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Der Koffer
Jim schloss den Koffer. Das war geschafft. Die Fracht war gesichert. Nun müsste er sie noch zum Schließfach bringen. Sicher ist sicher. Er schaute sich um und horchte. Noch war es ruhig. Sie hatten ihn noch nicht entdeckt. Aber sie suchten ihn- bestimmt!
Er nahm den Koffer in die Hand, und ging zur Tür seiner Zweizimmerwohnung, die im fünften Stock lag, und schaute angespannt durch den Spion. Niemand war zu sehen. Doch beruhigt war er dadurch nicht. Zu wichtig war sein Auftrag, als dass keiner seine Spur aufnehmen würde. Einer von ihnen würde ihn finden, über kurz oder lang. Das war klar.
Er zog seinen Mantel noch ein wenig enger um den Hals. Dann öffnete er schnell die Tür und schlich ins Treppenhaus. Alles ruhig.
Bevor er auf die Straße ging, beobachtete er, was dort passierte. Autos fuhren vorbei. Hatten sie ihn mittlerweile geortet? Er schaute auf den Koffer. Unter allen Umständen musste er seinen Auftrag erfüllen, koste es, was es wolle.
Als er das Haus verlies, drückte er sich eng an der Wand entlang. Nur nicht offen auf der Straße gehen, dann wäre es leicht, ihn zu finden. Er musste im Schatten bleiben, unauffällig und leise.
Da! Ein Mann mit seinem Hund kam dort um die Ecke. Verdammt! Jim drehte sich in eine kleine Seitengasse und versteckte sich hinter einem Müllcontainer. Die Schritte kamen näher, immer näher kamen sie. Er hörte sie deutlich in seinem Ohr hallen. Tap, tap, tap. Der Mann blieb stehen. Jim schaute vorsichtig an der Kante des Containers vorbei.
Der Hund schnüffelte.
Nahm er Witterung auf?
Hund und Mann gingen weiter.
Das war knapp. Sie waren unterwegs, überall waren sie. Das sollte schwierig werden.
Jim nahm allen Mut zusammen und verließ sein Versteck. Er ging schnellen Schrittes die Straße entlang, bis er auf eine größere kam. Hier war er schutzlos den Blicken ausgeliefert. Wahrscheinlich setzten sie schon Kameras ein, um ihn zu suchen. Menschen und Kameras.
Er musste sie verwirren, irgendwie musste er verhindern, dass sie ihn finden. Das wäre fatal!
Er winkte aufgeregt nach einer Taxe und stieg, als eine hielt, sich umblickend, schnell ein.
Er musterte den Taxifahrer.
Ein junger Mann, unrasiert - Er musste es trotzdem riskieren.
„Fahren sie mich zum Bahnhof!“, sagte er. „Schnell!“
„Nur die Ruhe, ich tue, was ich kann“, antwortete der Mann.
Hatte Jim da gerade einen seltsamen Unterton in der Stimme wahrgenommen? Warum sollte er ruhig sein? Sollte er sich beruhigen, damit er schneller überwältigt werden konnte?
Nervös saß er im Taxi.
Der Name des Fahrers stand auf seinem Ausweis, der auf den Armaturen klebte. Guiseppe Delias. Seine Initialen waren GD. „Geheimdienst!“, wisperte Jim.
Ihm lief der Schweiß über den Rücken, während das Taxi auf eine Ringstraße einbog. Sie hatten ihn! Oh nein, was sollte er tun? Jetzt würde er ihn in ihr Hauptquartier bringen, sie würden ihn und seinen Koffer in der Gewalt haben.
Das Taxi hielt an einer Ampel.
Jim schaute zum Fahrer und fühlte sich im Rückspiegel beobachtet.
„Geht es Ihnen gut, Sir?“, fragte der Mann.
Jim war angespannt, und seine Augen fixierten das Gesicht des Mannes, der ihn unentwegt anzustarren schien.
Er musste etwas tun, musste fliehen!
Die Ampel schaltete auf Grün, die Wagen vor dem Taxi setzten sich langsam in Bewegung.
