Was ist neu

Der letzte Gedanke

Mitglied
Beitritt
10.11.2009
Beiträge
80
Zuletzt bearbeitet:

Der letzte Gedanke

Schreie, ich hörte ihre Schreie. Die Wut in seiner Stimme, die Verzweiflung in ihrer. Das Bild aus Kindertagen kam in mir auf. Ein kleines verschrecktes Mädchen, in einer Zimmerecke kauernd, die Hände fest an die Ohren pressend. Mittlerweile war ich eine gestandene Frau von 35 Jahren, aber die Ängste waren dieselben, wenn ich meine Eltern streiten hörte. Es wurde still und ich hoffte inständig, dass sie sich beruhigt hatten. Doch diese Ruhe vor dem Sturm kannte ich nur zu gut.
Als wenn es gestern gewesen wäre, erinnerte ich mich an den ersten Ausraster meines Vaters und an die Furcht, die aus den Augen meiner Mutter sprach. Er hatte ihr ein Messer an den Hals gedrückt. Die ersten Tropfen Blut benetzten bereits den Fußboden, als ich in die Küche getreten war. Sie hatte ihn wimmernd darum gebeten sich zu beruhigen. In seinen Augen jedoch blitzte solch ein Wahnsinn auf, dass ich erschrak. Noch nie zuvor hatte ich ihn so erlebt, in diesem furchtbaren Rausch.
„Papa?“ Ich starrte ihn an und von einem Moment auf den nächsten ließ er das Messer sinken, um gleich darauf einen bedrohlichen Schritt auf mich zuzumachen. An diesem Abend hatte ich die erste Tracht Prügel meines Lebens erhalten. Dermaßen, dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Tagelang hatte ich das Haus nicht verlassen dürfen.
„Sonst fragen dich die Leute noch aus.“ pflegte Vater zu sagen. Am Anfang hatte er sich noch entschuldigt, aber irgendwann erkannte er keine Schuld mehr in seinem Handeln und machte Mutter für all dies verantwortlich. Mit 18 Jahren war ich schließlich in die Arme meines heutigen Ehemannes geflohen, bekam einen Sohn und gründete meine eigene Familie. Ich hatte über Jahre hinweg einen sporadischen Kontakt zu meinen Eltern gepflegt. Dieser Samstag jedoch, war das erste Mal seit langem, dass ich wieder in meinem Elternhaus übernachtete.
Es war ein sehr schöner Abend gewesen, zu schön um wahr zu sein. Mein Vater verhielt sich so, wie zu der Zeit, als er noch seinen Job hatte. Wir hatten gemütlich zwei Flaschen Wein getrunken, gut gegessen und zum Abschluss des gelungenen Abends ein paar Runden Yahtzee gespielt. Von jetzt auf gleich allerdings war Vater wieder zu dem erbarmungslosen Monster geworden, welches ich zehn Jahre, Tag für Tag hatte ertragen müssen.
Er wütete wie ein Berserker, warf die leeren Weinflaschen an die Wand und betitelte Mutter als eine „Schlampe“. Seit seiner Arbeitslosigkeit hatte ihn schon immer der Gedanke gequält, Mutter könnte eine Affäre haben, da er sich selbst für einen Versager hielt. Hin und wieder hatte sie sich tatsächlich mit jemand anderes getroffen, einem Arbeitskollegen, der jedoch nie irgendwelche Gefühle für sie hegte. Das Einzige wonach Mutter sich jemals gesehnt hatte, war jemand, dem sie sich anvertrauen konnte.
Zu meiner Verwunderung hatte Vater sich sehr schnell wieder beruhigt, doch der Abend war für mich gelaufen. Ich wünschte eine gute Nacht und verkroch mich im Wohnzimmer. An Schlaf war aber nicht zu denken. Immer wieder zuckte ich zusammen und verfolgte den Streit mit. Auf gewisse Weise kam ich mir lächerlich und kindisch vor. Ich hätte einschreiten sollen, stattdessen saß ich auf dem Sofa und wartete ab.
Die Stille wurde durchbrochen von einem erneuten Stimmengewirr. Das Geschrei schwoll nun zu einer unerträglichen Lautstärke an. Klar und deutlich vernahm ich ihre Worte.
„Wenn du nicht die Fresse hältst, dann werde ich sie dir stopfen.“
„Wag es nicht mich anzurühren.“
„Du bist ein Miststück. Ich werde dir schon zeigen, wo es lang geht.“
„Tu das bitte…“
