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Der korpulente Mann

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22.09.2002
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Der korpulente Mann

Das gelblich rote Licht das von der kleinen Flamme ausging, welche sich immer weiter in die, auf dem großen mächtigen, majestätischen, justizial anmutenden, hölzernen Tisch stehende, kunstvoll vertikal aufgerichtete Ansammlung von Wachs fraß, erzeugte, die um sie herum scheinbar chaotisch angehäuften Gegenstände benutzend, eine mittelgroße undisziplinierte Armee kleiner und großer Schatten, die auf den marmornen Wänden umhertanzten und sich offenbar nicht zwischen Dunkelheit und Licht entscheiden konnten. Vielleicht waren es aber die ebenso großen Lichtflecken, die nicht genau wußten was sie tun sollten und ihre Zeit deswegen mit dem Beleuchten und vertreiben dunkler Flächen und Kanten tot schlugen, was nicht nur die Szenerie etwas erhellte, sondern auch den Eindruck erweckte, sie und niemand anderes sorge für die Lebendigkeit der Farbgebung der Wände, und ermögliche nebenbei dem Schattenvolk den Eintritt in diese Welt, weswegen es unmöglich war genau zu bestimmen, was genau nun umhertanzte, das Licht oder die Schatten.
Ebenso unmöglich war es, die einzelnen Ursprungsorte der diesen Raum bis an seine Ränder und darüber hinaus füllenden Geräusche klar und ohne zurückbleiben von Zweifeln zu bestimmen, da sie scheinbar von überall her, aus jedem letzten noch so versteckten Winkel kamen und wieder in jene Winkel gingen, sobald sie ihr Werk vollendet zu haben glaubten.

Aus dem Gewirr dieser harmonischen Symphonie voller undefinierbarer Klänge und Laute, schlich sich fast unbemerkt ein leises fröhliches Pfeifen heraus und stieg gemächlich, hinter einer leicht ermattet wirkenden kleinen Trennwand, die inmitten des Raumes gelegen, eindeutig dazu bestimmt war letzteren in zwei Teile zu teilen, empor, vorbei an der ebenfalls an dieser Wand befestigten, grün schimmernden und zehn geschlossen in eine Richtung zeigende Zeiger besitzenden Uhr in Form eines kleinen Hauses, ihrem fernen Ziel, dem Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes entgegen. Es dauerte ungefähr die Hälfte der Strecke zum gewünschten Ort der Ankunft, da verwandelte sich das fröhliche Pfeifen plötzlich in ein trauriges und nun nicht mehr fröhliches Pfeifen, da es von einer sanften Brise aufgenommen und mitten in die Flamme der Kerze geschubst wurde, worüber es kurzzeitig empört war, im nächsten Moment aber einen totalen Existenzausfall erlitt und als dünner Rauchschwaden verschwand.

