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Der Kopfnicker

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05.02.2018
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Der Kopfnicker

Es war sechs Uhr früh, ein eisiger Wind umspielte meine Nase, als ich wartend am Bahnsteig stand. Griesgrämige Gestalten schlurften durch die Dunkelheit. Die Aktentaschenträger, wie die Hipster-Öko-Beutel-Träger, die Rucksackträger, wie die Handtaschenträger. Letztere sind übrigens besonders wahnsinnig: Mit Seidenstrumpfhose im Winter! Ihnen allen gemein ist: der Kaffeebecher in der freien Hand.
Endlich in der trockenen Heizungsluft der Bahn angelangt, kramte ich völlig verzweifelt durch das Gespräch meiner reizenden Sitznachbarinnen nach meinen Kopfhörern. Es sollte mir nicht zu verübeln sein, dass die hitzige Diskussion um einen angeblich superheißen Typän, der der Beschreibung nach aber ohne Zweifel eine ziemliche Knalltüte sein musste, mich nicht gerade umhaute. Da sollte ein bisschen Ray Charles doch Abhilfe schaffen können und mir den Morgen etwas versüßen.
Gerade wollte ich den sanften Bluesklängen lauschen, da hielt der Zug an und er stieg ein. Mit geraden, zielstrebigen Schritten kam er auf die Sitzgruppe zu, in der ich saß und besetzte den freien Platz mir gegenüber.
War ja klar! Das hatte mir gerade noch gefehlt… Jetzt kann ich noch nicht einmal mehr meine Beine überschlagen! Frustriert stellte ich Ray Charles‘ „My Melancholy Baby“ noch lauter ein.
Dieser Mann jedoch zog ganz unbekümmert seine mit hellem Pelz gefütterte Winterjacke aus, nahm sie wie in einem Ritual hoch vor seinen Oberkörper, um sie dann pedantisch zu falten und sie vorsichtig auf seinem Schoß zu positionieren.
Ich fragte mich, ob er den Zeitpunkt, an dem er im Zug von Dortmund-Dorstfeld nach Dortmund-Dorstfeld-Süd sitzt, genau berechnet hat. Nur um diese schweineteure Markenjacke vor dem Sturz auf den beschmutzten Boden, dem Highway der Dortmunder Bakterien zu retten.
Jetzt stellte er auch noch mit bedachtester Pingeligkeit seine schwarze Aktentasche direkt vor sich, glotzte mit seiner kleinbürgerlichen Halbglatze hinein und heraus zog er: einen Hipster-Öko-Beutel mit bunter Graffitiaufschrift.
Nun war ich vollkommen verwirrt. Dieser Mann tut das doch absichtlich! Er will meine sensiblen Nerven am Morgen ganz und gar zerstören, damit ich schon durch meine Bahnfahrt gerädert bei meinem Freund ankomme. Schließlich dauert diese Höllentour noch zwei Stunden bis nach Düsseldorf. Und nur, um mir dann wieder anzuhören, dass ich 'hier die Kaputte' sei. Wie kommt er nur darauf?
Im nächsten Augenblick musste ich erkennen, dass der Kopfnicker seinen finsteren Plan noch nicht zuende gebracht hatte: Im nächsten Schritt galt es diesen dummen Scherz auf die Spitze zu treiben. Vorsichtig schaute er sich um, warf mir, den anderen Fahrgästen und dem Gang einen zaghaften Blick zu. Keine Sorge, dir tut schon keiner was, dachte ich mir.
Alles genauestens abgesichert, holte er aus genau dieser eben beschriebenen, ökologisch abbaubaren, super-hippen Tasche, ein Paar Beats-Kopfhörer. Und als ob das nicht schon reichen würde, waren diese im stylishen Retrolook aufgepimpt. Die sind doch schon unübersehbar genug mit der Größe von zwei Elefantenohren.
Der meint es wohl wirklich ernst, war ich dann überzeugt und wechselte an meinem MP3-Player nun zu „Hit The Road Jack“ in vollster, dröhnenster Lautstärke.
Wahrscheinlich hatte er nun derbe Old School Hip-Hop-Sounds aufgelegt, denn als er, ebenso nervtötend genau seine Elefantenohren zurecht gerückt hatte, fing er doch tatsächlich an die hässliche Halbglatze im Takt hin und her zu bewegen. Wild wippte der Fuß in seinem Trekkingschuh vor sich hin, während er seine ordentlich gestreckte Sitzhaltung dennoch nie außer Acht ließ. Dazu dann noch dieses Kopfnicken, was mich verrückt werden ließ. Inzwischen hatte es sich sogar in ein abstoßendes Kinnvorziehen verwandelt! Als wollte er sagen: Komm, siehstn‘ du wie cool ich bin? Als müsste er etwas beweisen. Vollkommen albern. Und völlig paradox. Ich meine, wer hat denn schon mal den glücklichen Familienvater, den Hauptverdiener, den korrekten Anzugträger mit ganzer Hingabe Hip-Hop-Kopfnicken sehen?
Die Sonne schenkte dem Zugabteil inzwischen ein paar zaghafte Strahlen. Sanft legte sie sich auf das Gesicht des Kopfnickers und auf einmal began ich zu verstehen. Ja, sein Verhalten war eigentlich ziemlich logisch und nachvollziehbar: Er lebt den feschen Boy einfach immer nur im Zug aus, weil er im behüteten Heim sein wahres Ich nicht zeigen darf. Diesen aggressiven, hin-und-her-gerissenen Charakter, der das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben. Hier kann er ihn rauslassen, hemmungslos. Vorausgesetzt es herrscht gesellschaftliche Anonymität und er entdeckt niemanden aus näherem Bekanntenkreis im Zug, der ihn verraten könnte.