Plötzlich sprang Jim auf die Straße und rannte so schnell er konnte.
Gerade noch mal gut gegangen, dachte er!
„Hey!“, rief der Taxifahrer, doch Jim war auf und davon.
Er lief und lief, bis er in einen Park kam. Dort versteckte er sich hinter einigen Bäumen. Das war knapp.
Sein Atem raste!
GD- das war eindeutig ein Code. Immer benutzten sie Codes, um sich zu verständigen. Zum Glück war er aufmerksam, hatte ihr Spiel durchschaut. Doch nun waren sie gewarnt, waren auf seiner Spur.
Jim blickte nervös hinter einem Baum hervor und lauschte. Vereinzelt gingen Leute über die Parkwege. Es war später Nachmittag. Bald sollte es dunkel werden. Bis dahin musste der Koffer am Bahnhof sein. Jetzt oder nie, sagte er sich, stand auf und rannte los.
Am besten Haken schlagen, dann verlieren sie meine Spur.
Jim kam zum Rand des Parks, an den sich ein Fußgängerweg anschloss. Frauen und Männer in Dienstkleidung passierten ihn. Hinter jedem von ihnen konnte sich ein Agent verbergen. Und auch das noch! Er schaute nach oben. Ein Flugzeug war am Himmel zu sehen. Jetzt setzen sie Ortungsflugzeuge ein! Sie würden ihn per GPS aufspüren!
Jim wurde panisch.
Er wusste nicht, was er tun sollte, also rannte er wieder. Durch die Fußgängerzone, an den Menschen vorbei.
Überall waren Reklametafeln aufgestellt. Die Menschen, die darauf zu sehen waren, schienen ihn zu fixieren und mit ihren Fingern auf ihn zu zeigen. Schon wieder ein Kniff des Geheimdienstes. Sie waren ihm immer und immer wieder überlegen, permanent einen Schritt voraus.
Da!
Ein vereinzelter Lieferwagen, Kennzeichen: K- DE 876.
K ist Köln, der Ort. Auf D folgt E im Alphabet, also direkte Folge der Ereignisse. 876- oh nein! Der Countdown läuft!
Jim spurtete!
Dort hinten war der Hauptbahnhof zu sehen, er musste nur noch die Domplatte überqueren. Er sah Männer mit langen Bärten: da waren sie- Talibanagenten. Sie hatten ihn gefunden. Jetzt wurde es knapp.
Er stürmte durch den Eingang des Bahnhofes, riss dabei zwei Männer um, die im Weg standen. Alles oder nichts, sonst ist es zu spät! Er kam japsend bei den Schließfächern an. Gerade wollte er den Koffer einschließen, da rief eine eindringliche Stimme hinter ihm: „Hände hoch, keine Bewegung! Drehen sie sich langsam um!“ Die Beamten vermuteten, dass sich eine Bombe oder etwas ähnlich Gefährliches in dem Koffer befände.
Jim indes erstarrte.
Was sollte er tun?
Jetzt hatten sie ihn, alles war verloren! Die geheimen Informationen waren in die Hände der Gegner gefallen. Er hob die Hände und drehte sich um. Die Männer, die er umgerannt hatte, waren Polizisten. Sie nahmen den Koffer und öffneten ihn. Nun war er des Todes!
„Nein! Nicht öffnen!“, schrie er.
„Zeitungen. Zeitungen und ein wildes Gekritzel darauf.“, sagte einer der Beamten.
Jim währenddessen war wie gelähmt. Der Code war in falsche Hände gefallen.
„Mitnehmen!“, sagte der Beamte.
Man brachte Jim auf die Wache. Ein Arzt stellte nach ausführlichen Untersuchungen eine paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis fest: Verfolgungswahn.
Zwei Tage später wurde er der Richterin vorgeführt und eingewiesen in die geschlossene Anstalt.
Nun haben sie mich, dachte er, die Wirkung der Neuroleptika spürend, und sank auf seinem Bett zusammen.
(c) bei Jan B. K.