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Der Krieg geht weiter

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24.11.2016
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Der Krieg geht weiter

4000 Meter über den in sengender Hitze flirrenden Trümmern eines Hilfskonvois schraubt sich ein in die Jahre gekommener Mil Mi-8s auf Aleppo zu. Einst zum Transport hoher syrischer Offizieller benutzt, wurde der in den späten 80ern aus Russland importierte Mehrzweckhubschrauber inzwischen umgebaut. Wo einst die Minibar und eine ausladende Ledercouch zum berauschten Fluggenuss einluden, thront heute eine kastenartig auf die Heckklappe zulaufende Stahlkonstruktion, in der ein Dutzend rostige Ölfässer verankert sind. Im einzigen noch übrigen Sofa direkt gegenüber sitzen Bassam und Salih in Kampfmontur und rauchen. Der Wandlautsprecher knackt kurz, dann ertönt eine blecherne Stimme:
„Geschätzte Ankunftszeit zehn Minuten. Macht euch bereit, Männer, Tod allen Ungläubigen!“
„Tod deiner Mutter, du bekackter Faschist.“
„Du bist doch sonst viel entspannter, was ist denn los mit dir?“
„Diese Fanatiker gehen mir immer mehr auf den Sack, das ist los. Allahu akbar hier, Inschallah dort, aber dann Zivilisten bombardieren und die Frau vom Oberst besteigen…“
„Ernsthaft? Baschir und diese hässliche Alte? Die trägt doch auch nur Schleier, um die Augenkrebsrate ihrer Umwelt nicht zu erhöhen.“
„Sag ich doch. Von wegen Kriegsheld, pervertierter Gotteskrüppel.“
„Sag mal, Bassam, kann es sein, dass du die Flugpillen heute nicht genommen hast?“
Bassam mustert seinen langjährigen Freund und Kameraden Salih, zuckt dann die Schultern und spuckt auf eins der Ölfässer. Dann steht er auf und stützt sich an einer Metallstrebe ab.
„Am Anfang war’s ja noch witzig, aber ich habe das Gefühl, dass ich es den Unschuldigen schuldig bin, wenigstens nüchtern zu morden. Und keinen Spaß daran zu haben. Wenn ich noch einmal einer Fassbombe beim Abwurf hinterhergrinse, drehe ich durch.“
„Welche Unschuldigen? Wir lassen seit Jahren Flammen auf Aleppo regnen, das zählt doch kaum noch als Stadt! Wo soll denn da noch jemand leben?“
„In den Trümmern, in Kellern, und wie glaubst du, hätten die fliehen können, wenn wir ununterbrochen drauf ballern?“
„Na kurzzeitig gab’s doch Korridore, letztes Jahr, oder nicht?“
„Ja und kannst du dich an den Gasangriff auf genau diesen Korridor erinnern? Wir haben doch noch ges-“
„Halt bloß die Fresse, Bassam, daran darfst du nicht mal denken! Und vor allem nicht reden“, fügt er mit einem Blick auf den Wandlautsprecher dazu. „Du weißt, was mit Khaled passiert ist.“
„Welcher Khaled? Ich kenne niemanden, der so heißt.“
„So ist es schon besser – das grüne Licht, auf geht’s.“
Mit der Routiniertheit jahrelang eingeübter Bewegungen arbeiten sich beide durch den schwankenden Hubschrauberrumpf auf die Stahlkonstruktion zu. Gleichzeitig öffnet sich langsam die Heckklappe; die Lautstärke des Flugwindes zwingt sie, die Helmmikrofone zu aktivieren. Bassam hangelt sich zur Kante vor und blickt mit einem Fernglas nach unten.
„Schon kaputt, schon kaputt, Trümmerberg, lohnt nicht – uh, Fahrzeugkonvoi! – warte, warte, warte, jetzt!“
Salih betätigt einen Hebel und das erste Fass hakt sich polternd aus und segelt gen Erde.
„Wird nichts, zu früh. Nochmal drei, direkt hintereinander, jetzt, jetzt!“
Salih betätigt einen weiteren Hebel, wie widerwillig lösen sich die nächsten Fässer und verlassen den Hubschrauber.
„Ja, Volltreffer, alle drei!“
„Und auf einmal sieht man dich wieder grinsen, Bassam. Sogar ohne Drogen.“
Der Angesprochene starrt Salih durchdringend an.
„Du hast Recht. Es macht mir Spaß, ich bin ein Monster. Aber wenn wir schonmal dabei sind – uh, improvisiertes Fußballfeld – und die spielen sogar, die Irren! Fünf Fässer, jetzt drauf, drauf, drauf!“
Gehorsam löst Salih den Mechanismus aus; kopfschüttelnd folgt sein Blick den Bomben bis an die Kante. Plötzlich knackt der Wandsprecher erneut:
„Die haben uns anvisiert, festhalten!“
Dann sackt der Helikopter schlagartig nach rechts weg. Salih kann sich an der Stahlkonstruktion festklammern, Bassam wird im Innenraum hin- und her geschleudert, prallt von Wand zu Wand und kippt in Richtung der noch immer offenen Heckklappe. Salih stürzt nach vorne und bekommt ihn am Ärmel zu fassen.
„Danke, mein Freund, aber bemühe Dich nicht“, schreit Bassam mit Blick nach unten.
„Warum grinst du denn so dumm, hilf mir lieber!“
Bassams Lächeln wird sanfter. Dann folgt Salihs Blick der ausgestreckten Hand seines Freundes und er erkennt die auf sie zuschießende Rakete. Er ruft:
„Inscha-“, dann löst sich der Hubschrauber in mehreren aufeinander folgenden Explosionen auf.
Und der Krieg geht weiter.