Ach, was ein armer Kerl.
Am nächsten Halt stieg er auch schon wieder aus.

 

Hi @ Caro Calliope !

Was soll ich zu deiner Geschichte sagen?

Ist es denn eine Geschichte? Es gibt eine Hauptperson und eine Handlung, zumindest so halbwegs. Aber eigentlich sind alles was ich lese Gedanken dieser Hauptperson, wobei ich mich Frage: Sind es die einer fiktiven Person oder sind es eher die des Autors?

Wessen Gedanken dass auch immer sein sollten, eins steht für mich fest: Sie sind sehr vorurteilsbehaftet, die Person ist von der Welt völlig genervt und regt sich über Kleinigkeiten oder die individualität einer Person viel zu sehr auf und wird dadurch für mich völlig unsympathisch...

Prinzipiell ist das ja nichts schlechtes, jeder von uns hat solche Gedanken, vor allem an schlechten Tagen. Es gibt sicherlich auch Geschichten in denen eine Hauptfigur mit solchen Charakterzügen funktioniert. Nur hier funktioniert es in meinen Augen nicht wirklich. Für mich entsteht dadurch keine Sympathie und letztendlich nerven mich die Gedanken, die ich mir da zugute führen muss nur.

Hm. Dass ist wohl nicht das, was du erwartet hast.

Was mir fehlt?
Überhaupt mal ein Ziel. Deine Figur hat keines, so scheint es mir. Was will sie denn? Wo will sie hin? Wo steckt der Sinn hinter dieser "Geschichte", die maximal eine Szene darstellen soll? Was willst du vermitteln außer dieses entnervte Weltbild, dass du da präsentierst? Da fehlt eine ganze Menge um es in meinen Augen überhaupt mal als Geschichte bezeichnen zu können.

Für mich ist das einer der vielen Fälle, in welchem sich jemand neu registriert und sofort eine Geschichte postet. Und ich denke, das verfehlt grundsätzlich die Funktion so eines Forums, dass von mehr lebt als nur von Leuten, die ihre Geschichten posten.

Mehr habe ich leider so spontan nicht zu sagen... Ich hoffe ich demotiviere dich nicht all zu sehr. Das will ich nämlich nicht, denn hinter dem was ich oben geschrieben habe soll im Kern auch folgendes stecken:

Streng dich ein bisschen mehr an und mach dir ein paar mehr Gedanken, dann wird es dir bestimmt gelingen eine Geschichte daraus zu entwickeln. Aber das kommt nicht ohne Arbeit und vor allem gibt es niemanden der das kann, ohne sich eine lange Zeit intensiv mit dem Schreiben zu beschäftigen. Wir waren alle mal dort, wo du jetzt bist: Am Anfang. Ob du den nächsten Schritt gehen willst, überlasse ich dir.


So long,

Cowboy

 

Hallo, Caro Calliope

Schauen wir erst einmal genauer hin:

Es war 6 Uhr früh, eisige Luft begrüßte meine Nase, als ich wartend am Bahnsteig stand.

Also, erstmal werden Zahlen in Geschichten normalerweise ausgeschrieben. So, dann: Eisige Luft begrüßt die Nase? Was zur Hölle? Mit eisiger Luft und Nase kann man viele Dinge machen, aber "begrüßen". Nee. "Eisige Luft umstrich meine Nase." "Eisige Luft kitzelte mich in der Nase." "Eisige Luft ließ mich niesen." Keine Ahnung. Aber nicht begrüßen, das klingt total schräg.

