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Der Kletterer

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09.08.2006
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Der Kletterer

Beherzt packte er das Seil mit seinen Händen, stemmte sich mit beiden Füßen gegen die aufragende Felswand und begann zu klettern. Nun musste er weiter, denn die Geschöpfe direkt unter ihm, die ihn eben noch mit Gleichmut betrachtet hatten, schlugen jetzt wild nach ihm, suchten, ihn zu zerreißen.
Also weiter! Zunächst ging es spielend leicht voran, die Steigung war beinah lächerlich, fast fürchtete er schon, die hinter ihm könnten ihm folgen. Doch dem war nicht so, nicht ein Stückweit kamen sie ihm nach. Ein Blick über die Schulter auf die Bestien genügte jedoch, ihn immer weiter zu treiben – nicht dass sie ihn mit ihren Klauen doch noch erreichten und zu sich hernieder rissen.
Und wie er so kletterte und immer weiter kletterte, immer höher, wie die Wand stets steiler wurde und er sich zunehmend sicher fühlte, vor dem Zugriff der geifernden Kreaturen, da fand er mehr und mehr gefallen, an dieser Kletterpartie. Erhebend war all das, im wörtlichen Sinne, wie auch im übertragenen!
Als er da anlangte, wo die ersten Wolken gegen den grauen Fels trieben, begann bereits die Erschöpfung an ihm zu nagen und er beschloss, zunächst zu rasten. Sorgsam besah er sich die Wand und entdeckte daran mannigfaltige Schriftzeichen. Andere vor ihm mussten hier gewesen sein. Sodann pflückte er einige Beeren von dem Strauch, der hier aus dem Gestein trieb und aß sie. Sein Hunger indes war noch nicht gestillt und so sah er sich um. Weit in der Höhe erst konnte er weitere Pflanzen erkennen, doch waren diese wahrlich prachtvoll: Groß und rund leuchteten und lachten an ihnen die Früchte.
Also weiter. Hoch war er schon und seine Hände fühlten sich schwielig an, als er die Äste der geschauten Pflanzen erreichte. Von seinem Seil schwang er sich auf einen solchen, pflückte eine der Früchte und biss mit Wonne in das süße Obst. So konnte man es sich gefallen lassen! Warum sollte er nicht hier bleiben? Schön war es hier und war er nicht schon hoch genug gestiegen? Er kam mit sich überein, es hier auszuhalten.
Wiederum entdeckte er an der Wand Schriftzeichen, diesmal jedoch andrer Art. Kein Zweifel: Auch hier hatte einer sich verewigt. Aus einer Laune setzte er sein eigenes Zeichen hinzu.
Wieder ließ er die Blicke schweifen. Unten konnte er die Bestien kaum noch erkennen, durch die weiße Wolkenpracht. Allein ihre Schemen jedoch genügten, ihn in arge Ängste zu versetzen, fast mehr noch als damals zu Beginn. Auch spürte er, einen kalten Wind ihn streifen. So sah er ein: Er musste weiter hoch.
Höher und höher ging es, schwieriger wurde es immer zu, doch fand er stets Früchte sich zu nähren und machte hier und da sein Zeichen. „Wer“, fragte er sich auch alsbald, „will schon bis hierher steigen, aber nicht das Ende sehen?“
Die reißenden Geschöpfe ganz unten konnte er bald nicht einmal mehr sehen und wenn es ihn auch an seine Grenzen trieb: Er kletterte, bis seine Zeichen einzig noch, die nackte Wand verzierten.
Wieder, ein letztes Mal noch, erreichte er ein Baumgeflecht, mit Früchten reich bewachsen, größer als alle noch bisher. Den höchsten Garten hatte er nun gewonnen. Direkt über seinem Haupt nahm ein grell weißer Nebelschleier jede weitre Sicht hinauf. Er konnte es nun zufrieden sein, ja doch.
Aber wieder fragte er sich selbst und ihm wurde selbst schwindelig dabei: „Wer will schon bis hierher steigen, aber nicht das Ende sehen?“
Er kletterte. Am Rande der Erschöpfung trat er in den Nebel ein. Er wusste und zog daraus Kraft, dass alles mal ein Ende hat, dass die Spitze fern nun nicht mehr war –
Da schlug ein donnerndes Getöse, ein Wolkenbruch von Stimmgewalt, ein tausendfaches Echo seiner selbst und tausend Male noch dazu, an sein erschrockenes Gehör und rief:
„Mensch.“
Da gingen seine Hände auf, er stürzte.
Als er auf den Boden schlug endete die Geschichte. Wer will über ihn richten?

 

verklettert?