Die ganz sanfte, kaum wahrnehmbare und etwas feuchte sowie leicht abgestandene Brise wehte unbehelligt davon weiter durch den Raum und brachte die Staubkörner auf dem Tisch dazu, wild durcheinander zu hüpfen. Mit jedem erneuten glücklichen Hüpfer der offensichtlich glücklichen Staubteilchen, nahm ein Muster auf der Oberfläche langsam aber sicher Gestalt an. Einige Zeit lang schien die Ansammlung gepreßten und eventuell sogar verklebten Holzes mit den sieben schlangenähnlich gewundenen Beinen, in diesem eigentümlichen Tanz zu wallen, und nachdem die Euphorie, sich langsam wieder auf ein vernünftiges und der Normalität verblüffend ähnliches Niveau gesenkt hatte, war, so augenscheinlich wie die Freude des Staubes über diese unumstößliche Tatsache, das Bild eines riesigen Springbrunnens inmitten einer Ansammlung merkwürdig kreischender Kreaturen entstanden, die über ein gesundes Maß an überflüssigen Gliedmaßen verfügten und sich über etwas zu beschweren schienen, dem sie offensichtlich einen hohen Grad an Wichtigkeit zuordneten, was daraus zu ersehen war, daß sie bösartig anmutende Grimassen schnitten, auf eine nicht genau identifizierbare Kugel zeigten und gerade damit beschäftigt waren einem korpulenten Mann, mit einem ihm die Brust verdeckenden Bart, kleinen klugen blauen Augen und rötlichen Bäckchen, wichtige Einzelteile aus dem Körper herauszuschneiden, ohne dabei daran zu denken, zum einen, steriles Werkzeug zu benutzen und zum anderen essentiellere Einzelteile an ihren vorbestimmten Plätzen zu belassen anstatt sie, nach übertrieben rabiater Entfernung, in Richtung der eben genannten Kugel zu schleudern, wobei sie sich bemühten ihr Ziel zu verfehlen und mit den Organen sowie all den anderen Dingen die sie in dem Körper gefunden hatten, einen daneben stehenden, hell lodernden, grünen Busch zu treffen. Im großen und Ganzen mutete die gesamte Szene sehr gewöhungsbedürftig an; für den Außenstehenden Betrachter hätte sie fast schockierend, wenn nicht abschreckend wirken können, aber das tat sie nicht, denn sie enthielt ein gewisse Feierlichkeit, welche die Atmosphäre ein ganz klein wenig auflockerte und das gezeigte Bild beinahe entschuldigte.
Entschuldigend, fast mitfühlend und verständnisvoll und irgendwie überhaupt nicht entrüstet oder empört, was im Allgemeinen wohl eher als die eigentlich richtige und durchaus begründete Reaktion hätte gewertet werden können, wirkte auch das Gesicht des Mannes der kurz davor stand auf diese sehr unkonventionelle Weise vom Leben in den Tod gebracht zu werden. Mild und würdevoll, mit einem beinahe glücklich friedlichen Grinsen, schien er alles geduldig über sich ergehen zu lassen, was der Wut der Kreaturen mit der eigentümlichen Physis jedoch eher zu- als abträglich war, absolut nicht zur Situation passen wollte und die Ganze Stimmung sowie die dazugehörige Situation ad absurdum führte.