Die Aktentaschenträger, wie die Hipster-Öko-Beutel-Träger, die Rucksackträger, wie die Handtaschenträger. Letztere sind übrigens besonders wahnsinnig: Mit Seidenstrumpfhose im Winter! Ihnen allen gemein ist: der Kaffeebecher in der freien Hand.

Im Gegensatz zu meinem Vorredner finde ich Deine Geschichte prinzipiell gut konstruiert. Du erschaffst ein Gefühl der Genervtheit in Konfrontation mit klischeehaft anmutenden Gestalten, die vielen Pendlern nur allzu vertraut sein dürfte. Ich selbst kenne sie: die rücksichtslose Klappfahrradträgerin, der vorlaute Typ, das knutschende Pärchen. Allerdings, was Du bei mir raushörst: Wenn man pendelt, kennt man die Leute, mit denen man Tag für Tag fährt, meistens ein bisschen besser. Man nimmt sie und ihre Macken immer noch überzeichnet war, aber man hat sie schon oft gesehen, kennt ihre Gesichter, weiß, wo sie sich hinsetzen werden und wann sie aussteigen. Da würde ich mir wünschen, dass Du mehr ins Detail gehst. Das hier ist mehr so die Wahrnehmung von einem Gelegenheitszugfahrer.

Aus Protest stellte ich Ray Charles‘ „My Melancholy Baby“ noch lauter ein.

Aus Protest? Schauen wir mal in den Duden: Bekundung des Missfallens. Problem: Der Gegenüber merkt ja gar nichts davon. Meiner Meinung nach ist "Protest" deshalb das falsche Wort, weil es etwas ist, das offensichtlich zutage tritt. Vielleicht meinst Du eher "Frust" oder "Um mich abzulenken"?

Ich fragte mich, ob er die Koordinaten seiner Jacke zu dem Zeitpunkt, an dem er im Zug von Dortmund-Dorstfeld nach Dortmund-Dorstfeld-Süd sitzt, genau berechnet hat. Nur um diese schweineteure Markenjacke vor dem Sturz auf den beschmutzten Boden, dem Highway der Dortmunder Bakterien zu retten.

Ich verstehe nicht, wozu ich die Koordinaten meines Aufenhaltsortes feststellen muss, um meine Jacke zu fallen. Zumal dies in einem fahrenden Zug völlig sinnlos ist. Das würde ich umformulieren. Du kommst sicher ohne Koordinaten aus.

Sanft legte sie sich auf das Gesicht des Kopfnickers und langsam verstand ich sein seltsames Verhalten.

Dieser Wandel von rasender Genervtheit zu einem mitleidigen Verstehen kommt für mich zu plötzlich. Wodurch ist das entstanden? Nur dadurch, dass die Sonne rauskommt? Wenn ich morgens zur Arbeit fahre und von allem genervt bin, dann hasse ich es, wenn die Sonne so grell scheint. Ergibt für mich nicht wirklich Sinn.

Also, ich kann die Gefühle Deines Prots gut nachvollziehen. Ich bin selbst eine Weile mit dem Zug gependelt und weiß, wie höllisch nervig das ist. Aber es gibt ein paar Probleme mit Deinem Prot. Erstens kommt sein Sinneswandel zu plötzlich. Vielleicht versucht er, sich in seinen Gegenüber einzufühlen. Oder erwischt sich selbst dabei, wie er wild mit dem Kopf nickt und dem Fuß tippt?

Zweitens habe ich keine Ahnung, wer Dein Prot ist. Ich weiß, dass er ein höllisch genervter, innerlich aggressiver Pendler ist. Das ist alles. Meistens wird dieser Ärger auf alles nicht durch die Mitreisenden selbst ausgelöst. Hat er einen stressigen Tag vor sich? Eine lange Nacht hinter sich? Wie lange fährt er die Strecke schon? Wie gut kennt er die anderen Pendler und die Strecke, die vor dem Fenster entlangzieht? Du kannst das ewig Gleiche und Nervtötende noch näher an uns heranbringen. Das Problem, das mein Vorredner mit Deinem Prot hat, ist, dass er extrem unsympathisch wirkt. Ich kann ihn gut verstehen, weil es mir mal genauso ging, aber das wird vielen Leuten anders gehen. Also musst Du ihm mehr Charakter geben. Gib ihm v.a. einen Grund, aus dem er so angenervt ist, sodass wir uns stärker in ihn einfühlen können.

Ich bin gespannt.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo Caro Calliope,

manches an dem Text finde ich richtig gut, die Erzählstimme vor allem, die Wut, die aus ihr spricht, aber auch sprachliche Konstruktionen, die sich von dem Erzählbrei, den Eleganzvorgaben von Creative-Writing-Ratgebern, abheben. Klar, die Szene, die du beschreibst ist mittellustig, nicht besonders originell und die Wiederholung von (Hipster-)Bildern in einem solch kurzen Text, als würde dir die Inspirationsluft ausgehen, hemmt den Lesegenuss. Auch die moralischen Wertungen würde ich überdenken.
Aber als Debüt mag ich den Text wirklich und freue mich, mehr von dir zu lesen.