Ja, das gefällt mir.
Eine Geschichte, die einem nächtlichen Traum sehr nahe kommt.
Würde fast behaupten, Du hast das Geschehen tatsächlich eines Nachts geträumt.
Und die große Moral, bzw. die Botschaft wird dem Leser auch überdeutlich gemacht.
Man könnte jetzt lange darüber diskutieren, ob es nicht in unserer Natur liegt, dass wir vorankommen und ergründen möchten?
Ein Moment in dem man abwägen muss: Habe ich "die Wand" nur auf mich genommen, um "den Biestern" zu entfliehen, oder möchte ich die Spitze der Wand finden, bzw. herausbekommen, ob diese überhaupt eine Spitze hat.
Es stecken viele Gedankensansätze in deiner Geschichte.
Die Deutung bleibt schließlich im Auge des Betrachters...

Gruß,
m-plan

 

Hallo masterplan,

Vielen Dank für deine Kritik. Auf einem Traum basiert diese Geschichte zwar nicht, aber ich verstehe, dass der Gedanke naheliegt. Meine Geschichte hat wohl etwas traumhaft nebulöses, wenn man bedenkt, dass die Bestien nie genauer beschrieben werden und dass die Wahrnehmung meines Protagonisten meistens auf sein unmittelbares Handeln beschränkt ist. (Er packt zu Beginn das Seil, das halt irgendwie da ist, isst später von den Beeren, die zunächst mit keinem Wort erwähnt werden, etc.)
Deine Interpretation ist auch schlüssig und obwohl ich selbst beim Schreiben eine leicht abweichende Idee hatte, dachte ich mir schon, dass jemand das Ganze so deuten würde.
Es freut mich auch, zu lesen, dass dir die Geschichte gefiel.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul
nun ein Retour von mir: Ich versuch mich mal an einer Interpretation: Wir haben es mit der Genese eines einzelnen Individuums zu tun (Ontogenese), die genau die gleiche ist, wie die religiöse Variante einer Menschheitsgeschichte. Von der Befreiung vom eigenen tierischen Dasein, über einen zivilisatorischen Prozess (Schrift), Materialität (Essen) und deren Überwindung bis zum Sturz auf Grund der eigenen menschlichen Überheblichkeit (Hybris), alles da, aber er will noch weiter, will weg vom Tier hin zu Gott.
Mir fällt zu dem Kletterer eine Menge literaturgeschichtlicher Vorlauf ein. Prometheus, angekettet. Goethes Fischer: "Halb zog sie ihn, halb sank er hin
und ward nicht mehr gesehn." Nur hier ist es nicht die Meerjungfrau in der Tiefe, sondern der Steppenwolf auf der Suche nach irgendwie was Religiöses da oben (bin ich gänzlich unbeschlagen, nur mein Papagei sagt dauernd Transzendenz), Mascha und Dascha in einem russischen Märchen, rennen den in immer größerer Zahl auftauchenden Pilzen hinterher, die russische Variante der Kapitalismuskritik. Am Ende steht der Sturz. Gut erkannt, nur zu allgemein gehalten, im symbol-ästhtetischen hängen geblieben.
(ich schau mal nach dem Rest deiner inspirierten Stunden)
Gruß
der Benaste

 

Hallo AbdulAlhazred!

suchten, ihn zu zerreißen.
ohne Komma
Zunächst ging es spielend leicht voran, die Steigung war beinah lächerlich
Bei einer aufragenden Felswand kann man wohl nicht mehr von "Steigung" sprechen, er klettert doch bereits.
fast fürchtete er schon, die hinter ihm könnten ihm folgen
in einer Felswand können sie wohl kaum "hinter" ihm sein, oder, und grad vorher waren sie ja auch noch "unter" ihm
nicht ein Stückweit kamen sie ihm nach
auseinander: ein Stück weit, und statt "nach" würd ich "näher" nehmen
und zu sich hernieder rissen
hinunter rissen
und er sich zunehmend sicher fühlte, vor dem Zugriff der geifernden Kreaturen
zunehmend sicherer - und ohne Komma
da fand er mehr und mehr gefallen, an dieser Kletterpartie
ohne Komma, groß: Gefallen
und er beschloss, zunächst zu rasten
statt "zunächst" besser: "vorerst"
schwieriger wurde es immer zu,
zusammen: immerzu
doch fand er stets Früchte sich zu nähren und machte hier und da sein Zeichen
Kommas: Früchte, sich zu nähren, und machte ...
bis seine Zeichen einzig noch, die nackte Wand verzierten.
ohne Komma - Verbesserungsvorschlag: bis allein seine Zeichen die nackte Wand verzierten
größer als alle noch bisher.
größer als alle bisherigen
Direkt über seinem Haupt nahm ein grell weißer Nebelschleier jede weitre Sicht hinauf.
das eigenartig klingende "hinauf" kannst du dir sparen, da es durch "über seinem Haupt" eh schon klar ist, dass es über ihm ist.
Als er auf den Boden schlug endete die Geschichte
Komma: schlug, endete ...

