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Der Kelch des Lebens

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07.02.2001
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Der Kelch des Lebens

Während das Leben langsam aus seinen Adern floss und der Tod schon donnernd an die schwere Pforte seiner Seele klopfte, hatte er eine Vision.
Seine zitternden Hände hielten einen Kelch, welcher golden schimmerte und mit tausend kleinen Edelsteinen besetzt war. Der Kelch war ziemlich groß und wog mehr als seine Hände eigentlich hätten tragen können. Das prachtvolle Äußere dieses Heiligtums überstrahlte die schlichte Umgebung in der sich das Geschehen abspielte drastisch. Sein goldenes Strahlen erfüllte das düstere Sein dieser Welt mit Licht und Leben und eine fast unwirkliche Wärme zerbrach die klirrende Kälte und auch in seiner Seele wurde es warm.
Zitternd und voll innerer Erschüttertheit, die ihn so intensiv wie noch nie zuvor fühlen lies, führte er den Kelch ehrfürchtig an sein Gesicht. Und während das kühle Metall seine Lippen berührte, floss die heilende, lebensspendende Flüssigkeit in seinen Mund. Sie schmeckte sehr mild und schon die erste Berührung mit ihr, hatte in ihm etwas verändert. Zuerst fühlte er sich nur gut und voll neuer Energie, ihm wurde warm und wieder kalt und dann wieder warm. Das Zittern hörte auf und er begann sich zu fürchten. Er fürchtete sich so sehr, wie noch nie zuvor in seinem Leben und die Angst wurde übermächtig und schlug schließlich in wilde, von ihm besitzergreifende Panik um. Denn das neue Gefühl welches sich konsequent in ihm ausbreitete, erschreckte ihn über alle Maßen.
Plötzlich und vollkommen unerwartet, begann sich frei und vollkommen eins mit seiner Umgebung zu fühlen. Er spürte ganz deutlich, wie sein Geist die normalen Grenzen des Dasein überschritt und wie er auf einmal ohne jeglichen Fehler einfach nur Perfekt wurde. Sein Körper schien sich ebenfalls zu verändern. Er wurde zu einer Gestallt, die er in seinem Leben noch nie gesehen hatte und die ihm doch unwahrscheinlich verwandt war. Er wuchs heran zu einer Kreatur unmessbarer Schönheit und Eleganz, und Kraft lies seinen Körper erbeben.
Aber nicht nur sein Aussehen veränderte sich, sein ganzes Wesen wurde neu. Seine Seele war nun rein und makellos und nichts belastete mehr seinen unbegrenzten Verstand. Das Wissen der Welt war in ihm vereint und die Kraft des Universum hatte ihn zur Quelle alles Seins gemacht. Er fühlte seine Verbundenheit zur allen höheren Mächten dieser Dimension und bemerkte gleichzeitig, dass seine Macht sich noch über sie hinaus erstreckte.
Er genoss in vollen Zügen diesen wahrscheinlich einmaligen Gedanken der vollkommen Macht. Und stellte den unerwartet leichten Kelch wieder zurück auf seinen angestammten Platz.
Doch etwas hatte sich verändert.
Der vorher so faszinierend schöne Kelch, hatte all seine Schönheit verloren. Sein früher so warm scheinendes Gold war matt und ausdruckslos und die farbenfrohen Edelsteine waren verblasst und zu einfachen Steinen geworden. Er strahlte keine Macht mehr aus und bei seinem Anblick stand nur noch Mitleid in den Augen des Betrachters. Nichts von der ehemaligen Ehrfurcht war in seinen Augen zu lesen und ohne zu zögern machte er sich auf den Weg in seine neue Welt.
Er begann voll Freude und ewiger Ungeduld sofort damit die normale Welt nach seinem Wünschen umzugestalten und Stück für Stück wurde die vorherige Welt zu einer Luxusausgabe umgewandelt und jeder Mensch in ihr besaß unendlichen Reichtum. Alle Menschen konnten sich kaufen, was auch immer sie sich wünschten. Es gab genug zu essen für alle und das Leben war einfach und ohne Schwierigkeiten für jeden zu bewältigen. Keine Katastrophen erschütterten nun mehr die Herzen der Menschen und das Leid verschwand aus ihrem Leben.
