeinflussen konnten. Unsere Hüte hatten wir allerdings aufbehalten, schützen sie uns vor der Hitze der sengenden Sonne, die auf uns herniederbrannte und uns langsam austrocknete. Lange konnte es jedoch nichtmehr dauern, bis es soweit war. Die Zuschauer wurden allmählich unruhig, wohingegen wir jedoch vollkommen bewegungslos an unserem Platz verharrten, mit steinernen Mienen. Keine Bewegung konnte man erkennen, wir standen uns nur stumm gegenüber und warteten auf das Zeichen. Eigentlich sollte ich aufgeregter sein, als die Menge um uns herum, doch dem war nicht so, denn ich wusste, es gab nur zwei Möglichkeiten, wie das hier ausgehen konnte und keine davon barg für mich irgendeinen Schrecken. Aus dem Augenwinkel betrachtete ich unsere Zuschauer. Wirklich alle waren gekommen. Dort stand der alte Smith auf den Stufen der Treppe, er hatte sich einen guten Platz ergattert, von dem aus man den gesamten Kirchplatz gut überblicken konnte. Dort stand Little Mc Joe, im Schatten des Saloons. Jetzt jedoch richtete er sich auf, hatte er sich zuvor auf das Geländer gestützt, und ging eilenden Schrittes davon, bis er aus meinem Sichtfeld verschwand. Wohin gehst du, Little Mc Joe? Ich richtete meine Augen wieder auf mein Gegenüber. Ein leichter Wind kam auf und wirbelte den Staub der Straßen auf, der sich in einer großen Wolke über die Stadt hinwegbewegte, mein Gegenüber verschwand hinter einer Wand aus Staub, doch schnell legte sich der Wind wieder, und mit ihm auch die Staubwolke, die ihn nun wieder freigab. Heute würde ich mich endlich für alles rächen können, was er mir angetan hatte. Niemals mehr sollte er mir noch einmal so schaden. Unbeirrt verrann die Zeit, sie ließ sich nicht durch die Ereignisse beeinflussen, ich konnte förmlich spüren, wie der Moment immer näher rückte, jedoch wandte ich den Blick nicht ab, um auf die großen Zeiger der Kirchturmuhr zu sehen. Ich würde keine Schwäche zeigen. Heute endete meine lange Suche, auf die eine oder andere Weise. Die Hitze war nun erdrückend, nicht zu ertragen. Doch nichts konnte mich jetzt vertreiben, ich war meinem Ziel so nahe. Die Chance konnte ich mir nicht nehmen lassen. Alles würde ich ihm heimzahlen. Unruhig sahen die uns umgebenden Menschen von einem zum anderen. Auch sie fragten sich, was heute hier geschehen würde. Ob sie wohl Wetten abgeschlossen hatten? Bestimmt, sie ließen sich keine Gelegenheit zum Wetten entgehen. Dieses räudige Pack. Verbrecher waren sie, allesamt, auch wenn sie das wohl niemals zugegeben hätten. In ihren Augen waren sie selber Engel, denen der Rest der Welt böses wollte. Ich hörte die ersten leisen Gespräche einsetzen, aufgeregt flüsterten sie sich gegenseitig irgendetwas, für mich unverständliches, zu. In diesem Moment ging es los:

DONG ertönte der tiefe, bronzene Ton der alten, schweren Glocke, der erste Schlag, 11 fehlten noch, ich konnte beinahe hören, wie die Menge die Luft anhielt, alle Gespräche waren schlagartig verstummt, alle Augen starrten gebannt auf uns.

DONG, der zweite Glockenschlag folgte unmittelbar, doch noch immer verharrte ich Bewegungslos, nur meine Augen jagten hin und her, ich betrachtete die Menschen, die sich hier in der Hoffnung auf Unterhaltung zusammengefunden hatten, und die jetzt doch Zweifel an dem bekamen. Typisch, so war es immer, im letzten Moment machten sie einen Rückzieher. Doch sie blieben, von einer morbiden Neugier festgehalten. In ihrem Verhalten waren sie nicht besser, als die Aasgeier, die über uns am Himmel kreisten.

