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Der Kontrakt
Die Vibrationen hatten mit einem Schlag aufgehört, und Taylor hielt nur noch ein totes Stück Metall in seinen Händen.
Nicht schon wieder!
Wütend zog er den Bohrkopf aus dem halbfertigen Loch und ließ die Maschine sinken. Die Muskulatur in seinem Arm beruhigte sich nur langsam. Als er seine Hand wieder kontrolliert bewegen konnte, zog er mit dem linken Daumen den kleinen roten Kippschalter kräftig nach hinten und drückte ihn sofort wieder nach vorne durch.
Es rührte sich absolut nichts.
Nochmal.
Nichts.
Nochmal.
Und wieder nichts.
Er probierte es noch einige Male, doch der Hydraulikmotor sprang nicht wieder an. Er war mausetot.
Taylor öffnete einen Komm-Kanal. Er war wütend. „Hier Abschnitt 7b, Taylor. Der Scheißbohrer ist mal wieder hin! Ich brauche umgehend Ersatz aus dem Lager!“
„Roger, Ersatz wird geschickt“, kam es begleitet von knackenden Interferenzen aus dem Helmkopfhöhrer zurück.
„Und macht dieses Mal gefälligst ein bisschen hin! Ich verliere sonst wieder mein ganzes Vorderwasser wegen euch faulen Pennern!“
„Ersatz ist unterwegs“, wiederholte das Sprachmodul des Logistikcomputers stoisch.
Weiter kam nichts. Kein Kommentar, kein dummer Spruch, keine aufmunternden Worte für einen Malocher, der hier unten mutterseelenallein die Seele aus dem Leib schuftete. Nur ein leises Knistern im offenen Kanal.
Taylor hasste Computer.
Die Stille am anderen Ende der Leitung nervte ihn noch ein paar Sekunden, dann setzte er sich mit einem resignierenden Seufzer auf einen kleinen Felsblock im Gang hinter sich und begann zu warten. Erfahrungsgemäß würde es nun wenigstens eine halbe Stunde dauern, bis jemand vom Lager bei ihm auftauchen würde.
Dreißig Minuten waren eine verdammt lange Zeit bei siebzig Grad unter Null.
Unter anderen Umständen hätte er jetzt erst einmal die Schachtel Zigaretten hervorgewühlt. Doch hier draußen musste er einen hermetisch abgeschlossenen Schutzanzug tragen und konnte seinen Helm nicht für eine Sekunde abnehmen. Die giftigen Dämpfe um ihn herum hätten ihn auf der Stelle getötet.
Also wartete er.
Es dauerte lediglich ein paar Minuten, bis er zu frieren begann. Die Schutzanzüge der Company waren aus billigen Kunstfaserstoffen zusammengenäht, zudem schlecht verarbeitet und nicht wirklich für die eisigen Temperaturen auf dem Planeten ausgelegt. Sie hielten einen Menschen nur am Leben, solange er seine Muskulatur ständig in Bewegung hielt. Im Grunde waren es also die Anzüge, die einen dazu zwangen, bloß niemals den Bohrer aus der Hand zu legen.
Taylor stand auf, ging ein paar Meter den Stollen hinein, machte kehrt und ging wieder zurück. Das Frieren hörte nicht auf, aber so ließen sich zumindest die verbleibenden Minuten bis zum Eintreffen des Ersatzbohrers über die Bühne bringen.
Während er so auf und ab ging, dachte er an die Erde, die Heimat seiner Rasse, auf der er nie gewesen war. Er dachte in letzter Zeit oft an sie und es war stets ein Gefühl von tiefer Sehnsucht in diesen Gedanken. Geboren auf einem Raumtransporter, der von einem fernen System aus eine kleine Forschungsstation in einem noch ferneren System versorgte, war er mit vierzehn Jahren als Minenarbeiter in den Dienst der Company getreten. Seitdem reiste er auf riesigen Fabrikschiffen durch das Universum, ließ sich von Zeit zu Zeit auf einem mineralienreichen Planeten oder Asteroiden abgeladen, tat dort ein paar Monate bis Jahre seine Arbeit, um schließlich, wenn die Quellen erschöpft waren, wieder auf das Mutterschiff zurück verfrachtet zu werden. So ging es seit etwa dreißig Jahren und in dieser ganzen Zeit war die Erde ein ferner Traum geblieben.
Bis jetzt!
In seinem neusten Arbeitskontrakt stand es drin, schwarz auf weiß, letzter Paragraph: "Anrecht auf ein Firmenvisum für den Flug zur Erde". Die Transportkosten sollte die Company übernehmen. Auch das stand in seinem Vertrag.
Der Preis dafür war ein Jahr in der Hölle.
Noch niemals zuvor hatte er unter solchen Umständen arbeiten müssen. Hier unten funktionierte so gut wie keine Technik. Es gab keine Bohrroboter, keine Hilfsandroiden. Die giftigen Dämpfe zerfraßen in kürzester Zeit jede Sorte von Kunststoff und lösten das Silizium der Computerchips auf. Alles musste von Hand erledigt werden und was an Werkzeug eingesetzt wurde, verschliss innerhalb weniger Stunden. Während sich ihr Quartier noch in einem relativ geschützten Bereich befand, waren sie bei und in den Minen den giftigen Gasen völlig ausgeliefert.
Für die Company lohnte sich die Sache, trotz des ungeheuren Materialverschleißes. Denn die zerstörerischen Gifte hatten eine äußerst profitable Kehrseite: Sie hatten sich im Laufe der Zeit immer tiefer in die äußeren Schichten des überwiegend wertlosen Oberflächengesteins gefressen und ein verzweigtes System von Tunneln und Kavernen in das ansonsten kaum durchdringbare Gestein gefressen. An den Innenwänden dieser Gänge hatten die Gase einige der wertvollsten Mineralien des Universums zutage gefördert. Sie lagen quasi blank da und warteten nur darauf, aus der Erde herausgebrochen zu werden. Die Company war auf diesem Planten auf eine verdammte Goldmine gestoßen.