Ein dumpfer Schlag erklang. Dann ein weiterer. Die Stimmen meiner Eltern verstummten. Irgendetwas musste geschehen sein. Ich lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Kein Laut war mehr zu hören. Ohne zu zögern sprang ich von meiner Schlafstätte auf und huschte auf leisen Sohlen zu der Tür hinüber, die das Wohnzimmer von der kleinen Eingangshalle trennte. Einen kurzen Augenblick spähte ich durch die Milchglasscheibe. Nichts regte sich dahinter. Mit zittriger Hand drückte ich die Klinke hinunter. Ich schob die Tür ein Stück auf und trat aus dem Wohnzimmer. Die Fliesen auf denen ich lief waren eiskalt und ich hatte das Gefühl, dass diese Kälte meinen gesamten Körper hinaufstieg. Ich bebte vor Angst. Die wilde Entschlossenheit, die ich zuvor noch verspürt hatte, wich auf einen Schlag. Langsam ging ich auf die verschlossene Küchentür zu. Mein Herz pochte wild, als ich sie öffnete. Ich schlug mir die Hand vor den Mund, als ich meine Mutter in einer Blutlache am Boden liegen sah. Panisch stürzte ich zu ihr. Ich fühlte nach ihrem Puls, konnte ihn jedoch nicht finden. Ich griff in meine Hosentasche, um das Handy hervorzuholen. Da war kein Handy. Sicherlich hatte ich es auf dem Couchtisch liegen lassen.
Verzweifelt begann ich mit einer Herzmassage. Ich kämpfte wie eine Löwin um ein Lebenszeichen meiner Mutter. Minute um Minute verstrich, ohne dass etwas geschah. Meine Augen wurden feucht. Das grausame Bild verschwamm unter Tränen, die schließlich meine Wangen hinunter liefen und sich mit dem Blut auf dem Fußboden vermischten.
Mit weichen Knien stand ich auf und lief hinüber zum Wohnzimmer. Als ich bemerkte, dass die Tür abgeschlossen war, schlug ich die Scheibe ein, um hindurch klettern zu können.
Ich spürte wie warmes Blut meinen Arm hinab lief. Doch es kümmerte mich nicht. Suchend sah ich mich auf dem Couchtisch um, doch das Handy war verschwunden. Als ich mich wieder umdrehte, stand er vor mir.
„Suchst du etwas?“ fragte Vater mich mit bedrohlich klingender Stimme. In seiner rechten Hand hielt er einen Hammer.
„Ich… ich suche mein… mein… Handy.“
Mit einem hinterhältigen Lächeln hob er die linke Hand.
„Meinst du dieses hier?“
„Ja, gib es mir bitte Vater… Mutter braucht Hilfe.“
„Für sie kommt jede Hilfe zu spät.“ sagte er trocken und löste den Griff um das Mobiltelefon. Krachend fiel es zu Boden.
Ich schluckte und warf einen Blick zur Tür. Nur wenige Meter trennten mich von dieser. Mit aller Kraft stieß ich meinen Vater bei Seite und setzte zu einem Hechtsprung an. Ich rollte mich geschickt ab und gewann damit einigen Vorsprung.
„Wo willst du denn hin?“ fragte Vater hämisch.
Ich versuchte aus der Haustür zu fliehen, doch sie war verschlossen. All meine Kraft aufbietend rüttelte ich daran. Gefangen wie eine Maus in der Falle sah ich zu, wie Vater immer näher kam. Als er gerade mal noch drei Schritte von mir entfernt stand, holte er mit aller Kraft aus. Blitzschnell duckte ich mich. Der Schlag ging ins Leere.
In dieser Sekunde dachte ich an meine Familie, was meinen Überlebenswillen ins Unermessliche steigerte.
Mir kam eine Idee. Ich blickte meinem Vater fest in die Augen.
„Wenn du mich töten willst, dann hol mich doch.“
Dann rannte ich zurück in das Wohnzimmer und riss die Jalousien hoch. Vater schwang bedrohlich mit dem Hammer. Der altbekannte Wahnsinn lag in seinem Blick. Ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel.
„Na los, hol schon aus.“ dachte ich im nächsten Moment und als hätte mein Vater meinen Wunsch erahnt, ließ er den Hammer in meine Richtung sausen. Wieder duckte ich mich und ein lautes Klirren ertönte. Mein Plan hatte funktioniert. Die Terassentür lag in Scherben zu meinen Füßen und mein letzter Gedanke war:
„Lauf, lauf so schnell du kannst.“
Noch lange hörte ich Vaters wütende Schreie hinter mir, aber ich rannte weiter, ohne mich ein einziges Mal umzudrehen.

