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Der letzte Engel
Der letzte Engel
Es regnete. Marina saß am Küchenfenster und beobachtete wie die Tropfen auf der Straße aufschlugen und zu einem netten Flüßchen vereint in den Gulli plätscherten. Sie seufzte. Marina war 5 Jahre alt, hatte dunkle, lange, gelockte Haare und ein Stupsnäschen. Ein paar Sommersprossen hatten sich darauf breit gemacht und hätten ihrem Gesicht einen schelmischen Ausdruck verliehen, wären da nicht die großen braunen Augen gewesen, die alles in Frage zu stellen schienen.
Und Marina saß da und seufzte. Ihre Mutter war gerade dabei das Abendessen vorzubereiten und klapperte mit ihren Töpfen.
„Du Mama....“
Jetzt war das eingetreten, was die blonde Frau schon die ganze Zeit befürchtet hatte.
„Hmm?“ antwortete sie
„Du Mama, gibt es eigentlich Engel?“
Überrascht wandte die Frau sich um. Sie hatte jetzt alles erwartet: Die Frage, wieso so viele Wolken da waren, wenn es regnete, wieso es überhaupt regnete, warum nicht alle Regenschirme so schön kreischrosa waren wie ihrer oder weiß Gott was.
„Sag schon Mama.“ drängelte das Kind und schaute mit ihren großen, erwartungsvollen Augen die Mutter an. „Gibt es Engel?“
„Ich weiß nicht.“ Kam die Antwort. Es folgte wieder das Klappern der Töpfe.
„Glaubst du es denn?“ folgte eine leicht verspätete Gegenfrage.
Marina kräuselte die Nase.
„Ich weiß nicht so recht. Also ich möchte jetzt kein Engel sein. Sieh doch mal der Regen.“
„Ja, was ist damit?“
„Na, stell dir doch mal vor deine Flügel werden nass und dann kannst du ja gar nicht mehr fliegen und fällst aus dem Himmel.“
Eine kurze Weile Stille. Dann bohrte Marina weiter.
„Du Mama?!“
„Hmm?“ die geduldige Antwort.
„Haben Engel wirklich Flügel?“
„Ich weiß nicht.“ Antwortete die Mutter nun nicht mehr ganz so geduldig.
„Pfarrer Trengel hat gesagt, dass nur manche Engel Flügel haben.“
„Aha.“
„Also ich weiß nicht Mama...“
Als ihre Mutter nicht fragte, wie sie das eigentlich beabsichtigt hatte, fuhr sie fort.
„Also ich möchte kein Engel sein. Ich meine da hat man doch so viel zu tun. Viel mehr als Papa und der kommt auch erst immer so spät heim.“
Es folgte eine kurze Stille. Nachdenklich schaute Marina in den Regen. Nun seufzte sie ein drittes Mal.
„Stell dir mal vor, du müsstest so viele Menschen beschützen. Und da wo Krieg wäre hättest du besonders viel zu tun. Und stell dir mal vor so ein Soldat verwechselt dich mit einem Feind grade da wo du es ganz eilig hast.“
Die Frau hatte innegehalten und schaute ihre Tochter lächelnd an.
„Marina, du bist 5 Jahre alt. Du solltest dir über sowas keine Gedanken machen. Außerdem kommt Papa gleich nach Hause. Also schau etwas freundlicher.“
Liebevoll wuschelte sie ihrer Tochter über den Kopf.
„Okay Mama.“ Meinte sie nur und war still. Fürs Erste.
„Du Mama?!“
„Ja?!“ folgte die etwas entnervte Antwort.
„Ich glaube ich hab eben einen Engel gesehen. Er ist draußen vorbei geflogen. Er hatte Koffer in der Hand.“
Wieder folgten einige Augenblicke der Stille. Draußen trommelte der Regen seine eintönige, immerwährende Melodie.
„Du Mama....“
Marina wandte sich um und sah ihre Mutter an.
„Glaubst du, das war der letzte Engel?“