Die Natur war an allen Stellen vollkommen erhalten und noch immer unberührt. Sie wurde nicht mehr zerstört und selbst die Ernte wuchs von alleine. Niemand brauchte sich noch um das Sähen, Ernten oder um die ehemaligen Schädlinge zu kümmern, alles ging automatisch. Es fiel keine Arbeit mehr an, jeder Mensch war ein Urlauber, sein ganzes Leben lang. Verreisen musste man aber nicht, denn die Schönheit der Welt lag vor jedermanns Haustür. Und selbst die Verbrecher sahen keinen Sinn mehr in ihrer vorherigen Tätigkeit und genossen in vollen Zügen, das Leben ohne Sorgen. Keine Sorgen über die Zukunft oder das Jetzt, keine Fehler mussten bereut werden, kein Mensch brauchte sich sonderlich anstrengen, um sein Ziel zu erreichen.
Alles war perfekt und die Sonne schien jeden Tag und der Mond leuchtete mit den Sternen um die Wette. Die Farben waren so satt wie nie zuvor und die Menschen waren glücklich und lebten in freien, oft wechselnden Beziehungen miteinander. Die Überbevölkerung war kein Problem mehr, denn es war unbegrenzt Platz vorhanden und jeder konnte wohnen wie und wo er wollte. Es waren keine Grenzen mehr gesetzt in egal welcher Hinsicht hatten die Menschen ihren freien Willen. Jede Nacht war überall ein Fest und es wurde nur noch gelacht, getanzt und gefeiert.
Die Menschen waren zufrieden, satt und erfüllt von unendlicher Harmonie, doch sie hatten keine Träume mehr. Denn alles war erfüllt, alles war da, es gab nichts neues zu erfinden, zu erstreben und gesetzte Ziele waren schon nach dem ersten Gedanken an sie erfüllt.
Und so verlor diese Welt langsam Begriffe wie Hoffnung, Träume, Wünsche, Wut, Trauer, Leid und Mitleid. Sie hatten die Bedeutung dieser Wörter vergessen oder sogar nie erlebt. Und ihre Welt war fade und eintönig geworden. In ihnen machte sich ein Gefühl breit, welches keiner kannte und niemand so richtig verstehen konnte. Aber das Gefühl wuchs mit jeder Stunde, jeder Minute die verging und wurde immer stärker in ihnen. Es war ein Gefühl von unbändiger Kraft und es war das stärkste Gefühl, welches sie je gespürt hatten und übertraf alles und machte sich stark in ihnen.
Diese unerklärliche Sehnsucht tief in ihnen, war für sie nicht zu erklären und doch leitete es sie nach und nach immer näher an die Stelle an der alles begann. Und dann standen sie still und ratlos vor dem schlichten Kelch und waren verwundert, denn alles in ihrer Welt war schön. Sie konnten nicht fassen, das der Ursprung alles Seins, der Ursprung ihrer Existenz so schlicht und einfach und so farblos sein sollte.
Aber nach kurzem Zögern berührte jeder von ihnen ehrfürchtig den Kelch und gab etwas von seinem Glück. Ein kleines Stück von seinem Leben, ein kleines bisschen von dem perfekten Sein und doch war es genug um den Kelch am Ende wieder ganz mit Leben anzufüllen. Und als der letzte ihn berührte, erstrahlte er im vollem Glanz und von ihm ging eine Wärme aus, welche die schreckliche Kälte etwas weniger werden ließ und bis in ihre Herzen und in ihre Seelen vordrang. Und sie erfüllte sie mit neuen Träumen und Hoffnungen und ihre Sehnsucht war gestillt. Und ganz plötzlich war auch das Leid und die Trauer wieder in ihrem Leben und sie lernten ebenso Mitleid mit ihren ärmeren Mitmenschen zu empfinden. Selbst in größter Not halfen sie sich gegenseitig und trotzdem oder gerade deshalb, waren sie glücklicher und zufriedener als je zuvor. Und sie bemerkten, dass sie gemeinsam viel mehr erreichen konnten, als jeder für sich allein.
Und schließlich erbebte der perfekte Palast der perfekten Kreatur und begrub sie unter seinem Trümmern und ihre Schrei waren auf der ganzen Welt zu hören und galten wie ein Mahnmal einer zu perfekten vergangenen Welt.
Auf einmal, wie durch diese Version erfüllt mit neuem Leben, schleppte er sich die letzten Meter bis zu seinem Ziel. Er hatte doch gesehen, dass Träume und Wünsche wichtig waren und vor allem Leid und Mitleid gehörten in diese Welt, sonst würden die Menschen das Leben nicht als lebenswert empfinden. Und so erreichte er mit letzter Kraft den leuchtenden Kelch der seine Seele mit den tiefsten Gefühl erfüllte, welches er je gefühlte hatte und er setzte den unwahrscheinlich schweren Kelch an seine Lippen und trank.
Und als die Flüssigkeit ihre Wirkung zeigte, ging er hinaus voll wahren Unmut und voll freudigen Erwarten und schuf den Menschen eine Welt, die erfüllt war mit unbändigen Leid.