Heute stehe ich vor einem Doppelgrab. Mein Vater hatte eine fünfjährige Haftstrafe wegen Totschlags absitzen müssen. Eine lange Zeit hörte ich nichts mehr von ihm, bis zu dem Tag als bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium festgestellt wurde. Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun.
Er hatte mich zu sich ans Sterbebett gerufen. Es kostete mich einige Überwindung ihn zu besuchen. Mit verzweifeltem Blick hatte Vater mich um Vergebung gebeten, doch ich konnte ihm, für all das was er Mutter und mir angetan hatte, nicht verzeihen.
Mittlerweile bereue ich es. Seine Wut hatte immer wieder seine Hoffnungslosigkeit widergespiegelt. Dafür kann ich ihn nicht hassen, lieben kann ich ihn aber auch nicht mehr. Meine Hand zittert, als ich zwei Rosen auf den Grabstein lege. Noch einige Minuten stehe ich einfach nur so da, bis mein Mann seine Hände liebevoll auf meine Schultern legt. Ich drehe mich um und lächle.
„Lass uns nach Hause gehen.“ sage ich. Ich greife nach seiner Hand und wir schlendern auf das Friedhofstor zu, hinter dem das Leben liegt.

 

Ich habe lange überlegt, ob ich die Geschichte online stellen soll.
Ich hoffe sie schockiert euch nicht zu sehr...

Liebe Grüße,
Elfa

 

Hallo Elfaron,

mir war schon nach den ersten paar Zeilen klar, wo das hinführen wird. (Der Titel macht ja auch nicht gerade ein Geheimnis draus) Ich habe nicht weiter gelesen weil mir übles schwante, habs dann nur bis zum Schluss überflogen - und richtig: die Figur stirbt. Das sind ganz ärgerliche Texte, wo ein Ich-Erzähler etwas nacherzählt und am Ende stirbt. Also der Text sollte dann zumindest im Präsens erzählt werden - davon abgesehen finde ich den Inhalt wirklich etwas lahm. Von dieser Sorte Geschichte gibt es hier einen Haufen. Aber egal, das mit dem Präsens lässt sich ja einfach ändern ...

Liebe Grüße

Hal

 

Hallo Elfaron!

Ich würde nicht so weit gehen, und deinen Text als ärgerlich bezeichnen, aber eine Freude ist er auch nicht.
Zum einen aus den inhaltlichen Gründen, die Hal genannt hat. Das kennt man alles schon.
Zum anderen denke ich, hast du etwas wichtiges vergessen, wenn du deinen Text unter Gesellschaft postest, nämlich den gesellschaftlichen Kontext.
Es ist wichtig, über häusliche Gewalt und Eskalationen zu schreiben, sie zu diskutieren. Aber hier habe ich das Gefühl, dass es dir nicht darum geht, zu analysieren oder refletkieren, sondern einzig zu zeigen, um dabei zu sein.
Woher kommt aber diese Gewalt? Sind es Schichtgebundene Phänomene? Gibt es Unterschiede in der häuslichen Gewalt, abhängig von der Gesellschaftlichen Schicht in der sie stattfindet? Hättest du solche Inahlte drin, die etwas über den Gesellschaftlichen Zusammenhang dieser Familie aussagen, wäre die Rubrik gerechtgertigt. Hier sehen wir aber nur die Gewalt, und sie kommt aus dem nichts. Das finde ich, macht deine Geshcichte schlecht.

Wolltest du, dass man so spät erfährt, dass es sich um eine erwachsene Frau handelt? Ich dachte nämlich erst, dass es sich um ein Kind handelt, und war auch überrascht davon, eine angeblich Erwachsene vorzufinden. Ihr Verhalten wirkt infantil, aber vielleicht war das auch deine Absicht, um zu zeigen, dass sie in einer kindlichen Abhängikeit geblieben ist.
Trotzdem kommt das "ich werde diesen Mann, meinen Vater, immer lieben" etwas aus dem Blauen heraus. Du erzählst nicht genug, um das glaubwürdig zu machen. So wirkt es einfach wie reingeschoben, um die Dramatik zu erhöhen, was dann aber fehlschlägt. Es wirkt einfach nur runtergeleiert.

