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Der Leibesser

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07.11.2016
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Der Leibesser

Der Leibesser

Ein Uhu, der sich auf den Ast über ihnen setzte,
und so die Eiche nun besetzte,
schaute weise auf die Jungs herab,
bevor sein Loblied er begann
und ihn weckte, den Tyrann.


Die Mythengestalt und Staniel​


»Isst du dein Gemüse nicht auf oder leerst den Teller nicht sauber, wird der Leibesser kommen und dich als Strafe dafür verspeisen«, gab Mutter mindestens zum tausendsten Mal zum Besten. Wir schreiben das Jahr 1940.
»Ich will nicht. Nicht Brokkoli! Warum gibt es heute keine Möhren?«
Sein Vater sprach und kaute simultan auf Kartoffelbrei und Grünzeug. »Fir ernfen nn pfei Bagen unn meue febn pfugleif gefäet.« Er schluckte alles mit einem Horn Met runter und wiederholte sich. »Geerntet wird in zwei Tagen und neue werden zugleich gesät, Sohnemann. Auch Möhren, Blaukraut und alles, was du sonst magst.«
Staniel grummelte vor sich hin und versuchte, mit etwas Wasser den Brokkoli hinunterzuschlingen. Er erklärte seiner Mutter, dass es keinen Leibesser gab und sie ihm mit dieser Masche schon seit seinem dritten Lebensjahr Angst einzujagen versuchte, um stets den Eltern gehorsam zu sein und den Teller leer zu essen. »Du kannst dir wenigstens die Mühe machen, etwas Neues zu ersinnen.«
»Aber den Leibesser gibt es, mein Sohn.«
»Und wieso ist er bisher nicht aufgetaucht?«
»Na, weil alle Kinder brav sind und ihr Gemüse essen!« Vater stampfte mit den Füßen und Mutter hielt sich den Kopf, derweil Staniel wütend auf sein Zimmer stapfte, sich aufs Bett schmiss und die Dielen knarzen ließ.
Seine Eltern beruhigten sich einstweilen. »Weißt du noch, was deine Eltern dir über ihn erzählt haben?«, fragte Gerald sein Eheweib.
Sie gestikulierte und sprach: »Fege den Boden, mache dein Bett, sei brav und adrett, sonst stößt seine Pranke durch die Wand unsres Hauses, mein Mädchen. Packt dich mit den großen, schwieligen, langen Fingern und wirft dich in sein Maul mit den fauligen Zähnen, wo er dich kaut und kaut und herunterschluckt, so wie du, wenn du isst, sodass dein toter Körper nie mehr zu finden sein wird. Denn nur verschwundene Kinder, die nie gefunden werden, wurden vom Leibesser verschlungen.« Sie lächelte.
Gerald griff sich mit weit aufgerissenen Augen und kreidebleichem Gesicht an die Brust. »Ich konnte deine Eltern nie ausstehen, Barbara.«
Beide hörten ein Geräusch durch das offene Fenster. Die Kantate eines Vogels der Nacht. »Hörst du das, Gerald?«
Unisono sprachen sie die Zeilen der Legende: »Der Uhu kündigt das Kommen des Leibessers. Schnell ins Bett und beten. Fromme Kinder haben nichts zu fürchten, denn das Licht Gottes schützt sie vor den Kreaturen der Nacht.«

Donner krachten durch die schwarze Wolkendecke und Blitze erhellten die regnerische Nacht. Der Sohn Odins war heute keiner guten Laune, tat jedoch damit Gutes für die Ernte, die nun kräftig wuchs.
Staniel blickte aus dem Fenster in tiefe Schwärze. Nur das Wasser aus den Wolken, das lautstark niederprasselte, war zu sehen. Und selbst das war schwer zu erkennen. Auch die Bäume des Waldes, die sein Dorf umringten, konnte man kaum wahrnehmen.
Die Kerze, nur noch ein Stumpf, aber die Flamme schön und hell, brannte auf der Kiste, in der er seine Sachen aufbewahrte. »Leibesser! Dass ich nicht lache.«
Nach einer Weile des Starrens und Denkens kam ihm die Idee. Morgen, wenn er sich mit seinen Freunden Bartholomäus, Frederick, Leopold, Kimberly und Annabelle traf, würde er sie überreden, mit ihm durch den Wald zu streifen. Nachts, wenn alles schläft, auf der Suche nach dem Leibesser. Dem Monster der Legenden, Fabeln und Märchen, die seit Anfang der Entstehung kursierten und es immer werden, wenn kein Beweis der Existenz fündig gemacht wird.
Er schlief mit einem Lächeln ein, während Thor Mjölnir auf die Wolken schlug und den Himmel beben ließ.

Am nächsten Tag spielten er und seine Freunde Verstecken. Und wo konnte man besser Verstecken spielen als im Wald?
Dranthus war ein kleines Dorf mit einhundertfünfzig Einwohnern am Rande von Boston.
Tiefer im Wald, weiter weg vom Dorf lag ein fünfhundert Fuß hoher Berg. Es gab keine Aufzeichnungen, ob ihn jemals jemand bis ganz nach oben bestiegen hatte, nichtsdestotrotz gaben ihm die Bewohner den Namen Grün-Wucher-Berg, da er von Blumen, Ranken, Büschen und kleinen Bäumen überwuchert wurde und sich fast komplett darin einhüllte. Eine Serpentine erlaubte es Wanderern, etwa achtundsechzig Fuß hochzukommen – ein Bruchteil der Höhe des Berges, bot dennoch einen attraktiven Ausblick auf den Wald und einen Teil des Dorfs –, bevor man an den Punkt kam, wo sie zerstört und abgebrochen war. Es wurde gemunkelt, dass dort irgendwo eine Höhle versteckt lag zwischen all den Pflanzen, die aber bisher nie gefunden wurde.

