Der Kartenspieler 2
Daniel
But how was I to know that she'd been dealt with before
Said she'd never had a full house
But I should have known
From the tattoo on her left leg
And the garter on her right
She'd have the card to bring me down
If she played it right
(AC/DC - The Jack)
Now I can't keep you mama
but I know you're always there
you listen, you teach me mama
and I know inside you care
(Genesis - Mama)
Er wartete im Auto.
Er wartete und wartete...
...und die Angst in ihm wurde größer und größer.
Regen prasselte trommelnd auf das Blechdach. Die Sicht nach draußen verschwamm in dicken Fäden aus Wasser. Die Nacht war sternenlos und bis auf, das etwa einhundert Meter entfernte Licht des Bistros am Straßenrand, stockfinster.
Daniel presste sich vor Angst in das Polster des Beifahrersitzes. Er versuchte, sich nicht zu bewegen und starrte mit weit aufgerissenen Augen durch die Windschutzscheibe. Er hoffte, nicht zu sehen, was er befürchtete.
Doch die Sicht war aufgrund des Regenwassers fast Null. Kein Anzeichen von irgendetwas... etwas... anderem. Er wollte eigentlich gar nicht wissen, ob da etwas war und vor allem, was es war. Ihm konnte es scheiß egal sein, so lange es einfach nur nicht da war.
Er kam sich vor, wie in der einen Szene aus "Jurassic Park", in der die Leute in ihren automatisch betriebenen Fahrzeugen darauf hofften, dass der Strom wieder anspringen würde, dass die Fahrt weiter ging und sie nicht vom T-Rex gefressen werden würden.
Daniel wollte raus aus diesem Fahrzeug. Er wartete auf den Polizisten, dass der endlich aus dem Bistro zurückkehrte und die Fahrt weiterginge.
"Du wartest hier im Auto", hatte er gesagt, die Türen verriegelt und Daniel mit Handschellen gefesselt im Streifenwagen sitzen gelassen. Das war nun schon mindesten zehn Minuten her, realistisch betrachtet, denn ihm kam es vor wie eine ganze Stunde.
Was zum Geier trieb dieser Bulle da im Bistro? Es konnte doch nicht so lange dauern, sich mal ein paar Donuts oder ´nen scheißendreck Kaffee zu kaufen. Hatte so ein Polizist nicht auch festgesetzte Zeiten, nach denen er sich zu halten hatte? Oder tratschte er wie ein Waschweib mit dem Verkäufer?
"He, Heinz Erhardt, weißt`e was für´nen Bengel ich da wieder aufgetrieben habe? So´n zwölfjähriger Scheißer, der ´ne Fensterscheibe eingeworfen hat. Niedlich, nicht wahr? Naja, ich nehm ihn erst mal mit auf die Wache, wo ich ihn dann sinnlos irgendwo anbinden und alleine lassen werde. Alleine im Dunkeln, hahaha...
Wollen wir noch schnell ein Bier trinken? Wenn du die Klappe hältst und mich nicht verpetzt, dann geb´ ich dir auch eins aus."
Der ganze Mist wäre doch gar nicht erst passiert, wenn er nicht die Scheibe von der ollen Frau Schmidtke eingeworfen hätte und anschließend auf den Polizisten losgegangen wäre.
Und überhaupt wäre das nie passiert, wenn sein Vater nicht in der Klappse und seine Mutter sechs Fuß unter der Erde liegen würde.
Er konnte heute noch die Stimme seiner Mutter im Kopf hören. Worte, die sie nie zu ihm gesagt hatte und auch niemals gesagt hätte: Du hast mich sterben lassen. Du hast mich im Stich gelassen, mich umgebracht. Es war deine Schuld.
Nein, Mutter. Es war ein Unfall.
Die Stimmen verfolgten ihn. In Worte gebannte Schuldgefühle. Wohin er auch ging. Sie fraßen ihn auf, sie waren laut und sie waren...
Da war es wieder.
(...und sie waren zerstörend.)
Er hörte das Geräusch. Lauter und deutlicher als zuvor. Es klang wie ein Knurren. Ein tiefes und animalisches Knurren, wie das eines Hundes oder Wolfs.
Ein Werwolf.
Ach, red´ doch keinen Unsinn. So was gibt es nicht.
...wie der aus diesem einen Film: "American Werwolf".
Boar, du und deine Glotze. Du bist schon so richtig verseucht.
Er hatte diesen Film vor drei Jahren heimlich gesehen.
(Fünf Wochen vor dem Unfall.)
Während sich alle Welt über diese Komödie totlachte, hatte Daniel vor Angst in seinem Bett gesessen und sich die Decke bis über die Nase gezogen. Adrenalin, dass durch seinen Körper floss, und ein beschleunigter Herzschlag ließen ihn gebannt und wie gefesselt vor dem Fernseher sitzen, machten ihn unfähig, umzuschalten oder auszuknippsen. Die ganze Nacht konnte er kein Auge schließen. Er erschrak vor jedem, noch so winzigen Geräusch, aus Angst vor einem Monster, das sich in seinem Zimmer versteckt haben könnte.