 

Hi Kardinal Freundlich,

find ich gar nicht schlecht deine kurze Geschichte, klingt sauber, hat einen hübschen Schockmomentan Schluss, und am Ende fragt man sich nach dem Sinn - gut, das dazu gibt es auch sonst genug Anlass, aber hier ist das schön anschaulich.

Zum Anfang hätte ich eine kleine Überlegung:

Einst zum Transport hoher syrischer Offizieller benutzt, wurde der in den späten 80ern aus Russland importierte Mehrzweckhubschrauber inzwischen umgebaut.
Das und die weitere Beschreibung der Inneneinrichtung vielleicht nach dem ersten Dialogstück? Dann kommt man eventuell einen Tick schneller rein, und es ist ja eine schnelle Geschichte.

„Am Anfang war’s ja noch witzig, aber ich habe das Gefühl, dass ich es den Unschuldigen schuldig bin, wenigstens nüchtern zu morden. Und keinen Spaß daran zu haben. Wenn ich noch einmal einer Fassbombe beim Abwurf hinterhergrinse, drehe ich durch.“
Hier frage ich mich, ob es nicht günstig wäre, etwas weniger auszusprechen. Vielleicht z.B. den Satz "Und keinen Spaß daran zu haben" streichen?

Den weiteren Gesprächsverlauf finde ich, muss ich gestehen, nicht ganz glaubwürdig. Der weiß doch, dass da Leute wohnen. Er sieht es ja sogar auf den Fußballfeldern - doch nicht zum ersten Mal?!

„Ja, Volltreffer, alle drei!“
„Und auf einmal sieht man dich wieder grinsen, Bassam. Sogar ohne Drogen.“
Der Angesprochene starrt Salih durchdringend an.
Mir gefällt, dass er das Grinsen gleich mit dem Leben büßt. Nicht, weil ich an der Rache besonderen Spaß habe, sondern von der Konstruktion her.

„Du hast Recht. Es macht mir Spaß, ich bin ein Monster. Aber wenn wir schonmal dabei sind – uh, improvisiertes Fußballfeld
Da Fußballfeld finde ich gut, die Brutalität und gleichzeitig die Distanz kommen gut raus. Die Formulierung: "Es macht mir Spaß, ich bin ein Monster." finde ich dagegen etwas trocken. Und "Aber wenn wir schonmal dabei sind" ist irgendwie auch eine einfallslose Überleitung, oder?

Und der Krieg geht weiter.
Ich bin nicht sicher: Vielleicht besser ohne diesen letzten Satz?

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

„Du hast Recht. Es macht mir Spaß, ich bin ein Monster. ..."

"...
You're soldiers of God you must understand
The fate of your country is in your young hands
May God give you strength
Do your job well
If it all was worth it
Only time it will tell

Sky Pilot
Sky Pilot
How high can you fly?
You'll never, never, never, reach the sky
..."​


hieß es 1968 bei Eric Burdon und den Animals, als der Vietnamkrieg nicht nur Studenten von LA bis Mexiko, von Paris bis Berlin auf die Straßen brachte, und verwendet die Zwodeutigkeit des Titels für die mitfliegenden Militärpfarrer, schließlich war schon immer God on our side and the war's going on, da noch sieben Jahre lang, was nun den syrischen Bürgerkrieg mit freundlicher Unterstützung von allen Seiten nun nicht relativieren soll. Grunds#tzlich haben immer auch "Gläubige" die Finger im Spiel - nicht erst seit dem Dschihad und Hamed Abdel-Samad hat von allem Anfang die Ähnlichkeiten von Faschismus und seiner Religion aufgezeigt und wie selbstverständlich Quälgeister, die Spaß an Gewalt finden.

Hallo Kardinal Freundlich,

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts,
begegnen wir uns doch das erste Mal und Salz und Brot mit einem Freund Kubus' zu teilen ist eine Selbstverständlichkeit!

Erdbeerschorsch hat schon einiges gesagt. Für die zentrale Aussage gelten für mich drei Sätze, die an jedem anderen Kriegsschauplatz so oder so ähnlich auftauchen können

„Du weißt, was mit Khaled passiert ist.“
„Welcher Khaled? Ich kenne niemanden, der so heißt.“
„So ist es schon besser – das grüne Licht, auf geht’s.“
und das funktioniert in autoritären (also nicht nur totalitären) Systemen auch unter Ziviisten, dass die drei Affen zum Zuge kommen können.

Der Krieg geht weiter und er wird sich andere Schauplätze suchen ... wie seit Jahrzehnten im Kongo um Seltene Erden, sonstwo um sonstwas.

Paar Trivialitäten, ich weiß, in solch einem Thema wirkt das wie Fliegenschiss, wenn's auch noch die Zeichensetzung betrifft

..., thront heute eine kastenartig[,] auf die Heckklappe zulaufende Stahlkonstruktion, in der ...
Im einzigen[,] noch übrigen Sofa ...
... und die Frau vom Oberst besteigen[...]…“
... haben doch noch ges-“
("-" ?)

Mit der Routiniertheit jahrelang eingeübter Bewegungen ...
Was ist der Unterschied hierin, zwischen der schlichten Routine und der "Routiniertheit" außer vier Buchstaben oder einer Silbe mehr?

Bassam wird im Innenraum hin- und her geschleudert, ...
(hin- und hergeschleudert, das Auslassungszeichen hin- zeigt es ja an)

Wo sind eigentlich die Unermüdlichen, die von Berlin nach Aleppo marschieren?
Las sich am Anfang wie der Kinderkreuzzug seligen Angedenkens. Kann auch nur was werden, wenn die Masse der Teilnehmer nach dem alten Rezept des Mahatmas zu einer neuen Qualität der Gewalt führt. Am Schicksal A. oder überhaupt Syriens wird es nix ändern.

Friedel

 

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