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Der kleine Mann

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24.04.2007
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Der kleine Mann

Als er einsteigt, stößt der kleine Mann fast mit einem jüngeren zusammen, der mit seinem Sohn die Bahn verlässt. Er schüttelt den Kopf über die Plötzlichkeit des beinahen Eindringens dieses Fremden in eine Welt, die für ihn eine Einbahnstraße geworden ist. Murmelnd und noch immer mit dem Kopf wackelnd setzt er sich abseits der anderen Fahrgäste und beginnt ein leises Krächzen.
Seine Zuhörer bedenkt er aus stechendschwarzen Augen mit einem herausfordernden Blick: Er spottet ihrer, weil sie das Ausmaß der sie umgebenden Verzweiflung nicht begreifen. Weil sie nicht spüren, wie sie nach ihnen greift. Die senkrechten Falten längs des bauschigen Schnurrbarts hat sie ihm zugefügt. Sie zeugen von schweren Kämpfen. Aber die Grenze zum Wahnsinn hat er nicht auf der Flucht überschritten.

Sie hob sich scharf und schwarz vor dem verlaufenen Grau der Vergangenheit ab, um ihre vereinfachenden Dienste anzubieten. In seiner wahllosen Suche nach Wahrheit geriet er in ihren Sog, beflügelt von ihrer Kompromisslosigkeit. Doch als er zu vermuten begann, dass seine Lösung nicht Wahrheit, sondern im Gegenteil den sie formenden Kräften ausweichen bedeute, hatte er den Rückweg bereits deren alles verschlingender Dunkelheit anvertraut.
Seitdem kann er nur kopfschüttelnd die betrachten, die sich des Schmerzes, der Melancholie und der Verzweiflung so wenig bewusst sind, dass für sie nicht die Versuchung besteht, sich dem Wahnsinn hinzugeben. Sie dümpeln durch die Wirklichkeit, ohne die Existenz der Wahrheit zu vermuten, an deren Findung er auf Kosten einer Klarheit so fatal gescheitert ist.

Der kleine Mann steht auf, wobei er sich mit dem Arm in einem bizarr anmutenden Winkel auf seine Krücke stützt, und lässt mit einem Schnalzen sein Holzbein einrasten. Er blickt sich mit einem letzten Krächzen um und stelzt, von neuem verblüfft den Kopf schüttelnd, dem Ausgang zu.
Er selbst ist meilenweit von der Gegenwart entfernt. Sein Bewusstsein ruht auf dem schillernden Grund der Einsamkeit, die in seinen Augen spielt.

Zurück bleibt ein schales Gefühl schwindender Schwärze, die wie Klarheit anmutete

 

Hi bobby,
gestern und heute habe deine KG gelesen. Ich finde sie sehr abstrus. Du schreibst immer sie, mal scheint es eine Person aus seiner Erinnerung zu sein und dann habe ich den Eindruck du meinst wieder irgend welche Personen, obwohl er allein im Abteil sitzt. Und was bitte ist ein absurder Winkel? Und auch einschales Gefühl gibt mir Rätsel auf, ich kenne einen schalen Geschmack.
Bitte entschuldige meine negative Kritik, vielleicht bin ich einfach zu doof um deine Geschichte zu verstehen.

 

Hi Weltflucht!
Erstmal danke für deine offene Kritik, ich hoffe dass ich sie durch Erklärung etwas mildern kann, aber sie gibt mir zu denken.

Ich gebe zu, die "sies" sind etwas unübersichtlich:

weil sie das Ausmaß der sie umgebenden (...) Weil sie (...)
Das sind seine Zuhörer, denn das Abteil ist zwar nur von ihm besetzt, aber es besitzt keine Wände.
(...) wie sie nach ihnen greift.
Sie ist die Verzweiflung, "ihnen" wieder die Zuhörer.
(...) hat sie ihm zugefügt(...)
Die Verzweiflung
Sie zeugen von(...)
Die Falten
Die (vier) nachfolgenden "sies" beziehen sich auf die [QUOTE) Grenze zum Wahnsinn[/QUOTE]

Mit einem absurden Winkel meine ich eine Beugung des Armes, die auf den Betrachter bizarr wirkt, da sie das natürliche "Beugevermögen" eines Armes zu überschreiten scheint. Diese Feststellung ist vom Standpunkt des Beobachters aus geschrieben.