Taylor fror noch immer und er begann, sich etwas schneller zu bewegen.
Dann ein plötzlicher Knall. Mit einem lauten Zischen schwoll ihm eine Wolke grünlich-gelber Gase entgegen. Instinktiv duckte er sich. Doch es gab kein Entrinnen. In einem Augenblick war er vollständig von der Giftwolke umschlossen. Seine Sicht reduzierte sich auf nahezu Null und auf der Plexiglasscheibe seines Helms bildeten sich Blasen. Jetzt kam die Angst, das Adrenalin. Instinktiv hielt er die Luft an. "Das ist doch verrückt!", ging es ihm sogleich durch den Kopf. Als würde ihn das retten, falls irgendwo Gas eindränge.
Seine Angst steigerte sich zur Panik. Er war sich sicher, dass die Anzüge nicht das hielten, was die Company versprochen hatte. Bisher hatten sie stets durchgehalten, aber bereits eine Doppelschicht hätten viele wohl nicht überlebt. Es waren nicht nur die giftigen Gase, es gab auf diesem Planten auch eine äußert aggressive radioaktive Strahlung.
Er blieb am Leben. Nach und nach verflüchtigte sich die Wolke. Der Helm hatte dicht gehalten, auch wenn seine Sicht nun durch einen schmierigen Film auf der Scheibe getrübt war. Endlich war auch das Versorgungsteam da. Es waren Smith und Jones mit Turner als Vorabeiter.
"Hallo Taylor. Hat dir ein Alien auf den Helm gekotzt?", wurde er von Turner mit ruppiger Herzlichkeit begrüßt.
Taylor sparte sich eine Antwort und ließ sich schweigend mustern.
"Du solltest vorsichtshalber zurück zum Quartier gehen und dir einen neuen Anzug aushändigen lassen", sagte Turner nach einem kurzen Blick auf Taylors Ausrüstung. "Das Scheißzeug ist verdammt aggressiv. Jones wird hier übernehmen, du kommst mit uns."
Es gefielt Taylor nicht, die Schicht in den Wind schreiben zu müssen. Er konnte jeden Credit gut gebrauchen. Doch sah er ein, dass das Risiko die Sache nicht wert war.
Schweigend schleppten sie den defekten Bohrer zurück zum Lager. Taylor war nicht in der Stimmung für Konversation, die anderen versuchten es erst gar nicht. Das Lager lag in einem kleinen Krater, einen kurzen Wegmarsch von den Minen entfernt. Im Wesentlichen bestand es aus einem Landeplatz, einer Wohneinheit und einem Lagermodul, von dem aus mehrmals täglich ein Frachter beladen wurde, sowie einer Fläche mit mehreren großen Standartcontainern. In diese wurden die kontaminierten und defekten Ausrüstungsgegenstände verbracht - und auch aller sonstiger Abfall.
Die Männer trugen nun den schweren Bohrer zu dem kleinen Platz vor der Containerbatterie. Die Container waren je nach Abfallsorte farblich voneinander unterschieden. Gelb stand für Kunstoff, Rot für Metallschrott, Orange für Mischstoffe und Grün für organische Abfälle. Alle Container waren in Benutzung, lediglich der grüne hatte noch eine intakte Versiegelung.
"Komisch, dass sie hier überhaupt so einen hingestellt haben", sagte Taylor und deutete mit dem Kopf in Richtung des Containers. "Tier oder Pflanzen gibt es hier eh nicht und der elektrolytische Kunstfraß, den sie uns in der Kantine vorsetzen, fällt ja wohl eher unter die Kategorie Chemieabfälle."
"Ja, ja, furchtbarer Fraß" erwiderte Turner leicht gereizt. "Hilf uns lieber, das Miststück dort reinzukriegen."
"Hat nicht Bushman neulich seine tote Katze dort entsorgt?" mischte sich nun Smith ein.
"Hat er nicht, er hat gar keine Katze", erwiderte Turner trocken.
"Dann weiß ich auch nicht. Ist ja auch nicht unser Bier."
"Los jetzt!" befahl Turner.
Die drei Männer betätigten die Steuerkonsole der Luftschleuse und wuchteten den schweren Bohrer in den roten Container. Der war bereits zu mehr als zwei Dritteln mit metallischen Abfällen gefüllt.
"Laut Plan sind wir in zwei Wochen eh weg." nahm Turner das Gespräch wieder auf. "Dann sind die Vorkommen erschöpft. Wir haben hier ganze Arbeit geleistet."
"Wird auch Zeit, dass wir endlich aus dieser Hölle wegkommen. Ich will endlich mal die Erde sehen."
Am Abend saßen die Männer noch lange beisammen und träumten gemeinsam den Traum von der Erde.
Dann gingen sie ins Bett. In acht Stunden begann eine neue Schicht.
...
Zwei Wochen später drückte ein gelangweilter Zollbeamte einen Knopf und stellte eine Sprechverbindung mit dem Autopiloten der RS Winnepeg her.
"Ihre Papiere sind in Ordnung. 18 Tonnen Metallschrott, 5 Tonnen Elektroschrott und 3 Tonnen organische Abfälle. Zusammen 26 Tonnen Abfälle in drei verzollten ISO-Containern. Bestimmungsort: Erde. Das Transportschiff der Big Ori Company hat die Freigabe, das Rotternord System zu verlassen."
"Roger!", tönte es mechanisch zurück.