Der Krieg zerstört das Allerletzte im Menschen
Der Wind peitschte den Soldaten, Schnee flog ihm ins Gesicht. Er kniff die Augen zu, um überhaupt etwas sehen zu können. Seine Schritte waren klein, er hatte zu kämpfen; nicht nur mit dem Wetter sondern auch mit seinem Körper. Der Krieg dauerte schon eine ganze Weile, er hatte aufgehört, die Monate, die Jahre zu zählen.
Er schleppte sich durch die Stadt. Seine Kleidung zerrissen, die Schuhe mit Löchern und mit einem dreckigen Gewehr in der Hand durchstreifte er die Stadt, auf der Sache nach verfeindeten Soldaten, die zurückgelassen wurden. So der Befehl vom Vorgesetzten.
Der Soldat war müde, wollte zurück ins Lager, sich aufwärmen an einem Feuer. Er bedauerte es, beim Angriff auf die Stadt nicht verletzt geworden zu sein, so hätte er endlich mal wieder ausschlafen können – im Lazarett.
Sein Weg führte ihn durch eine Gasse; der Schnee wurde stärker, der Soldat keuchte. Er sah seinen eigenen Atem nicht, nur kleine weiße Flocken, die hin und her flogen, überall waren. Was wünschte er sich, im Lager zu sein, nicht hier; der Schneesturm war nicht einmal das Störende, es war die Suche nach möglichen Feinden, die tagelang dauern konnte.
Und diese Suche gestaltete sich immer schwieriger, eine Sicht gab es nicht und Geräusche wurden vom Schnee verschluckt.
Vielleicht ist hinter der nächsten Ecke ein feindlicher Soldat, der nervös mit dem Abzug seines Gewehres spielt, nur darauf wartet, dass jemand vorbeikommt, dachte sich der Soldat. Aber eigentlich war es ihm egal.
An der nächsten Ecke wartete jedoch niemand; er stampfte weiter durch den Schnee.
Der Soldat erkannte in naher Ferne Silhouetten, er nahm die kalte Waffe höher, bereit zum Schießen. Langsam näherte er sich der Person - oder den Personen, er vermochte es durch den dichten Schneefall nicht mit Sicherheit zu erkennen.
Auf einen Meter herangekommen, erblickte er einen Soldaten seiner Division und zwei Zivilisten. Die Frau, abgemagert, blass, gebrechlich, behinderte den Soldaten, der scheinbar deren Mann in Gewahrsam nehmen wollte.
Ob er nicht die Frau fernhalte könne, wurde der ankommende Soldat gefragt.
Natürlich, die Antwort.
Während die Frau gehalten wurde, zerrte der andere Soldat den Mann um die Ecke.
Ein Schuss.
Die Frau riss sich los und rannte um die Ecke. Der Soldat folgte langsam.
Kniend saß die Frau neben dem Toten, ihren Kopf weinend auf seine Brust gelegt. Der eine Soldat suchte irgendetwas in den Hosentaschen des Toten. Gefunden, zog er dem toten Mann noch die Schuhe aus, wandte sich zum anderen Soldaten und bot ihm eine Zigarette an. Dankend nahm dieser sich aus der blutgetränkten Packung eine, zündete sie an und ging weiter.
Wie gut doch so eine Zigarette tut, dachte sich der Soldat.
Er bog rechts in eine kleine, dunkle Gasse ab. Zwischen den weißen Flocken war nur ein kleiner, rot glimmernde Fleck zu erkennen.
Er ging bis zum Ende der Gasse, vor einer Ruine eines Hauses stehend wollte er gerade umdrehen, als er ein leises Geräusch vernahm. Der Soldat folgt diesem. Es kam aus einer dunklen Ecke der Ruine, vor der Schutt und Müll stand. Schnell hob der Soldat seine Waffe, schoss sein ganzes Magazin leer.
Während er das Magazin wechselte, wartete er - wartete auf das Geräusch. Doch er hörte nur den Wind. Langsam näherte sich der Soldat mit gehobener Waffe, ging um den Müllberg herum.
Dort lag ein kleines Kind neben seiner erfrorenen Mutter; der Schnee um das Kind war rot.
Der Soldat senkte seine Waffe, drehte sich um und verschwand im weißen Tanz der Flocken.
Der Krieg zerstört das Allerletzte im Menschen.