Textstellen:

Die Aktentaschenträger, wie die Hipster-Öko-Beutel-Träger, die Rucksackträger, wie die Handtaschenträger
die Wiederholung der „träger“ wirkt unbeholfen.

superheißen Typän
Typen

dem Highway der Dortmunder Bakterien zu retten.
:D

Wahrscheinlich hatte er nun derbe Old School Hip-Hop-Sounds aufgelegt, denn als er, ebenso nervtötend genau seine Elefantenohren zurecht gerückt hatte, fing er doch tatsächlich an die hässliche Halbglatze im Takt hin und her zu bewegen.
:lol:

Die Sonne schenkte dem Zugabteil inzwischen ein paar zaghafte Strahlen. Sanft legte sie sich auf das Gesicht des Kopfnickers und langsam verstand ich sein seltsames Verhalten.
wie soll die Sonne sich auf sein Gesicht legen, da verbrennt er sich ganz schön, oder?

Viele Grüße und willkommen hier
Isegrims

 
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Hallo LonesomeCowboy,

erst einmal danke für die Rückmeldung.

Die Tatsache, dass das ganze noch keine Geschichte darstellt, leuchtet mir ein und war mir bereits bewusst, aber aufgrund meines neuen Status in diesem Forum, wie du ja schon bemerkt hattest, war ich mir unsicher wohin mit diesem Text. Es tut mir leid, dass ich ihn daraufhin "einfach so" eingestellt habe, ich wollte keine Mehrabeit für irgendwen produzieren.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Ganze zwar Anstoß hatte durch meine eigenen Zugfahrerfahrungen, aber keineswegs autobiographisch zu interpretieren ist, sondern lediglich alltägliche Gedanken zynisch auf die Spitze getrieben werden sollten. Aber gut zu wissen, dass das nicht für jedermanns Humor Sinn macht.

Weiterhin hierzu: "Für mich ist das einer der vielen Fälle, in welchem sich jemand neu registriert und sofort eine Geschichte postet. Und ich denke, das verfehlt grundsätzlich die Funktion so eines Forums, dass von mehr lebt als nur von Leuten, die ihre Geschichten posten."
Vor Zuschreibungen, Pauschalisierungen und Vorurteilen ist ja anscheinend niemand gefeiht, was? Von daher: ich erforsche gerne dieses Forum nach und nach - gib mir doch ein paar Anregungen und Tipps, was als aktives Forumsmitglied dazugehört.

Danke.
Caro Calliope

Liebe TeddyMaria,

vielen Dank für die detaillierte Rückmeldung!
Einige Aspekte habe ich schon versucht einzubauen und kann ich auch nachvollziehen, allerdings muss ich zugeben, dass es mir schwer fällt den Charakter weiter auszubauen; möglicherweise, da ich tatsächlich nicht meine Gedanken notiert habe (@LonesomeCowboy), sondern versucht habe einen Charakter aus der Innensicht einzufangen, der mir persönlich aufgefallen ist. Natürlich fließen auch eigene Empfindungen mit ein, aber leider reicht mein Vorstellungsvermögen momentan für seine ganze Lebensgeschichte nicht aus. Besonders, was die Korrektur des Schlusses betrifft, bin ich ratlos ;) Es war tatsächlich als plötzliche Wendung gemeint, aber 100% gefallen tut er mir leider auch noch nicht. Kreative Vorschläge vor!

Ich werde wohl nochmal in mich gehen & mich an neuen Themen versuchen.


Viele Grüße,
Caro Calliope

Hallo Isegrims,

Danke dir, das freut mich zu hören!
Schön, dass dir diese Art von Humor zugesagt hat ;)

zur ersten Bemerkung: die Wiederholung des Wortteils "Träger" war beachsichtigt. Ist natürlich schade, wenn es unbeholfen rüber kommt, das war natürlich nicht die Intention.
zur zweiten Bemerkung: das Ä war auch gewollt :D ich weiß ja nicht, wieviel künstlererische Freiheit hier so im Allgemeinen toleriert wird..
zur dritten Bemerkung: die Sonne, naja, ich weiß nicht, gibt es da noch andere Meinungen zu? Mir erschien das jetzt eigentlich, wie eine legitime Redewendung, mmmh...

Alles in allem freue ich mich über die rege Beteiligung und werde mich bald wieder ans Schreiben begeben!

Viele Grüße,
Caro Calliope

 

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