Die sechs Freunde trafen sich am Schmetterfels. Keiner wusste, wie er zu seiner Form gekommen war, aber es rankten sich viele Erzählungen darum. Eine davon war, dass das Dorf von wilden Wölfen angegriffen wurde und die Leute Brocken aus ihm schlugen, um sie mit Schleudern auf die Tiere zu schießen und sie zu vertreiben; manche sagten, er sei vom Himmel gefallen und habe beim Aufprall diesen Schaden davongetragen; andere sagten, der Leibesser hat ihn vom Berg geworfen, als er auf ihm ausrutschte; wieder andere meinten, der Stein sei ein großer Dämonenfürst gewesen, der Luzifers Befehle missachtete und höchstselbst auf die Erde kam, um die Menschheit auszurotten und die Welt zu erobern.
Staniel war mit Suchen dran. Beim Zählen überlegte er, wie er seine Freunde dazu überreden konnte, den Leibesser zu suchen. Auf Leopold würde er vertrauen können, die anderen würden nur Angst haben, Ausreden erfinden oder wie Kimberly Fakten und Gründe aufzählen, wieso es diese Kreatur nicht gab.
Er würde es dennoch versuchen, obwohl er nicht sicher war, was schlimmer wäre: Dass es den Leibesser nicht gab und er angesichts dessen in Scham baden würde, während die anderen ihn neckten, oder dass es ihn gab … über mehr wollte er nicht nachzudenken wagen.
Zwanzig Minuten später hatten sie Leopold immer noch nicht gefunden.
»Entweder ist er besser im Verstecken als wir alle zusammen oder wir sollten uns Sorgen machen«, meinte Kimberly, ein schlaksiges Mädchen mit Augenglas und geflochtenen Zöpfen.
»Aaaaaaaaaaaaaaaahhhhhh!« Leopold warf im Fall vom Ast der Eiche Staniel nieder und beide kugelten sich auf dem Boden vor Lachen, bevor ihre Freunde ihnen aufhalfen. »Ihr seid miserable Sucher.« Man sah deutlich die Schweißperlen auf seiner ebenholzschwarzen Haut, die er sich von der Stirn wischte.
»Leute, hört zu.«
»Ich wusste, dass du was zu sagen hast. Du warst so abwesend und nachdenklich. So benimmt sich sonst nur Kimberly.«
Alle kicherten kurz und Leo gab Kim einen Knuff, um ihr zu bedeuten, dass sie nur Späße machten.
»Lasst das Wortspiel mal außen vor, aber habt ihr es nicht auch langsam satt mit dem Leibesser?«
»Wem sagst du das. Ich muss immer die Ställe ausmisten, was Schlimmeres gibt’s nicht!«, sagte Annabelle, die Zweitkleinste im Freundeskreis mit blonden Zöpfen. Sie war nur wenige Zentimeter größer als Frederick.
»Was willst du uns damit sagen, Stan?«, stieß Bartholomäus, ein dicker, großer Junge mit goldenen Locken und Kesselbauch hervor.
»Ich werde den Leibesser suchen und ihr sollt mitkommen.«
Frederick war so erschrocken, dass er sich verschluckte und nach Luft rang. Die anderen reagierten entweder verängstigt, überrascht oder skeptisch.
Nachdem Frederiks Hustenanfall vorüber ging , fragte er: »Wieso willst du das denn machen?« Frederiks sonnengelbes Haar war kurz geschoren und wuchs nur langsam. Er trug eine Brille mit runden Gläsern.
»Wegen unseren Eltern.«
»Oh.«
Kim ergriff das Wort: »Der Leibesser ist nur ein Mythos, den wahrscheinlich die Siedler von Dranthus für ihre Kinder erfunden haben, um sie artig zu halten. Aber ich glaube, Staniel will auf ein Abenteuer hinaus. Es wäre doch recht interessant, mal nachts im Wald zu spazieren … und etwas zu tun, was uns unsere Eltern verboten haben.«
»Wenn selbst ein rational denkender und schlauer Mensch wie Kim sich darauf einlässt, dann müsst ihr euch aber eine gute Ausrede einfallen lassen, wenn ihr zu Hause bleiben wollt, Freunde«, antwortete Stan darauf. Kim errötete, als er ihr ein Zwinkern schenkte.
Leopold trat mit verschränkten Armen vor und blickte jeden der Anwesenden missbilligend an. »Erstens: Ich bin dabei! Und zweitens: wann?«
»Auf dich kann man sich verlassen.«
Bart, Anna und Fred willigten Momente später ein. Letzterer mehr aus Gruppenzwang als aus Freude auf eine Nacht im Wald.
»Also Leute. Morgen, wenn der Mond am höchsten Punkt am Himmel steht. Dann schleichen wir uns raus zum Schmetterfels.«
Die Gruppe frohlockte, die Jungs rangelten sich gegenseitig zu Boden und derjenige, der sie verfolgte und sich hinter einer Buche versteckt hielt, wusste von dem Vorhaben, das er ihnen zunichtemachen würde.

Vorhaben und Vorbereitung​

Am nächsten Tag planten die Freunde, wie sie sich hinausschleichen und was sie alles brauchen würden.
Stan und Leo überwachten seit Mittag den Schmied und überlegten, wie sie es am geschicktesten anstellen sollten. »Ich weiß! Du lenkst ihn ab und ich geh rein.« Er holte eine Möhre aus der Tasche und biss freudig von ihr ab.
»Bist du verrückt? Nein, wir warten, bis er eine Pause einlegt, und ich stehe Schmiere. Dann holst du dir das Messer.«
Frederick erschien wie aus dem Nichts und erschrak die beiden hinter den Fässern. »Oh, tut mir leid. Wie steht es denn?«
»Gar nicht gut.« Leo erläuterte die zwei Ideen, die sie zustande gebracht hatten.
Im angestrengten Denken merkten die beiden nicht, dass Frederick fortgegangen war. Nach kurzer Suche fanden sie ihn, wie er mit dem Schmied redete. Die Jungs konnten kaum glauben, als sie sahen, was der bärtige, muskelbepackte Mann Fred überreichte.
Als er zurückkehrte, sagte er seinen erstaunten Freunden: »Ich hab einfach gefragt, ob ich mir das Messer ausleihen könnte, und dass ich es morgen wiederbringe. Natürlich für meinen Vater, er braucht es zum Ausweiden.« Schief grinsend warf er die Waffe Staniel zu, der sie geschickt fing. Er verabschiedete sich und wollte Bartholomäus suchen und fragen, ob er die Taue schon hätte.