Ja, ist eigentlich nur eine umschreibende Geschichte des Sprichwortes: "Wer hoch steigt, wird tief fallen". Ein Mensch kommt den Göttern oder dem Gott zu nahe und wird vernichtet, oder er wird an sein Menschsein erinnert und lässt sich damit Angst machen und er glaubt nicht mehr weiter an sich. Er kann sich selbst nicht mehr weiter überschreiten und scheitert an seinem eigenen Unvermögen. Man weiß ja nicht, ob nicht er selbst "Mensch" ruft und sich damit an seine Schwachheit erinnert und auf einmal vielleicht zu glauben anfängt, dass er sich ZU weit hinauf gewagt hat.
Ein bisschen wird man auch an einen Eroberer erinnert, der unbekanntes Gebiet erobert und dort sein "Zeichen" setzt - auch in dem Sinn, dass der Eroberer der Beste ist, weil er der Erste ist, der es hierher geschafft hat. Die Bestien wären dann die Konkurrenten, auf welchem Gebiet auch immer.
Auffällig ist auch die stellenweise sehr gespreizte Sprache:

Sodann pflückte er einige Beeren von dem Strauch, der hier aus dem Gestein trieb und aß sie. Sein Hunger indes war noch nicht gestillt und so sah er sich um. Weit in der Höhe erst konnte er weitere Pflanzen erkennen, doch waren diese wahrlich prachtvoll:
Sodann, indes, wahrlich - das sind alles Wörter, die einem altertümlichen, getragenen Stil entstammen: Ist das wirklich notwendig, um dem philosophischen Anspruch deiner Geschichte zu unterstreichen?

Hat mich leider nicht sehr überzeugt! Die Botschaft der Geschichte ist für mich zu offensichtlich und zu bekannt.

Gruß
Andrea

 

Hallo Claudio, hallo Andrea,

Gut erkannt, nur zu allgemein gehalten, im symbol-ästhtetischen hängen geblieben.
Ja, damit ist treffend zusammengefasst, was auch mich mittlerweile an der Geschichte stört. Denn inzwischen bin ich, durch viele Geschichten hier in der Rubrik "Philosophisches" darin noch bestärkt, zu der Überzeugung gelangt, dass eine philosophische Geschichte sich eben nicht, wie diese hier, darauf beschränken sollte, den zu vermittelnden Inhalt in ein paar extra zu diesem Behelfe konstruierte Bilder zu kleiden. Die Kunst bestünde darin, eine Geschichte zu schreiben, die sich (fast) wie eine nicht betont philosophische liest und dennoch ihre Botschaft kenntlich machen kann.
Genau das habe ich hier nicht getan, hinzu kommt noch, dass vieles, wie von dir, Claudio, bemerkt zu allgemein, fast nebulös bleibt. Also, ums kurz zu machen: Heute würde ich diese Geschichte vermutlich nicht mehr schreiben.

Dennoch danke ich euch natürlich herzlich für eure Kritiken, da sie mich in meinen Ansichten bestätigen und mir durchaus weiter helfen. Besonderen dank dir, Andrea, für die zahlreichen Anmerkungen im Detail, in den nächsten Tagen werde ich mich noch einmal gründlich damit auseinandersetzen.


Gruß,
Abdul

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej AbdulAlhazred,

ich habe hier mal eine ähnlich nebulöse (also, im Sinne von "unwirkliche") Geschichte reingestellt und den dankenswerten Hinweis erhalten, dass es effektiver sein kann, sich an reale Gegebenheiten zu halten.

Eine Geschichte mit ähnlicher Handlung und einem vollkommen realen Hintergrund hätte vielleicht eine sehr viel stärkere Wirkung.

Viele Grüße
Ane

PS: Das hat jetzt nichts mit Deiner Geschichte zu tun, aber ich musste beim Lesen unwillkürlich an Schopenhauer denken, von dem ich gelesen habe, dass er seine Pudel "Mensch!" genannt haben soll, wenn er mit ihnen schimpfte.

 

Hallo Ane,

Eine Geschichte mit ähnlicher Handlung und einem vollkommen realen Hintergrund hätte vielleicht eine sehr viel stärkere Wirkung.
Ja, und nach dieser Erkenntnis fängt's dann an schwierig zu werden. ;)

Dank dir für die Rückmeldung.


Gruß,
Abdul

 

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