DONG, der dritte Glockenschlag. Noch immer keine Bewegung, nicht einmal ein Zucken, wir standen uns nur gegenüber und starrten uns an, die Anspannung stieg, nicht nur die Meine, sondern auch die des Publikums.

DONG. Der vierte Glockenschlag hallte weit über die Dächer der Stadt. Es wurde dunkler. Eine Wolke hatte die Sonne verdeckt, doch schon zog sie weiter, eilig vorangetrieben vom Wind, als wolle er sie vor dem behüten, was hier gleich passieren würde. Viele Geschichten hatte er zu erzählen, die er einem zuflüsterte, wenn man nur ganz genau hinhörte. Nun trieb er die Wolke in die weite Welt hinaus, und gab so den Blick auf die gelbe Sonne wieder frei.

DONG. Der fünfte Glockenschlag. Laut und dumpf dröhnte er mir in den Ohren. Doch es würden noch sieben weitere folgen. Noch immer starrten wir uns nur an. Das Publikum verlor zunehmend die Nerven und wurde immer unruhiger. Doch sie blieben stumm, gebannt das Schauspiel verfolgend, nach Blut gierend.

DONG. Der sechste Schlag der alten Glocke. Langsam wanderte meine Hand hinunter an meinen Gürtel, wo mein treuer Begleiter, der Revolver, den ich in einem ironischen Anflug Peacemaker getauft hatte, lose im Holster hing. Er würde keinen Frieden bringen. Hatte er noch nie getan, ganz im Gegenteil.

DONG. Der siebte Schlag. Ich spannte den Hahn meines Revolvers, auch wenn man einfach den Abzug betätigen könnte. So hingegen würde sich der Schuss schneller lösen. Ich beobachtete wie mein Gegenüber dasselbe tat. Mit langsamer Bewegung tastete er nach seinem Revolver, und spannte den Hahn, ohne den Blick von mir zu nehmen. Ein Grinsen erschien auf seinen Lippen und gab einen Blick auf seine Zähne frei, welche gelblich verfärbt, wie alte Burgruinen in seinem Munde steckten.

DONG. Der achte Schlag. Ich hörte ein Rascheln, dann flog ein rechteckiges Stück Papier durch mein Sichtfeld. Ein Steckbrief hatte sich von der hölzernen Außenwand des Saloons gelöst und wurde nun von dem Wind durch die Lüfte getragen, einem unbestimmten Ziel entgegen. Ich erhaschte einen Blick auf das Bild und erkannte eine ungenaue Darstellung meines Selbst. Darüber stand in Großbuchstaben „Dead or Alive“. Das Schicksal hatte doch Sinn für Humor, denn dieser Spruch, der jeden Steckbrief zierte, war ein Orakelspruch über meine nahende Zukunft. Tod oder lebendig, in einer der beiden Zustände würde ich in wenigen Sekunden den Platz verlassen.

DONG. Der neunte Schlag. Ich spürte die langsam wachsende Anspannung, meine Hände waren zu Fäusten geballt. Ich entspannte sie, ich durfte nicht schwach wirken. Ganz im Gegensatz zu den Zuschauern, die gebannt von einem zum anderen sahen, wie ich aus dem Augenwinkel erkennen konnte. Ihre Anspannung steigerte sich ins Unerträgliche.

DONG. Der zehnte Glockenschlag. Der laute, krächzende Schrei eines Geiers hallte über die Landschaft. Ich ließ meine Augen über den Himmel streifen und erkannte eine Wolke von Vögeln, die in lockerer Formation auf die Stadt zuflogen. Weitere lautere und leisere Schreie ertönten. Man sagt sie wüssten genau, wann wo ein Unglück geschieht und es für sie was zu fressen gab. Deswegen hielten sie auf uns zu.

DONG. Der elfte Glockenschlag. Das Publikum atmete, wie in einem einzigen Atemzug hörbar scharf ein, gesteuert von einer unsichtbaren Kraft. Ich legte meine rechte Hand auf den Knauf des Revolvers und Umschloss diesen. Mein Zeigefinger legte sich auf den Abzug, gleich würde ich abdrücken müssen.