»Das ist nicht aufschlussreich genug und die Zeichnung ist auch schlecht. Konntest du noch andere finden?«, fragte Kim.
Anna kam mit sieben weiteren Büchern an den Tisch und Kim begann sofort darin zu blättern. »Sag mir bitte, du hast endlich was gefunden.« Mit dem Rockzipfel wischte sich Anna den Schweiß vom Gesicht und setzte sich auf den Stuhl neben Kim.
»Nein, in keinem dieser Bücher ist der Berg gut beschrieben oder detailgetreu gemalt. Wir müssen wohl vor Ort zurechtkommen.«
»Alles für Nichts. Hoffen wir, die anderen hatten mehr Erfolg.«

Das hatten sie allerdings, als sie sich am späten Nachmittag bei Staniel trafen.
Bartholomäus hatte fünf Stricke, Frederick das Messer, Leopold die Eispickel von seinem Großvater, dem er versprechen musste, nichts seinen Eltern zu verraten, Staniel die Laterne und die Mädchen ein paar Informationen.
»Also, was habt ihr herausgefunden, meine Mädels?«
»Vorsicht, mein Süßer!« Anna packte Stan grob am Kragen und ihr Mundwinkel zuckte angesichts der Wut, die blitzartig in ihr hochkochte.
Stan entschuldigte sich stotternd und erklärte ihr, dass es nicht so gemeint war.
»Ich sag euch, der eine ist in den jeweils andern verliebt«, flüsterte Leo. Bart bückte sich, um zu verstehen, was gemurmelt wurde. Mit seinen Einmeterachtzig überragte er die anderen um einiges.
»Wir konnten nicht viel aus den Büchern entnehmen. Wir wissen aber, dass die Serpentine zum Berg nach zwanzig Metern abbricht. Ab dem Punkt sollte jemand hoch zum Vorsprung klettern und die zusammengebundenen Seile an einer Felsnase oder einem schweren Felsen festbinden und uns übrigen den Weg nach oben ermöglichen. Ich denke, ich muss nicht erwähnen, dass der Stein robust, dick und schwer sein sollte.«
»Hervorragend. Wer meldet sich freiwillig?« Jeder wich Stans Blick aus in der Hoffnung, nicht für die Aufgabe erwählt zu werden. Einzig Leo stand auf und nahm das Anliegen mutig entgegen. »Ich werde Großvater noch einige Fragen deswegen stellen. Er ist der Beste auf seinem Gebiet. Er sagt, der höchste Berg, den er je erklommen hat, war der achtzehnhundert Fuß hohe Mount Timor Frikus, in Südamerika.«
Staunen breitete sich aus und Staniel bedeutete mit einem Klatschen, dass sie jetzt nach Hause gehen sollten. »Schlaft mir aber bloß nicht ein.«
In Barts und Freds Gesicht konnte er Zweifel und Widerwille, in Kims Sorge und in seinem in dem Spiegel, der an der Wand hing, Angst sehen. Auch wenn die sechs Freunde es niemals zugeben würden, hatten sie alle Angst. Egal, ob vorm Leibesser oder vor dem Ärger, den sie bekommen würden, wenn jemand sie erwischte.
Doch erwischt zu werden, war ihre kleinste Sorge, denn nie zuvor war einer von ihnen, ob allein oder in Begleitung, nachts draußen gewesen. Keiner der Freunde wusste, was sich im Schwarz der Dunkelheit verbarg, keiner kannte das Grauen und den Schrecken, der dort hauste und sie begierig erwartete, aber sie würden ihn kennenlernen, und bei Gott, das Entsetzen würde sie alle brandmarken und die Wunden würden brennen bis in die Ewigkeit.

Der Schnüffler und der Weg zum Berg​

Königsvater Sonne verabschiedete sich von seinem Volk, den Wolken, und ließ das Reich verdunkeln.
Die Garde von Königinmutter Mond tauchte das Blau in Schwarz und das Weiß in Grau, bevor sie sich aus ihrem Schlaf erhob, nachdem sie ihrem Gatten eine schöne Nacht gewünscht hatte.
Die Garde funkelte entzückender, als es Diamanten je vermocht hätten. Vater Sonne strahlte jetzt auf der anderen Seite der liebreizenden Erde und beglückte dort die Leute mit seiner Wärme und Mutter Mond schien groß und grell und kühl ganz hoch am Himmel, schickte die Menschen schlafen, auf dass der nächste Tag ein Segen für sie werden würde. Sie genoss die Ruhe der Nacht; er den Lärm des Tages.

Staniel lag im Bett und starrte Löcher in die Decke. An nichts denkend. Nichts. Jedoch … Ihm lag etwas schwer am Herzen, das aus dem Nichts auftauchte und ihn beschäftigte, etwas, worüber er nie nachgedacht hatte: Freundschaft.
Was für Berufe würde ein jeder von ihnen ausüben? Bestünde die Chance, dass einer von ihnen das Dorf verlassen würde, aus welchem Grund auch immer? Beim Himmel, dachte er, ich will nicht allein sein! Er spürte ein Stechen in den Augen und fühlte heiße Tränen seine Wangen hinunterrinnen. Wieso denke ich darüber nach? Ich will es doch gar nicht wissen.
Kein Mensch will die Zukunft kennen, denn am Ende des Horizontes liegt immer ein und dasselbe. Das, was uns bei der Geburt versprochen wird. Der Tod.
Jedermann erfährt diese Situation zweimal im Leben. Einmal als Jüngling. Einmal im Alter.
Und das Denken tut weh, ja, es schmerzt, dieses Unwissen, so versteckt. Bloß Mut und Kämpfen, der Weg ist das Leben, und das Leben ist schön. Voraus, immer weiter, bis zum Ende. Das Dazwischen ist kostbar und wofür man geboren wird. Man muss es lieben, solange man kann. Zeit sollte ignoriert werden; Ewigkeit ist jetzt. Das Leben ist ein Tagebuch, niederschreiben muss man jedes Wort, solange es währt. Erst am Ende übergibt man es dem Tod, der den unseren schreiben wird, damit man endlich Frieden findet.
Staniel lächelte, kicherte, lachte, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und blickte aus dem Fenster. Mutter Mond thronte am höchsten Punkt des Himmelsreichs. Er schnappte sich die Laterne und schlich sich vorsichtig und langsam die Treppe runter und aus dem Haus. Bemühend, die Holztür nicht quietschen zu lassen, öffnete er sie behutsam und zwang sich durch den Spalt, den er geschaffen hatte. Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und pirschte zu dem Treffpunkt.
Knack. Er ignorierte es.
Knack. Erneut. Diesmal lauter.
»Verdammt, Staniel. Bist du taub?«
Er wandte der Stimme den Kopf zu und spürte rasante Kälte abrupt von Kopf zu Füßen fallen. Staniel erstarrte zu Eis.
»Guten Abend«, höhnte die Gestalt. Kurzes rotbraunes Haar, leicht gebeugter Gang durch krummen Rücken. Es war Robert … »Ich hab euch reden gehört.«
»Belauscht hast du uns!«
»Nenn es, wie es dir beliebt, Freund.« Staniels Magen grummelte und wollte sich des Inhalts entledigen. »Aber nimmst du mich nicht mit auf euer kleines Abenteuer, werde ich das leider euren Eltern erzählen müssen.«
Ihm blieb keine andere Wahl. Er seufzte, kapitulierte und gestikulierte mit der freien Hand, dass Robert ihm folgen sollte. »Was genau hast du von unserem Gespräch mitbekommen?«
»Ihr sagtet, ihr wollt den Berg rauf. Mehr nicht. Ich hab euch nicht im Wald erwartet. Ironie des Schicksals.«