Während auf dem Tisch diese recht einseitige Schlacht tobte, fuhr ganz gemächlich, beinahe nur am Rande, so als hätte er am liebsten nicht bemerkt werden wollen, ein kleiner unschuldiger Luftzug durch den Raum und spielte auf seinem Weg zum gegenüberliegenden, offenstehenden, weiß blau bemalten und mit kleinen, äußerst fremdartigen Symbolen und Zeichen verzierten, Fenster, ein wenig mit den Staubkörnern, was den größten Teil von ihnen dazu veranlaßte ganz besonders freudig umher zu tollen und eine kleine wagemutige, heldenhafte, tapfere und unwahrscheinlich Suizid gefährdete Gruppe, sich auf den Weg nach Unten zu machen, um zu erforschen, ob die Existenz am Rande des Tisches ihr eigenes Vorhandensein leugnete oder doch weiter reichte als bislang angenommen. Enttäuscht mußten sie kurze Zeit später feststellen, daß ein mehrere Sekunden dauernder freier Fall, aus einer Höhe von fast einem Meter, für ein Staubkorn keine Schmerzlose Angelegenheit ist und so vergingen sie denn auch fast alle bei ihrer Ankunft, teils vor Überraschung letzterer Tatsache wegen, aber Größenteils vor Ehrfurchtsvollem Staunen ob der Unendlichkeit der sich vor ihnen aufgetan habenden Welt des Bodens und der damit bewiesenen Theorie einer ausgedehnten Existenz der Existenz an sich.
Mit offenen Mündern, oder mit welchen Körperöffnungen auch immer Staubkörner ansonsten für gewöhnlich Nahrung zu sich nehmen, Beziehungsweise ihre Meinung Kund tun, erstarrten die übrigen Überlebenden in Schweigen, da sie es für das Beste hielten, dem ihnen offerierten Anblick einer völlig neuen Unendlichkeit, mit dem nötigen Respekt zu begegnen. Und da ihr Weltbild bis dato noch nicht der alleinigen Tatsache des Falls wegen, in totale Unordnung geraten war, geriet es nun in zusätzlicher Anbetracht einer Landung, völlig aus den Fugen. Die Hälfte der Staubkörner vergaß bei diesem Gedanken zu atmen und brauchte es kurze Zeit darauf nie wieder zu tun.
Es dauerte nicht lange bis der endgültige Rest der Forschungsreisenden Körner sich wieder unter gewohnter Kontrolle hatte und nach zügiger Bestimmung eines Anführers setzte sich die Gruppe in Bewegung, kam aber direkt danach wieder zum stehen, da ihr im Allgemeinen und dem Anführer im Besonderen, als einziger Anhaltspunkt das schwache leuchten einer fernen Lichtquelle hoch droben über ihren Köpfen zur Verfügung stand, was viele daran zweifeln ließ jemals wieder in die Heimat zurückkehren zu können, da sie doch so klein und der Schein so weit entfernt war und nebenbei ständig wackelte; aber Heldenmut, Willen, Vorsicht, Hoffnung und eine gute Prise Selbstmörderischer Wahnsinn, so waren sie sich nach kurzer Diskussion einig, waren mit Sicherheit Tugenden die sie hatten hier her finden lassen, und welche ebenfalls dafür sorgen würden ihnen den sicheren, wenn auch eventuell beschwerlichen Weg nach Hause zu ermöglichen. Beflügelt von der Vorstellung endlich unter Beweis stellen zu können wozu sie sich fähig wähnten, angestachelt vom Verlangen ihr neu erworbenes Wissen ihren Kindern mitzuteilen, getrieben von der Dunkelheit des Unbekannten von dem sie umgeben waren, bewegt von unerfüllten Wünschen und Träumen die sie noch erleben wollten sowie der generellen Freude an solchen Reisen, stellten sie sich in strammer militärischer Formation, wild durcheinander, auf und wurden prompt von einem ungestümen Windhauch erfaßt, der sich ausgerechnet in diesem Moment auf seinem Weg zum Fenster befand. Im panischen Versuch sich gegenseitig zu Hilfe zu eilen, faßten alle Staubkörnchen sich an den Händen, während diejenigen, die noch nah genug am Boden waren um sich daran festhalten zu können, krampfhaft eben dies taten. Doch bereits innerhalb weniger Momente waren sie, ihrer Kräfte beraubt dazu gezwungen diesem tragischen Versuch ein Ende zu bereiten und der ungestüme Windhauch trug das vage Bildnis einer von Wüste umgebenen Oase in Richtung Fenster, vorbei an einer mittlerweile leicht weiß violett leuchtenden Kerze, deren Farbgebung den Tisch noch monströser und noch justizialer wirken ließ.

Die Oase war ein Quell des Lebens, voller glitschiger Tiere. Um das sanfte, wenn auch nur vage angedeutete blaue Wasser, daß das Herz dieser Insel in einem Meer aus Sand bildete, reckten sich frische, vage grüne, saftige, gesunde, kleine und große Pflanzen, wie Sträucher, Kakteen, Dornbüsche, Eichen, Birken, Buchen, Moose und noch viele viele andere, im immerwährenden Kampf um das Lebensspendende Elixier, beinahe flüchtend, so schien es, vor der Tödlichkeit der hinter ihnen lauernden Sandmassen einer vage schwarzen Wüste, gen Mitte. Im Hintergrund war die Andeutung einer hellen Scheibe zu erkennen, die dieser Szenerie offensichtlich das Licht verlieh das sie benötigte um Kühlung spendende Schatten zu erzeugen. Ab und an sprang eines der glitschigen Tiere aus dem Wasser und wieder hinein um auf seine Existenz aufmerksam zu machen, und ab und an kreuzte es dabei auch einen Strahl, der dem Schatten eines riesigen, überdimensioniert großen, alles überragenden, leicht kränkelnden tropischen Urbaums entsprang, welcher seinerseits aus einer ebenso großen, zweibeinigen, Kreatur mit viel zu vielen Armen die undefinierbare Dinge festhielten und damit undefinierbare Dinge anstellten, heraus kam und dort wo er das Wasser traf, für eine vage leicht gräuliche Färbung sorgte. Die Kreatur grinste dabei ein ganz klein wenig dämlich vor sich hin.

