Der letzte erste Kuss
Die Welt stand still. Meine Füße konnten nicht mehr aufhören zu laufen. Ich wollte einfach nur weg. Weg vom Alltag und all den belanglosen Tätigkeiten, welche mein Leben prägten. Ich sehnte mich nach Größerem, einen Grund jeden Tag mit einem Lächeln zu beginnen.
Keiner konnte es nur erahnen, dass mich Gedanken fesselten, welche mich in die Ferne trieben. Ich hatte doch ein Leben voller Glück und Freiheit. Ich müsste mich schämen, in meiner Lage, in der ich mich befand, nicht das glücklichste Mädchen auf Erden zu sein.
Doch irgendetwas hielt mich davon ab dieses Gefühl von Zufriedenheit anzunehmen. Stattdessen lief ich von Zuhause weg. Ich entfernte mich immer weiter von dem neuen Haus, in welches meine Mutter und ich nun seit einem Monat wohnten. Wir hatten eine kleine Wohnung im oberen Stockwerk dieses Hauses und waren ein eingespieltes Team in Bezug unseres Zusammenlebens.
Wir lachten über jeglichen Unsinn und weinten über jede Kleinigkeit, doch das Wichtigste dabei war, dass wir es gemeinsam machten. Wir waren unsere gegenseitige Stütze. Vertrauen wurde bei uns großgeschrieben. Und ich lief weg und lies alles hinter mir.
Ich habe ihm geschrieben, dass ich bald im Zug sitzen werde. Ich war auf dem Weg zu ihm.
Schon beim Gedanken selbst, dass ich ihn endlich bald sehen könnte, fing mein Herz schon heftig an zu schlagen. Ich konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren, sodass mir das Sortieren meiner Gedanken schwer fiel und ein leichtes Gefühl von Schwindel meinen gesamten Körper schwächte.
Zweifel kam auf. Die Durchführung meines spontanen und nicht allzu gut durchgedachten Planes, erschien mir zu einfach. Irgendetwas war faul an der Sache. Ich war noch nicht einmal 15 und konnte unbemerkt mein Zuhause verlassen. Nicht ein einziger Anruf, teilte mir mein Handy mit. Vielleicht würde es keinem auffallen, wenn ich für immer weg bliebe.
Doch ich war zu jung dafür. Ich war zu jung, um ernst genommen zu werden. Ich sah jünger aus und deswegen konnten wenige Menschen mir den Glauben schenken, dass ich reifer war, als viele andere Mädchen in meinem Alter.
Diese unsinnige Flucht jedoch zählte ich zu einem feigen und kindischen Verhalten. Es war nicht meine Art Hals über Kopf Entscheidungen zu treffen, und diese auch inkonsequent durchzuführen.
Auf mir lagerte zu viel Verantwortung.
„Zu jung“, tönte es dauernd durch meinem Kopf. Meine Beziehung zu ihm wurde belächelt, doch für mich war es mehr als nur ein blindes „Verliebtsein“. Er gab mir den Teil vom Leben, zu welchen ich mich so sehr sehnte. Er war der Grund, das Leben täglich mit einem Lächeln zu beginnen. Er war das Ziel, wohin mich meine Füße bringen wollten. Er war das Ende, doch ich stand am Anfang.
Nun war die Zeit gekommen, ich wusste was kommen würde, doch ich wollte es nicht glauben.
Ich sah in seine rehbraunen Augen. Das Atmen fiel mehr schwer. Es fühlte sich an, also ob die Welt stehen geblieben wäre. Nichts geschah um uns. Für diesen Moment, existierten nur er und ich und die Liebe, die in unseren Herzen wie Feuer brannte. Die Zeit verging nicht, alles schien unendlich zu sein, als ob dieser Augenblick nie mehr vergehen würde. Er kam mir näher. Ich spürte seinen stockenden Atem auf meinem Gesicht, wie er sanft meinen Mund berührte, aber zugleich wieder in Luft verschwand. Mein Herz fing schneller an zu klopfen, es raste und pochte gegen meine Haut.
