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Der Kampfsportlehrer
Nach einigen gymnastischen Übungen, wurde es spannend. Der Kampfsportlehrer sagte, er wolle uns nun eine Technik zur Selbstverteidigung zeigen.
Mir fiel auf, wie rasend schnell sich seine Schüler bewegen konnten. Innerhalb eines Wimpernschlags hatten sie sich alle hingekniet. Nur ich stand noch träge herum - ich, der Neue, der sich von seinem Kollegen Tobias zu einem Probetraining hatte überreden lassen. Der Kampfsportlehrer winkte mich zu sich.
„Du kommst auf mich zu und gibst mir eine Ohrfeige“, sagte er.
Ich nickte.
„Wenn du Schmerzen verspürst, dann klopf zweimal mit der Hand auf den Boden. Alles klar?“
Wieder nickte ich. Dann holte ich aus und machte einen Schritt nach vorn. Weiter kam ich nicht.
Ich spürte einen dumpfen Schmerz, als der Kampfsportlehrer gegen meinen Knöchel trat, bevor ich den Fuß absetzen konnte. Mein Bein flog durch die Luft, ich verlor das Gleichgewicht und mein Rücken krachte auf den Boden, wodurch mir kurz die Luft wegblieb.
Dass ich drei Sekunden später noch immer nicht atmen konnte, war auf eine andere Ursache zurückzuführen: Blitzschnell hatte sich der Kampfsportlehrer auf mich gestürtzt und presste nun seine spitze Schulter in meine Rippen. Es überraschte mich, welches enorme Gewicht sein drahtiger Körper dabei entfaltete.
Ich stöhnte und hob die Hand, um abzuklopfen, doch der Kampfsportlehrer griff sofort meinen Arm und verdrehte ihn entgegengesetzt der vorbestimmten Richtung. Mir entfuhr ein schriller Schrei.
Jetzt löste er seinen Haltegriff und richtete sich wieder auf, wobei er mir allerdings noch einen Stoß mit dem Ellenbogen verpasste und das Knie in die Seite rammte.
Es gelang mir, die Tränen zurückzuhalten und – woran ich arg gezweifelt hatte - mich ohne fremde Hilfe aufzurappeln.
Der Kampfsportlehrer fordete mich auf, ihn erneut anzugreifen. Leider konnte ich aber den Arm nicht mehr heben, da die Schmerzen in der Schulter zu intensiv waren.
„Klopf rechtzeitig ab, wenn es weh tut. Du brauchst hier nicht den Helden spielen“, belehrte er mich.
Ich entschuldigte mich für mein unachtsames Verhalten, und ein anderer Schüler, der mir ein wenig bleich im Gesicht erschien, musste an meiner Stelle ran.
Tobias klopfte mir auf die Schulter und meinte, ich hätte mich gut gehalten. Dem stimmte ich zu, denn im Grunde hätte ich tod sein müssen.
Nach dem Unterricht fragte der Kampfsportlehrer, ob noch jemand Lust habe, etwas trinken zu gehen. Er stellte sich direkt vor mich und starrte mir in die Augen.
„Ja, schon. Doch. Warum nicht?“, antwortete ich.
Erst jetzt bemerkte ich, dass Tobias versuchte, mir unauffällig Zeichen zu geben.
„Gut“, sagte der Kampfsportlehrer: „Was ist mit dem Rest?“
Doch die übrigen Schüler hatten keine Zeit für ein Bier. Allesamt murmelten sie etwas von ihren Frauen, ihren Kindern, den Eltern, den Großeltern oder der Arbeit. Auch Tobias musste sich dringend um eine Sache kümmern, die keinen Aufschub duldete. Hektisch packte er seinen Kram zusammen und wünschte uns viel Spaß.
Als der Kampfsportlehrer und ich die Kneipe betraten, blieb er kurz im Eingang stehen, um die anwesenden Gäste zu mustern.
„Siehst du, was für einen Blick der Kerl mit der Lederjacke da an der Theke hat?“, meinte er und fügte hinzu: „Von so einem lasse ich mich aber nicht provozieren.“
Wir stellten uns also neben den Lederjackenkerl an den Tresen, und der Kampfsportlehrer erzählte mir von den Wettkämpfen, an denen er früher teilgenommen hatte. Bei diesen durften die Angriffe zum Kopf nur angedeutet werden, was seine Gegner regelmäßig dazu verleitet hatte, in seine Schläge und Tritte hineinzulaufen. Das war natürlich sehr unfair gewesen, da er stets disqualifiziert wurde, wenn sie ohnmächtig zusammensackten.
Gerade als sich der Kampfsportlehrer beim Erzählen der alten Geschichten zu entspannen begann, streifte der Lederjackenkerl seine Schulter. Sein Blick verdüsterte sich, und er schüttelte den Kopf.
Energisch rückte er ein Stück zur Seite, wobei er den Lederjackenkerl anstieß, dass dieser sein halbes Bier verschüttete.
Der Lederjackenkerl grinste ungläubig und sagte: „Vorsicht, mein Freund. Immer schön langsam.“
Dann beging er einen Riesenfehler: Er legte dem Kampfsportlehrer die Hand auf die Schulter. Ich ahnte, was nun folgen würde, doch meine Befürchtungen wurden sogar noch übertroffen.
Als ein Freund dem Lederjackenkerl zu Hilfe eilte, nahm sich der Kampfsportlehrer auch diesen vor. Ich versuchte dazwischenzugehen, wobei ich einen Fußtritt abbekam, der eigentlich für diesen Freund bestimmt war.
Draußen auf der Strasse kehrte mein Bewußtsein zurück. Ich lehnte gegen eine Hauswand, und der Kampfsportlehrer stützte mich.
„Manche Typen lassen dir einfach keine Wahl.“, sinnierte er.
Ich war nun überzeugt: Kampfsport konnte wirklich nicht schaden – bei all den gefährlichen Irren, die heutzutage unterwegs waren.