Als der ungestüme Luftzug die Kerze auf dem unglaublich majestätisch wirkenden Tisch streifte, verbrannten nicht nur alle Staubkörner in der gewaltigen Flamme und mit ihnen all ihre Ideale, Hoffnungen Wünsche und Träume; durch die zarte, aber doch merkliche Berührung des kleinen Windes verteilte auch die Kerze in einem unachtsamen Moment ihre flüssige Essenz über den Tisch und mit gewaltigem Dröhnen schlug wie in Zeitlupe, Tropfen um Tropfen heißer Zeit auf das Holz und brannten sich unerbittlich ein, während im Hintergrund die Lohe zu einem noch gewaltigerem Leben erwachte. Der Raum war nun ein einziges schauderhaftes Schattenspektakel in dem sich ein Fleck mit dem nächsten paarte und so immer neue Muster auf der Wand bildete; Leben, alles war voller Leben und Unruhe, die durch die immernoch gewaltige Geräuschkulisse des Raumes zusätzlich betont wurde. Und aus diesem Wust an chaotischen Bewegungen und Lauten, all dem Zischen, Pfeifen, Donnern und dem Ansatz einer melodischen Harfenmelodie, erwuchs langsam ein tiefes, wohltönendes melancholisches Summen, das alles Leid in sich zu bergen schien, das je existieren hatte und je entstehen würde. Mit sanften, aber bestimmten Schwingungen schwebte es auf die Kerze zu, um sich letztendlich in ihr aufzulösen wie alles was zuvor in sie gedrungen war.
Stille legte sich auf einmal wieder über die Gesamtheit dieser eigentümlichen Schöpfung; aber es war eine seltsame Ruhe, heimtückisch, vielleicht Schuldbewußt, aber im großen und Ganzen war es weit mehr eine Ruhe von der Unruhigen Sorte, wie jene Stille die vor einem Sturm einkehrt und alles verwirrt was sich verwirren läßt.

Traurig schwebten in dieser Ruhe die verdampften Überreste der heroischen kleinen Staubkörner in Richtung Decke und blickten betrübt auf den, ehemals für sie Heimat bedeutenden Tisch hinab, der nun nichts weiter war als eine langsam verblassende Erinnerung eines viel zu kurzen Lebens. Höhnisch kam ihnen die Lebendigkeit der Kerze vor, die lauernd munter weiter vor sich hin brannte und im letzten verlachten Augenblick ihrer Existenz, mit dem letzten imaginären Atemzug ihrer imaginären Körper, erhaschten sie, was der lodernde Schein der Kerze beleuchtete.