Und diese Angst vor einem Werwolf kehrte nun zurück. Er spürte wieder das Adrenalin, den beschleunigten Herzschlag und die Furcht vor jeder, noch so kleinen Bewegung.
Wo blieb der Bulle? Wieso kam er nicht zurück?
Daniel schloss die Augen und versuchte sich einzureden, dass das alles nur ein Traum oder eine Halluzination war. Alles Einbildung. Wenn da draußen wirklich etwas knurren würde, so konnte das nur ein herumstreunender Köter oder etwas in der Art sein. Es gab keine Werwölfe.
Das sind alles nur Einbildungen, eine Ausgeburt deiner Phantasie, weil du als Kind zu viel fernsehen musstest.
Dann erschrak sich Daniel fast zu Tode. Er schrie laut auf, als sich das Radio plötzlich einschaltete. Die ersten Akkorde von AC/DCs "The Jack" wurden gespielt. Und er brauchte ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass sich kein Monster im Auto befand. Es war nur das Radio, das ein wenig zu laut aufgedreht war.
Und das sich einfach mal so und ohne erkennbaren Grund eingeschaltet hatte.
Daniel vermutete, dass das Ding vielleicht eine Art Weckfunktion für den Polizisten hatte. Und so drehte er es leiser, schaltete es aber nicht aus. Die Musik hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Und als Bon Scott begann "She gave me the queen..." zu singen, fühlte er sich auch nicht mehr so alleine. Er mochte AC/DC. Es beruhigte ihn, auch wenn die Stimme nur aufgezeichnet war und aus Lautsprechern kam.
Am Bistro öffnete sich eine Tür und der Bulle kam heraus. Er stolzierte ruhig und gemächlich zum Auto zurück und ließ sich von dem anhaltenden Regen in keiner Weise beeindrucken. Daniel konnte ihn beinahe schon grinsen sehen. Er stöhnte auf: "Boar, komm in Wallung, du Penner."
Doch der Bulle schritt weiterhin in seinem schönsten Sonntagstempo vor sich hin. Und Daniel war überzeugt davon, dass er das mit Absicht machte, um ihn noch ein wenig zappeln zu lassen. Wenn er richtig fies gewesen wäre, hätte er sich noch einmal umgedreht und wäre zum Bistro zurück gelaufen, weil er vergessen hatte, Heinz Erhardt von seinen Bumsgeschichten zu erzählen.
Zum Glück kam er nicht auf diese glorreiche Idee. Doch seine Ankunft am Auto sollte sich trotzdem verzögern, als er nach seinen Schlüsseln kramte und - wie sollte es auch anders kommen? - sie fallen ließ. Und wie nicht anders zu erwarten, brauchte er auch seine dreitausend Jahre, um sie in der Pfütze wiederzufinden.
Daniel stöhnte erneut auf. Er verdrehte genervt die Augen und ließ den Kopf nach hinten fallen. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Wieso war das eigentlich so schwer, mal einen Zwölfjährigen schnell auf´s Revier zu fahren und zu verhören, wenn man ihn am Ende sowieso wieder laufen lassen musste? Und warum hatte jeder Streifenbulle immer gleich etwas von Sadist oder Kinderschänder an sich?
Ein Druck machte sich auf seiner Blase bemerkbar. Warum auch nicht? So etwas musste ja kommen. Wer hatte sich das eigentlich alles ausgedacht? Murphy mit seinem Gesetz? Nicht, dass Daniel es nicht drauf gehabt hätte, dem Bullen die Karre vollzupissen, so war es nicht. Aber er wollte dann doch gerne den Rest der Fahrt ohne Uringestank hinter sich bringen.
Und auf einmal war der Polizist weg. Spurlos verschwunden. In den drei Sekunden, in denen Daniel nicht hin geschaut hatte, schien sich der Wichser einfach in Luft aufgelöst zu haben.
Auch das noch! Die Nacht wird ja immer schöner. Warum muss eigentlich immer mir so eine Scheiße passieren?
Wo war er hin? Wieder zum Bistro zurück? Nein, das hätte er gesehen. Hatte er sich versteckt? Um ihn zu ärgern? Wie blöde musste man eigentlich sein?
Der Regen hatte nachgelassen. Die Sicht auf die Straße wurde ein wenig klarer. Links und rechts von ihr erstreckte sich dichter, dunkler Wald. Nichts bewegte sich, kein Ast, kein Grashalm, niemand. Angus Young setzte zu seinem Gitarrensolo an.
Der Druck auf seine Blase wurde größer. Daniel fing an, auf seinem Sitz hin und her zu rutschen, in der sinnlosen Hoffnung, der Druck würde sich lösen. Ihm war jedoch bewusst, dass er früher oder später wieder pissen musste, Bulle hin, Bulle her.
"Daniel!"
War das der Wind?
"Daniel!"
Er zuckte zusammen. Presste sich panisch und so fest er konnte in das Polster. Die Augen wieder weit aufgerissen und gebannt vor Angst.
Er hatte sie eindeutig gehört. Die Stimme seiner Mutter. Real, authentisch und nicht nur in seinem Kopf. Sie war da draußen... irgendwo im Wald.