Sprachlich verwendest du mir zu allgemeine Phrasen.

dass mein Lebenslicht erlischt
Komm schon, nimmst du Texte noch ernst, die mit über-pathetischen Wörtern wie "Lebenslicht" rumwerfen? Das macht den Text für mich, unagemessen dem Thema wegen, lächerlich.
Eine Träne tropft von meiner Wange auf die Bettdecke
auch wieder sowas. Das ist so überzuckert. Das kann man auch anders.

Grüße: Timo

 

Hallo Hal!

der Text sollte dann zumindest im Präsens erzählt werden

Diesen Punkt habe ich direkt umgesetzt.

davon abgesehen finde ich den Inhalt wirklich etwas lahm

Und doch finde ich, dass es jeder aus einer anderen Perspektive beleuchtet. Selbstverständlich ist die Art und Weise der Umsetzung Geschmackssache.

Hallo Timokatze!

Aber hier habe ich das Gefühl, dass es dir nicht darum geht, zu analysieren oder refletkieren, sondern einzig zu zeigen, um dabei zu sein.

Vielmehr möchte ich die Motive des Täters thematisieren und welche Gedanken ihn zu derartigen Taten führen können.

Sind es Schichtgebundene Phänomene?

Es kann in jeder Familie vorkommen. Die Schicht dieser Familie habe ich vollkommen außer Acht gelassen, da diese nicht von Bedeutung ist.

Hier sehen wir aber nur die Gewalt, und sie kommt aus dem nichts.

Nein, der Täter wird von seiner Eifersucht getrieben.

Wolltest du, dass man so spät erfährt, dass es sich um eine erwachsene Frau handelt?

Das war durchaus meine Absicht.

Danke für eure Meinungen. Und dennoch möchte ich keine Änderungen vornehmen, da diese Geschichte persönliche Erlebnisse widerspiegelt und ich mich selbst mit dem Opfer identifizieren kann.

Liebe Grüße,
Elfa

 

Hallo Elfaron!

Und dennoch möchte ich keine Änderungen vornehmen, da diese Geschichte persönliche Erlebnisse widerspiegelt und ich mich selbst mit dem Opfer identifizieren kann.
Das halte ich ehrlich gesagt für bedenklich, und, so hart es jetzt klingt, wenn du nicht genügend Distanz zu deinem Text wahren kannst, ist das Forum auch nicht für einen solchen Text geeignet. Man will doch hier gerade an ihnen arbeiten.
Vielmehr möchte ich die Motive des Täters thematisieren und welche Gedanken ihn zu derartigen Taten führen können.
Aber genau das tust du nicht. Du schilderst nur seinen Amoklauf durchs Haus, ein flapsiges "Du bist nicht meine Tochter" reicht nicht aus, um das Motiv der Eifersucht auszuarbeiten.

Es kann in jeder Familie vorkommen. Die Schicht dieser Familie habe ich vollkommen außer Acht gelassen, da diese nicht von Bedeutung ist.
Klar, kommt häusliche Gewalt in jeder Schicht vor, das wollte ich damit gar nicht sagen. Aber um die Stellung deines Textes in "Gesellschaft" zu rechtfertigen, braucht man diesen Rahmen.
Sonst könntest du ihn auch in Alltag posten, und das mit der "Banalität der Gewalt" rechtfertigen.

Und genau hier zeigt sich jetzt das Problem: Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber damit musst du rechnen, wenn du deinen Text hier einstellst.

Grüße: Timo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

nur noch kurz zum letzten Satz:

Ich spüre einen letzten sengenden Schmerz, bevor meine Augen sich für immer schließen.

Das ist trotz Präsens noch immer aus dem Jenseits gesprochen. Du solltest auch hier in der Szene bleiben, da spricht nicht die Figur, da spricht der Autor, der dem Leser sagen will, dass die Figur hier stirbt. Das passt nicht. Es würde völlig reichen zu schreiben: "Ein sengender Schmerz, ich kann meine Augen nicht mehr offen halten." Keine Ahnung, so was in der Art. Du kannst die Figur auch einen Gedanken aufnehmen lassen, der dann plötzlich abbri... Das würde natürlich auch besser zum Titel passen.
Da kapiert der Leser, was los ist.

Gruß

Hal

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Danke Hal,

danke für deinen Tipp, ich habe versucht ihn umzusetzen. Ich hoffe das Ende wirkt jetzt besser.