Den hinterbleibenden Eindruck habe ich mit dieser Sinnenvermischung der Schalheit beschrieben, da ein schaler Geschmack eine gewisse Leere beinhaltet, sowie das nicht-mehr-vorhandensein von etwas (z.B. Kohlensäure). Und ebendieses Gefühl wollte ich im Zusammenhang mit dem Verschwinden des kleinen Mannes und seiner Verrücktheit vermitteln.

Es tut mir Leid, dass dir meine Geschichte abstrus erscheint, vielleicht tut sie es jetzt nicht mehr ganz so sehr.

 

Hallo Bobby,

ich weiß nicht, richtig durchblicken tu ich immer noch nicht. Wo gibt es denn Abteile ohne Wände? Ein Abteil hat doch immer Wände, sonst ist es kein Abteil. Die Grenze zum Wahnsinn, die hat er doch schon meilenweit überschritten.
Was du mit dem abstrusen Winkel aussagen wolltest, dass war mir schon klar, aber ich finde es ist unglücklich ausgedrückt. Ich habe das jemanden erzählt und er meinte, vielleicht ist das ein 360 Grad Winkel. Und genauso verhält es sich mit dem schalen Gefühl, alles zu diffizil ausgedrückt.
Aber meine Meinung ist ja nicht, gleich das Nullplusultra
lieben Gruß aus der Welflucht

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo bobby newmark,

finde deine geschichte mehr als verwirrend. du sprichst von einer schier übermächtigen verzweiflung, die das leben des kleinem mannes beherrscht. er ringt und kämpft, doch sie ist stark und scheint ihn zu verschlingen. er kommt nicht mehr aus ihr heraus. denke das ist mir klar geworden.

Seitdem kann er nur kopfschüttelnd die betrachten, die sich des Schmerzes, der Melancholie und der Verzweiflung so wenig bewusst sind, dass für sie nicht die Versuchung besteht, sich dem Wahnsinn hinzugeben. Sie dümpeln durch die Wirklichkeit, ohne die Existenz der Wahrheit zu vermuten, an deren Findung er auf Kosten einer Klarheit so fatal gescheitert ist.
was hat diese darstellung nun für einen sinn? warum eine verurteilung der menschen, die diesen, seinen kampf nicht fühlen? sie dümpeln durch die wirklichkeit...warum ist die verzweiflung oder das Zweifeln plötzlich Wahrheit? Oder wird es zur subjektiven Wahrheit des kleinen Mannes?

Zurück bleibt ein schales Gefühl schwindender Schwärze, die wie Klarheit anmutete

das ist wohl wahr, zurück bleibt dies schale gefühl; und ein großes ?:confused:

germane

 

Hallo Germane!
Es freut mich, dass du dich so intensiv mit meiner Geschichte auseinander gesetzt hast, aber deine Kritik zeigt mir, dass ich einiges nicht deutlich genug ausgedrückt habe, und es vielleicht deshalb verwirrend wirkt.
Es geht nicht nur darum, dass der kleine Mann verzweifelt ist. Er hat tatsächlich nach der Wahrheit gesucht, mit der ältesten bekannten Methode der Philosophie: des Zweifelns. Jedoch führte ihn das nicht zur Erkenntnis, da er eine einfache Antwort ihr vorzieht, sodass er sich in einem Teufelskreis der Wahrheitssuche wiederfindet der ergebnislos in Verzweiflung münden muss. Deshalb verachtet er seine Mitmenschen, die dieses "Wagnis" nicht auf sich nehmen und begreift nicht, dass man zwar durch konsequentes "zu-Ende-Zweifeln" zu einer Erkenntnis gelangen kann, wenn man auf diesem Grund wieder aufbaut (Descartes zum Beispiel) aber auch auf anderen Wegen, und er hat weder das eine noch das andere probiert.
Hoffe, etwas Licht in meine Absicht gebracht zu haben...
Bobby