Hör auf, so´nen Scheiß zu denken. Mutter ist tot.
Aber das hier habe ich mir nicht eingebildet.
"Daniel!"
Da! Schon wieder! Das ist eindeutig Mutters Stimme. Niemand sonst.
"Hallo?", rief Daniel zurück. Er suchte die dunkle Umgebung mit seinen Augen ab. Doch es war weit und breit nichts zu erkennen.
"Daniel!", kam es erneut. Lauter und deutlicher, als zuvor.
"Lass mich in Ruhe", brüllte er verzweifelt zurück. "Hau ab!" Sein Adrenalinspiegel stieg wieder an und sein Herz pochte so heftig, dass er glaubte, es würde explodieren.
"Du hast mich sterben lassen", schrie die Stimme hart. Sie war so laut, dass Daniels Mutter im Wagen hätte sitzen können. Doch er konnte sie nirgends sehen.
"Nein, nein, nein", schrie er. "Es war ein Unfall!" Seine Schuldgefühle kamen wieder hoch. Sie wurden durch die Stimme seiner Mutter nur noch bekräftigt.
"Wegen dir musste ich sterben, Daniel!" Sie ließ ihn nicht in Ruhe. All das, was er sich jahrelang versucht hatte, aus zureden, fing wieder an, ihm zu zusetzen.
Er wimmerte. "Ich konnte nichts dafür." Er ließ den Kopf auf seine Hände sinken.
"Mörder!"
"Nein!" Die Tränen flossen ihm über die Wangen. Er schrie noch einmal laut auf: "Du bist nicht meine Mutter."
Danach war es still. Von draußen nichts mehr zu hören. Bon Scott bedankte sich beim Publikum für die hervorragende Audienz.
Und dann klatschte es laut auf der Windschutzscheibe. Daniel schrie, mehr vor Schreck, als vor Angst und sprang ruckartig auf. Für ein paar Sekunden glaubte er, sein Herzschlag hätte nun vollends ausgesetzt.
Es war der Bulle. Er war frontal auf das Auto geschleudert worden. Die Augen standen weit aufgerissen, die Panik war ihm ins Gesicht geschrieben, der Blick starr war auf Daniel gerichtet. Er flehte förmlich um Hilfe. Erst, als er langsam von der Scheibe herunterrutschte, wurde Daniel bewusst, dass der Typ tot war. Genau wie das Radio, dass nach "The Jack" aufgehört hatte, irgendetwas zu spielen und verstummt war.
Und dann sah er ihn. Den Werwolf.
Er saß gemütlich vor dem Auto auf der Straße und beobachtete Daniel mit rot leuchtenden Augen.
Das ist kein Werwolf. Das ist kein Werwolf.
Er knurrte bedrohlich. Es war das gleiche Geräusch, wie das, was er noch vor ein paar Minuten gehört hatte. Aus der Schnauze hingen Fäden von Blut und Schaum. Erst jetzt erkannte Daniel die tiefe, klaffende Wunde am Rücken des Polizisten. Der Wolf
(Werwolf)
hatte ihm sämtliche Innereien, mitsamt Rückgrad herausgerissen.
Das Tier sprang mit einem Satz auf die Motorhaube und postierte sich auf der Leiche des Polizisten. Daniel schrak herum und kletterte auf die Rückbank. Die Handschellen waren dabei eine große Belastung. Er kauerte sich auf das Polster und presste sich fest in die Rückenlehne, den Wolf ständig in Beobachtung. Dieser senkte seinen Kopf, um in das Innere des Streifenwagens blicken zu können. Das Knurren wurde lauter und bedrohlicher.
Daniel betete: Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht hier reinkommen. Bitte sorge dafür, dass er draußen bleibt.
Der Wolf gab ein lautes und kläffendes Bellen von sich. Es war so ohrenbetäubend, dass Daniel sich die Ohren zuhalten musste. Anschließend schlug der Wolf seine Vorderpfoten auf die Windschutzscheibe. Ein lautes Pochen erklang. Doch das Glas hielt stand.
Trotzdem vergrub sich Daniel in die hinterste Ecke der Rückbank und betete weiter vor sich hin. Er erinnerte sich an eine Dokumentation aus dem Fernsehen. Selbst ein Vorschlaghammer könnte nicht durch eine Windschutzscheibe dringen, wurde gesagt. Und er hoffte jetzt nur noch, das dies stimmte.
Der Wolf versuchte es noch ein zweites und drittes Mal, nahm sogar ein wenig Anlauf und sprang mit roher Gewalt auf die Scheibe.
Doch das Glas blieb heil und trug nicht einen einzigen Kratzer davon.
Danach gab er es auf und sprang von der Motorhaube herunter. Das Knurren verstummte und der Wolf verschwand wieder in der Dunkelheit.
Nichts zu sehen, nichts zu hören. Der Regen hatte vollends aufgehört. Das Bistro hatte inzwischen geschlossen und der Verkäufer sich anscheinend verzogen. Ob er tatsächlich nichts von all dem mitbekam oder es nicht wollte, blieb Daniel ein Rätsel.