DONG. Mit dem zwölften Glockenschlag verschwamm alles um mich herum, nur mein Ziel hatte ich klar vor Augen, alles lief wie in Zeitlupe ab, als ich meinen Revolver aus dem Holster zog und in einer schnellen, mir aber unendlich langsam vorkommenden Bewegung auf meinen Kontrahenten richtete und, ohne richtig zu zielen, dreimal den Abzug betätigte. In einer Explosion aus Feuer und Rauch verließen drei Kugeln die Trommel und wurden durch den Lauf auf ihre kurze Reise in Richtung meines Gegenübers geschickt, der im gleichen Augenblick genau das gleiche Ritual vollzog. Die Schüsse hallten über den Platz und klingelten mir in den Ohren. Ich sah wie er getroffen zusammenzuckte und noch im Fallen den Abzug seines Revolvers betätigte, mehr aus Reflex denn Absicht. Doch seine Kugel, die mit einem lauten Knall aus dem Lauf geschleudert wurde, flog weit an mir vorbei, irgendwo über mir in die Luft. Er schlug auf den Boden auf und blieb regungslos dort liegen. Erst ab diesem Moment klarte mein Blick wieder auf, alles lief wieder normal ab. Auch der Schock des Publikums, der es in seinem Bann gefangen gehalten hatte, löste sich jetzt, ich hörte sie erschrocken, entsetzt aufatmen. Doch noch bevor jemand reagieren konnte, eilte ich bereits zu dem am Boden liegenden und kniete mich neben ihn nieder. Ich entdeckte zwei Einschusslöcher, von denen sich Blut durch den Stoff seines Hemdes fraß, es ziemlich schnell rot färbte und in den Staub des Bodens tropfte, wo es sich mit diesem zu einer dreckigen Masse verband. Ein Schuss hatte seinen Messingstern, den er sich auf die Brust über das Herz geheftet hatte, durchschlagen und nur ein goldfarbenes Stück Metall hinterlassen. Er war definitiv tot, es war nicht abzustreiten. Unter ihm breitete sich langsam eine rote Lache aus, und versickerte im heißen Staub der Straße. Endlich, nach all den Jahren, war wieder Gerechtigkeit eingekehrt. Frieden erfüllte meinen Geist und ich glaubte zu spüren, wie das Rad des Schicksals, welches so lange stillgestanden hatte, wieder begann, sich zu drehen. Mein selbst auferlegter Auftrag war erfüllt, und nun war ich bereit, mein Leben wieder anderen Dingen zu widmen.

 

Hallo FeFe

Erstmal Herzlich Willkommen bei kurzgeschichten.de.

Auge in Auge standen wir uns nun gegenüber, nur zehn Meter Staub der großen Hauptstraße, die sich einmal quer durch Dove Falls Town zog, trennten uns voneinander.

Das ist leider kein glücklicher Anfang. Der eingeschobene Nebensatz macht den Satz sperrig, dann hast du unnötige Füllwörter wie "nun", "nur" und "einmal", mit "gross" auch ein unnötiges Adjektiv, da ich davon ausgehe, dass eine Hauptstrasse immer gross ist (verglichen mit den anderen Strassen in dem Ort). Versuche, den Leser gleich mit dem ersten Satz in deine Geschichte zu locken, der muss sitzen, der muss Lust auf mehr machen. Als Grundregel: Vermeide überflüssige Füllwörter und Adjektive, gerade bei Adjektiven und Adverben sollte man immer genau schauen, ob es die braucht.

Dove Falls Town, eine kleine Stadt am Rande einer großen Wüste, die Herkunft ihres Namens war mir schleierhaft, weder gab es hier einen Wasserfall, noch hatte ich jemals andere Vögel als die dreckigen Aasgeier gesehen, die sich auf jedes noch so kleine Stück Fleisch stürzten, das in der heißen Sonne verweste.

Auch hier wieder, schau dir die Adjektive an: kleine Stadt, grosse Wüste, kleine Stück Fleisch, heisse Sonne. Das einzige, was hier gut kommt, sind die dreckigen Aasgeier, alle anderen kannst du ersatzlos streichen, ohne dass etwas fehlt (vor allem die "heisse Sonne").

Und dennoch hatte das Schicksal es so vorgesehen, dass wir hier aufeinandertreffen würden, nach all den Jahren, endlich.

..., dass wir hier aufeinandertrafen - weshalb Konjunktiv?