 

Hi Weltflucht!
ich habe über deine Kritik nachgedacht, und versucht die entsprechenden Stellen etwas verständlicher auszudrücken. Aber an dem schalen Gefühl halte ich fest, es ist mir wichtig ;)
Lieber Gruß. Bobby

 
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Hallo bobby newmark,

auch ich kann an dieser Anekdote (eine Kurzgeschichte ist es aufgrund der Kürze und Handlungsarmut ja eher nicht) nicht viel gutes finden. Im Folgenden meine Begründung dazu.

  • Sie hob sich scharf und schwarz vor dem verlaufenen Grau der Vergangenheit ab, um ihre vereinfachenden Dienste anzubieten. In seiner wahllosen Suche nach Wahrheit geriet er in ihren Sog, beflügelt von ihrer Kompromisslosigkeit.
    Zunächst mal habe ich erst nach deinem ersten Kommentar an Weltflucht oben "verstanden", dass das "Sie", das diesen zweiten Absatz einleitet, sich auf "Grenze" im vorhergehenden Satz bezieht. Ich dachte zuerst, es ist die "Flucht" gemeint - immerhin endet eben dieser letzte Satz mit diesem Wort und außerdem ist "Flucht" wie "Grenze" jeweils feminin. Und als das nicht passte, dachte ich, "Sie" bezieht sich vielleicht auf die "Verzweiflung" - ebenfalls ein feminines Wort. Aber das passte natürlich alles nicht.
    In der Zeit, in der ich nach dem Bezugsobjekt für "Sie" suchte hätte ich den Text locker zu Ende lesen können. So habe ich also fast doppelt so lange für die Lektüre gebraucht.
  • Inhaltlicher Einwand: Es kann nicht die "Grenze" sein, die "vereinfachende Dienste" anbietet. "Grenze" ist lediglich ein (einfacher) Begriff und zugleich ein Merkmal oder eine Markierung, die diese "vereinfachenden Dienste" kennzeichnet, indem sie deutlich macht, wo eine andere Art von "Diensten" oder dergleichen beginnt. "Dienste" kann hier nur der "kleine Mann" als handelndes Subjekt anbieten (in diesem Falle also sich selbst). Begriffe hingegen können nicht handeln.
  • Eine "Grenze" kann auch keinen "Sog" bilden. Das ist stilistischer Unsinn. Ein Sog setzt ein konzentrisches Etwas voraus (auf das sich das dem Sog ausgelieferte punktual zubewegt). Eine Grenze hingegen ist per definitionem etwas lineares. Genausowenig kann ich überzeugend sagen, dass der Horizont auf mich einen "sogartige" Wirkung hat. Ich kann von einer Linie nicht aufgesaugt werden weil das unserem sprachlichen Verständnis zuwiderläuft.
  • Dasselbe gilt für die "verschlingende Dunkelheit" - ein weiteres blumiges Merkmal, dass besagter Grenze angedichtet wird. Eine Grenze kann nichts "verschlingen". Und eine Grenze kann auch keine "Dunkelheit" widergeben. Die Fähigkeit des Verschlingens setzt mindestens einen Raum voraus, das heißt etwas, das mindestens drei Dimensionen besitzt (da wir auch selbst dreidimensionale Wesen sind). Und die Eigenschaft von Dunkelheit setzt mindestens eine Fläche voraus. Aber eine bloße Linie kann weder "verschlingen" noch dunkel (oder hell) sein.