Bleib ruhig, Junge, überlegte Daniel. Das Vieh kann hier nicht rein und du kannst nicht raus. Die Türen sind verriegelt und die Fenster lassen sich nur elektrisch öffnen. Du brauchst einen Schlüssel dazu, und der liegt, zusammen mit einer Waffe und einem uniformierten Fleischpaket auf der Motorhaube.
Er beschloss, einfach abzuwarten, bis jemand vorbeikommen würde oder die Kollegen des Polizisten ihn vermissten. Das würde zwar noch ein Weilchen dauern, aber das war in diesem Moment seine einzige Option. Eine Panik, so überlegte er, war das Letzte, was er hier gebrauchen könnte. Er musste seinen Atem wieder unter Kontrolle bringen.
Warum musstest du auch unbedingt die blöde Scheibe der ollen Frau Schmidtke einschlagen? Sie hat böse Sachen über deine Eltern gesagt, na und?
Und dann hörte er wieder die Stimme. So laut, als säße sie im Wagen. "Daniel!"
"Nein, geh weg!"
"Du hast mich sterben lassen." Sie klagte jetzt. Der strenge Ton seiner Mutter verwandelte sich in einen erbärmlichen und mitleiderregenden Jammergesang.
Daniel presste sich wieder die Hände auf die Ohren und schloss die Augen. Er summte eine Melodie vor sich her, die ihm gerade einfiel, um die Stimme ignorieren zu können. Doch sie drang durch: "Wo warst du, als ich im Sterben lag?"
Er summte und summte und fing schon bald an zu singen: "No, I won´t hurt you, mama, `cause it´s getting so hard..." Er wusste nicht, warum ihm ausgerechnet dieses Lied einfiel. Es war irgendetwas von Genesis, das er vor Langem einmal im Radio gehört hatte.
"Du warst nicht da", jaulte Mutters Stimme.
Daniel sang weiter. Er versuchte, nicht auf sie zu hören, denn...
"Du bist an allem schuld!"
...er wusste, tief im Inneren,...
"Du ganz allein."
...dass dies niemals seine Mutter sein konnte.
"Mörder!"
Er schrie aus Leibeskräften: "Du bist toooooooooooooot!!!"
Danach war es wieder still. Das Jammern hatte aufgehört. Dunkelheit umschloss das Auto und weit in der Ferne hallte der Ruf einer Eule nach. Daniel öffnete wieder die Augen und sah sich langsam überall um. Er atmete tief durch. Am Straßenrand zeichneten sich lediglich die Silhouetten der Bäume ab, weiter war nichts zu erkennen. Keinerlei Bewegungen. Die Nacht war windstill.
Er verfiel seinen Erinnerungen, flehte um Erlösung und fragte sich, warum Mutter auf ihn alleine aufpassen musste. Wieso hatte man seinen Vater eingesperrt? Was hatte er getan?
Er musste an einen Brief denken, den Einzigen, den er jemals von ihm bekommen hatte. Es war nicht viel, im Vergleich zu dem, was andere Väter ihren Söhnen mitteilten. Er hatte seinen Vater nie kennen gelernt, und dieser Brief war das einzige, was er jemals von ihm gelesen, gehört und gesehen hatte.
Er hatte unter anderem geschrieben: "...Lauf nicht weg! Stell dich deinen Ängsten, denn nur so kannst du überleben." Daniel erinnerte sich, wie er von einem komischen Kartenspieler erzählt hatte: "Er ist es, der dich mit deinen Ängsten versucht aufzufressen. Der Kartenspieler kennt sie alle. Er weiß genau, wovor du dich fürchtest und er kennt keine Gnade."
Der gesamte Text war sehr verwirrend und unlogisch gewesen. Daniel glaubte, dass das mit der Geisteskrankheit seines Vaters zu tun haben musste. Er hatte niemals verstanden, was es mit diesen Zeilen auf sich hatte. So einen Mann, wie den Kartenspieler hatte er nie kennengelernt.
Doch wenn es so etwas in dieser Form geben sollte, so könnte es doch vielleicht auch ein Tier sein, dachte Daniel. Eventuell dieser Wolf. Die Manifestation einer seiner Kindheitsängste.
Kaum, dass er dies gedacht hatte, ging ein heftiger Ruck durch den Streifenwagen. Daniel wurde gegen die linke Autotür geschleudert und stieß sich den Kopf. Ein harter Schmerz drang durch seinen gesamten Schädel. Er hielt ihn mit seinen gefesselten Händen und hockte sich zur Vorsicht auf die Rückbank.
Kurz darauf wurde das Auto ein zweites Mal kurz durchgeschüttelt. Ein lautes Krachen ertönte. Daniel suchte sich etwas zum Festhalten und klammerte sich schließlich von hinten an die Rückenlehne des Fahrersitzes.
Ein dritter Stoß erfolgte. Erneut erklang das dumpfe Krachen von Blech, auf das eingeschlagen wurde. Das Auto neigte sich ein wenig zur Seite und fiel dann wieder in die Ausgangslage zurück. Es erzeugte ein Schütteln, schwerer als jeder Autoscooter-Crash. Die Leiche des Polizisten rutschte von der Motorhaube herunter und fiel auf den Asphalt. Daniel klammerte seine Arme fester um die Rückenlehne, um nicht zu sehr herumgeschleudert zu werden. Er spürte eine warme Stelle am Kopf, an der wahrscheinlich Blut aus einer beschissenen Platzwunde sickerte.
