- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Der Kapitänshintern
Vorab: Ein galaktisches Gewitter sorgte für einen kompletten Datenverlust aller Rechner. Das führte dazu, dass ein großes Raumschiff auf einem - glücklicherweise sehr lebensbegünstigenden - Planeten gestrandet ist. Die technisch zurück geworfene Siedlergruppe stellt sich den Herausforderungen ...
Mir widerfuhr das größte Glück, das ein Geologe und Eisenbahningenieur je erfahren kann. Im Jahr 93 nach der Begründung von Neuland erhielt ich den Auftrag, den Seehafen von Portus Maximus mit unserer Hauptstadt Caputa Universa durch eine Eisenbahnstrecke in Verbindung zu bringen. Bereits seit der Zeit meines Großvaters hatte man einige Gleise verlegt und dampfgetriebene Fahrzeuge der einfachsten Art verwendet. Doch genügte der Verkehr nie wirklich den Erfordernissen und die Lokomotiven der ersten Generation befanden sich häufiger in den Werkstätten als unter Dampf vor einem beladenen Zug. Erst die Fortschritte der vergangenen etwa zwanzig Jahre ermöglichten nun, eine Eisenbahn zu errichten, welche diesen Namen auch verdient hatte.
Begeistert studierte ich wieder und wieder das Schreiben, welches mir im aufkommenden Frühjahr durch einen berittenen Boten des Hofes zugestellt worden war. Des Königs Berater hielt eine Spurbreite von zwei Schritt für angemessen. Zwei Schritt! Welch ungeheuer mächtige Dampfrösser würde eine solche Spur tragen können, welch berauschende Geschwindigkeiten dabei erzielt werden können!
Beide Orte liegen fünf Tagereisen mit dem Maultiere auseinander. Man stellte mir Material für den Gleisbau, Geldmittel und den Bauhof am Hafen von Portus zur Verfügung. Dazu wurde mir das Kommando über einen Trupp Arbeiter übertragen. Und als Berater standen mir einige gute Köpfe zur Seite, die mir wirklich von großem Nutzen waren. Noch heute unterhalten wir Verbindungen freundschaftlicher Art.
Nun, ich ließ die Zeit nicht unnötig verstreichen und traf sofort Vorbereitungen für eine umfassende Expedition, welche uns Aufschluss über das Gelände, aber auch über mögliche Gefährdungen geben sollte.
Dazu erwählte ich drei Begleiter, von denen ich annahm, dass sie mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen meiner Expertise ein festes Fundament verleihen würden. Weiters begleiteten uns zwei berittene Schützen, welche von der königlichen Kommandantur zu unserer Sicherung abgestellt worden waren.
Am Tag der ersten Sichel des natürlichen Mondes, welcher stets etwas geheimnisvoll blau schimmernd Vera III still umrundet, brachen wir im frühen Morgengrauen mit unseren Maultieren auf. Wir hatten neben Zelten, Trinkwasser und Vorräten auch Feingerät zur Vermessung dabei, sowie einige Pistolen samt Munition. Bei günstiger Witterung kamen wir sehr gut voran. Die ersten Streckenmeilen hatte ich bereits vor meinem geistigen Auge, und fügte von Zeit zu Zeit einige Skizzen und Bemerkungen in mein Planungsheft ein.
Am dritten Tag kam der junge Beggins, den ich als vieler Sprachen mächtigen Kundschafter ins Gefolge berufen hatte, in unser Tageslager zurück geritten. Er überbrachte mir eine bestürzende Nachricht.
„Mister Vasco, es gibt ein Problem. Die Felsenkinder dieses kleinen Fleckens vor uns wollen keine Bahnstrecke in ihrem Gebiet. Es ist aber vor allem ein störrischer, alter Mann, der etwas dagegen hat“, berichtete er knapp.
Sofort nahm ich mir eines der Maultiere und bat Beggins, mich an den Ort zu führen. Die Felsenkinder sind Ureinwohner dieses Planeten. Sie sind freundlich bis zur Naivität und bewegen sich in felsigem Gebiet mit unglaublicher Leichtigkeit. Nur die Steinziegen, von deren Milch sie leben, klettern besser als dieses gewandte Völkchen. Mir erschien es seltsam, dass diese friedfertigen und uns Erdlingen gegenüber sehr aufgeschlossenen Wesen den Bau der Gleise verhindern wollten. Und als wir nach einer knappen halben Stunde den Ort erreicht hatten, war mir auch sofort klar, dass es mit der Ablehnung meiner Pläne eine andere Bewandtnis haben musste.