Hoch hinaus und Höhlensuche​

Freude wich Wut, als sie sahen, wen Staniel im Schlepptau hatte.
»Was will die Ratte hier?« Anna schritt gallig zu Robert, wurde aber aufgehalten.
»Er kommt mit«, entgegnete Stan mit einem Anflug von Gleichgültigkeit.
»Du hast uns belauscht, hab ich recht? Sag schon!«
»I-Ihr wart nicht im D-Dorf, als ich auf der Suche nach euch war, also beschloss ich, Kienäpfel im Wald zu sammeln und bin euch zufällig begegnet. Ehrlich.«
»Bei einer Begegnung sieht man sein Gegenüber«, sagte Leo und warf ihm das Paar Eispickel zu, das er unbeholfen fing.
»Was soll ich damit?« Stan nahm sie ihm ab und er realisierte, was die Freunde vorhatten. »Oh nein, nein, nein, nein, nein. Keine zehn Pferde bringen mich da rauf.«
»Folgst du nicht, müssen wir das leider deinen Eltern erzählen«, meinte Leo, aber Robert verstand es nicht. »Wir sagen ihnen, du hast uns dazu gezwungen, mit dir hierher zu kommen. Und dass du die ganzen Sachen geklaut hast. Sechs Stimmen gegen eine.«
Nun fühlte er wie Staniel, als er ihn erpresst hatte.

Auf dem Weg vom Schmetterfels zum Grün-Wucher-Berg sahen sie nichts außer Bäume, Dunkelheit, sich selbst und das Feuer der Laterne. Rascheln und Knacken waren ab und an zu hören, aber nur Fred und Rob schreckten davor zurück. Der Gesang eines Uhus erklang und die beiden Angsthasen fingen zu bibbern an.
»Wie ihr euch vor diesem Vogel fürchtet, so fürchte ich mich nur von Wölfen«, sagte Stan. Der Wald musste sich wohl einen Scherz erlauben, denn ein Heulen durchbrach die Stille und das Lied des Uhus, der abrupt sein Lied abbrach. »Pff, der ist meilenweit weg. Keine Bange.« Er versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen, und spielte den Mutigen.
Gefühlt waren sie schon Stunden unterwegs, obgleich kaum zwanzig Minuten vergangen waren. Zeit ist unsichtbarer Wahnsinn; Relativität die schönste Lüge und ihr Vergehen das Sterben allen Lebens. Doch sie kamen an und gingen die Serpentine hoch bis zu der Stelle, an der sie abbrach. An den Kanten, auf dem Weg und an den Wänden zu ihrer Linken war der Berg durchschlängelt von einem atemberaubenden Wurzelgeflecht und Kletterpflanzen. Braun um Grün und Grün um Braun gewickelt, übersät von Blättern um das ganze Gestein des Berges war dies eine faszinierende Flora. Schön anzusehen von der Ferne, aber je höher sie kamen, desto tiefer würden sie fallen. Blattwerk und Wurzeln knirschten unter ihren Füßen.
»Da wären wir, Leute!« Staniel blieb vor dem zerstörten Weg stehen. Über ihnen war der Vorsprung knapp viereinhalb Meter hoch. Eine wahrlich seltsame Anomalie der Gebirgsformation; eine Serpentine, die ohne Grund abbricht, und ein Vorsprung genau darüber. Dazwischen mindestens fünfundzwanzig Meter freier Fall, wenn etwas schief ging. Hier würden die Eispickel zum Einsatz kommen, denn sie waren sicherer als die Wurzeln und Lianen.
»Leo?«
»Aye!« Er zog sein Werkzeug aus dem Gürtel und bereite sich vor. Alle wünschten ihm viel Glück und Bart schlang ihm die Seile, sicher zusammengebunden, quer über die Schulter.
Leopold ging vor und blickte in den Abgrund. Mit einem Grunzen schlug er den ersten Eispickel ins Gestein, dann den zweiten und kletterte so Stück für Stück hinauf. Er bemerkte, dass es schwerer war, sie wieder aus dem Stein zu ziehen, als sie reinzuhauen.
Ein Meter nach rechts, zwei, der letzte. Ein Meter nach oben, zwei … Er schaute über die Schulter nach unten und glaubte für einen Moment, der Abgrund sei tiefer geworden. Drei, vier, noch ein Stück … Geschafft!
»Such eine Felsnase und mach das Tau fest.« Leo zeigte Kim einen erhobenen Daumen und verschwand.
»Dir lassen wir den Vorrang!«, sagte Bart.
Robert wandte den Kopf und verstand, dass er damit gemeint war.
»Wa… Was? Wieso?« Seine Unterlippe bebte vor Nervosität und er knetete seine Hände, als ob er sie waschen würde.
»Du hast uns belauscht, das ist nur fair.« Zum ersten mal sah er das der sanftmütige Riese auch anders kann und scheute vor seinem durchdringenden Blick zurück. Um seinem Auftreten Nachdruck zu verleihen, stieß er ihn mit der Wampe gegen den krummen Rücken. Rob schluckte schwer, begleitet von einem Schweißausbruch.
»Leute!« Leo warf das lange Tau runter. »Ich hab es an einem Baum festgebunden.«
Robert ging zögernd los. Er packte das Seil und kletterte hoch, ohne einmal zurückzuschauen. Mehr aus Angst als aus Mut, dennoch wahrhaft selbstbewusst.
Als Nächstes kamen Stan, Fred, Kim und Anna. Die Laterne ließen sie unten. Bart fürchtete die Höhe und negierte, mit ihnen zu kommen. »Lasst mich hier unten. Für alle Fälle.«
»Wir helfen dir, keine Sorge. Der Baum und das Tau sind stabil genug, vertrau uns.«
»Also gut …« Er packte das Tau und zog sich langsam und vorsichtig hoch. Nicht nach unten schauen. Die Gesichter seiner Freunde kamen immer näher. An der Kante halfen alle Jungs, ihn an den Armen hochzuziehen.