Der nächste Ruck folgte. Daniel sah aus dem Fenster der Beifahrerseite und erblickte neben dem Auto wieder den Wolf. Er zog sich gerade ein paar Meter in den Wald zurück und stürmte dann wie von der Tarantel gestochen auf das Auto los. Er schmiss sich mit seinem gesamten Gewicht gegen die Beifahrertür, was einen weiteren, schweren Ruck zur Folge hatte.
Er will hier hinein!, dachte Daniel panisch.
Das kann er nicht! Das kann er einfach nicht!
Er wird alles daransetzten, um es zu schaffen. Er will mich kriegen, komme was da wolle.
Sein Herz schlug schnell und kräftig, wie ein Miniaturpresslufthammer in seinem Brustkorb. Der Wolf nahm erneut Anlauf und attackierte wieder die Beifahrertür. Dieses Mal zog das Glas des Fensters enge Fäden, wie die eines Spinnennetzes. Das Material zeigte erstmals Schwäche, und sowohl Daniel als auch dem Wolf wurden das anscheinend bewusst.
Daniel musste sich scharf konzentrieren, ging jede Möglichkeit durch, die sich ihm bot. Schlüssel und Waffe lagen draußen und waren vorerst unerreichbar. Er sah das Handschuhfach. Möglicherweise versteckte sich etwas darin, das ihm hier heraus helfen könnte.
Als er versuchte nach vorne zu klettern, ging der nächste Ruck durch das Auto. Er stieß sich den Rücken an der Lehne des Fahrersitzes und musste vor Schmerzen kurz inne halten.
Der Wolf zeigte keinerlei Anzeichen von Müdigkeit. Im Gegenteil: Er schien durch den Erfolg an der Fensterscheibe jetzt erst richtig in Fahrt zu kommen.
Daniel setzte erst einen Fuß, dann den anderen auf den Beifahrersitz und hangelte sich schwerfällig nach vorne. Er griff nach dem Handschuhfach und öffnete es. Eine wüste Unordnung von Papieren und Abfällen kam ihm entgegen. Er wühlte im Dunkeln und wurde durch einen weiteren Angriff des Wolfs kurz unterbrochen, als es ihn erneut herum schleuderte.
Das Monster war stark und Daniel war bewusst, dass das Untier es allein auf ihn abgesehen hatte. Er wollte nicht fressen, er wollte ihn lediglich töten, ihm das Herz herausreißen und es in einem einzigen Happen herunter schlingen. Das war seine Mission.
(Die Mission des Kartenspielers?)
Denk nach, Daniel. Nehmen wir mal an, das da draußen ist wirklich ein Werwolf, was müssen wir tun, um ihn zu töten? Was haben die in dem Film gemacht?
Erschießen! Ganz einfach.
Mit einer Silberkugel?
So ein Scheiß. Silberkugel! Hab selten so´nen Mist gehört.
Die nächste Attacke folgte. Mit Schrecken musste Daniel feststellen, dass sich die ersten Splitter bereits aus dem Glas lösten. Die Scheibe würde nicht mehr lange standhalten. Er musste handeln und schnellstmöglich ein Wunder herbei zaubern.
Er wurde fündig, als er in dem Handschuhfach eine Taschenlampe zu fassen bekam. Es war eine dieser massiven Polizeilampen aus Metall und Daniel war der Meinung, dass sie ausreichen müsste, um ihn hier raus zubringen. Mehr Zeit blieb ihm sowieso nicht.
Die Angriffe erfolgten nun in kürzeren Abständen. Der Wolf kannte offenbar keinerlei Schwäche. Und wenn er sie doch kannte, ignorierte er sie meisterhaft. Daniel war sich fast sicher, dass dieses Tier unmöglich von dieser Welt stammen konnte.
Er stieg auf den Fahrersitz und schloss seine Finger fest um die Taschenlampe. Seine Konzentration galt nun dem Fahrerfenster, gegenüber der Seite des Autos, an dem sich der Wolf ausließ. Er holte einmal tief Luft und donnerte dann mit all der Kraft, die er aufbringen mochte, den Stiel der Lampe gegen die Scheibe. Es krachte einmal dumpf auf. Der Schlag zog sich seine kompletten Arme hindurch zurück. Doch das Glas zeigte keinen einzigen Kratzer.
Er zwang sich zum Weitermachen, sammelte erneut seine Kräfte und schleuderte die Lampe gegen das Fenster.
Nichts.
Inzwischen wurde das Auto wieder vom Wolf getroffen und Daniel herumgeschleudert. Nachdem er sich wieder abfangen konnte, versuchte er es erneut. Wieder schlug er so hart er konnte, wieder triumphierte das Glas. Daniel redete sich ein, dass er nur genügend Ausdauer und Geduld brauchte, um das Glas zu sprengen. Und so versuchte er es wieder und wieder. Immer unterbrochen durch die zwischenzeitlichen Attacken des Wolfs.