Liebe Grüße,
Elfa

Hallo Timokatze!

wenn du nicht genügend Distanz zu deinem Text wahren kannst, ist das Forum auch nicht für einen solchen Text geeignet

Hmmm... ich denke immer, gerade weil ich mich mit meinem Protagonisten identifizieren, lebt die Geschichte.
Das bedeutet nicht, dass ich Abstand nehmen könnte, aber ich möchte mich jetzt nicht auf Änderungen dieses Text fixieren, weil mein Fokus nach wie vor bei Fantasy liegt, ich aber auch Erfahrungen in anderen Bereichen sammeln möchte.

Eine gute Erfahrung habe ich aus deinen Ratschlägen gezogen.
Es ist wichtig, dass die Motive eines Protagonisten dem Leser deutlich gemacht werden. Das ist sicher nicht nur für diese Rubrik von Bedeutung. Ich merke schon, dass ich mich damit immer etwas schwer tue.

Sollte ich noch einmal auf den Gedanken kommen, in dieser Rubrik eine Geschichte zu veröffentlichen, werde ich deine Ratschläge durchaus berücksichtigen.

ein flapsiges "Du bist nicht meine Tochter" reicht nicht aus

Na gut, ist tatsächlich etwas schwach.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Elfaron,

ich finde, der Text ist zu distanziert, zu verzettelt geschrieben, und kann daher die Stimmung nicht richtig transportieren.
Guck Dir mal im ersten Absatz die Subjekte an: Wie viele Dinge hier wie Personen sind, wer hier alles etwas tut, obwohl nur eine Person da ist:

Schreie dringen an mein Ohr. Eine Träne tropft von meiner Wange auf die Bettdecke, die ich um mich geschlungen habe. Die Angst, die ich verspüre, bringt meinen gesamten Körper zum Beben. Die Stimmen verstummen und es kehrt eine Ruhe ein, in der man eine Stecknadel fallen hören könnte. Doch es dauert nur wenige Minuten, bis das Stimmengewirr erneut einsetzt, anschwillt zu einer unerträglichen Lautstärke. Mein Herz beginnt vor Aufregung wild zu pochen. Zitternd schlinge ich die Decke noch fester um mich. Obwohl der Raum beheizt ist, fühle ich eine eisige Kälte in mir hochsteigen. Das Gewirr der Stimmen weicht einem wütenden Geschrei.

Ich schlingt Bettdecke um sich, verspürt und schlingt die Decke noch fester. Alles andere tut man, tun Dinge, tut Irgendwas. Verstehst Du, was ich meine?

Ich schreib das mal zur Veranschaulichung mehr auf die Heldin in ihrer Situation um, das ist natürlich nur eine von ganz vielen Möglichkeiten:

Ich höre sie schreien.
Vor Angst zittere ich am ganzen Körper. Als ich die Bettdecke um mich schlinge, wird sie von meinen Tränen nass.
Endlich kehrt Ruhe ein. Es ist ganz still, aber nur wenige Minuten lang. Dann erneutes Stimmengewirr, das zu unerträglichen Lautstärke anschwillt, zu wütendem Geschrei.
Mein Herz pocht wild. Ich ziehe die Decke noch fester um mich. Obwohl es im Zimmer warm ist, fühle ich eisige Kälte in mir hochsteigen.


Noch eine gute Stelle zur Veranschaulichung ist diese hier:

Mechanisch schnellt meine Hand zu der Klinke und drückt sie hinunter. Ich luge zuerst durch den schmalen Türspalt, bevor ich ganz hinaustrete. Spuren eines Kampfes zu sind nicht zu erkennen, doch ich spüre, dass etwas nicht stimmt. Mit weichen Knien wanke ich hinüber zu der Küche. Dann sehe ich sie. Ich schlage mir die Hand vor den Mund, um einen lauten Aufschrei zu vermeiden. Ihr Kopf liegt in einer Blutlache. Ich hocke mich neben sie. Ich fühle ihren Puls, finde jedoch keinen. Als ich zu meinem Handy greifen will, bemerke ich, dass ich es nicht bei mir habe, also muss es noch auf dem Couchtisch liegen.
Kurz entschlossen versuche ich es mit einer Herzmassage. Es verstreichen einige Minuten, in denen ich vergeblich um ein Lebenszeichen von ihr kämpfe. Meine Augen werden feucht und das grausame Bild vor mir verschwimmt unter Tränen. Heiß laufen sie meine Wangen hinunter, tropfen hinab und vermischen sich mit ihrem Blut.
Ich spring auf und eile durch den Flur hinüber zur Wohnzimmertür. Sie ist verschlossen. Mit der Faust hole ich aus und schlage die Scheibe ein. Warmes Blut läuft meinen Arm hinab. Ich steige durch das Loch in der Tür und lasse meinen Blick über den Tisch schweifen. Das Handy ist nicht mehr an seinem Platz.
Als ich mich wieder umdrehe, steht er vor mir.
Da ist doch Panik angesagt! Stattdessen zieht es sich so hin. Das kann man beschleunigen, straffen, etwa so:


