Der konstante König
Gregor K. war weder besonders intelligent, noch weise, gütig oder auch wenigstens gut aussehend. Auch war er nicht besonders wahnsinnig oder blutrünstig. Er war ganz normal und zufällig König durch Geburtsrecht. Das Land, welches von K. regiert wurde, war nicht groß, nicht schön und schon gar nicht reich. Aber es genügte und irgendwie genügte König Gregor der Normale auch.
Die Vorsehung jedoch trieb ihr böses Spiel, war K. doch für größeres bestimmt, als nur der kleine und langweilige König eines kleinen und langweiligen Landes zu sein.
Entsprechend sandte man ihm in schwärzester Nacht einen weißgewandten Seraphim.
-ERWACHE! GREGOR, KÖNIG!
Die annähernd göttliche Stimme drang direkt ins Hirn und versetzte dieses in beinahe den Verstand raubende Schwingungen. Der übliche Umweg durch die Gehörgangwindungen wurde hierbei ausgespart.
-Wiewaswo?
König Gregor brachte indessen nur dieses unformulierte Gebrabbel zustande und pisste eloquent in sein Nachtkleid. Damals trug man noch Nachtkleider.
Das seelenlose Himmelswesen fuhr fort.
-SO SIEHE! GREGOR, KÖNIG! ABGESANDT HAT MAN MICH, GABRIEL, DIE STIMME, DEN BOTEN. MITZUTEILEN DIR WURDE MIR FOLGENDES AUFERLESPROOUUUUUUTAUUUUURKS!!
Nachdem K. den ersten Aufwachschock überwunden hatte, ergriff ihn eine ungewohnte Geistesgegenwart. Noch während die geflügelte Lichtgestalt vor ihm ihr religiöses Programm auffuhr schnappte sich K. den praktischerweise bereit stehenden Speer zu seiner Rechten und warf diesen mit aller Wucht in Richtung Engelskehle. Sogleich wurde K. ebenso wie sein Gemach von heiligen Körpersäften durchweicht.
Am nächsten Abend lud König Gregor seinen gesamten Hofstaat in die große Halle.
-Meine lieben Freunde und Verwandte.
Kaum hatte Gregor K. zu sprechen begonnen, ging ein unterdrückter Gähner durch den Raum. Der König war dafür bekannt, dass seine wenigen Reden ausgesprochen langweilig waren. So war es denn auch. K. sprach von Bestimmung, Ehre und ähnlich drögem Zeug. Kein Wort von himmlischen Botschaftern oder deren Terminierung. Schließlich endete Gregor.
-Lasst uns essen!
Wie gewöhnlich endete also auch diese Rede mit dem unangenehmen Warten auf ein Gejohle, das immer ausblieb. Stattdessen füllte höfliches Geraschel und Platzgesuche den Raum, während diverse Speisen mit brüllender Langsamkeit kredenzt wurden.
Man aß.
Serviert wurde ein einziger Gulasch aus einem Topf von Badezimmergröße. Geizkragen, dachte man sich denn die Fleischbrocken waren mehr als spärlich verteilt. König Gregor der Normale ließ sich von der schlechten Laune, die im Saal vorherrschte, nicht anstecken und aß bedächtig seinen Gulasch, wobei er faserige Fleischbrocken mit religiösem Genuss zerkaute.
Später, die gesittete Versammlung hatte sich aufgelöst, lag K. in einem behelfsmäßigen Quartier. Sein eigenes Zimmer wurde zurzeit von seinem obersten Leibdiener in einen Prä-Blutbad Zustand geschrubbt. Gregor war gespannt, was für Auswirkungen der Verzehr von Engelsfleisch wohl auf den sterblichen Organismus haben würde. Er lachte. Es war das Lachen des Hobbywissenschaftlers gepaart mit einem ersten Anflug von Wahnsinn. König K. schlief mit einem Schmunzler ein.
Ein Jahr später traf sich exakt dieselbe Abendgesellschaft wie im vorigen Jahr im bekannten Saal ein, um eine langweilige Rede des Königs zu ertragen und Gulasch zu essen. Das Fleisch war dieses Mal reichhaltiger und stammte von überaus sterblichem Rotwild. Keiner der Gäste war um einen Tag gealtert. Die deutlichste Veränderung hatte der König erfahren, dessen Haar wilder, dessen Blick starrender und dessen Stimme schriller geworden war. Nur eine Nuance.
Diese leichten Änderungen nahmen von Bankett zu Bankett zu. Der vorherrschende Katalysator der Verwunderung war jedoch ohne Zweifel, als dem gesamten Hofstaat unvermittelt bewusst wurde, dass man sich bereits zum siebzigsten Gulaschessen traf und alle noch ihre echten Zähne hatten.
So ging es weiter. Gregor wurde zunächst in Gregor der Wahnsinnige und später, nach Jahrhunderten der Legislatur, in Gregor der Konstante umbenannt. Allgemeine Bekanntheit erhielt kurioserweise lediglich der Gulasch des Banketts, dessen Rezept als ältestes Gulaschrezept der Welt gilt.