In der Scheibe des vom Wolf bearbeiteten Beifahrerfensters zeigte sich bereits ein faustgroßes Loch. Das Monster dachte bei Weitem noch nicht daran, aufzugeben. Es würde nicht mehr lange dauern, und es könnte sich durch das Loch hindurch pressen.
Da endlich zeigten sich auch im Fahrerfenster die ersten Sprünge. Daniel hätte Brüllen können vor Erleichterung. Noch ein paar Schläge mehr und...
Daniel fuhr erschrocken herum. Ein lautstarkes Brüllen hallte durch die Innenkabine des Autos und für ein paar Sekunden glaubte er sich schon in den Fängen des Ungeheuers. Erst danach registrierte er, dass sich nur die Schnauze des Wolfs durch das Loch in der Beifahrerscheibe gezwängt hatte. Der Rest des Tieres blieb draußen. Er bellte und versuchte sich unter hohen Anstrengungen durch das Loch zu pressen. Das Glas schnitt ihm blutige Wunden in die Schnauze. Doch das schien den Wolf in keinerlei Weise zu stören. Der Lärm war ohrenbetäubend. Daniel wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis das Monster ihn packen und zerfleischen würde.
Er nahm wieder all seine Kräfte zusammen und prügelte wie ein Besessener auf das Fahrerfenster ein. Ein Schlag folgte dem nächsten. Hack! Hack! Hack!, machte es. Und seine Bemühungen zeigten erste Erfolge.
Nach und nach wurde das Sprungmuster im Glas dichter und erste Splitter lösten sich.
Unterdessen zog der Wolf seine Schnauze wieder aus dem Fenster heraus und nahm Anlauf für einen weiteren Angriff. Dieses Mal könnte er womöglich schon seinen kompletten Kopf durch die Scheibe schieben. Und womöglich, so dachte Daniel, würde es danach nur noch ein oder zwei Angriffe brauchen, bis...
Er schlug weiter auf das Glas ein. Seine Arme wurde allmählich müde, doch die Angst trieb ihn weiter an. Zwischendurch musste er sich aufgrund des Zusammenstoßes mit dem Wolf abfangen. Dabei entglitt ihm die Taschenlampe. Es dauerte wertvolle Sekunden, in denen Daniel sie mit zittrigen und gefesselten Händen auf dem Fußboden wiederfinden musste.
Der Wolf gab ein lautstarkes Brüllen von sich, als er seinen Kopf durch das Loch schob. Daniel hielt sich die Ohren zu, aus Angst, sein Trommelfell könnte bei diesem höllischen Lärm platzen. Das Monster stand auf den Hinterbeinen und schob sich nun langsam und Stück für Stück durch die Scheibe.
Daniel startete seine nächsten Versuche und schlug wieder panisch auf das Fahrerfenster ein. Das Glas gab nach und das Loch wurde größer. Aber Daniel ging das alles zu langsam. Die Zeit reichte einfach nicht mehr aus. Er würde es auf diese Weise nicht schaffen.
Er benutzte seinen Ellenbogen, um ihn gegen das Glas zu rammen. Es schmerzte höllisch und Daniel fing sich einige Splitter ein, die sich tief in seinen Arm bohrten. Aber hier ging es immerhin um sein Leben.
Das Glas zerbrach. Daniel wollte laut auf jubeln, doch dazu blieb keine Zeit. Er achtete weder auf seinen blutenden Ellenbogen, noch auf den Wolf, der sich hinter ihm durch das Fenster zwängte, als würde er gerade geboren werden. Er nahm die Füße hoch, trat noch einmal nach ein paar Scherben, die im Rahmen steckten und hob sie schließlich nach draußen. Und als er den heißen und feuchten Atem des Monsters spürte, schnappte er ruckartig nach dem Haltegriff über der Fahrertür und hob sich schlagartig mit seinem gesamten Körper nach draußen.
Daniel stürzte auf die Straße und hatte schwere Probleme, das Gleichgewicht zu halten. Die Handschellen waren ein einziges Hindernis.
Los! Bewegung! Auf die Beine, Soldat!, rief er sich zum Durchhalten.
Er stolperte beim Aufspringen, riss die Arme nach vorne und schlug sich die Handflächen beim Abfangen auf.
Wieder erschallte ein lautes Bellen. Es glich eher dem Gebrüll eines dämonischen Monsters, als dem eines Wolfs. Daniel war für einen Moment wieder davon überzeugt, dass es jetzt aus wäre. In der nächsten Sekunde glaubte er sich gepackt und sein Herz halb herausgerissen.
Doch der Wolf war nicht hinter ihm. Als Daniel herumschrak und wieder auf die Beine kam, sah er ihn im Auto. Er steckte immer noch zur Hälfte in der Scheibe und klemmte fest. Anscheinend von einer Glasscherbe aufgespießt. Jetzt war das Monster dabei, sich mit größter Mühe wieder rückwärts heraus zudrücken. Und es schien arge Probleme dabei zu haben.
Yeah! Sieh dich an, du Mistvieh! Jetzt hast du den Salat. Das geschieht dir Recht.