Ich drücke die Klinke hinunter und luge durch den Türspalt. Dann trete ich hinaus. Keine Kampfspuren.
Mit weichen Knien wanke ich zur Küche. Da sehe ich sie. Ich schlage die Hand vor den Mund. Ihr Kopf liegt in einer Blutlache. Ich hocke mich neben sie, fühle nach Puls, finde keinen. Mein Handy! Es muss noch auf dem Couchtisch liegen.
Herzmassage. Minutenlang kämpfe ich um Lebenszeichen. Das grausame Bild verschwimmt unter Tränen. Heiß laufen sie meine Wangen hinunter und tropfen in ihr Blut.
Ich spring auf und eile durch den Flur zur Wohnzimmertür. Sie ist verschlossen. Mit der Faust schlage ich die Scheibe ein und steige durch das Loch.
Mein Handy liegt nicht mehr auf dem Tisch.
Als ich mich umdrehe, steht er vor mir.


Du sagst, die Geschichte sei sehr persönlich. Aber vielleicht kannst Du trotzdem Tipps brauchen, wie Du Tempo, Spannung und Intensität steigern könntest, um sie besser wirken zu lassen. Solche Straffungen sind nicht schwer zu bewerkstelligen, da man hauptsächlich streicht, aber nachher nichts fehlt.
Streichen ist etwas Großartiges. Es ist erstaunlich, wie viel man meistens noch streichen kann, bevor etwas fehlt, und wie oft es sogar durch das Streichen mehr wird. Das ist wie so Balancespiele mit Holzstäben oder Klötzchen. :D

Inhaltlich ist mir auch das Verhalten der Frau quergekommen. Daß sie sich so kindlich verhält, so eingeschüchtert ist und nicht ihrer Mutter zu Hilfe kommt (das wären immerhin eine Frau im besten Alter und eine ältere Frau gegen einen älteren Mann, also durchaus kein chancenloser Kampf), kann zwar sein, wenn sie entsprechend traumatisiert ist, aber man wird schon einfach draufgestoßen auf das Verhalten und muß es eben so fressen. Dabei wäre durchaus Platz für eine Rückblende, zum Beispiel auf eine (viele) ähnliche Situation(en) in der Kindheit. Da könnte man dann schcon denken: Ja, in dieser Situation ist sie automatisch wieder hilflos wie damals, emotional paralysiert, handlungsunfähig etc.
Und liegt hier nicht auch der fetteste Konflikt?
Daß sie der toten Mutter nicht mehr helfen kann, ist schlimm. Aber dann knipst Du sie einfach aus. Dabei wäre es viel interessanter, weiterzuerzählen. Dann müßte sie sich diesem Ding stellen. Und der Vater auch.
Sie konnte erst handeln, als es zu spät war. Und sie liebt ihn trotzdem immer noch. Wie kommt sie da raus? Was macht sie mit sich, und was wird aus diesem Vater? Wie kehrt sie heim? Was erwartet sie?

Das ist doch alles viel schrecklicher als die Gewalttat, deren größte Schrecklichkeit hier in allgemeinen Details liegt: Blut, Angst, Schrecken, Geschrei, Gewalt, als Gegengewicht ein liebender, aber abstrakter Ehemann, ein glockenhell lachendes, aber abstraktes Kind.
Wie es weitergeht nach so einer Tat, das ist das Feld, auf dem es richtig persönlich wird. Da zeigen die Figuren viel mehr Gesicht.

