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Der kleine Mann
Als er einsteigt, stößt der kleine Mann fast mit einem jüngeren zusammen, der mit seinem Sohn die Bahn verlässt. Er schüttelt den Kopf über die Plötzlichkeit des beinahen Eindringens dieses Fremden in eine Welt, die für ihn eine Einbahnstraße geworden ist. Murmelnd und noch immer mit dem Kopf wackelnd setzt er sich abseits der anderen Fahrgäste und beginnt ein leises Krächzen.
Seine Zuhörer bedenkt er aus stechendschwarzen Augen mit einem herausfordernden Blick: Er spottet ihrer, weil sie das Ausmaß der sie umgebenden Verzweiflung nicht begreifen. Weil sie nicht spüren, wie sie nach ihnen greift. Die senkrechten Falten längs des bauschigen Schnurrbarts hat sie ihm zugefügt. Sie zeugen von schweren Kämpfen. Aber die Grenze zum Wahnsinn hat er nicht auf der Flucht überschritten.
Sie hob sich scharf und schwarz vor dem verlaufenen Grau der Vergangenheit ab, um ihre vereinfachenden Dienste anzubieten. In seiner wahllosen Suche nach Wahrheit geriet er in ihren Sog, beflügelt von ihrer Kompromisslosigkeit. Doch als er zu vermuten begann, dass seine Lösung nicht Wahrheit, sondern im Gegenteil den sie formenden Kräften ausweichen bedeute, hatte er den Rückweg bereits deren alles verschlingender Dunkelheit anvertraut.
Seitdem kann er nur kopfschüttelnd die betrachten, die sich des Schmerzes, der Melancholie und der Verzweiflung so wenig bewusst sind, dass für sie nicht die Versuchung besteht, sich dem Wahnsinn hinzugeben. Sie dümpeln durch die Wirklichkeit, ohne die Existenz der Wahrheit zu vermuten, an deren Findung er auf Kosten einer Klarheit so fatal gescheitert ist.
Der kleine Mann steht auf, wobei er sich mit dem Arm in einem bizarr anmutenden Winkel auf seine Krücke stützt, und lässt mit einem Schnalzen sein Holzbein einrasten. Er blickt sich mit einem letzten Krächzen um und stelzt, von neuem verblüfft den Kopf schüttelnd, dem Ausgang zu.
Er selbst ist meilenweit von der Gegenwart entfernt. Sein Bewusstsein ruht auf dem schillernden Grund der Einsamkeit, die in seinen Augen spielt.
Zurück bleibt ein schales Gefühl schwindender Schwärze, die wie Klarheit anmutete