Der Wachs, den der ungestüme Windhauch hatte zu Tisch fallen lassen, zeigte deutlich das Bild einer riesigen eisernen Faust die sich mit als rasant anzusehender Geschwindigkeit der reinen weißen Farbe einer friedlichen, lieben, gutgläubig glotzenden, in einen Schraubstock gequetschten Taube und damit ganz offensichtlich auch einem sprichwörtlichen Taubenschlag näherte ohne darauf zu achten, daß das eventuell gewisse Konsequenzen für das am hinteren Ende leicht angebratene, deswegen jedoch nicht minder gut gelaunte, momentan nicht flugfähige Tier haben könnte. Die tiefen, wie ein lachender Mund geformten Kerben in der Hand ließen bei genauerer Betrachtung jedoch den Schluß zu, daß sie sich derer jedoch voll und ganz bewußt war, weswegen sie sich auch mit weiterhin unverminderter Geschwindigkeit, etwas abnormal wirkend, der Taube auf diese definitiv offensiv aggressive Weise näherte.
Die letzten Augenblicke ihrer Existenz auskostend überlegten sich die verdampften Staubkörner, wie groß wohl die Wahrscheinlichkeit sei, ein in einen Schraubstock gespanntes Tier, sofern man den festen Willen aufweist eine solch anrüchige Tat tatsächlich zu begehen, zu verfehlen und sie warteten gerade unglaublich gespannt auf das Ergebnis, als sich wie aus dem Nichts ein weiteres Geräusch zu den anderen gesellte und es dunkel wurde. Der Tatsache wegen, daß sie immernoch in der Lage waren die Geräusche des Raumes wahrzunehmen, schlossen die körperlosen Körner scharfsinniger Weise sofort, daß sie noch nicht aufgehört hatten zu existieren, wunderten sich jedoch warum sie nichts mehr erkennen konnten und vor allen Dingen, warum sogar die Kerze nicht mehr vorhanden zu sein schien. Aber das sollten auch ihre letzten Überlegungen gewesen sein.
Direkt gegenüber des Fensters, auf der anderen Seite des Raumes, war ein Spalt entstanden, der sich rasch vergrößert und bald einen viereckigen, in der Dunkelheit, welche sich genau in dem Moment über den Raum hergemacht hatte, als der dadurch entstandene, sturmähnliche Wind auf seinem Weg zum Fenster die Flamme der Kerze zum verlöschen brachte, kaum sichtbaren Rahmen von der Größe einer durchschnittlichen Tür gebildet hatte. Durch diese Tür trat Etwas, und im selben Augenblick verstummten alle Geräusche, mit Ausnahme einer leisen, von der Gestalt, die soeben den Raum betreten hatte, ausgehenden mutmaßlich gesummten, oder noch viel mutmaßlicher, gebrummten Melodie. Einem kurzen Scheppern folgte ein Unterdrückter Schmerzenslaut und dem unterdrückten Schmerzenslaut ein nicht minder unterdrückter Fluch und diesem dann der Gedanke der Gestalt daran, zum einen nicht weiterhin alles zu unterdrücken und zum anderen für Licht zu sorgen. Eine grüne, giftige Flamme erwachte zum Leben, und wäre sie nicht in einem runden, Luft- und Wasserdichten Gefäß gefangen gewesen, hätte man vor ihr beinahe Angst bekommen können. Sie war nicht nur aberwitzig grün, sie war nicht nur aberwitzig giftig, sie war auch aberwitzig heiß und aberwitzig hell. Der korpulente Mann, mit dem grün weißen, ihm bis über die Brust reichendem Bart und den kleinen klugen blauen Augen, deren reine Farbe momentan durch das giftige, heiße, helle grün der Flamme in ihrem Käfig etwas verunreinigt wurde, bewegte sich quer durch den Wust der über den Boden verteilten Gegenstände zum offenen Fenster, murmelte einige unverständliche Dinge in seinen Bart, wartete kurz auf Antwort und stellte dann das mittlerweile aggressiv wirkende Flammende Inferno im Inneren seines runden Infernobehälters auf die marmorne Fensterbank, berührte dabei jedoch mit der Bartspitze das glühende Glas des Infernobehälters und ging dann etwas zügiger, merkwürdige Phrasen zu sich selbst murmelnd und die Tür hinter sich schließend, mal kurz raus um seinen Bart zu löschen.

