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Der kleine Büffel Benedikt
Benedikt war ein kleiner Büffel. Er lebte mit seiner Herde in Afrika. Da wo in der weiten Savanne so viel Gras wuchs, dass alle Büffel davon satt wurden.
In seiner Herde lebten natürlich auch seine Mama und sein Papa. Seine Großmutter und sein Großvater. Und ganz viele Geschwister, Nichten, Vettern, Tanten und Onkel. Sein Papa war der stärkste Büffel in ganz Afrika. Manchmal gab es welche, die das nicht glauben wollten. Denen zeigte er es.
Benedikt fehlte es an nichts. Er hätte der glücklichste kleine Büffel der Welt sein können. Aber er war es nicht.
Gerade waren sie vom Trinken am Wasserloch zurückgekommen.
„Die Löwen sind schon satt!“, hatte jemand gerufen.
Und sie hatten alle getrunken, ohne sich Sorgen zu machen. Satte Löwen jagen nicht.
Sein Großvater, der den kleinen Benedikt besonders gern mochte, fragte ihn am Abend:
„Du schaust so traurig, Benedikt. Magst du mir nicht erzählen, was dich bedrückt?“
„Ich wär so gern ein Löwe“, sagte Benedikt und kuschelte sich an den Bauch seines Großvaters.
„Ein Löwe? Aber warum denn das?“
„Löwen sind mutig und laufen vor niemandem davon“, sagte Benedikt traurig. „Fast alle Tiere haben Angst vor ihnen. Wir Büffel auch. Wir laufen weg, wenn sie uns jagen. Die Löwen sind stärker. Sogar stärker als Papa. Sie jagen uns und wollen uns fressen. Sie sind böse.“
„Löwen sind nicht böse, Benedikt. Sie müssen töten und fressen, sonst verhungern sie und ihre Jungen. Sie können nicht von Gras leben wie wir.“
„Aber ist das nicht schrecklich?“, sagte Benedikt.
„Nein“, antwortete Großvater. „Die Natur ist nicht schrecklich. Alles hat seinen Sinn.“
„Aber was für einen Sinn kann das denn haben?“, fragte Benedikt entrüstet.
Benedikts Großvater wartete ein wenig mit seiner Antwort. Dann drehte er sich zur Seite, damit Benedikt sich noch enger an seinen Bauch kuscheln konnte.
„Ich verstehe, dass du das schrecklich findest, Benedikt“, antwortete er. „Aber es muss alles so sein, wie es ist. Die Löwen sorgen dafür, dass unsere alten kranken Tiere nicht leiden müssen. Und dass wir nicht so viele werden, dass das Gras der Savanne nicht mehr für uns alle reicht.“
„Aber wir müssen immer in Angst vor ihnen leben!“
„Angst vor den Löwen?“, sagte Großvater. „Unsinn! Ein gesunder erwachsener Büffel fürchtet keinen Löwen. Dein Papa schon gar nicht. Und die kranken und schwachen, die nicht mehr gut laufen können und keine Kraft mehr haben für lange Wanderungen und die Suche nach neuen Weiden, die fürchten die Löwen auch nicht. Sie wissen, dass ihr Leben dem Ende zugeht“.
Benedikt schwieg.
„Was ist, wenn Löwen alt und schwach werden?“, fragte er dann.
„Dann können sie nicht mehr jagen und dann geht auch ihr Leben zu Ende. So ist es mit allen Geschöpfen, Benedikt. Das alte Leben geht und das neue Leben kommt. Das ist die Natur.“
Benedikts Großvater wusste nicht, ob sein kleiner Enkel mit dieser Antwort zufrieden war. Aber er dachte, nach dem Schlafen würde er seine Sorgen einfach vergessen haben.
Aber Benedikt schlief nicht. Er hatte in dieser Nacht viel zu grübeln.
Dann stand er leise auf. Er hörte das beruhigende Schnauben und Schnarchen, das ihn meistens schnell wieder einschlafen ließ, wenn er nachts wach wurde. Aber jetzt wollte er nicht weiterschlafen. Vorsichtig ging er zwischen den schlafenden Büffeln hindurch, weil er niemanden wecken wollte. Bald hatte er die Herde und ihren Lagerplatz hinter sich gelassen.
Nun bekam er doch ein wenig Angst, aber er schüttelte sie fort. Die Löwen waren nicht mehr hungrig, hatten die Tiere am Wasserloch gesagt.
Er lief lange durch die Nacht. Der volle Mond schien über der Savanne und tauchte sie in ein wunderbares warmes Licht. Benedikt trabte durch das hohe Gras. Der weiche Boden dämpfte das Geräusch, das seine kleinen Hufe machten. Schon von weitem sah er den hohen Affenbrotbaum mit der weiten Krone, unter dem das Löwenrudel lagerte.
Natürlich hören Löwen sehr gut, und als er bei ihnen ankam, waren sie bereits alle wach und erwarteten ihn.
Der alte Löwe mit der dichtesten Mähne, die Benedikt je gesehen hatte, gähnte und zeigte seine großen langen Zähne.
„Schau, schau! Ein Büffelkind besucht uns und weckt uns mitten in unserem Verdauungsschlaf. Ich glaube, das hatte ich in meinem langen Löwenleben noch nie“, sagte er.
Ein kleiner Löwenjunge drängte sich neugierig zwischen zwei Löwinnen hindurch und ging auf Benedikt zu.
