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- 22.02.2002
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Der Kurier
Wolken krochen über den Himmel und verschlangen das dünne Licht der Sterne. Hungrige Ratten frassen sich durch den Müll, der in der Strasse liegen geblieben war. Alans Turnschuhe erzeugten auf dem nassen Asphalt saugende Geräusche. Er versuchte das unangenehme Gefühl in seinem Rücken zu vergessen, aber keine Sekunde ging ihm aus dem Kopf, wie verletzlich er war. Der Auftrag, den er ausführte, entsprach überhaupt nicht seinem Geschmack, aber er brauchte das Geld, das ihm Wexler bezahlte. Es reichte gerade, um seine Haut zu retten. In letzter Zeit hatte er zu häufig Pech gehabt und die Schulden begannen, ihm über den Kopf zu wachsen. Das war nicht gesund, denn die Kredithaie verstanden keinen Spass, wenn es um Geschäfte ging.
Eine Gestalt schälte sich aus den Schatten zwischen den Häusern. Alan blieb beim Geräusch der Schritte stehen und wandte den Kopf in die Richtung. Ein Japaner kam auf ihn zu und durchsuchte ihn nach Waffen. Das Paket, das Alan mit sich führte, liess er stecken.
"Komm mit", befahl der Japaner, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass Alan unbewaffnet war.
Von den Dächern der Häuser tropfte Wasser. Sie überquerten die Strasse und stiegen eine Treppe nach unten. Für den Auftrag erhielt er zuwenig, überlegte Alan, während er durch eine stinkende Flüssigkeit watete, die den Boden des Kellers bedeckte. Der Japaner schob seinen breiten Körper durch eine Lücke in der Wand. Alan wünschte, er hätte ein paar Pillen geschluckt, bevor er hierher kam.
"Warte", kam eine Stimme aus der Dunkelheit.
In dem Raum bewegten sich Gestalten. Alan kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Als er das Paket ausstreckte, hörte er das Knacken von Abzügen. Er hasste diesen Job.
"Ich habe Wexlers Lieferung hier", erklärte er nervös.
Eine der Gestalten bewegte sich beinahe lautlos auf ihn zu. Der Hauch eines exotischen Rasierwassers stieg in seine Nase, als ihm das Paket abgenommen wurde. Er wich einen Schritt zurück und steckte seine Hände in die Taschen. Dann wurde er durch die Druckwelle einer Explosion nach hinten geschleudert und krachte mit dem Rücken gegen die Wand. Lichtblitze tanzten wie verrückt vor seinen Augen. Die Schreie der Verletzten bohrten sich in seine Ohren, während der Geschmack von Blut auf seine Lippen trat. Keuchend zog er sich an der Mauer hoch. Ein brennender Schmerz frass sich in seiner Brust fest. Er kämpfte noch darum, zu begreifen, was geschehen war, da liess ein Geschoss den Verputz neben seinem Kopf aus dem Wand spritzen.
Er musste schleunigst verschwinden, sonst war er erledigt. Auf dem Weg zur Treppe stolperte er über etwas Weiches, Blutiges, das sich auf dem Boden bewegte. Er taumelte die Stufen nach oben. Draussen trieb ihm der Sturm Regenwasser in das Gesicht. Er blieb stehen und beugte sich würgend nach vorn. Blut vermischte sich mit dem Regen, als er das T-Shirt hoch schob. Ein Metallsplitter steckte zwischen seinen Rippen. Die Schreie hinter ihm wurden lauter. Mit zitternden Fingern nahm er den Splitter und zog ihn aus dem Fleisch. Schweiss und Tränen liefen über sein Gesicht, während er die Strasse entlang rannte.
