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Der Kaiser
Die große Tafel im Thronsaal war bis zum letzten Platz besetzt. Seine Allmächtigkeit, der Kaiser des Kontinents hatte geladen und alle waren gekommen. Da war er, der oberste Steuereintreiber des Landes, drei Zentner schwer und sich momentan im einem gebratenen Wildschwein richtiggehend suhlend, in dem er nach den Teilen Ausschau hielt, die seinem Gaumen am besten mundeten. Laut fluchend über die unfähige Dienerschaft, die sich wieder nicht gemerkt hatte, von der Sau seine bevorzugten Teile vor dem Mahle zu separieren und ihm gesondert zu servieren.
Da war er, der schwächlich wirkende oberste Hirte der elumisch-torbinianischen Kirche, der gerade mit seiner Hand bei der gelangweilt wirkenden Gemahlin des verreisten Herzog von Walden unter dem Tisch zur Sache ging. Sie war ein wahres Mannweib, deren tyrannische und unbarmherzige Art sie im heimischen Schloss zu einer Gefahr für Leib und Leben aller Zofen und Diener werden lies.
Da war er, der hagere, kleinwüchsige Statthalter von Elum, der gerade unter den Pagen nach neuer Befriedigung für seine Vorliebe für junge Knaben Ausschau hielt und im Hinterkopf Strategien für die Ausschaltung seines Rivalens um den Posten eines kaiserlichen Ministers ausdachte. Ansonsten folgte er eher unbeteiligt dem kaiserlichen Festmahl. Er hatte auch heute keinen Auftritt als Überbringer wichtiger Botschaften, was er als einziges an den Tafelgelagen wirklich genoss. Oder der leicht schwachsinnige Graf von Tar, der der Sohn seines eigenen Großvaters war, wovon ebenso jeder wusste, wie auch von seinem verwirrten Geist, worüber jedoch niemand aufgrund seiner edlen Abstammung offen zu reden wagte.
Da waren sie, etwa 150 Gäste aus Hochadel und mächtigen Handelshäusern im Kaiserreich und schlemmten, während sich im Hintergrund eine ganze Reihe Musiker abmühten, den oberflächlichen gerade modernen Weisen der elumischen Komponierkunst mit ihrem Können zumindest etwas Leben einzuhauchen.
Seine Allmacht, der Kaiser hatte eingeladen und wie immer kamen alle. An dieser Tafel zu sitzen, brachte Prestige und es war daneben auch noch unterhaltsam - was konnte es besseres geben ? Keine andere der zahlreichen Festmähler in der Kaiserstadt vereinigten diese beiden Vorteile auf so außerordentliche Weise.
Seine Allmacht Kaiser Ereber II., Adoptivsohn Erebers des Schwachsinnigen, thronte im Zentrum der U-förmigen Tafel über dem Gelage. Der gesamte Hochadel hatte seinerzeit Ererber I. dazu gedrängt, ihn zu dessen Nachfolger zu bestimmen, woraufhin Ereber I. auch sehr schnell durch plötzliches Ableben einen solchen Nachfolger brauchte. Auf seinem Haupt trug er die Insignien der kaiserlichen Macht, einen mehr als 2000 Jahre alten goldenen Stirnreif und eine darüber vor vielen Jahrhunderten gearbeitete Kaiserkrone. Seine Miene war ausgelassen und er trank reichlich, doch irgendwie wirkte er auch nach den größten Gelagen nie wirklich betrunken. Um seine ursprüngliche Herkunft gab es zwar Gerüchte. Niemand konnte sich so recht an seine leiblichen Eltern oder sein erstes Auftauchen bei Hofe vor so vielen Jahren erinnern. Aber seit er den Luxus in der Kaiserstadt durch eine neue Sondersteuer nochmals kräftig steigerte und auch die Verbreiter der Gerüchte als Verräter des Kaiserreichs enttarnt worden waren, machte sich darum niemand mehr allzu große Gedanken. Der Kaiser war doch auch zweifelsohne der beste Verbündete bei allen Intrigen des Hofes und der Stadt - und irgendwie glaubte in jedem der Spiele jeder Beteiligte seine Allmächtigkeit auf seiner Seite zu wissen. Und das war wichtig, vor allem bei diesem Ereber II., der nach einer langen Reihe kurzlebiger und schwacher Herrscher endlich wieder die Fäden im Kaiserreich für eine Herrschaftszeit von mehr als zehn Jahren fest zusammenhielt.
Eine Fanfare ertönte und kündigte die Ankunft eines neuen Gastes an. Nur wirklich wichtige Gäste durften es wagen, ein kaiserliches Festmahl nach dessem Beginn auf diese Weise zu unterbrechen. Die Tür schwang auf und der Zeremonienmeister, ein unscheinbarer leicht dümmlich aussehender Mann in einem prunkvollen Umhang, den das kaiserliche Wappen in Gold gestickt zierte, kam herein. In der Hand trug er einen mannshohen massiv goldenen Stab. Er postierte sich neben der Tür und pochte mit dem Stab dreimal deutlich hörbar auf den Boden. Die Musik verstummte.
"Die Gesandten der abtrünnigen Gebiete und der rebellierenden Provinzen."