Doch Zeit zum Verschnaufen wollte Daniel nicht in den Sinn kommen. Er musste davon ausgehen, dass das Monster es noch schaffen würde, da herauszukommen.
Und dann bist du Hackfleisch. Also tu endlich was!
Er ging zur Front des Autos und hockte sich vor die Leiche des Polizisten. Sein Ekelgefühl wurde durch die Todesangst ausgeschaltet und er schaffte es, den Toten herum zu wuchten, so dass er an das Pistolenholster herankam. Das Gesicht des Bullen starrte immer noch entsetzt vor sich hin und blickte nun gen Himmel.
Ein weiteres Brüllen ließ Daniel herum fahren. Der Wolf schaffte es, sich langsam wieder aus dem Fenster zu schieben.
Beeil dich, verdammt noch mal!
Er knöpfte das Holster auf, riss die Pistole heraus und fing an zu zielen. Er drückte den Abzug, als er den Wolf anvisiert hatte, doch nichts geschah. Es ertönte kein Knall und er spürte auch keinen Rückschlag. Der Wolf lebte noch und war schon fast draußen.
Er versuchte es noch einmal, drückte den Abzug mehrmals, wieder und wieder., doch nichts geschah.
Daniel blickte fassungslos auf die Waffe herab. Im Film sah das immer so einfach aus. Da zog man die Knarre, drückte ab und fertig war das Gemetzel. Nichts schien einfacher, als das.
Mann, bist du blöd. Du und deine dämlichen Ami-Filme. Wenn du mal nachdenken würdest, wüsstest du, dass man so eine Waffe vorher entsichern muss.
Er erblickte den kleinen Hebel an der Pistole. Das musste der Mechanismus zum Entsichern sein. Daniel konzentrierte sich auf die logische Abfolge beim Benutzen einer Schusswaffe. Er hatte das einmal im Fernsehen gesehen. Wie war das? Entsichern, Hahn spannen, zielen und abdrücken.
Doch er sollte nicht mal mehr zum zielen kommen. Der Wolf hatte sich aus seiner Falle befreit. Er sprang genau auf Daniel zu und wollte ihm an die Gurgel. Seinen Reflexen verdankte er das Leben, denn er konnte gerade noch seine Arme hoch nehmen und den Wolf mit der Kette der Handschellen abfangen. Das Monster war schwerer als es aussah und Daniel wurde wieder rückwärts auf die Straße gestoßen. Er wuchtete den Wolf über seinen Kopf und schleuderte ihn mit aller Kraft nach hinten. Der Aufprall auf den Rücken brachte neue Schmerzen mit sich.
Der Wolf fiel kopfüber auf die Straße und schien einen kurzen Moment wie benommen. Daniel drehte sich auf den Bauch und hob sich mit den Armen wieder hoch. Er hatte die Pistole fallen gelassen. Sie war etwa fünf Meter weg gerutscht. Und nun musste er sprinten.
Das Monster richtete sich wieder auf, fletschte sie Zähne und stieß ein mächtiges Gebrüll aus. Im selben Moment stolperte Daniel wieder und fiel vorwärts. Die Waffe eine Armlänge entfernt.
Es waren genau die Sekunden, die er vergeudet hatte, und die der Wolf jetzt nutzte, um ihn anzugreifen. Daniel rappelte sich noch einmal auf und fiel wieder, als das Monster ihn in das Bein biss. Spitze und scharfe Zähne bohrten sich in das Fleisch und seine Muskeln. Der Schmerz war ein unerträgliches Brennen. Daniel schrie, die Waffe jedoch nicht aus den Augen lassend. Er streckte seine Arme aus, war jedoch noch wenige Zentimeter zu weit davon entfernt.
Der Wolf hatte sich fest gebissen und zerrte heftig an Daniels Bein. Er versuchte ihn, von der Waffe wegzuziehen, wie als wüsste er genau, was es mit diesem Ding da auf sich hatte. Der Abstand zu der Pistole wurde größer.
Lauf nicht weg! Stell dich deinen Ängsten, denn nur so kannst du überleben.
Die Worte seines Vaters schallten wieder durch seinen Kopf. Es war, als könne er das, was er immer nur lesen konnte, jetzt auch hören. Und ihm wurde bewusst, was die Worte bedeuteten und was er tun musste.
Daniel drehte sich, so weit es der Wolf zuließ, auf den Rücken, machte einen Sit-up und prügelte mit zwei Fäusten auf den Schädel des Monsters ein. Er schrie mit jedem Schlag aus Leibeskräften. Der Wolf ließ aber nicht locker und machte keine Anstalten, seine Kiefer zu entspannen. Daniel musste ihm mit den Daumen gegen die Augen drücken. Er zeigte keine Gnade, wusste, dass es jetzt nur noch um eins ging: Das Tier oder er. Und er drückte so fest er konnte die Fingerspitzen in die Augenhöhlen. Das Monster kreischte und ließ das Bein los. Der Schmerz ließ etwas nach, war aber immer noch kaum auszuhalten. Der Wolf war blind und schnappte sofort nach vorne, um Daniel in den Hals zu beißen. Er war immer noch unnatürlich stark und hätte sein Ziel fast erreicht, als Daniel sich wieder nach hinten streckte und den Wolf herum riss. Er schleuderte ihn einmal um 180 Grad nach hinten. Das Monster brüllte in bestialischer Lautstärke und landete schließlich neben der Straße im Graben.