Die Offenbarung​

»Na, und jetzt? Hier oben ist nichts«, rief Robert aus.
»Hier oben ist eine Höhle und die werden wir finden«, erwiderte Stan genervt.
»Ihr glaubt auch noch an diesen Irrsinn?« Ein wütender Blick Leopolds ließ Rob verstummen.
Der Vorsprung hatte einen Radius von fünf Metern; Wurzeln hingen am Rande runter. Kleinere und größere Bäume wuchsen viel höher am Berg, während hier unten alles übersät von Pflanzen, Büschen und Wurzeln war.
Buhu. Buhu. »Was war das?« Alle suchten nach der Quelle des Geräuschs.
Buhu. Jeder lauschte dem Ruf. Buhu. »Dort drüben.« Buhu.
Ganz nahe hörten sie es lauter. Buhu. Hinter Wurzel- und Lianengeflecht war etwas. Sie zogen es auseinander und rissen und zerstörten, solange bis … aus dem kleinen Loch, das sie geschaffen hatten, ein Uhu stolzierte und die kleine Gruppe anschaute, bevor er ein letztes Mal buhute und von dannen flog.
Stampf … Stampf … Riesige Finger schoben das Dickicht der Pflanzen, die die Höhle versteckte, beiseite. Die Freunde wichen dem Fuß aus, der auftauchte und sie fast zerquetschte.
»Mein Gott!«
»Unmöglich!«
»Nein, nein, nein!«
»Hilfe!«
Den Leibesser gab es also wirklich! Sie sahen in seine Augen, er sah in die ihren.
Fast sieben Meter maß er. Finger so lang wie ein Mensch selbst, die Haut graugelb mit Moos an den breiten Schultern, voll von Ranken und Pflanzen am ganzen Körper; Blätter an seinen Hüften herabhängend bildeten einen Lendenschurz. Buschig, zerfranst und lang war sein grauer Bart, das Haar licht am Kopf, die Augenbrauen wulstig. Die Nase war überraschenderweise weder krumm, noch lang, sie sah fast schon menschlich aus, so auch die grünen Augen, die Smaragden glichen.
Raaaaarrrggghhhh! Das gutturale Brüllen ging durch Trommelfell und Paukenhöhle, durch Mark und Bein.
Die Kinder rannten und schrien, die Jungs zogen ihre Hemden aus und benutzten diese, um sich nicht die Hände am Seil zu verbrennen, wenn sie runterrutschten. Kim und Anna hielten sich mit aller Kraft an Bart fest und sie schafften es alle tatsächlich zurück zum Ende der Serpentine. Dann erzitterte die Erde einem Erdbeben gleich und stieß die Freunde von den Füßen. Der Leibesser war gesprungen und streckte den Arm nach ihnen aus.
»Nein! Hilfe, Hilfe! Neeeeeeeeiii…« Robert verschwand im Maul der Bestie. Alle anderen rannten, dass ihnen die Füße schmerzten, ließen ihre Kleidung, Laterne und Seile zurück.
Fred lief mit dem Messer in der Hand. Wenn er geschnappt würde, könnte er sich verteidigen. Ein Stich in die zugreifende Hand des Leibessers - würden diese großen Finger den Schmerz der Klinge verspüren? - ließ vielleicht genug Zeit zu entkommen …
Keiner schaute zurück, ob das Monster sie verfolgte, doch das tat es offenbar nicht.
Sie kamen am Schmetterfels vorbei, rannten weiter und konnten bald das Dorf von der Ferne ausmachen.
»Hilfe!«
»Aufwachen!«
»Monster!«
Einige Bewohner schreckten aus dem Schlaf und kamen aus ihren Häusern gelaufen, indes die Kinder ununterbrochen lauter schrien.