Nach wenigen Schritten begann sein Verstand wieder zu arbeiten. Es war klar, dass Wexler ihn herein gelegt hatte. Das Paket, das er den Japanern überbracht hatte, war eine Splitterbombe gewesen. Wexler hatte ihn dazu benutzt, um eine Rechnung mit den Japanern zu begleichen. Sein Verschwinden würde keine Fragen nach sich ziehen. Wütend ballte Alan die Fäuste, während seine Füsse über den Asphalt hämmerten. Sein Wagen tauchte am Strassenrand auf, ein verbeulter Dodge, der nicht mehr gut lief, aber wie es aussah, besass er nur diese eine Fahrkarte aus der Hölle. Während er nach dem Autoschlüssel suchte, warf er einen Blick über die Schultern zurück. Die überlebenden Japaner kamen rasch näher. Seine Finger zitterten, als er den Schlüssel herauszog. Er atmete tief durch, um ruhig zu werden, dann traf er das Schloss, riss die Tür auf und kletterte hinter das Steuer. Der Wagen machte einen Satz auf die Strasse hinaus und schmierte in einer steilen Kurve auf die andere Strassenseite. Die automatischen Waffen der Verfolger begannen los zu rattern. Das Hinterfenster zersplitterte. Alan hängte sich tief über das Steuer, er trat das Gaspedal durch und raste mit quietschenden Reifen um die nächste Strassenecke.
Benommen fuhr er immer weiter durch die Stadt. Die Japaner waren hinter ihm her, das war schlimm, denn sie beherrschten die halbe Stadt. Den Amerikanern gehörte, was sonst noch zu haben und interessant genug war, den Rest teilten sich kleine Gesellschaften, von denen Wexler eine leitete. Alan warf einen Blick auf die Uhr neben dem Steuer. Es war halb drei Uhr in dieser verwünschten Nacht. Es musste einen Weg geben, wie er die Schuld an allem auf Wexler abschieben konnte, aber er war noch nicht so weit, um vernünftig denken zu können.
Vor den blinkenden Neonlichtern einer Bar liess Alan den Dodge stehen. Als er ausstieg, zog er den Mantel über dem T-Shirt zusammen, dann betrat er einen schmalen, stickigen Raum. Er hängte sich an die Theke und winkte mit einem Finger den Barmann zu sich. Der nackte Oberkörper des Mannes glänzte im Licht der roten Scheinwerfer. Er hatte einen Irokesenkamm auf dem Kopf und die Haare mit grüner Farbe verklebt, in seinem rechten Ohr steckte ein eisernes Kreuz.
"Ich brauche einen Whisky", stiess Alan aus.
"Du siehst beschissen aus, Mann", sagte der Barmann, während er eine Flasche von oben herunter holte.
Es hatte keinen Sinn, mit den Japanern zu verhandeln, sie waren dafür bekannt, dass sie jeden, der ihnen in die Quere kam, erledigten, ehe er einen Laut von sich geben konnte. Sie würden ihn bei der nächsten Gelegenheit fertig machen. An der Decke hing ein flacher Bildschirm, über den Musikclips flimmerten. Alan wischte sich den Schweiss von der Stirn. Es war zu heiss in dieser Stadt, der Boden brannte unter seinen Füssen. Sobald er Ideen brauchte, kam nichts. Wütend nahm er einen Schluck aus seinem Glas und starrte zur Bühne hinüber, auf der eine nackte Frau tanzte. Der Anblick ihres eingeölten Körpers erregte ihn. Dann erstarrte er und wandte seinen Kopf in eine andere Richtung. Zwei Japaner hatten die Bar betreten. Das Glas begann in seiner Hand zu zittern. Diese Leute verstanden ihre Arbeit.
Lederjacken und angemalte Gesichter hingen an den Tischen am Rand der Bar. Er schob sich durch das Gewühl der Leute nach hinten, weg von der Bühne. Die Japaner wussten genau, welchen Wagen er benutzte. Es war dumm gewesen, den Dodge vor dem Eingang stehen zu lassen, aber die Einsicht kam zu spät.
Seine Knie fühlten sich weich vom Whisky an und in seinem Kopf eierte alles herum. Das war der zweite Fehler gewesen. Bleib nüchtern, wenn sie hinter dir her sind. Verfluchte Vorwürfe, die schlauen Gedanken nützten ihm hinterher nichts!