Wir bewegten uns nicht, sondern warteten.

Auch hier: wer sich nicht bewegt, der wartet doch automatisch. Auf was auch immer.

Du merkst, mich hat der Anfang nicht gepackt, ich finde ihn vom Stil sperrig und umständlich. Auch inhaltlich konnte es mich nicht begeistern, aber da spielt sicher auch eine Rolle, dass ich kein Western-Fan bin, und du eine sehr stereotypische Situation beschreibst.

Ich hab die Geschichte trotzdem zu Ende gelesen, du solltest meiner Meinung nach an einem knapperen, prägnanteren Stil arbeiten. Deine Formulierungen klingen oft umständlich, weil du auch oft lange Sätze machst und dabei viele Dinge redundant erwähnst. Schau mal hier zum Beispiel:

Ein leichter Wind kam auf und wirbelte den Staub der Straßen auf, der sich in einer großen Wolke über die Stadt hinwegbewegte, mein Gegenüber verschwand hinter einer Wand aus Staub, doch schnell legte sich der Wind wieder, und mit ihm auch die Staubwolke, die ihn nun wieder freigab.

Wenn sich die Staubwolke wieder legt, ist doch klar, dass sie den anderen wieder freigegeben hat. Versuch solche doppelten Formulierungen zu vermeiden, sie blähen den Text auf.

Auch inhaltlich bewegst du dich leider kaum vom Fleck. Ganz ehrlich, man erfährt nichts Wesentliches. Irgendwer will irgendwem was heimzahlen, sie duellieren sich, und dafür brauchst du drei DIN A4 Seiten. Das eigentlich Interessante an dieser Szene - die Figuren und die Umstände, die zu diesem Duell führten - die lässt du aus. Allein die Beschreibung der Situation kann die Geschichte leider nicht tragen, da ist nichts an dem Text, das mich fesselt, nichts Individuelles. Ich habe das Gefühl, du hast eine Szene aus einem x-beliebigen Western genommen und lieferst von dieser nun eine überaus statische Beschreibung ab. Die Spannung, die sich ergeben soll, wenn sich beide gegenüberstehen, kann doch nur entstehen, wenn wir wissen, worum es genau geht, wenn wir etwas über die Figuren wissen und irgendwo eine Möglichkeit haben, uns in sie hineinzuversetzen - einen Kontext. Der Kontext fehlt hier komplett, die Szene schwebt quasi im luftleeren Raum.

Heute würde ich mich endlich für alles rächen können, was er mir angetan hatte.

Was denn? Es gibt haufenweise solcher Andeutungen, aber wenn da nichts Konkretes folgt, dann fangen die an zu nerven.

Auch das mit den Glockenschlägen - ich glaube, so etwas funktioniert im Film viel besser als in einer Geschichte:

DONG, der zweite Glockenschlag folgte unmittelbar, doch noch immer verharrte ich Bewegungslos,

DONG, der dritte Glockenschlag. Noch immer keine Bewegung, nicht einmal ein Zucken,

DONG. Der fünfte Glockenschlag. [...] Noch immer starrten wir uns nur an.

Ich glaube wirklich, du hattest da einen Film vor Augen, den grossen Showdown. Aber ein Showdown muss vorbereitet sein, auf den muss man hinarbeiten, allein für sich genommen funktioniert der nicht, auch nicht im Film übrigens.

Ist schwierig jetzt, weil ich nicht weiss wie alt du bist, wie lange du schon schreibst und was deine Ansprüche an dich selbst sind. Es ist auch immer ein guter Ratschlag, über etwas zu schreiben, das du kennst, zu dem du einen Bezug hast. Das wirkt dann meist lebendiger, und du kannst vielleicht den einen oder anderen Gedanken einarbeiten, der dem Leser neu ist. Gib deinen Figuren mehr Leben - das ist wirklich ganz entscheidend. Befreie sie aus diesen Schablonen, zeige sie dem Leser. Dann wirkt eine solche Szene auch gleich ganz anders, wenn es eine Vorgeschichte (einen Anfang), eine erste Begegnung (einen Mittelteil) und dann diesen Showdown (das Ende) gibt. Ein Ende allein reicht leider nicht.

Viel Erfolg & Grüsse
Schwups

 

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