Das Ende​

Ihre Eltern wurden von dem Lärm wach und begaben sich zu ihnen.
»Was soll der Radau?«, donnerte der Bürgermeister des Dorfes mit dem dicken Schnauzer empört.
»Der … es gibt ihn wirklich!« Staniel atmete durch und fuhr fort: »Der Leibesser hat Robert …«
Kim weinte in Leopolds Armen. Fred reichte dem Schmied sein Messer zurück und gesellte sich wieder zu seinen Freunden. Keiner sagte etwas, die Erwachsenen schauten sich merkwürdig und traurig an; Roberts Mutter weinte auf Knien, sein Vater umarmte sie und tätschelte ihren Rücken.
»Wir müssen euch etwas gestehen, Kinder!« Bürgermeister Thunderwell strich sich nachdenklich durch den Schnauzer. »Das hier ist der Heimatort des Biestes. Wir haben es sozusagen eingenommen, und dafür, dass wir hier leben dürfen, verlangt das Biest ein Opfer. Ein Kind.«
Niemand der Freunde verstand. Sie schauten Thunderwell nur resigniert an.
»Stan. Es ist wahr. Viele von uns hatten Brüder und Schwestern, eure Onkel und Tanten. Sie gaben ihr Leben, damit wir unseres weiterführen konnten.«
Stans, Barts, Freds, Leos, Annas und Kims Eltern begannen zu weinen und das Stampfen wurde immer lauter.
»Ihr wisst jetzt leider zu viel und wir befürchten, dass ihr es den anderen Kindern erzählen werdet. Wir aber müssen den Frieden wahren. Es tut uns so leid …«
Stampfen von weiter ferne wurde stetig lauter und kam ihnen näher. Staniel glich einem brodelnden Vulkan; er schaute die Anwesenden mit einem Blick aus der purem Zorn und Hass an. Kim blickte enttäuscht und Annabelle abhold gegenüber den Erwachsenen auf, Leo schüttelte nur den Kopf, Frederick schaute bedrückt zu Boden und dann war da dieses Lachen. Fröhlich mit Trauer gepflastert, gequält und des Wahns überhand geworden; das Lachen eines Jungen dessen Verstand, den Schrecken nicht glauben wollte den er gesehen hatte, den er für niemals möglich, wahr, existent hielt. Bartholomäus umklammerte mit einem Wasserfall Tränen in den Augen und auf Knien seine Freunde, während sein Lachen zwischen Freude und Trauer tendierte und langsam abklang.
Hinter den Freunden tauchte der Leibesser auf. Er schaute auf sie herab, knurrend; Staniel blickte ihn herausfordernd an. Die riesige Pranke stieß vor – Staniels letzte Worte sollten ewig im Gedächtnis der Bewohner bleiben, als er ein lang gezogenes, wütendes Feiglinge ausrief –, packte die schreienden Kinder und verschlang sie.
Thunderwell lies sich die Genugtuung nicht vom Gesicht lesen, als der Tyrann ihnen den Rücken kehrte und Heim stampfte. »Das war zwar nicht vorgesehen, aber nun sind wir die nächsten sechs Jahre vor ihm sicher.«
»Unvorhergesehen«, flüsterte Gerald, »Allerdings.« Leopolds Vater fluchte unverblümt.
»Kinder sind schon was besonderes; haben vor allem ihren eigenen Kopf, egal was man ihnen und wie oft man es sagt Ihres auch Herr Bürgermeister.« Einige der Versammelten, hauptsächlich die Männer, wandten Thunderwell die Köpfe zu. »Diesbezüglich leider eine Tragödie.«
»Was reden sie da Ger-«, ein abruptes Stechen im Rücken verstummte seine Worte.
Er roch stinkenden, vom Alkohol gekennzeichneten Atem und vernahm das Flüstern des Schmiedes: »Das waren die letzten«, er drehte die Klinge, »für immer!« Der Bürgermeister fiel bäuchlings, der Länge nach hin. Das Blut flutete in alle Richtungen.
»Holt die Kinder aus den Betten und den Rest vom Dorf. Wir haben einen langen Fußmarsch vor uns.« Gerald und die anderen versammelten Dranthus nach draußen – er und alle Männer zündeten sich so viele Fackeln an wie sie tragen konnten und marschierten zum Grün-Wucher-Berg. Emily – die Tochter des toten Thunderwell -, die übrigen Kinder und Frauen gingen vor Richtung Augusta, Maine.
Heute Nacht brannte der Berg des Monsters der Legenden, Fabeln und Märchen – heute Nacht brannte der Leibesser und nur Knochen blieben als Beweis seiner Existenz von ihm zurück - heute Nacht verloren die Kinder des Dorfes Freunde und die Eltern Kinder.
Das Feuer fegte den Berg kahl von seiner Flora und seinem Namen. Dranthus würde zur Geisterstadt werden. Und der Leibesser würde nie wieder sein Unwesen treiben.

 

Ich würde gern mal Kritik bekommen und hier wäre meine erste Geschichte.

Diese meine Geschichte gewann bei der Ausschreibung vom Geisterspiegel und wird bei der 7. Dark Creature Anthologie mit anderen Autoren in einem Buch veröffentlicht. Die Geschichte wurde mit meiner Einverständnis mit mir überarbeitet. Das ist das Resultat.

Ich freue mich auf Bewertungen.

Danke.

 

Hallo InsaneMind,

obwohl ich den Text nur angefangen habe, sind mir ein paar Punkte aufgefallen, über die Du nachdenken könntest. Vielleicht findest Du es nützlich:

Tonfall – Bei der Wahl des Tonfalls kommt es häufig auf persönliche Vorlieben an, die nicht viel mit dem Handwerk des Schreibens zu tun haben müssen. In meinen Ohren klingt der Text geschwätzig und gestelzt. Das ist keine neutrale Erzählstimme, sondern ein Plappermaul. Ich persönlich mag das nicht so, aber es gibt sicher Leser die das schätzen.

Natürlich kannst Du so schreiben, aber dabei schadet es nicht im Hinterkopf zu behalten, dass dieser Tonfall als unecht wahrgenommen werden könnte, als schwülstig und kitschig, weil er eben so dick aufträgt, so gewählt klingen will:

- kaute simultan auf Kartoffelbrei und Grünzeug
- Du kannst dir wenigstens die Mühe machen, etwas Neues zu ersinnen
- Seine Eltern beruhigten sich einstweilen
- Gerald griff sich mit weit aufgerissenen Augen und kreidebleichem Gesicht an die Brust
- Die Kantate eines Vogels der Nacht
- Unisono sprachen sie die Zeilen
- wenn kein Beweis der Existenz fündig gemacht wird
- bot dennoch einen attraktiven Ausblick auf den Wald und einen Teil des Dorfs
- Die Gruppe frohlockte

Das sind Beispiele, die schräg bis schrecklich klingen, zumindest für mich. Ein Buch, das so beginnt, würde ich auf der Stelle zuklappen. Nun ist allerdings so, dass Deine Geschichte zum Fantasy-Genre gehört, und da gibt es eben diese Marotte einiger Autoren, die Sprache auf alt oder historisch trimmen zu wollen, was im Endeffekt meist nur albern klingt. Man muss das nicht so machen. Ich habe Tolkien mehrmals gelesen und fand es wunderbar.

Wortwahl – Ich grenze das ein bisschen ab vom Tonfall, weil der Tonfall eher ein subjektive Kategorie darstellt, glaube ich. Bei der Wortwahl machst Du allerdings handwerkliche Fehler. Die gravierendsten sind Wort- bzw. Lautwiederholungen und das Benutzen stehender Wendungen, also Phrasen. Beides sollte man vermeiden, da sind sich wohl die meisten Schreibschulen einig. Es geht aber auch so einiges andere drunter und drüber.