Endlich allein mußte sich die Flamme wohl gedacht haben als der korpulente Mann den Raum verließ und
Sprung um Sprung erschien im Luft- und Wasserdicht versiegelten Infernobehälter während sie sich den Weg nach draußen brannte und dabei nun wirklich endgültig aggressiv wirkte. Sprung um Sprung. Ein riesiges Astwerk verteilte sich über die gesamte Oberfläche des Glases aber es hielt der Gewalt stand. Unendliche Momente vergingen, während derer der gesamte Raum und alles darin die Luft anhielt, nichts bewegte sich mehr, nicht einmal die grüne Flamme rührte sich noch. Beide, sowohl Behälter als auch das heiße, helle, aggressive grüne Ding schienen sich gegenseitig zu belauern, keiner machte den nächsten Schritt, obwohl man natürlich zugeben muß, daß dem Glas so oder so lediglich eine recht passive Rolle bei diesem Zweikampf zukam.
Dann explodierte der tapfere Infernobehälter plötzlich als die Grüne Aggressivität zu ungeahnten Ausmaßen heran- und gleichzeitig über sich herauswuchs und ihn von Innen heraus vernichtete. Mit einem mal, war das einzige noch vorhandenen Geräusch ein schmerzverzerrtes eisiges Brüllen und Kreischen der Verwüstung und der gesamte Raum getränkt vom giftigen grün einer einzigen, riesigen alles verschlingenden und sich mächtig groß und wichtig vorkommenden Flamme.
So groß und wichtig wie die Flamme sich jedoch vorkam vergaß sie nebenbei völlig daran zu denken, daß die Proportionen welche sie Übermütiger Weise angenommen hatte, ihre gewohnten Ausmaße um einiges überstiegen und mußte kurz darauf aufs Äußerste verblüfft feststellen, daß sie begann zu schrumpfen und so wie sie zuvor den Raum verzehrt hatte, nun sich selbst verzehrte. Immer kleiner und kleiner wurde sie während sie ihrer sprichwörtlichen Auslöschung entgegenschrumpfte, immer kleiner, immer weniger grün, immer weniger hell, immer weniger heiß, immer weniger und weniger und plötzlich war sie nicht mehr da.

Der korpulente Mann hatte inzwischen seinen Bartbrand unter Kontrolle bekommen, öffnete die Tür und wäre beinahe in die Leere des Universums herausgefallen, konnte sich im letzten Moment noch am Rande der Tür festhalten, ließ dabei jedoch die kleine Kugel welche er bis dahin in der Hand gehalten hatte fallen um besser greifen zu können und letztere plumpste ungehindert mitten in das Unendliche Nichts hinein das des korpulenten Mannes Heim umgab. Zu ihrer Verwunderung erblickte die Kugel als sie bereits in einiger Entfernung zu ihrem ehemaligen Besitzer war, der ihr immernoch hinterherschaute und dabei traurig und machtlos seinen Kopf von links nach rechts bewegte, um den Türrahmen in dem er stand herum einige Merkwürdige, klar erkennbare Muster gebrannt, die zusammen mit dem korpulenten Mann das, durch denn hellen Schein hinter ihm, welcher aus einem der hinteren Räume stammen mußte und geradezu aufdringlich war, perfektionierte Bild einer idyllisch exotischen Landschaft voller Wolken, voller Boden, mit zwei Bäumen und einer Vogelscheuche mit schwarzen Lederschuhen an ihren Füßen, weißen Leinenhosen über ihren Beinen, goldenen Ringen an ihren Fingern und einer leicht verschmutzten, leger offen getragenen weißen Weste, unter der ihr aus Stroh gefertigter Körper klar zu erkennen war. Oberhalb des ramponierten Halses offenbarte sich das unglückliche, junge, frische und unanständig unschuldig wirkende Gesicht eines Kleinkindes, das nicht früh genug erfahren hatte, daß es wichtig ist nicht mit Seilen zu spielen während der Hals noch in der Schleife desselben hängt.
Der korpulente Mann selbst glich, schattenhaft wie seine Umrisse waren, einem vor die Sonne geschobenen Mond, der jedoch immernoch genug Licht zuließ um zu erkennen, daß es sich bei den beiden Bäumen um Trauerweiden handelte.
Die linke von beiden war gesund und kräftig; an der anderen hing zwar eine unglücklich dreinschauende Vogelscheuche, aber auch sie schien im Großen und Ganzen recht intakt zu sein, mit Ausnahme einer verfaulten Wurzel am untersten Ende und einem verfaulten Ast ganz oben, welcher genau auf den korpulenten Mann zeigte.
Die Kugel glaubte sich in einem seiner Augen gespiegelt gesehen zu haben, tat diesen Gedanken jedoch sofort als wahrscheinlich nicht ganz zutreffend ab und beschloß statt dessen lieber ein patriotisches Lied zu singen.
Als er das Bild und sich selbst darin etwas oberhalb des Mittelpunktes bemerkte, zuckte der korpulente Mann nur kurz mit den Achseln schaute auf seinen Bart, grinste und begann ein fröhliches Lied zu pfeifen, während er gemächlich die Tür hinter sich zuschloß.