Stell Dir vor, sie rennt weg, klingelt irgendwo, rennt in eine Kneipe, was weiß ich, ruft die Polizei, der Vater wird verhaftet, sie wird befragt. Was sagt sie? Vielleicht erzählt sie der Polizei, sie habe selbst ihre Mutter erschlagen, weil sie es nicht schafft, den Vater zu belasten, der danebensteht und sie ansieht.
Oder sie ruft die Polizei nicht. Erschlägt den Vater. Kniet am Ende der Geschichte zwischen zwei Leichen, summt vor sich hin und wischt das Blut ihrer Eltern mit der Bettdecke auf.
Oder der Vater rennt davon, und sie bleibt mit der toten Mutter allein. Was tut sie? Spricht sie mit der Mutter? Da wären viele Möglichkeiten drin.
Es besteht ja keine Realitätsverpflichtung hier, selbst nicht bei wahrem Hintergrund. Oft ist eine Geschichte umso wahrer, je besser sie ist, denn als Leser glaubt man ja viele Geschichten einfach deswegen gern, weil sie gut sind. Wie wahr sie tatsächlich sind, wird man meist nie erfahren, und das ist ja auch nur selten wichtig bei einer Geschichte.

Das war's, was ich Dir dazu sagen wollte. Nimm Dir, was Du brauchen kannst.

Gruß,
Makita.

P.S. Ganz wichtiger Punkt noch (vor lauter Geschwafel vergessen):
Hat sie oder hat sie nicht ihren Mann betrogen? Das müßte man unbedingt erfahren, finde ich. Falls nämlich ja: Interessant! Fast interessanter als eifersüchtiger Wahn. Wüßte man dieses kleine Detail, gäbe es noch mehr zu grübeln: Woher weiß das nämlich dann der Vater? Wußte sie, daß er es wußte? Es könnte ja sogar sein (!!), daß sie den Ehemann mit dem Vater "betrogen" hat, daß sie mit dem Vater Sex hatte, daß ihr Kind gar nicht vom Ehemann ist, daß der Vater das weiß, wohingegen der Ehemann nichts ahnt.

 

Oh man, Elfaron, ...
Ich meine, ich hätte eine solche Geschichte nicht geschrieben, weil sie für mich zu nahe an der Realität ist. Nicht meine Realität, sondern an all den Berichten, von denen wir fast täglich erfahren.
Und wenn ich davon geschrieben hätte, dann hätte ich da keinen brutalen Plot draus gemacht, in dem blutende Details beschrieben werden. Das ist aber nur meine Meinung und du wirst vielleicht ganz andere Ansätze haben, die auch ihre Berechtigung haben.
Zur Geschichte selbst:
Ich erfahre zu spät, wo es handelt. Zunächst dachte ich an ein kleines Kind, in einer fremden und dann in einer anderen Wohnung.
Ich erfahre erst spät, dass es die Eltern sind und das Kind erwachsen ist.
Für mich bedeutet das, dass ich zunächst kaum in die Geschichte hinein komme und dann durch die nachrückenden Infos immer wieder gestört werde, weil der Gedanke kommt, dass ich genau das gerne früher gewusst hätte.
Die Geschichte zeigt wenige Bilder, dass ich mir die Szene und die Protagonisten kaum vorstellen kann.
Auch das mag beabsichtigt sein.
Wenn du etwas mehr beschreibst, kann sich der Leser auch besser räumlich orientieren, denn so sind nur Türen da und selbst die kann man sich nicht vorstellen, denn plötzlich bestehen sie fast nur aus Glas, wo ich doch eine ganz andere im Kopf hatte.

Noch einiges:
*** Ein dumpfer Schlag lässt mich erschaudern. Stille. ***
Besser: Ein dumpfer Schlag, ... dann Stille!
*Entschlossen* (ist ein Wort, das inflationär benutzt wird und ich es eigentlich nicht mag.) erhebe ich mich von meinem Platz auf dem Sofa und trete an die Tür heran, die nach draußen auf den Flur führt.
*** Mechanisch schnellt meine Hand zu der Klinke und drückt sie hinunter. Ich luge zuerst durch den schmalen Türspalt ... ***
Mechanisch?
Die Hand schnellt und dann ist sie vorsichtig? Zögert sie da nicht eher, verharrt, will keinen Laut machen ...?
*** Ich schlucke und werfe einen Blick zur Tür. Nur wenige Meter trennen mich von dieser. ***
* von dieser * ... Nein, bitte nicht. Diese, jene, ... das hat null Stiel.
Noch ein Beispiel, das stellvertretend ist:
*** Das Blaulicht erleuchtet bereits flimmernd die Küche. ***
Da ist keine Dramatik, die diese Szene doch braucht.
Vielleicht: Das blaue Licht der Einsatzwagen zuckt brutal durchs Fenster und taucht Vaters Gesicht in ein Wechselspiel dunkler, brutaler Schatten.
... oder so ähnlich.
Benutze auch mehr Metaphern, die den Leser in die Geschichte ziehen.