- Ein Uhu, der sich auf den Ast über ihnen setzte, und so die Eiche nun besetzte (Wiederholung)
- gab Mutter mindestens zum tausendsten Mal zum Besten (Wiederholung und stehende Wendung)
- Wir schreiben das Jahr (Phrase)
- Dem Monster der Legenden, Fabeln und Märchen, die seit Anfang der Entstehung kursierten und es immer werden, wenn kein Beweis der Existenz fündig gemacht wird. (Der Satz ist komplett vermurkst.)
- Es wurde gemunkelt, dass dort irgendwo eine Höhle versteckt lag zwischen all den Pflanzen, die aber bisher nie gefunden wurde. (Wiederholung)
- Keiner wusste, wie er zu seiner Form gekommen war, aber es rankten sich viele Erzählungen darum. Eine davon war (Wiederholung)
- Auf Leopold würde er vertrauen können, die anderen würden nur Angst haben, Ausreden erfinden oder wie Kimberly Fakten und Gründe aufzählen, wieso es diese Kreatur nicht gab. Er würde es dennoch versuche (Wiederholung)

Es kostet viel Mühe, einen Text von solchen Schlacken zu befreien. Aber wenn man das macht, merkt man gleich, dass das Ganze viel frischer und flüssiger wird. Eine allgemeine Empfehlung lautet, zunächst zu lernen einen guten Text in neutralem Tonfall zu schreiben, dabei Wortdopplungen, Phrasen, obskure Formulierungen und Vergleiche (Kantate eines Vogels der Nacht) zu vermeiden. Der gute persönliche Stil stellt sich dann ganz von selbst ein, und mit der Zeit wird der Ausdruck dann präziser und eleganter. Aber diesen Schritt kann man nicht abkürzen, denke ich.

Gruß Achillus

 
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Hallo InsaneMind12,
herzlich Willkommen bei uns.

Bevor ich etwas zu der Geschichte sage, erst mal was ganz Wichtiges:

Diese meine Geschichte gewann bei der Ausschreibung vom Geisterspiegel und wird bei der 7. Dark Creature Anthologie mit anderen Autoren in einem Buch veröffentlicht. Die Geschichte wurde mit meiner Einverständnis mit mir überarbeitet. Das ist das Resultat.
Bist du dir denn sicher, dass du die Geschichte dann hier veröffentlichen darfst?
Vorsichtshalber würde ich mich eventuell mal bei den Organisatoren der Ausschreibung erkundigen, ob das in Ordnung geht.
Ich verstehe auch deine Idee nicht so ganz, was machst du denn mit unseren Anregungen? Einarbeiten könntest, dürftest du sie doch dann sowieso nicht mehr.
Gut, vielleicht geht es um ein allgemeines Feedback. Und um Ratschläge für die Zukunft.

Zu deiner Geschichte: Ganz grundsätzlich finde ich deine Geschichte von einer schönen Idee getragen. "Leibesser", das Gedicht vorneweg, die Tatsache, dass Kinder einen Alptraum bekämpfen, der sie schon das ganze Leben geärgert hat. Das gefällt mir alles.
Du spürst es schon, jetzt kommt ein großes Aber. Ich finde den Text noch nicht gut geschrieben. Empfinde ihn häufig sogar als sehr unbeholfen. Gründe sind Wortwahl, Wiederholungen nicht nur einzelner Wörter, sondern auch inhaltlicher Art. Außerdem gehst du mir häufig zu wenig in die Szene rein, lässt die Akteure zu wenig selbst tun, sondern gibst das wieder, was sie tun, aus erzählender oder gar berichtender Sicht. Das wirkt dann oft langatmig und wenig spannend und klingt eben noch sehr unerfahren im Schreiben.

Das wirkt jetzt ziemlich fies von mir, aber du hast nichts davon, wenn ich dir deine guten Fähigkeiten mit falschem Lob zukleistere. Achillus hat dir viele Tipps gegeben, und sehr viele Beispiele genannt, die ich dir auch sehr gerne ans Herz legen möchte.

Ich probiere das jetzt mal so, dass ich dir einfach meine Gedankengänge zum Anfang deines Textes noch mal aufschreibe, (trotz Ausschreibung) damit dir auch meine Kritik, also das Redundante und zu stark Berichtende veranschaulicht und an einigen Beispielen belegt wird.

Okay, mit einem Gedicht zu beginnen, das den Leibesser einführt, tolle Idee. Aber das Gedicht sollte auch stimmen. Und da hakt es metrisch ganz gewaltig.

Ein Uhu, der sich auf den Ast über ihnen setzte,
und so die Eiche nun besetzte,
schaute weise auf die Jungs herab,
bevor sein Loblied er begann
und ihn weckte, den Tyrann.
Nur in Zeile zwei und vier stimmt das Metrum: unbetont-betont
In der dritten müsstest du aus schaute - schaut machen, dann stimmt es auch dort. In der fünften wechselt der Takt, aber das ist okay oder sogar gut, denn diese Zeile offenbart uns den Tyrann. Da unterstreicht die wechselnde Betonung den Inhalt.
Die erste Zeile ist ehrlich gesagt ganz furchtbar. Die Satzstellung ist so geändert, dass nur ja auf Teufel komm raus ein Reim entsteht und der Reim bringt keinerlei Neuerung im Vergleich zur zweiten Zeile. Und umgekehrt. Und sie hat kein durchgehendes Metrum, das holpert ganz gewaltig. Liegt an den beiden kursiven Wörtern "über ihnen". Wenn du sie durch hoch ersetztest, wäre der Takt zwar in Ordnung, aber es ist auch inhaltlich sehr gewollt.

Inhaltlich zur zweiten Zeile: auch das wirkt dem Reim zulabe und stimmt inhaltlich auch nicht so richtig, müsste ja ein ziemlich fetter Vogel sein, um eine ganze Eiche zu besetzen. Aber das fand ich jetzt weniger schlimm als die erste Zeile. Man muss ja auch bedenken, dass es sich um einen Volksspruch handelt, ds muss ja nicht alles hundertprozentig sein.
Aber insgesamt: Also da müsstest du echt ran, das Gedicht besonders in Vers 1 noch mal metrisch besichtigen und zumindest glätten, sonst hast du den typischen Gedichtsound ja nicht.