 

Hallo st.a.r

Erstmal schade, daß deine Geschichte einfach so durchgerutscht ist, hatte wohl auch niemand Zeit darauf zu antworten. Es lohnt sich. Wobei ich sie vielleicht in die Seite von Philosophisches gelegt hätte, aber da kann ich mich auch irren. Denn zum darüber nachdenken gibt es einiges. Solche Begriffe wie "Hoffnung, Träume, Wut, Trauer, Leid, Mitleid" erleben wohl nicht mehr viel Menschen. Da meiner Meinung nach ohne diese Begriffe auch keine wirkliche Freude empfunden werden kann. Aber was wiederhole ich deine Geschichte, das sind ja auch deine Gedanken.

Noch eine Kleinigkeit was mir aufgefallen ist,

Plötzlich und vollkommen unerwartet begann sich

fehlt da vielleicht ein "er"

auf seinen angestammten Platz

das Wort "angestammten" kenne ich leider nicht, ob du noch ein anderes Wort einsetzen könntest

Also danke fürs lesen dürfen

Morpheus

 

Ich fand die Geschichte auch gut - kannte sie gar nicht! Sie hat mich sehr fasziniert - gerade von der philosophischen Betrachtungsweise her. Streckenweise fand ich sie ein bisschen knapp geraten, aber das ließ sich aushalten.
Allerdings solltest du den Text nochmal checken... Stellen wie "Das prachtvolle Äußere dieses Heiligtums überstrahlte die schlichte Umgebung in der sich das Geschehen abspielte drastisch." lassen jegliche Art von Kommas vermissen, an anderen dagegen gibt es zu viele davon...

 

Hallo.

Vielen Dank euch beiden. Ich hatte schon ganz vergessen, dass ich diese Geschichte damals hier gepostet habe.

Nach zwei Jahren, habe ich sie (durch euer Zutun) wieder einmal gelesen und bemerkt, dass sie wirklich eine Überarbeitung wert ist.

Ich war recht erstaunt, wie unterschiedlich ich damals geschrieben habe. Ich hatte ja den direkten Vergleich mit der anderen Geschichte, die Morpheus von mir entdeckt hatte. Diese stammt ungefähr aus der selben Zeit, ist aber meine Meinung nach einiges schlechter.

Ich werde mich in den nächsten Tagen noch einmal an eine Überarbeitung dieser Geschichte setzten und sie dann vorraussichtlich nächstes Wochenende posten.

Vielen Dank also fürs Lesen
Steffi

 

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