Vor einer Tür lag ein Mann am Boden. In einem Arm steckte eine Nadel, mit der er sich eine Ladung hinein gedonnert hatte. Alan kletterte über seine krummen Beine auf eine Kloschüssel, aus der ein beissender Gestank drang. Das Fenster darüber war verriegelt, er zog einen Ärmel seiner Jacke über die Hand und schlug die Scheibe mit dem Ellbogen ein. Glassplitter prasselten auf den Boden. Hastig zerrte er die Bruchstücke aus dem Rahmen und zwängte sich durch die Öffnung nach draussen. Er liess sich von dem Sims gleiten und federte den Sprung mit den Knien ab. Vorsichtig schob er sich entlang der Mauer bis zu einer Ecke, von der aus er seinen Wagen sehen konnte. Ein Japaner mit einem weissen Mantel lehnte daran und behielt den Eingang der Bar im Auge, ein anderer kam in seine Richtung. Der Mann sah ihn, bevor er sich verstecken konnte und zog eine Pistole. Alan sprang zwischen die stehenden Autos und rannte auf die andere Strassenseite. Die Japaner begannen in die Luft zu schiessen. Erschrocken warfen sich die Leute auf den Boden. Alan umarmte den Asphalt und wartete darauf, dass die Japaner ihn kassieren würden. Sobald er aufstand, hatten sie ihn.
Ein Wagen kam neben ihm zum Stehen und die Tür wurde aufgestossen. "Steig ein!"
Alan zögerte eine Sekunde, dann kroch er zu dem Wagen und kletterte auf den Rücksitz. Die Beschleunigung drückte ihn in das Polster und knallte die Tür zu. Die Scheibe über seinem Kopf knackte, als sich eine Kugel hinein bohrte, aber sie zersplitterte nicht. Vom Einschussloch verlief ein kleiner Kranz feiner Risse durch das Sicherheitsglas.
"Die sind mächtig hinter dir her, was hast du angestellt?"
Hinter dem Steuer sass ein Mädchen, das ihn durch den Rückspiegel musterte. Er zuckte mit einer Schulter und wandte den Kopf zurück, von den Japanern war nichts mehr zu sehen.
"Keine Sorge, ich habe sie abgehängt." Sie grinste. "Was wollten die Japaner von dir?"
Alan musterte sie misstrauisch. Niemand machte etwas umsonst. Es gab welche, die Leute einsammelten, um sie an Organbanken zu verkaufen. Er strengte sich vergeblich an, nüchtern zu werden.
"Du kannst mich Nick nennen, klar?"
Die Japaner warteten bestimmt darauf, dass er in seiner Wohnung aufkreuzte, dorthin konnte er nicht zurückkehren.
"Wie heisst du?"
"Alan."
"Was bist du für einer, Alan?"
"Das braucht dich nicht zu kümmern", stiess er aus.
Nick trat auf die Bremsen und steuerte den Wagen an den Strassenrand.
Wütend drehte sie sich zu ihm hin. "Falls du möchtest, dass ich dir helfe, musst du mit deiner Geschichte herausrücken."
Auf dem Kopf trug sie einen weissen Bürstenschnitt. Die Ärmel ihrer braunen Armeejacke hatte sie abgeschnitten und die Taschen vollgestopft, bis sie sich weit nach aussen beulten. Ihr Gesicht besass eine tiefbraune Farbe, die dunklen Augen waren gross.
"Die waren hinter mir her", sagte er lahm.
"Das habe ich bemerkt. Du gefällst mir, Alan, aber das reicht nicht, falls du deinen Mund nicht aufkriegst."
"Ich habe den Japanern eine Splitterbombe geliefert. Als sie hoch ging, erwischte es einige von ihnen."
"Was hast du nun vor?"
"Keine Ahnung. Die Japaner sind hinter mir her, vermutlich werden sie mich schnappen und erledigen."
"Du gibst wohl gleich auf, sobald etwas schief läuft."
"Weshalb hast du mich einsteigen lassen?"
Sie verzog das Gesicht. "Keine Ahnung. Ich habe dich rennen sehen und gedacht, du könntest Hilfe brauchen. Aber ich glaube, ich habe mich in dir getäuscht."
"Das kam zur richtigen Zeit", sagte er zögernd.
"Wer hat dir die Bombe angedreht?" fragte sie.
Sie beugte sich zur Seite und holte eine Tasche unter dem Beifahrersitz hervor.
"Das war Wexler, ein mieser Geldverleiher", stiess er aus.
"Es muss dir ziemlich dreckig gehen, wenn du für den einen Auftrag erledigst", stellte sie fest.
Sie wühlte in der Tasche und streckte ihm eine krumme Sojawurst hin.
"Hungrig?"
Alan riss ein Stück davon ab. Er wusste nicht, wie hungrig er war, bis er es zwischen seine Zähne schob.
"Machen wir ein Geschäft", schlug Nick vor. "Ich helfe dir, am Leben zu bleiben, und erhalte die Hälfte von dem, was dabei raus springt."
Alan sah sie schief an. "Ich weiss nicht, wie wir da etwas herausholen sollten."
"Lass die Dinge einfach auf dich zukommen, Alan. Du machst dir zu viele Sorgen."
Er grinste.
"Inzwischen kannst du bei mir bleiben."
"Wo ist denn das?"
Sie deutete auf das Innere des Wagens. "Hier."
"Du lebst in deinem Auto?" fragte er.
"Es kostet keine Miete und nichts, und man ist immer schnell verschwunden, wenn es einem irgendwo zu ungemütlich wird. Es ist kein superkomfortables Leben, aber die Sessel lassen sich völlig flach stellen und darauf kannst du ganz gut schlafen." Sie startete den Motor und legte den Gang ein. "Wir müssen immer unterwegs bleiben, bis die Japaner sich beruhigt haben. Danach können wir uns überlegen, was wir mit Wexler anstellen."
Sie übernachteten in einer bewachten Parkgarage. Nick rollte sich in eine dicke Wollmatte, nachdem sie sich um seine Verletzung gekümmert hatte. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten und sah weniger schlimm aus, als befürchtet. Er streckte sich neben ihr aus, aber er starrte eine lange Zeit an die Decke des Wagens, ehe er einschlief.
Jemand pochte gegen die Autoscheibe. Alan richtete sich auf und blickte hinaus. Sein Herz setzte eine Sekunde aus, als er das grinsende Gesicht eines Rastas über dem Hinterteil des Wagens sah. Der Schwarze kam um den Wagen herum und schlug mit seinem Stab gegen das Seitenfenster. Alan kroch über den Sitz, um die Tür zu entriegeln.
"Wexler möchte dich sehen, Mann." Auf dem Griff des Stabes steckte ein bleicher Totenschädel.
"Was will er von mir?"
"Das wird er dir selbst sagen."
"Du glaubst wohl selbst nicht, dass ich noch einmal einen Finger für ihn krumm mache?"
"Du hast keine grosse Wahl." Das Gesicht des Mannes verzog sich zu einem Grinsen.
Wexlers Leute hatten ihn aufgespürt. Da er noch lebte war klar, dass ihn Wexler noch brauchte, aber das konnte sich schnell ändern. Alan blickte in den Wagen zurück. Nickt starrte ihn verschlafen an.
"Ich muss weg", erklärte er.
Sie zuckte zusammen, als sie den Schwarzen bemerkte.
"Du traust diesen Leuten?" fragte sie verwundert."
"Wir sehen uns wieder", sagte er und kletterte aus dem Wagen.
Nick fluchte, während sie sich mit beiden Händen die Augen rieb. Der Wagen des Schwarzen stand in der Nähe. Als er die Tür öffnete, drang dichter Qualm heraus. Er setzte sich neben zwei Rastas, die an dicken Joints saugten. Der Regen trommelte gedämpft auf das Dach, während sie durch die Stadt fuhren.
Ein Lift brachte sie in Wexlers Dachwohnung hinauf. Sie betraten ein Zimmer, das nur durch den flackernden Schein eines Kaminfeuers beleuchtet wurde. An den Wänden hingen Masken und Kultgegenstände. Wexler lag auf einem riesigen Bett. Er war nackt, die langen Rastazöpfe krochen wie Würmer über seinen dicken Bauch. Zwei junge Frauen massierten seinen Leib.
"Du hast den Auftrag nicht zu meiner Befriedigung erledigt", erklärte Wexler. "Es hätte keine Zeugen überleben dürfen. Die Japaner werden nicht lange brauchen um herauszufinden, wer ihnen diese Bombe schickte."
"Ich hätte es beinahe nicht überlebt", erwiderte Alan aufgebracht. "Du hast mich betrogen, Wexler. Wenn mich die Japaner in die Finger kriegen, bin ich erledigt."
Wexler drehte sich auf dem Bett und legte eine Hand auf die Brust einer der Frauen. "Du hast mich in eine dumme Lage gebracht, doch ich habe einen weitere Auftrag für dich."
"Mir reichen meine Schwierigkeiten gerade", erklärte Alan.
Wexler nahm den Schlauch einer Opiumpfeife und schob sich das Mundstück zwischen die Lippen.
"Die Japaner versuchen, den gesamten Mark zu übernehmen und die Amerikaner aus der Stadt zu vertreiben. Das ist schlecht für das Geschäft. Die kleinen Gesellschaften brauchen eine gesunde Konkurrenz, sonst können sie nicht existieren." Er schnalzte mit der Zunge und zog an der Pfeife.
"Warum lässt du die Angelegenheit nicht durch deine Leute regeln?"
"Das wäre zu auffällig. Die Japaner würden mein Spiel sofort durchschauen." Wexler grinste. "Deine Aufgabe besteht darin, Informationen zu beschaffen. Niemand weiss, was die Japaner wirklich vor haben."
Alan schloss die Augen. Es hätte niemals soweit kommen dürfen. Solange er als Randfigur über die Bühne dieser Stadt tanzte, war es ihm nicht schlecht ergangen. Aber nun war aus dem Spiel tödlicher ernst geworden. Die Frau beugte sich über Wexler und begann ihn zwischen den Beinen zu saugen.
Wexlers Stimme wurde zu einem dünnen Flüstern, während er weiter sprach. "Wir wissen, wo sie ihre Pläne aufbewahren, aber wir kommen nicht an sie heran. Sobald ein Schwarzer in der Gegend der Japaner auftaucht, hängen sich ihre Leute an seine Fersen."
Alan schnaubte verächtlich. "Du hast mir mit der Bombe zu absoluter Berühmtheit verholfen. Die Japaner werden mich bei der ersten Gelegenheit töten."
"Sie halten den Vorfall solange geheim, bis sie mit dir fertig sind. Die Leute sind besessen von ihrer Ehre. Durch dich hat die betroffene Gesellschaft ihr Gesicht verloren. Du musst bloss dafür sorgen, dass du nicht den falschen Leuten begegnest, dann kann dir nichts passieren."
Die Frau zwischen seinen Beinen begann sich schneller zu bewegen. Wexler schlürfte keuchend an der Pfeife. Der Schwarze, der ihn hierher gebracht hatte, reichte ihm eine Diskette, auf der die Daten gespeichert waren, die er für den Auftrag brauchte.
Neben dem Fenster stand ein verbeulter Getränkeautomat, der sich mit Münzen füttern liess.
"Da lassen wir lieber die Finger davon", sagte Nick und haute mit dem Stiefel gegen den Sockel der Maschine.
Zwei Flaschen Cola rollten aus der Öffnung, sie reichte Alan eine davon.
"Das ist eine einfache Sache, das könnt ihr mir glauben", versicherte er und rieb sich den kahlrasierten Schädel.
"Die Leute sind bis an die Zähne bewaffnet", knurrte Dogie, ein grosser Schwarzer, der die meiste Zeit an den Kraftmaschinen hing.
Nick holte ihre Pistole aus der Jacke und begann einen riesigen Schalldämpfer vorne anzuschrauben.
"Ich steige aus, Leute", verkündete Bud. "Das ist mir zuwenig durchdacht."
"Dort drinnen steckt die Ware", sagte Alan. "Wir holen sie heraus, damit ist die Sache erledigt und ihr kriegt euer Geld."
"Wie willst du da hinein gelangen?"
"Durch die Vordertür", erklärte Alan. "Wir schalten die Wächter aus, packen das Zeug ein und verschwinden wieder. Fix rein und wieder raus. Keine Gefahr, rein gar nichts, das schief gehen könnte."
Bud seufzte. "Ihr seid verrückt."
Seine Haare reichten bis auf die Schultern, er trug ein zerrissenes Hemd, das er hoch gekrempelt hatte, so dass alle die Tätowierungen sehen konnten, die seine Arme bedeckten. Um die Hüften hatte er einen schweren Patronengurt gewickelt. Als draussen Motorgeräusch erklang, griff er nach dem Lichtschalter und drückte mit dem Daumen darauf.
"Das sind Killer", meinte Nick, während sie die beiden Männer beobachtete, die das Haus gegenüber betraten. "Elite Samurais. Wenn wir bei denen den kleinsten Fehler machen, dann sind wir es, die dran glauben werden."
Sie ging zu Alan und schlang die Arme um ihn. Ihre Zunge schob sich zwischen seine Zähne und ihr Becken rieb sich an ihm. Dann trat sie zurück und grinste. Alan sah sie überrascht an und spürte, dass er einen Steifen hatte. Er schob sich die Hosen zurecht, steckte seine Kanone vorn in den Gürtel und nickte den anderen zu. Vorsichtig stiess er die Tür auf, warf einen kurzen Blick seitwärts, und verschwand im Dunkeln. Nick folgte ihm. Bud schnitt eine Grimasse, hob sein Gewehr und schlüpfte hinaus. In der Ferne war das Knattern von Maschinengewehren zu hören. Sie rannten über die Strasse und pressten sich im Schatten an die Hausmauer. Nick nahm ihre Pistole, legte auf das Schloss an und drückte ab. Die Waffe gab ein Winseln von sich und riss ein breites Loch in das Metall.
"Rein mit euch", stiess sie aus und warf sich gegen die Tür.
Die beiden Samurai sassen an einem Tisch und spielten Karten. Ihre Reflexe reichten beinahe aus, um den Angriff abzuwehren. Ehe Nick auf den ersten anlegen konnte, hielten sie ihre Waffen bereits in den Händen. Aber dann zuckte Nicks Pistole und die Waffe des getroffenen Japaners knallte gegen die Wand. Er kam wieder hoch und versuchte sie mit der unverletzten Hand aufzuheben, doch bevor er sie benutzen konnte, pumpte ihn Nick mit Kugeln voll. Die Geschosse zerrissenen seinen Schädel. Bud erwischte den anderen Japaner und nagelte ihn mit seinen Schüssen an eine schwere Eisentüre. Heftig keuchend standen sie zwischen dem toten Fleisch.
"Wir haben es getan!" rief Dogie.
"Ich drehe durch", stöhnte Bud.
Alan zog ein Notebook aus seinem Mantel und stöpselte es in die Computerkonsole. Blaues Licht floss über den Bildschirm als er begann, Daten auf eine Diskette zu kopieren.
"Die Zeit wird knapp", sagte Nick.
"Ich tue, was ich kann", stiess er aus, während seine Finger über die Tasten des Computerdecks fegten. "Ich möchte wissen, wonach Wexler sucht."
"Später hast du genügend Zeit, um dir das Ganze anzusehen", sagte sie.
Alan stiess den Stuhl zurück und steckte seine Sachen ein.
"Verschwinden wir", sagte er.
Sie rannten aus dem Raum und sprangen in Nicks Wagen.
"Leute, wir haben es erledigt", krähte Dogie und klatschte mit den Händen auf seinen Schenkeln einen schnellen Rhythmus.
Alan sass an seinem Notebook und starrte auf die Daten, die über den LCD-Schirm krochen. Sie hatten ein Zimmer in einem schäbigen Motel gemietet. Nick war mit dem Wagen losgefahren, um etwas zu essen zu besorgen. Sie fühlte sich nicht wohl zwischen den Wänden.
Bud stand hinter ihm. "Was bedeuten dieses Zeug?"
"Wir stecken in der Scheisse", erklärte Alan.
"Erzähl mir etwas Neues."
"Die Japaner haben es nicht auf die Amerikaner abgesehen, sie sind hinter etwas völlig anderem her. Sie haben ein Forschungsprojekt gekauft, das ein Mittel zur Behandlung von Krankheiten, die durch Retroviren verursacht werden, entwickelt."
"Wer interessiert sich für so etwas?" knurrte Dogie und kaute auf einem Getreidestengel herum.
"Die Forscher scheinen für einmal wirklich etwas geleistet zu haben. Sie stehen kurz davor, ein wirksames Medikament gegen AIDS und solche Sachen heraus zu bringen. Wer über ein solches Mittel verfügt, besitzt grosse Macht."
Dogie hob den Kopf und starrte auf die Tür des Zimmers. "Ich kann etwas hören."
Das Holz beugte sich nach innen und zersplitterte. Eine Gruppe Japaner sprang durch die Trümmer in den Raum. Ein Samurai heftete Bud mit einem langen Dolch an die Wand. Er stiess ein Röcheln aus und schloss die Augen, aus seiner Nase strömte Blut. Die Japaner packten Dogie und schlitzten seinen Oberkörper bis unter den Hals auf. Alan sass zitternd an seinem Notebook und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Ein Mann in einem grauen Anzug erschien in der Tür. Um die Stirn hatte er sich ein weisses Band gewickelt.
"Sie haben etwas, das uns gehört", sagte er leise und streckte eine Hand aus.
Alan schluckte und nahm die Diskette aus dem Computer. Der Japaner liess sie ein einer Tasche seines Anzugs verschwinden.
"Bitte begleiten Sie mich", forderte er Alan auf.
Er folgte ihm nach draussen. Auf der anderen Strassenseite bemerkte er Nicks Wagen, von ihr selbst gab es keine Spur. Er hoffte, dass sie keinen Fehler machen würde.
"Steigen sie ein." Der Japaner deutete auf die offene Wagentür.
Sie fuhren in das Zentrum der Stadt. Ein Lift brachte sie in die oberen Etagen eines riesigen Hochhauses. Der Japaner führte ihn in einen länglichen Raum, an dessen Ende eine Glaswand bis an die Decke reichte. Versteckte Lichtquellen verbreiteten ein gedämpftes, blaues Licht. Es roch nach Desinfektionsmitteln. Der Japaner blieb stehen und verbeugte sich vor der Scheibe.
"Meister", flüsterte er.
Eine Gestalt löste sich aus dem hinteren Teil des Raums und schwamm durch eine trübe Flüssigkeit auf sie zu. Alan wich einen Schritt zurück. Eine mit unzähligen Falten bedeckte Hand hielt sich an dem Glas fest und blutunterlaufene Augen richteten sich auf ihn. Dies war einmal ein Mensch gewesen.
Der Japaner wiederholte ehrfürchtig seine Verbeugung.
"Du kannst gehen." Die heisere Stimme kam aus einem Lautsprecher.
Das Wesen wartete, bis der Mann verschwunden war, ehe es weiter sprach.
"Es muss Sie gewiss erstaunen, dass Sie noch am Leben sind." Ein blechernes Kichern ertönte. "Sie sind ein fähiger Mann, sonst hätten sie nicht lange genug überlebt, um hierher zu gelangen. Aber sie stehen auf der falschen Seite. Wexler ist ein dummer, kleiner Mann, der sich mit Mächten angelegt hat, die er nicht verstehen kann."
Alan wusste, dass die Technik der Japaner weit fortgeschritten war, aber das hier war abscheulich. Nebelhafte Flüssigkeit bewegte sich um den aufgeblasenen Körper des Wesens.
"Sie haben vermutlich keine Ahnung, wie wichtig die Informationen sind, die Sie meinen Leuten abgenommen haben. In den Händen eines skrupellosen Mannes könnte damit grosses Unheil angerichtet werden. Solange Wexler existiert, ist er eine Gefahr für uns alle. Er vertraut Ihnen. Treten Sie in meine Dienste und töten Sie ihn für mich."
Angewidert wandte sich Alan von dem Tank ab. In dieser Stadt verriet jeder jeden. Gleichgültig, welche Gestalt sie trugen, Ungeheuer waren sie alle. Alles drehte sich um Macht. Doch sein Leben war noch immer der Einsatz, mit dem gespielte wurde.
"Was ist für mich drin?" fragte er und drehte sich zurück.
"Reicht Ihnen die Versicherung nicht, dass wir Sie am Leben lassen, falls Sie für uns arbeiten?" Die Stimme klang belustigt.
"Wexlers Leute werden mich töten, wenn ich ihn verrate."
Das Wesen hinter dem Glas schwieg eine Weile, dann wiederholte es das blecherne Kichern.
Alan kratzte sich am Kinn. "Ich brauche Geld. Genug Geld, um in einer anderen Stadt ein neues Leben zu beginnen. Das ist nicht billig und Sie werden dafür bezahlen."
"Machen Sie uns keine Schande", zischte das Wesen und zog sich in die Dunkelheit des Behälters zurück.
Das Glas verwandelte sich in einen Spiegel. Alan starrte einen Augenblick in sein eigenes, bleiches Gesicht, dann verliess er den Raum.
Vor dem Gebäude blieb Alan stehen und liess sich den kühle Wind um das Gesicht wehen.
"Eh, Mann."
Er fuhr zusammen. "Ach, Nick."
"Lass uns verschwinden. Es treiben sich hier zu viele Bullen herum."
Er nickte und stieg in den Wagen, der am Strassenrand parkte.
"Ich dachte, die würden dich fertig machen, Alan, aber es gab keinen Weg, um dort hinein zu gelangen. Wie hast du es geschafft, am Leben zu bleiben."
Alan erklärte es ihr.
"Wirst du Wexler verraten?"
Er zuckte mit den Achseln. "Er hat nichts Besseres verdient."
Sie funkelte ihn an. "Sei nicht blöd. Die Japaner werden dich töten, falls ihnen die Rastas nicht zuvorkommen."
Seine Wohnung schien mehrmals Besuch erhalten zu haben, seit Alan sie verlassen hatte. Schränke und Schubladen waren aufgerissen und der Inhalt überall verstreut worden. Nick half ihm, soviel davon aufzuräumen, bis sie Platz hatten. Alan holte ein paar Bierbüchsen aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch im Wohnzimmer. Er nahm einen grossen Schluck, dann lehnte er sich zurück.
"Das tut gut", seufzte er.
Nick streifte ihre Schuhe ab und begann ihre Füsse zu massieren. Alan zeigt ihr das Geld, das ihm die Japaner gegeben hatten.
"Das reicht nicht, um abzuhauen", erklärte sie.
"Ich weiss. Hast du Hunger?" fragte er. "Ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen."
Nick langte nach ihrem Beutel und zog ihn zu sich heran. Sie packte Sandwiches auf den Tisch und ein paar grosse Stück Kuchen.
"Das ist noch übrig von dem Zeug, das ich eingekauft hab", erklärte sie.
Alan griff sich ein belegtes Brot und begann darauf herum zu kauen. Dabei knüpfte er seine Schuhe auf und warf ihr einen hin.
"Das ist meine Lebensversicherung", erklärte er.
Sie starrte verwirrt auf den alten Turnschuh. Er hob ihn auf und griff unter die Sohle, ein blaues Stück Plastik fiel in seine Hände.
Grinsend hielt er es hoch. "Eine Kopie der Daten, hinter denen alle her sind."
Nick lehnte sich zurück und liess sich das Bier ins Gesicht sprudeln. "Die Japaner waren zu sehr damit beschäftigt, deine Freunde aufzuschlitzen, und vergassen, gründlich nach der Diskette zu suchen."
Sie wischte sich über das Gesicht.
"Was hast du jetzt vor?"
"Die Sache ist zu wichtig, um in die Händen dieser korrupten Konzerne zu gelangen. Alle denken nur daran, wie sie ihre eigene Machtposition ausbauen können, während die armen Teufel dieser Welt weiter an AIDS und anderen Krankheiten sterben. Ich kenne jemanden, der für einer Reihe privater TV-Kanäle arbeitet. Mit dem Geld, das wir für diese Diskette erhalten, können wir überall hin gelangen. Sobald die Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt, werden die Konzerne eine Weile ganz schön wanken und niemand wird daran denken, uns zu verfolgen."
Sie kam um den Tisch herum und glitt in seine Arme.