»Isst du dein Gemüse nicht auf oder leerst den Teller nicht sauber, wird der Leibesser kommen und dich als Strafe dafür verspeisen«, gab Mutter mindestens zum tausendsten Mal zum Besten. Wir schreiben das Jahr 1940.
Schwierig, so klingt das etwas ungelenk. Würde lieber schreiben, dass er das schon tausend Mal gehört hat. Bei Einleitungssätzen zur wörtlichen Rede sich vielleicht doch mal stärker auf "sagte" beschränken.
Die lapidare Jahreszahl danach, hmm, schwierig, brauchst du das überhaupt? Es spielt ja eigentlich überhaupt keine Rolle. Weder für ein Zeitfeeling noch brauchst du die zeitliche Verortung. Der Met haut einem die Jahreszahl dann eh gleich wieder weg.

Staniel grummelte vor sich hin und versuchte, mit etwas Wasser den Brokkoli hinunterzuschlingen. Er erklärte seiner Mutter, dass es keinen Leibesser gab und sie ihm mit dieser Masche schon seit seinem dritten Lebensjahr Angst einzujagen versuchte, um stets den Eltern gehorsam zu sein und den Teller leer zu essen. »Du kannst dir wenigstens die Mühe machen, etwas Neues zu ersinnen.«
Dieser Satz tötet jede Spannung in dem Gespräch. Da nimmst du alles schon vorweg, warum? Der Leser kriegt das durch das nachfolgende Gespräch eh mit. Das Gespräch ist übrigens viel lebendiger als diese vorwegnehmende Erklärung.

»Na, weil alle Kinder brav sind und ihr Gemüse essen!« Vater stampfte mit den Füßen und Mutter hielt sich den Kopf, derweil Staniel wütend auf sein Zimmer stapfte, sich aufs Bett schmiss und die Dielen knarzen ließ.
Warum diese Übertreibung? Der Zorn bei allen Beteiligten ist nicht nur übertrieben dargestellt, sondern, weil man nicht kapiert, warum die sich jetzt alle so aufregen, wirkt das unpassend. Warum auf einmal solche Emotionen auf allen Seiten im Spiele sind, kommt durch das Gespräch ja gar nicht raus. Ich würde dir den Rat gegeben, den Streit zwischen Eltern und Jungen ein bisschen zu verdeutlichen, das Gespräch zuspitzen, der Staniel könnte ruhig ziemlich frech werden, um zu zeigen, dies ist der Grund, warum er unbedingt den Leibesser loswerden will.

Seine Eltern beruhigten sich einstweilen. »Weißt du noch, was deine Eltern dir über ihn erzählt haben?«, fragte Gerald sein Eheweib.
Merk ich doch am Gespräch, dass sie sich beruhigen. Du erzählst dem Leser alles zweimal. :)

Sie gestikulierte und sprach: »Fege den Boden, mache dein Bett, sei brav und adrett, sonst stößt seine Pranke durch die Wand unsres Hauses, mein Mädchen. Packt dich mit den großen, schwieligen, langen Fingern und wirft dich in sein Maul mit den fauligen Zähnen, wo er dich kaut und kaut und herunterschluckt, so wie du, wenn du isst, sodass dein toter Körper nie mehr zu finden sein wird. Denn nur verschwundene Kinder, die nie gefunden werden, wurden vom Leibesser verschlungen.« Sie lächelte.
Welche Gesten macht sie denn genau, wenn sie das erzählt. Sie gestikulierte ist ein viel zu allgemeiner Begriff, der nicht gut zu einem solchen Gespräch passt. Und das, was sie wiedergibt, das müsste ein bisschen gekürzt und dadurch zugespitzt werden. Ich hab mal das amS Allerallerwichtigste geschwärzt. Den Anfang find ich ganz hübsch, grad mit dem gereimten Bett und adrett. Das klingt so schön nach Kinderspruch. Aber benutz dann bitte auch die Imperativformen feg und mach. Ich schreibs mal hier auf, wie es dann klingen würde mit meinen Weglassungen.
Feg den Boden, mach dein Bett, sei folgsam und adrett, sonst stößt der Leibesser durch die Wand, packt dich mit schwieligen Fingern, wirft dich ins Maul, kaut dich mit fauligen Zähnen, kaut und kaut, bis nichts mehr übrig ist.


Beide hörten ein Geräusch durch das offene Fenster. Die Kantate eines Vogels der Nacht.
Du verlangsamst deinen Text dadurch, dass du die Wahrnehmungen der Menschen noch dazuschreibst. Warum nicht nur: Ein Geräusch drang durch das offene Fenster.
Kantate eines Vogels, ich finde sehr gut, sich neue Ausdrücke zu suchen, aber es passt hier nicht zum Vogel, ein Uhu klingt doch nicht nach Kantate, sondern nach rumuhuhen halt, mehr so wuuoooh wuuuoooh, wuuohhh, das wäre ja echt eine blöde Kantate.
Dieser sehr blumige Ausdruck passt amS auch nicht zu der Situation und dem sonstigen Sprachstil.

Ich wünsche dir alles Gute.
Novak

 

Lieber InsaneMind12

Die Jahreszahl 1940 braucht es meiner Meinung nach nicht. Ausserdem vermute ich, dass der Brokkoli erst in den 70er Jahren nach Deutschland kam.

Grüsse Silea

 

Hallo InsaneMind!

Willkommen bei den Wortkriegern.

Du hast ja schon einiges an Tipps bekommen, ein weiterer von mir: Schreibe am besten erstmal Geschichten, die an einem Ort spielen, den du kennst, und zu einer Zeit, die du selbst erlebt hast.

In deinem Text passt vieles einfach nicht zusammen.

Die Geschichte soll in der Gegend von Boston spielen, im Jahr 1940. Den Brokkoli hat Silea schon angesprochen. Passt Blaukraut da besser hin? (Und übrigens, es wird nicht zur gleichen Zeit gesät wie geerntet. Grob gesagt: Säen im Frühjahr, Ernten im Herbst.)
Und warum trinkt ein US-Amerikaner Met aus einem Horn?
Und die Namen sind wirklich total durcheinandergewürfelt, davon passt kaum einer zum Setting. Staniel, Barbara, Gerald, Bartholomäus, Frederick, Leopold, Kimberly und Annabelle.
Dann kommt ein nordischer Gott, Thor Mjölnir, wie kommt der nach Boston?

Da gibt es noch viel zu tun.

Grüße,
Chris

 

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