  • Die Anekdote bedient Klischees in kaum zu ertragendem Maße: Ein angeblich verzweifelter Eigenbrötler, der für gewöhnlich "krächzt" wenn er denn mal spricht, klein von Statur ist, einen "bauschigen Schnurrbart" trägt und zu schlechter letzt auch noch eine Krücke benutzt und ein "Holzbein" hat. Fehlt nur noch der Papagei auf seiner linken Schulter und ein Posten als Statist in einem der "Fluch der Karibik"-Streifen. Meinetwegen kann er vorher ja mit dem Zug zum Drehort gereist sein damit es in den Kontext der Geschichte passt.
  • Er selbst ist meilenweit von der Gegenwart entfernt. Sein Bewusstsein ruht auf dem schillernden Grund der Einsamkeit, die in seinen Augen spielt.
    Ich kann mich in der Gegenwart befinden und mich dennoch einsam fühlen! Und seit wann hat die Einsamkeit einen "schillernden" Grund? Gilt das nur für diesen Seemann... äh, "kleinen Mann" oder soll das eine allgemeine Aussage sein?
    Zurück bleibt ein schales Gefühl schwindender Schwärze, die wie Klarheit anmutete
    Da fehlt ein Punkt am Ende.
  • Seitdem kann er nur kopfschüttelnd die betrachten, die sich des Schmerzes, der Melancholie und der Verzweiflung so wenig bewusst sind, dass für sie nicht die Versuchung besteht, sich dem Wahnsinn hinzugeben.
    Weder Schmerz, noch Melancholie noch Verzweiflung sind Verfasstheiten unseres Bewusstseins. Es sind Zustände unseres Gemütes oder auch gewisse Stimmungen. Aber es entspricht zumindest im Falle des Schmerzes oder der Melancholie nicht unserer Erfahrung die Wahl zu haben, Schmerz oder Melancholie zu wissen oder nicht zu wissen. Wenn ich Schmerz empfinde oder melancholisch bin dann kann ich das nicht einfach ignorieren und damit ist der Schmerz oder die Melancholie einfach weg. Ich muss mir über diese Zustände nicht erst bewusst sein um sie zu haben. Es ist vielmehr umgekehrt so, dass sie mich erfassen - und zwar sogar unabhängig davon, ob ich überhaupt ein Bewusstsein habe oder nicht (ein Kleinkind oder beispielsweise auch Tiere empfinden Schmerz, obwohl sie kein Wissen über ihren Schmerz haben).
  • Sie dümpeln durch die Wirklichkeit, ohne die Existenz der Wahrheit zu vermuten, an deren Findung er auf Kosten einer Klarheit so fatal gescheitert ist.
    Erstens hat man sich in der heutigen Postmoderne längst von einer "Existenz" von "Wahrheit" verabschiedet. Zweitens ist Descartes seinerzeit auch nicht dem "Wahnsinn" verfallen, obwohl er von seiner Methodik des radikalen Zweifelns sicherlich sehr überzeugt war. Und drittens muss sich "Wahrheit" und "Klarheit" nicht widersprechen. 1+1=2 . Was ist an dieser Aussage unklar?

Naja, soweit meine ernüchternde Kritik. Für mich ist es aufgrund angeführter Mängel kein Wunder, dass der Text bisher für Verwirrung sorgte. Ich sehe in erster Linie Unzulänglichkeiten stilistischer Art die nicht gerade zur Lesefreude beitragen. Nicht zuletzt ist der Text in Anbetracht des beschriebenen Hintergrundes jedoch auch einfach viel zu kurz geraten. Gezeigt wird schließlich nur quasi das Ende einer nicht erzählten Geschichte - das, was sich am Ende der geistigen Suche des Protagonisten ereignete. Nicht jedoch, wie es eigentlich dazu kam.
Schade, denn das hätte die Handlung um einiges spannender gemacht.

 

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