Ein Raunen ging durch den Saal. Simple Gesandte wagten es, das Mahl seiner allmächtigen Majestät zu stören. Nur der Kaiser selbst blieb gelassen.
"Man lasse sie eintreten."
Der Zeremonienmeister wollte sich gerade entfernen, als eine Gruppe Menschen auch ohne Übermittlung der Erlaubnis des Kaisers zur Tür eintrat. Es waren die Gesandten - vier Männer und zwei Frauen. Ein erneutes Raunen ging durch den Saal. Welch ein Affront - ohne Erlaubnis seiner Allmacht betraten sie den Saal. Alle starrten gebannt zu den Eindringlingen. Selbst die Fummelversuche des obersten Hirten gerieten für einen Moment ins Stocken.
Wenige Meter nach der Tür blieben die Gesandten stehen. Ihre Kleidung wirkte im Vergleich zu den Hofgästen ärmlich, doch die Körper der Männer muskulös und die der Frauen schlank und wohlproportioniert. Allesamt waren noch keine 40 Jahre alt, ihre Gesichter dennoch von Wind, Wetter und harter Arbeit gezeichnet, nur einer der Gesandten strahlte eine etwas ärmliche Art von Adel aus. Zwei Männer hatten die schwarze Hautfarbe der Bewohner der Provinzen im Südosten, die anderen beiden und die Frauen stammten mit Sicherheit von den Völkern aus dem fernen Westen, die sich dem Kaiserreich nie unterworfen hatten, oder aus den angrenzenden rebellierenden Grenzgebieten. Der Anführer der Gesandten, ein dunkelhaariger Mann Mitte 30 begann zu sprechen.
"Wir kommen, um ein letztes mal unsere Forderungen zu übermitteln."
"Wer seit Ihr, dass Ihr es wagt, an uns, den allmächtigen Herrscher der Welt, Forderungen stellen zu können ?"
Der Kaiser wusste, dass sie es konnten. Aber es war ja auch nicht sein Ziel, sie milde zu stimmen. Der Gesandtenführer sprachen ungerührt weiter.
"Freiheit für alle Völker westlich des großen Berglandes und die Taris im Süden. Eine Garantie der Unverletzlichkeit der von uns geforderten Grenzen."
Der Kaiser wusste, das waren noch sehr milde Bedingungen für die militärische Übermacht, die die Aufständischen und Feinde des Kaisers mittlerweile hatten. Und den Jahrhunderte alten Hass unterdrückter Völker auf den Kaiser und sein Volk. Aber es war ja nicht sein Ziel, das Kernland des Kaiserreichs durch Annahme derartiger Bedingungen zu retten.
"Wer wagt es, dem Herrscher der Welt rechtmäßige Besitztümer zu rauben ? Wer wagt es, an den Herrscher der Welt Forderungen zu stellen ?"
Die Gesandten wirkten ungerührt. Auf ein Zeichen ihres Anführers machten sie kehrt. Ohne Abschiedsgruß verließen sie den Saal. Der Kaiser wusste, damit war die letzte Chance zur Rettung des Reiches vertan. Der Kaiser wusste, weit würden sie nicht kommen. Er hatte vorgesorgt, dass sie noch innerhalb der Grenzen der Kaiserstadt aufgegriffen und blutrünstig gemeuchelt werden würden. Die Leichen würde man ihren Befehlshabern zurückschicken. Der Kaiser wusste, das würde die aufständischen und feindlichen Völker entgültig zur Weißglut bringen. Es würde ein Gemetzel geben. Abertauschende von Menschen würden in den Kämpfen der folgenden Monate sterben. Das Kaiserreich würde in einem Meer aus Blut untergehen. Mit den anderen Völkern würde er es bei ihrer Vernichtung nicht so einfach haben. Vielleicht sollte er die derzeit-Verbündeten in einer neuen Maske gegeneinander ausspielen.
Das Bankett ging weiter, auch die Musik spielte wieder. Die Herzogin von Walden hatte mittlerweile mit dem Oberhirten den Thronsaal verlassen. In einem geheimen Separé, von denen es im Kaiserschloss unzählige gab, gaben sie sich sado-masochistischen Spielereien hin. Währenddessen hatte der oberste Steuereintreiber sein Lieblingsstück an gebratenem Wildschwein gefunden und kaute genüsslich. Er hatte die Szene mit den Gesandten gar nicht bemerkt, so tief war er in die Suche im großen Ganzkörper-Schweinebraten vertieft gewesen.
Sie hatten es nie bemerkt, welchen Dämon sie mit zum Herrscher des größten Reiches seit Menschengedenken gemacht hatten. Viel zu beschäftigt waren sie gewesen, viel zu sehr auf sich und ihre kleine und groß geglaubte Umgebung fixiert - auf ihre Lust, ihre egozentrischen Interessen und ihren Stand. Viel zu sicher glaubten sie sich nach fast einem Jahrtausend der Herrschaft über fast die gesamte bekannte Welt und unermesslichem Reichtum von Generationen.
Schon so viele Völker hatte er versucht zu zerstören. Mit kaum einem hatte er es so lächerlich einfach gehabt.