 

Hallo PatrickD,

die Geschichte ist schwer zu lesen, sie ist ja auch nicht gerade kurz. Gut – Du nimmst das als Stilmittel in Kauf, obwohl die langen Sätze nicht unbedingt für die besondere, gut gelungene Stimmung nötig gewesen wären.
Interessant fand ich die Verschachtelungen der Handlung, bin mir aber nicht sicher, für wen der korpulente Mann steht. Das Schicksal der Staubkörner, die zwar nach Erkenntnis suchen, aber halt ` nur´ Staub im Wind sind, könnte für das der Menschheit stehen.

Müßte es nicht heißen „Existenz, der Existenz an sich“?

Tschüß... Woltochinon

 

Hola Woltochinon!

Die Welt des Bodens die sie entdecken, ist nicht die Existenz an sich.
Ich denke ich weiß, was Du meinst, aber das Einsetzen eines Kommas an dieser Stelle würde den eigentlichen Sinn verändern. Der Satz der nach dem Komma käme, wäre danach eine eigenständige Verstärkung, in etwa einer Wiederholung gleich.
Die Existenz an sich meint hier aus Sicht der Staubkörner den Tisch, über dessen Rand sie nun geblickt haben um zu ihrer unverhohlenen Verblüffung festzustellen, dass es noch mehr Existenz gibt als bis dahin allgemein angenommen, oder besser, geglaubt.
Aber auch die Version MIT Komma hat eindeutig etwas intressantes an sich.

Die Staubkörner und deren Schicksal hast Du als solche(s) richtig zugeordnet und erkannt. Aber das Bild der Menschheit taucht in der Geschichte ständig auf.
Ich denke, dass ist eine meiner schlimmsten Geschichten in Hinsicht auf Bilder und Symbolik, denn sie behandelt das erste Buch des Alten Testaments in sehr kompakter Form und, jetzt kommt das gemeine, falschherum. Also von Hinten.
Und obendrein auch noch bezogen auf die Menschheit und ihre Entwicklung im Allgemeinen.
Diese Geschichte verwirrt mich bis heute wenn ich sie lese und ich brauche oftmals zwei Versuche, bis ich wieder begreiffe was, womit gemeint und wie dargestellt ist.

Die Geschichte ist deswegen so verschachtelt, weil die Kugel zum Schluß eine enorm wichtige Rolle spielt, auch wenn sie nur kurz "in die Existenz" fällt und der Text selber eine Kugelform erhalten sollte. Und so ist dem ja letztlich auch.
Es ist so, als würdest Du einen in einer Spirale geschriebenen Text lesen, der sich immer wiederholt.
Hoffe ich zumindest...
Und vom Aspekt der Bibel aus sollte sich eigentlich auch der korpulente Mann erklären, der ja ebenfalls eine, wenn auch kurze, so doch zentrale Rolle spielt.

Patrick

 

Hallo PatrickD,

es ist interessant, wie viel selbst ein Komma ausmachen kann. Es ist angenehm zu wissen, daß Du (leider tut`s nicht jeder) so sehr auf Details achtest.
Also - auf das Alte Testament bin ich nicht gekommen. Gott und ein gewisser `Schöpfungsmythos´ sind schon zu erkennen. Es ist mutig, in einer Kg. solch einen umfangreichen Stoff zu verarbeiten. Folgt noch das Neue Testament? (Dessen stärke ist es ja, wenige, zentrale Aussagen zu machen, die durchaus Kg. geeignet sind).
Die Lese-„Spirale“, also das Bild im Bild wie bei zwei Spiegeln ist angenehm verwirrend. Widerspricht es nicht der Aussage des AT von einem definierten Anfang?

Tschüß... Woltochinon

 

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