Ich meine, wenn du mal diese Dinge -und da sind noch weitere- ausmerzt, wird die Geschichte runder.
Sorry, aber ich wollte nur helfen. ;-)
Gruß 3

 

Hi Elfaron.
Ganz schön starker Tobak am frühen Morgen.
Nicht besonders einfallsreich aber streckenweise gut geschrieben finde ich.
Musste leider ein paarmal stocken.

„Tu das bitte…“ ("mach doch", "einen Scheiß kannst du mir zeigen" oder so hätte ich besser gefunden.
Ich fühle ihren Puls, finde jedoch keinen. (ja was denn nun?) fand ich echt ärgerlich.
Erleichtert sehe ich, dass im Nachbarhaus das Licht gemacht wird. (coole Nachbarn. Da kommt also das Licht her. Hat mich zum lachen gebracht und mithin die dramatisch brutale Szene zerstört. Schade.

Diese "Fehler" sind zwar blöd, haben mir aber das Gefühl vermittelt, als wäre das ein authentischer Bericht von einer frisch getöteten Person, die nicht mehr viel Zeit hat weil Gevatter Tod sie endlich in die Unterwelt bringen will, auf die Uhr schaut und ruft:" mach hinne! Ich hab Anschlusstermine!!"

 
Zuletzt bearbeitet:

moin, Elfaron.
Abgesehen, dass auch mir diese Geschichte viel zu statisch erzählt ist, und ich mich ebenfalls an der "Ich" Erzählweise störe gibt es da auch noch den einen, oder anderen Logikfehler darin. Zum Beispiel frage ich mich, warum sie in eine Bettdecke geschlungen auf dem SOFA liegt. Ist sie zu Besuch? Wenn ja, wo ist dann ihr Kind untergebracht?
Ah, ganz am Ende klärt es sich ja dann auf, aber verwirrt am Anfang ein wenig... Dann die Geschichte mit dem dumpfen Schlag...
Ist es der Körper der Mutter, der da zu Boden fällt? Oder soll es den Schlag mit dem Hammer auf den Schädel der Mutter beschreiben, und wenn ja, wo bleibt dann der Aufprall des Körpers? (Zumal der Schlag auf den Schädel an sich nicht zu hören wäre, wenn da geschlossene Türen dazwischen sind)
Und so zieht es sich durch die Geschichte... Darum finde ich diese in ihrer Unausgegorenheit auch enttäuschend und würde zu genereller Überarbeitung raten.
Auch persönliche Betroffenheit schützt in einem Literarischen Forum nicht vor guter Arbeit, besser gesagt, genau dann entsteht geradezu die Verpflichtung dazu, den Opfern ein würdiges und achtendes Geschichts-Denk-Mal zu setzen, was hier aber leider noch nicht der Fall ist.
Auch die von Makita angesprochene Inzest - Vermutung spielt hier hinein, und kann, wenn gut transportiert, der Geschichte einiges an Aufschluss und Nähe zur Protagonistin geben, gerade auch, was die Motivlage der anderen handelnden Personen angeht. Letztlich entstehen Handlungen ja immer aus "Guten" Gründen, und was Du hier lieferst, ist einfach zu dünn. War nur der Vater stets dominant, oder hatte ihn die Mutter mit einer eigenen Strategie im Griff, und "entmannte" Ihn dadurch? Wo stand die Tochter in diesem Spiel, und was bringt sie dazu, Ihn immer noch zu lieben?
Fragen, über Fragen, deren Beantwortung in einer editierten Version zu finden wünschenswert wäre!
Gruß Lord

 

Endlich habe ich mich mal dran gesetzt. Mein größtes Problem war bei dieser Geschichte die Zeitform.
Es ist wirklich schwer solch eine Geschichte im Präsens zu erzählen, deshalb habe ich wieder das Präteritum gewählt.
An dem Ende habe ich auch gearbeitet, jetzt dürfte es nicht mehr so platt sein. ;)

Ich muss sagen, dass mir eure Postings auf jeden Fall weitergeholfen haben.
Vielen lieben Dank dafür.

Ich hoffe die Arbeit hat sich gelohnt und das Ergebnis gefällt euch.

Natürlich bin ich wie immer für konstruktive Kritik und Anregungen zu haben.

Danke im Voraus, für eure Tipps und Verbesserungsvorschläge.

Liebe Grüße,
Elfa

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom