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Der Kunde
"Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?"
Peter Rudolph musterte den Kunden, der etwas verloren mitten in der Computerabteilung stand. Auf einer Laufsteg-Tauglichkeitsskala von null bis zehn lag er locker sieben Punkte hinter Rudolph. Nicht, dass es für das Verkaufsgespräch irgendeine Bedeutung hätte, aber es erfüllte Rudolph mit einer gewissen Genugtuung. Sechzig Euro im Monat für Fittness und Bräune müssen sich schließlich auszahlen.
Der Begutachtete rückte seine Brille zurecht.
"Äh.. ja. Vielleicht. Richard Pentow mein Name. Ich suche einen ganz kleinen, leichten Computer. Vielleicht einen, den ich in die Jackentasche stecken kann?"
Etwas zum rumprotzen also, dachte Rudolph abschätzig. "Vielleicht wäre der Palm Tungsten etwas für Sie?"
Er führte seinen potenziellen Provisionseinbringer zum entsprechenden Gerät.
"Aha, aha. Stimmt. Der ist sehr klein," stimmte Pentow zu. "Wo ist denn da die Tastatur?"
"Der hat keine, man bedient ihn mit einem kleinen Stift. Sehen Sie, der steckt hier hinten im Gerät." Pentow zuckte mit der linken Augenbraue und zog die Mundwinkel nach unten. "Hmm, Hmm. Ich glaube nicht, dass ich damit zurecht komme. Tastatur wär schon wichtig."
In Rudolph klingelte ein kleines Glöckchen. Dem konnte er bestimmt ein ordentliches Sümmchen aus der Nase ziehen. "Wenn Sie noch etwas drauflegen, bekommen Sie ein volles QWETRZ-Keyboard." Er zeigte auf das nächste Gerät, drückte auf ein verborgenes Knöpfchen und tatsächlich schnellte eine Tastatur unter dem Display heraus.
"Aha, aha. Die ist aber winzig. Kann man denn darauf richtig schreiben?"
Die Glöckchen verstummten.
"Nun. Sie können es gern ausprobieren. Allerdings muss ich zugeben, dass diese Tastatur nur für kurze Texteingaben geeignet ist. - Notizen und Termine." Sein trainiertes Verkäuferhirn reagierte automatisch: "Aber es gibt für die Palm-Geräte eine ansteckbare Falttastatur, die fast Vollformat hat."
"Hmm, hmm. Tja, aber da mach ich womöglich etwas kaputt, oder lasse ein Teil irgendwo liegen. Gibt es das nicht am Stück, so in einem Gerät?"
"Doch, doch. Durchaus. Wir hätten da noch den HP Jornada mit einer vollwertigen, allerdings etwas verkleinerten Tastatur. Probieren Sie doch mal."
Pentow fingerte einen Moment lang auf dem Gerät herum.
"Hmm, hmm. Ich weiß nicht. Das ist doch alles etwas eng. Ich schreibe viel, wissen Sie."
"Wofür brauchen Sie das Gerät denn?" Vielleicht konnte er diesem Kunden ja sogar noch ein Subnotebook verkaufen?
"Ich bin Schriftsteller, wissen Sie. Ich würde gern unterwegs schreiben können. Spontan, wenn mir etwas einfällt."
Gerettet, dachte Rudolph. "Dann habe ich etwas für Sie. Kommen Sie dochmal eben mit." Sprachs, und schob den schüchternen Kunden um eine Ecke. Vor einem kleinen, zerbrechlich wirkenden Kästchen machte er Halt.
"Hier hätten wir die Sony Vaio C-Klasse. Nicht ganz billig, aber jeden Cent wert. Groß bei Prozessor, Speicher und Akkuleistung, klein in Abmaßen und Gewicht."
Pentows Augen leuchteten auf, als er über die Tastatur des Gerätes fuhr.
Rudolph unterdrückte die körperliche Umsetzung des Siegesgefühls, das ihn durchfuhr. Ruhig bleiben war wichtig. Er fühlte sich auf dem Weg in den sicheren Hafen.
Dann fiel der Blick des vermeintlich sicheren Kunden auf das Preisschild.
Er schluckte.
Rudolph biss sich auf die Lippen.
Pentow blickte zur Decke, Rudolph zu Boden, um sich dann hilflos umzusehen.
Hatte er noch irgendetwas?
Der Billige von Gericom? - Zu klobig, zu laut, zu wenig Akku.
Bei den Handhelds? - Der Psion ist aus dem Sortiment raus. Dumm.
Irgendetwas in der Mittelklasse? - Preislich wie der Vaio.
Was könnte denn noch...
"Ich glaube, ich hab gefunden, was ich suche", unterbrach Pentow die Gedanken des Verkäufers, der sofort wieder sicheren Boden unter seinen Füßen wähnte.
Jedoch nicht lange.
"Dort drüben," erklärte Pentow, der beim gedankenverlorenen Umherschauen ein gegenüberliegendes Schaufenster entdeckt hatte. "Ich danke Ihnen für Ihre Mühen. Auf Wiedersehen."
Der erfolglose Verkäufer blieb verdutzt zurück.
Was war doch gleich gegenüber?
Einen Moment lang stand Rudolph in einer Weise angewurzelt am Fleck, für die er seine Laufsteg-Skala in den negativen Zahlenraum hätte ausdehnen müssen.
Er eilte zum Schaufenster und blickte zwischen dem Athlon 3000+ Desktop-Rechner mit 3D-Grafik und fünfhundertzwölf MB-RAM und dem Yakumo Centrino-Notebook für vierzehnhundert achtundneunzig hindurch, gerade noch rechtzeitig, um einen glücklichen Rudolph auf die Straße zurückkehren zu sehen.
"Schreibwaren Reineke," stand über der Tür, durch die er kam, in den Händen einen Zehnerpack Bleistifte, einen Spitzer und ein Notizbuch.
Schriftsteller, dachte Rudolph verächtlich. Fortschrittfeindliches Pack.