Ich spürte ein leichtes ziehen in meiner linken Bauchseite. Es schmerzte und hielt mir jegliche Luft zum Atmen weg. Ich konnte mich nicht bewegen, ich war wie gelähmt. Sein unwiderstehliches Lächeln, seiner perfekt geformten Lippen und sein Blick, der Unanständigkeit, bei dem man einfach nicht widerstehen konnte. Jeder seiner Augenaufschläge waren wie ein Geschenk, sie verzauberten mich.
Er lies mich alles vergessen. Alles war plötzlich anders. Doch das gefiel mir, endlich durfte ich, ich selbst sein.
Alle meine Fehler verschwanden. Ein Gefühl des Glücks überkam uns. Ein leichtes Lächeln verbreitete sich auf meinem Gesicht.
Ich konnte es nicht glauben, ich träumte nicht, das war wahr, alles was nun passieren würde, wäre wirklich passiert sein.
Mein Herz schlug schneller, jeder Schlag meines Herzens wurde stärker und jeder Stich in meinem Bauch schmerzhafter.
Er kam näher. Seine Lippen tasteten sich langsam an meine Lippen an. Weiche volle Lippen berührten zärtlich meine.
Sein Atem lies mir meine Luft weg. Dieses Gefühl war unbeschreiblich, als ob ich fliegen konnte, als ob ich langsam nicht mehr auf dem Boden stehen würde, er hat mich schwerelos gemacht. Alles um uns war unsichtbar, nichts war mehr wichtig, außer dieser Augenblick.
Seine Lippen kamen ein zweites Mal näher. Mir blieb die Luft weg. Seine Lippen berührten zärtlich meine und im selben Moment schlossen sich langsam meine Augen. Ich spürte wie er langsam seine Hand gegen meine Hand drückte und mich sanft gegen die Wand lehnte. Seine weichen Lippen berührten mich fester, doch er küsste mich trotzdem noch zärtlich wie zuvor.
Mit jedem Schritt, den er näher zu mir kam, fing mein Herz mehr zum Klopfen an.
Der Schmerz in meiner linken Bauchseite wurde stärker, doch es lies mich nicht davon ab, ihn weiter zu küssen.
Ich spürte seinen Körper an meinen. Ich führte meine Hand zitternd zu seinem Herzen und verfolgte seinen Herzschlag, der immer wieder gegen meine Hand pochte. Unsere Herzschläge schienen gleich zu schlagen. Seine feuchte Hand berührte sanft meine Hand auf seiner Brust. Er hörte nicht auf mich zu küssen, jeder seiner Berührungen mit seinen Lippen an meinen, wurden ein Stich in meinem Bauch.
Doch ich wollte nicht, dass er aufhört, ich wollte, dass dieser Moment für immer bleibt.
Nur wir zwei neben einem Wald unter einem kleinen Dach in einer Raststelle aus Holz. Manchmal gingen Menschen vorbei, doch wir beachteten sie nicht. Er drückte mich fester gegen die Wand, doch er küsste mich weiterhin zärtlich. Nun hielt er meine Hand fest in seiner, neben ihm. Ein Streicheln seines Daumens fühlte ich leicht auf meinem Handrücken. Seine Lippen entfernten sich sanft von meinen.
Ich öffnete langsam meine Augen und blickte auf seinem Mund. Er wollte Worte aussprechen, doch ich konnte nichts verstehen und er konnte nichts sagen. Wir sahen uns lautlos an. Sein Lächeln, seine Augenaufschläge, mein Glück.
Seine Stimme klang wie Musik, als er mir sagte, dass er froh sei, dass ich endlich hier wäre. Wir hielten uns weiterhin an der Hand, doch gingen mit langsamen Schritten über die Brücke und starrten auf das dunkelblaue von Wellen überflutete Wasser, das ruhig unter die Brücke fließt.
Er hielt zärtlich meine Hand. Ein Gefühl von Liebe überkam mich und ich spürte eine kleine Träne auf meiner Wange, denn ich wusste, das Morgen wird nicht mehr wie heute.