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Der kleine Bilderrahmen
Nora lag bäuchlings im Sand und hielt einen kleinen Bilderrahmen in der Hand, welchen sie von ihrer Schwester zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Auf dem hellbraunen Holzrahmen tummelten sich winzige schwarze Eidechsen, schienen im Kreis zu laufen vor Aufregung weil der Rahmen kein Bild enthielt. Nora streichelte fast beruhigend über die Echsen. Sie waren fühlbar, erhaben wie echte kleine Körper. Dann zeichnete sie mit dem Zeigefinger die Kontur eines Gesichts auf das Glas, welches die Fotografie vor Schaden bewahren sollte. Lange Zeit war der Rahmen leer geblieben. Wenn es ihr mal nicht so gut ging, klemmte Nora ihr eigenes Bild hinter das Glas um einen Menschen zu haben, der sie liebevoll betrachtet.
Dann kam Peter. Sie verliebte sich in seine Hände und seine tiefe Stimme. Sie saß an der Strandbar und trank einen Capuccino. Nach jedem dritten Barhocker gab es eine Trennsäule, fünf insgesamt, welche gemeinsam das strohgedeckte Dach der Hütte trugen. Sie spielte ein wenig gelangweilt mit dem Löffel in der Zuckerdose. Es war heiß. Kinder bettelten um Eis, von den Tischen hörte sie Gesprächsfetzen. Und dann war da mittendrin plötzlich diese melodische Stimme. Sie beugte sich ein wenig nach vorne um erkennen zu können wem sie gehörte. Das ließ die holzgetäfelte Säule zwar nicht zu, aber sie sah seine Hände. Sie strichen immer wieder sanft über den Rand des Glases. Es waren gute Hände. Sie hatte einen Blick dafür. Diese Hände strahlten Sicherheit aus und Zärtlichkeit. In diesem Moment beugte sich der Besitzer dieser auffallend schönen Hände nach vorn um nach der Zuckerdose zu greifen. Er hatte braune Augen, die geöffneten Fenstern gleich, Nora einen interessierten Blick nach innen gestatteten.
Aus dieser kleinen Begegnung an der Küste Siziliens wurde eine große Liebe. Sie lebten beide in Wien, zogen dort nach ein paar Wochen zusammen und verbrachten die meiste Zeit damit, ihre Körper und ihre Seelen zu erforschen. Eine köstliche Entdeckungsreise voll von Schätzen die geborgen werden wollten. Die Tage wurden langsam kürzer und sie genossen einen herrlich bunten Herbst. Wunderbare Spaziergänge zeigten ihnen eine Welt die nie größer war, offenbarten ein Universum unendlicher als je geahnt. Der Herbst ging und die kalten grauen Novembertage welche Nieselregen brachten, waren eine willkommene Gelegenheit sich Haut an Haut im warmen Lichtschein unzähliger Kerzenlichter in der schaumgefüllten Badewanne aneinanderzuschmiegen. Es waren gute Hände, sanft und zärtlich. Sie hatte es gewusst.
Schnee bedeckte die winterlich verzauberte Landschaft. Weihnachten kam und unter einem mit viel Liebe geschmückten Baum überreichte sie ihm sein Geschenk. Er wickelte einen kleinen Bilderrahmen aus dem raschelnden Papier. Winzige Eidechsen krabbelten an seinem Rand entlang. Dort wo das Bild sein sollte war der positiv verfärbte Streifen eines Schwangerschaftstests eingeklemmt.
Er blickte vom Rahmen in ihr Gesicht, streichelte mit der Hand über ihre rötlichen Locken und nahm sie dann zärtlich in den Arm. Nach den vielen Abtreibungsgeschichten in kg. hatte sie schon Angst gehabt. Nora grinste erleichtert und kuschelte sich ganz fest an ihren geliebten Peter. Er war anders.