„Ich heiße Lio“, sagte er. „Und du?“
„Benedikt.“
Lio ging ganz nah an Benedikt heran und schnupperte an ihm. Löwen haben sehr feine Nasen und Lio wollte wissen, wie Benedikt roch. Er roch gut, fand er. Nur ganz anders als seine Löwengeschwister.
„Du gehörst bestimmt zu der Herde unten am Fluss. Und bist einfach nachts weggegangen? Ganz allein?“, fragte die Löwin, die Lios Mama war.
„Ja“, antwortete Benedikt.
„Du hattest Recht, Mama“, sagte Lio und drehte sich zu seiner Mutter um. „Die Tiere, die vor uns weglaufen, sind nicht feige. Benedikt ist kein bisschen feige. Er ist ein mutiger kleiner Büffel und er hat überhaupt keine Angst.“
Lio und seine Mutter hatten nämlich in der vergangenen Nacht ein ganz ähnliches Gespräch geführt wie Benedikt und sein Großvater.
Lio war traurig gewesen, weil immer alle Tiere vor ihnen flohen.
„Ich bin nicht gern ein Löwe“, hatte er gesagt. „Man findet keine Freunde, wenn immer alle vor einem davonlaufen.“
„Nun schau, Lio!“, sagte die Löwenmama. „Benedikt ist nicht weggelaufen. Er ist sogar zu uns gekommen. Ganz ohne Angst.“
„Oh, ein bisschen Angst habe ich schon“, meinte Benedikt.
„Na Gott sei Dank!“, sagte der alte Löwe, schüttelte seine Mähne und lachte. „Das wär ja noch schöner, wenn uns gar niemand mehr fürchten würde.“
Dann legte er sich wieder auf seinen noch warmen Platz unter dem Baum.
„Niemand ist feige“, sagte er. „Wenn wir sie jagen, laufen die Tiere vor uns weg, weil sie leben wollen. Und wir laufen hinter ihnen her, weil wir auch leben wollen. So ist das nun mal in der Natur. So, und jetzt muss ich schlafen. Ich bin müde und muss ja morgen wieder auf die Jagd. Wenn ich nicht ausgeschlafen bin, erwische ich gar nichts.“
Er begann zu lachen, aber nur ganz kurz. Dann wurde aus dem Lachen ein tiefes Schnarchen.
„Am besten gehst du jetzt wieder zu deiner Herde zurück, Benedikt“, sagte die Löwin. „Bestimmt ist schon jemand wach geworden und macht sich große Sorgen um dich.“
Sie hat Recht, dachte Benedikt. Ich muss zurück. Seine Mama hatte einen sehr leichten Schlaf und würde sich furchtbare Sorgen um ihn machen, wenn sie aufwachte und er war weg.
„Darf Benedikt uns wieder mal besuchen?“, fragte Lio.
„Na klar. Du musst aber deine Eltern fragen, Benedikt. Und sag ihnen, dass wir ganz bestimmt so einem mutigen kleinen Büffel, der uns besucht, nichts tun werden.“
Die Löwenmutter gab Benedikt einen leichten Stups mit der Schnauze, damit er endlich losging.
„Das mach ich“, antwortete Benedikt. „Und darf Lio uns mal besuchen kommen?“
„Wenn man in deiner Herde nichts dagegen hat“, meinte Lios Mama.
Als Benedikt nach Hause kam, waren alle in großer Aufregung. Natürlich war seine Mama wach geworden und natürlich hatte sie sofort gemerkt, dass er nicht da war. Büffelmamas waren wie alle Mamas der Welt. Voller Sorge um ihre Kinder. Sie hatte die ganze Herde aufgeweckt und gefragt, ob jemand Benedikt gesehen hatte.
Sie fragte Benedikts Großvater und seinen Papa und seine Tanten und Onkel. Niemand hatte ihn gesehen.
„Wo warst du denn, mein Kleiner?“, fragte sie nun ganz außer sich vor Freude darüber, dass Benedikt wieder gesund und munter vor ihr stand.
„Du kannst doch nicht nachts einfach weglaufen!“
„Ich war beim Löwenrudel unter dem Affenbrotbaum.“
Eine Weile waren die Büffel stumm. Dann rief irgendeiner laut:
„Benedikt war bei den Löwen.“
Alle Büffel der Herde kamen herbeigelaufen. Alte Büffel, die schon viel erlebt hatten, und jüngere neugierige Büffel und Kinder und Benedikt musste von seinem Ausflug berichten.
Seine Mama und sein Papa schüttelten immer wieder den Kopf, während Benedikt erzählte.
„So etwas darfst du nie mehr tun!“, sagte seine Mama. „Was für einen Schrecken du uns eingejagt hast!“
„Was haben wir für einen mutigen kleinen Benedikt!“, sagte sein Großvater.
„Und darf mich Lio mal besuchen?“
„Warum nicht?“, meinte sein Papa, der stärkste Büffel der Herde. „Ein Löwenjunges wird uns nicht fressen.“
Und dann tat er das, was auch der alte Löwe getan hatte. Er lachte, legte sich hin, schlief sofort ein und schnarchte.
So kam es, dass zwar bei der Jagd das Löwenrudel hinter den Büffeln her, und die Büffel vor den Löwen davon liefen. Zu anderen Zeiten aber spielten die kleinen Büffel mit den Löwenkindern. Am liebsten spielten sie Fangen und meistens waren die Büffelkinder schneller.