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Der letzte Besucher

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19.09.2010
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Der letzte Besucher

Guten Morgen, na, gut geschlafen?
Was ich hier mache in Ihrem Schlafzimmer? Nun, ich bin hier, um Sie abzuholen.
Nein, ich brauchte nicht einzubrechen, ich war Ihr ganzes Leben lang einen Schritt hinter Ihnen, den habe ich jetzt aufgeholt.
Aha, Sie ahnen, wer ich bin. Nein, ich trage keinen schwarzen Umhang,das ist eine Erfindung von Künstlern aus dem Mittelalter. Diese italienischen Anzüge sind doch viel eleganter, und bitte, was soll ich mit einer Sense anfangen?
Zu früh! Natürlich zu früh, alle sagen das. Hören Sie mal, die Kinder sind groß, Ihre Frau ist abgehauen, was haben Sie denn noch so wichtiges vor?
Ach so, ein Haus bauen, die Weltreise machen, den Roman schreiben. Wissen Sie was? Das alles hat bisher noch nicht einmal im Ansatz geklappt, und wenn ich mir Ihr Leben so ansehe, wird auch nichts mehr daraus.
Was meinen Sie damit, es seien immer andere Verpflichtungen da gewesen, der Job, die Familie, das ganze Umfeld? Nun, es war Ihr Leben, deshalb ist es auch Ihr Problem. Sie wussten von Jugend an, dass die Anzahl der Momente Ihres Lebens begrenzt ist, was kann ich dafür, wenn Sie mit dem Wissen nicht vernünftig umgehen.
Sie haben versucht, Ihr Leben zu ändern? Damit meinen Sie sicherlich auch diesen Esoterikblödsinn oder die diversen Motivationsseminare, war wohl nicht der richtige Weg.
Noch ein letzter Tag? Nein, es gibt keinen zusätzlichen Tag, was würden Sie denn damit anfangen? Und erzählen Sie mir nichts von der großen Abschiedsparty, soviel Freunde haben Sie gar nicht mehr, und vom Saufen wird Ihnen sowieso immer schlecht.
Morgens den Sonnenaufgang genießen und dann an dem Roman schreiben? Den Nachmittag unten am Fluß im Schatten der alten Eiche verbringen und Steine über das Wasser hüpfen lassen? Abends schön essen gehen und später mit einem geliebten Menschen im Arm einschlafen?
Wenn so Ihr letzter Tag aussehen sollte, wieso haben Sie nicht möglichst viele Tage so verbracht?
Lassen Sie es gut sein, auf die Frage habe ich noch nie eine vernünftige Antwort bekommen.
So, kommen Sie, es ist Zeit!
Nein, sie brauchen nicht zu packen, wir reisen ohne Gepäck, und nein, Sie müssen sich auch nicht anziehen, Sie gehen so, wie Sie gekommen sind.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo tomconrad, die Geschichte zieht sich, trotz der Kürze. Warum hast du daraus keinen Dialog gemacht? Ist ja logisch, dass Dynamik flöten geht, wenn der Tod erst paraphrasiert und dann seinen Senf dazu gibt. Ein guter Dialog ist schon schwierig genug. Das hier erinnert mich an welche, die Gespräche in allen Einzelheiten wiedergeben wollen ... und dann hat sie gesagt, und dann hat er gesagt ... so bisschen schwergängig.
Inhaltlich ists, nun ja, ich fang mal so an:

ich war Ihr ganzes Leben lang einen Schritt hinter Ihnen, den habe ich jetzt aufgeholt.
Der Satz gefällt! Den kannt ich nicht. Alles andere leider schon, also ein moderner Tod, einer, der mit seinem Klienten noch 'nen Plausch hält, das ist halt bekannt. Ich fürchte da hat Pratchett nicht mehr viel übrig gelassen und man müsste sich ganz schön anstrengen, um was neues zu bringen.
Grüße

 

Hi tomconrad,

ich bin sicher, du kennst die Geschichte "Reise in die Nacht" aus Jakov Linds Erzählungsband "Eine Seele aus Holz" nicht. Das ist bedauerlich, denn ich habe das Glück sie zu kennen, nur hat es deine Geschichte dadurch bei mir schwer.
Versuch einmal, sie irgendwo aufzutreiben und zu lesen, dann wirst du verstehen, warum.

Liebe Grüße
sim

 

Hallo tomconrad,

du beschreibst eine wohlbekannte Szene und mir haben sowohl der lapidare Stil als auch die direkte Rede, die auch die Reaktion des Opfers andeutet, gefallen. Der Beginn mit "Guten Morgen" und die Feststellung, dass alle Träume des Angesprochenen nicht mehr verwirklicht werden und auch in einem langen Leben nie verwirklicht worden wären, fand ich richtig schön fies. Es gibt eben nichts Brutaleres als die Wahrheit. ;)

Beste Grüße,

Berg

 

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