Jetzt oder nie!, dachte Daniel und schob sich so fest er konnte mit seinen Armen nach vorne und griff nach der Pistole. Der Wolf machte keine Pause. Kaum, dass er gelandet war, stand er auch schon wieder auf den Pfoten, hatte seine Krallen ausgefahren und setzte zum Sprung an.
Daniel zielte und drückte ab. Der Knall ertönte.
Der Wolf sprang. Seine Augen glühten immer noch rot, obwohl sie nach innen gedrückt waren.
Daniel duckte sich reflexartig, doch das Untier landete genau auf ihm. Sein Gewicht drückte ihn fest auf den Asphalt und bescherte ihm neue Schmerzen. Aus Panik und Todesangst riss er sich herum und schmiss den Wolf erneut auf die Straße zurück.
Das Monster lebte noch, schien aber angeschlagen. Es richtete sich wieder auf und stieß ein weiteres Brüllen aus. Daniel zielte erneut und schoss gerade in dem Moment, als der Wolf erneut zum Sprung ansetzte. Dieses Mal traf er ihn zwischen die Augen.
Das Untier wurde durch die Wucht der Kugel kopfüber auf den Rücken geschmissen, wo es letztendlich, still und bewegungslos, liegen blieb.
Daniel hielt die Pistole immer noch auf den Wolf gerichtet. Die Angst war immer noch im vollen Besitz seines Körpers. Sobald sich von diesem Monster auch nur eine Bewegung zeigte, würde er abdrücken. Er würde das verdammte Magazin leer schießen, wenn es nötig wäre.
Dann konzentrierte er sich mehr auf den Schmerz in seinem Bein. Die Wunde brannte immer noch wie Feuer und Daniel glaubte, bereits viel Blut verloren zu haben. Er versuchte, sich aufzurichten. Das Bein schmerzte so sehr, dass er sich am Streifenwagen abstützen musste. Stehen konnte er kaum. Laufen schien ihm im Moment unmöglich.
Zuerst wollte er den Bullen nach den beschissenen Schlüsseln durchsuchen, um endlich diese beknackten Handschellen loszuwerden. Und vielleicht fand er im Kofferraum ein Erste-Hilfe-Paket, mit dem er sich vorläufig verarzten könnte.
Danach sah er wieder den Wolf und wie er sich veränderte. Die Schnauze wurde kürzer, die Hinterbeine länger. Stück für Stück entwickelte sich der Werwolf wieder zu dem zurück, was er ursprünglich gewesen war.
Natürlich!, dachte Daniel. Nach dem Tod wird der Werwolf wieder zu einem Menschen. In „American Werwolf“ war das auch so.
Fasziniert von der Verwandlung, blickte er auf die sich entwickelnde, menschliche Leiche. Es dauerte einige Sekunden, bis das Fell des Wolfs geschrumpft war und Haut zum Vorschein kam. Die Krallen wurden wieder eingezogen und blieben am Ende nur noch als Fingernägel übrig. Die Hände und Finger eines Menschen bildeten sich und auch das Gesicht wurde immer mehr als ein menschliches erkennbar.
Und als er es erkannte, wurde Daniel wieder starr vor Schreck. Er kannte die Person wirklich.
Es war seine Mutter.
Sie war es in leibhaftiger Form. Die gleichen Gesichtszüge, die gleichen Haare, Augen, Nase, Mund, alles war bis ins letzte mit dem identisch, was seine Mutter zu Lebzeiten ausgemacht hatte. Und sie lag blutend vor ihm auf der Straße. Sie war der Werwolf. Und Daniel hatte...
Plötzlich öffnete sie die Augen und stöhnte laut auf. Sie lebte noch.
„Daniel!“, krächzte sie, mit der Stimme seiner Mutter.
Er starrte auf sie herab und schüttelte ungläubig den Kopf. „Nein!“
„Du hast mich umgebracht.“
„Nein!“ Das konnte nicht wahr sein. Es musste eine Einbildung sein. Diese Frau, die da vor ihm auf der Straße lag, konnte unmöglich seine Mutter sein. Es war ein Hirngespinst. Ein Geist.
„Du hast mich umgebracht!“
„NEIN!“ Er schrie.
Und als dieses Ding, das wie seine Mutter aussah und sich wie sie anhörte, mit einem letzten Stöhnen wieder die Augen schloss und wie tot erschien, fiel Daniel auf die Knie. Er wimmerte und schüttelte immer noch fassungslos den Kopf. Er kämpfte dagegen an, nicht die Beherrschung zu verlieren. Er suchte nach seinem Verstand, der ihm bestätigte, dass diese Szene nur Einbildung sein konnte. Doch sein Verstand hatte sich soeben verabschiedet.
Daniel hatte die Kraft verlassen.
Er ging vollends zu Boden.