Tatsächlich fand ich nämlich einen alten, wirklich sehr alten Mann, welcher regungslos am Boden kauernd seinen Blick ins scheinbar Endlose gerichtet hielt. Das spärliche, schlohweiße Haar vom heißen Wind zerzaust, hockte er, seine Knie angezogen und von seinen Armen umschlossen, auf einer zerschlissenen Lederdecke.
Ich nickte Beggins zu, welcher mich dem Alten vorstellte und dann unser Anliegen vortrug. Doch der greise Graubart blieb stumm und starrte in die Wolken. Ich überlegte, was zu tun sei. Schließlich sprach ich ihn selbst an.
„Alterchen, Ihr sitzt genau da, wo ich in ein paar Tagen einige Gleise verlegen sollte. Hättet Ihr die Güte, einen anderen Ort für Euere Meditation zu erwählen. Hier drüben bei diesem hübschen Kakteenwäldchen vielleicht?“
„Nicht weg…“, vernahm man schwach von seinen Lippen.
„Nicht weg? Seht, ich komme Euch auch gerne entgegen“, sprach ich mit sanfter Stimme und griff nach meiner Geldkatze. „Sieh her, Großvater. Ich gebe dir ein halbes Pfund in Silber, wenn du mir keine Schwierigkeiten machst“
Da er aber keinerlei Regung zeigte, versuchte ich, ihm die Münzen in die Hand zu legen. Hastig fuhr er herum und stieß einen kehligen Schrei aus. Er zitterte und starrte mich mit zahnlosem Mund an, während zahlreiche Felsenkinder aus ihren Häusern gelaufen kamen. Eine Frau mit frischen, jungen Gesichtszügen kam raschen Schrittes auf uns zu, während eine ältere sich nach dem Greis bückte, um sich seiner anzunehmen.
„Das ist ein sehr alter und auch weiser Mann aus Euerem Volk. Er lebt aber so viele Monde bei uns, dass er einer von uns geworden ist“, erklärte die Jüngere entschieden. „Er ist voller Frieden, sitzt nur auf seinem Hintern. Genau hier. Jeden Tag. Seit Jahren."
Überrascht, dass sie unsere Sprache so hervorragend beherrschte, und angetan von ihrem überaus angenehmen Äußeren, schwieg ich einen Moment. Dann versuchte ich mit ruhigen, aber deutlichen Worten, die Dinge klarzustellen:
„Ich bin Marek Vasco, und mein Begleiter hört auf den Namen Beggins. Wir kommen in der besten Absicht. Es ist aber unvermeidlich, dass wir einige Gleise durch dieses Gebiet verlegen werden. Und zwar genau hier“.
Da fiel mein Blick auf den Hemdärmel des Alten. Ich bemerkte vier ausgeblichene Streifen, darüber einen Stern. Ich erschrak. War das möglich? Saß hier der verschollen geglaubte Kapitän der „Aldebaran“ - Kommodore Korner - vor mir? Er musste wohl an die hundertdreißig Erdenjahre alt sein. Das günstige Klima auf diesem Planeten und die Pflege der liebenswürdigen Felsenkinder hatten ihn offenbar mit einem sehr langen Leben beschenkt.
„Mein ganzer Respekt, Kommodore. Bitte verzeihen Sie meine Kühnheit!“, bat ich den legendären Kapitän um Entschuldigung.
„Nicht … weg“ flüsterte er.
Die Felsenkinder bemerkten rasch die Veränderung der Lage und ihre Mienen entspannten sich. Die junge Frau lächelte mich sogar an, deutete auf sich und sagte „Ayasatra“. Ich nickte ihr freundlich zu und verließ zusammen mit meinem Begleiter den kleinen Ort.
Um des Friedens willen blieb mir nun keine andere Wahl, als inmitten der nahezu schnurgerade verlaufenden Strecke eine großzügige Kurve einzubauen. Welche allerdings heute, da uns Kommodore Korner schon lange verlassen hat, vollkommen lächerlich wirkt, und die bei den Reisenden jederzeit für spöttische Heiterkeit sorgt. Denn landauf, landab wird diese Kurve als „der Kapitänshintern“ bezeichnet.