- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Der Kühlschrank
Der Gebrauchtwagenhändler hatte einen schlechten Tag. Nicht nur, dass er keinen einzigen Wagen verkauft hatte, mit seinen Kollegen zerstritten war und ein Stapel unbezahlter Rechnungen auf seinem Schreibtisch lag – er war zudem von einem Kühlschrank, der aus dem dritten Stock eines Hauses fiel, zermalmt worden und musste sich nun mit einem nicht sonderlich redseligen Tod herumschlagen.
„Ich hatte einen richtig bekloppten Tag und bin gerade gestorben!“, fuhr er den Sensenmann an. „Da hätte ich ein wenig mehr erwartet als: ‚Hallo, du bist gerade gestorben, und ich bin der Tod.’ Warum gerade ich? Warum jetzt? Warum ein KÜHLSCHRANK?“
Der Tod räusperte sich. „Sorry, ich seh’ in dem Job so viele Tote, da lässt der Umgangston mit der Zeit n’ bisschen nach. Alle stellen immer die gleichen Fragen… Außerdem hatt’ ich grad n’ Flugzeugabsturz in Costa Rica. Sechsunddreißig Tote – und mein Spanisch ist nich’ das Beste. Die sprechen da doch Spanisch, oder? Oder doch Portugiesisch? Der Job ist manchmal ein echter Albtraum, Mann. Da hat sich doch tatsächlich so ein Wichtigtuer ne gute halbe Stunde darüber aufgeregt, dass ihn ein Propeller am Kopf erwischt hat und man ihn jetzt vielleicht nicht mehr identifizieren kann.
Und jetzt fängst du genauso an, weil dich ein Kühlschrank zerquetscht hat? Ich versteh’ nicht, warum es die Leute weniger aufregt, dass sie nur noch eine Pfütze aus Blut und Gehirnmasse sind, als die Ursache für diesen Zustand. Und bevor du fragst: Entgegen landläufiger Meinung entscheide ich nicht, wer wie den Löffel abgibt. Ich sammle nur das Recyclinggut ein – also dass, was sich Pilze und Krabbelviecher nicht schmecken lassen.“
Der Gebrauchtwagenhändler seufzte resigniert. „’tschuldigung. Aber man regt sich eben ein wenig auf, wenn man so aus dem Leben gerissen wird. Bin ich echt nur noch eine Pfütze?“
„Oh ja. Eine recht symmetrische, möchte ich anmerken. So eine tolle Spritzerverteilung hab’ ich selten. Ich bin echt froh, dass ich die Sauerei nicht wegmachen muss. Falls es dich tröstet: Es war ein echt teurer Kühlschrank, richtig edel, und der ist jetzt auch hinüber. Und die Hauswand bräuchte auch einen neuen Anstrich…“, entgegnete der Tod.
Der Gebrauchtwagenhändler schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Kann man mich da überhaupt noch bestatten?“
Der Tod kicherte leise. „Mann, du hast Probleme! Wen kümmert’s, wo du vermoderst? Wahrscheinlich gibt’s einen leeren Sarg, und deine sterblichen Überreste fallen der Straßenkehrmaschine zum Opfer. Falls dich überhaupt jemand bestattet. Familie hattest du ja schließlich nicht.“
Der frisch Verstorbene warf dem Tod einen bösen Blick zu. „Was geht dich mein Privatleben an?“
Der Sensenmann zog mit seinen Knochenhänden ein Dossier aus dem Umhang.
„Deine Akte“, erklärte er. „Da steht praktisch alles über dich drin. Ich muss ja schließlich in der Lage sein, dich optimal zu beraten.“
„Beraten?“, echote der Gebrauchtwagenhändler.
Der Knochenmann nickte. „Yo, dachtest du, jetzt wäre alles aus? Moment…“ Er blätterte durch die Akte. „Ja, dachtest du. Dann herzlichen Glückwunsch. Deine potenziell unsterbliche Seele existiert weiter!“
Der Verblichene rieb sich die Augen. „Mmh… Damit hatte ich nicht gerechnet.“
„Das sagte ich doch gerade. Aber sieh es doch mal so: Wenn du nun an ein Leben nach dem Tod glaubst (wie auch immer das aussehen mag), du stirbst und alles endet – wen kümmert’s? Andererseits: Wenn du nicht dran glaubst, so wie du’s getan hast, du stirbst und es geht trotzdem weiter – dann stehst du ziemlich bedröppelt da, oder? Also, etwas mehr Offenheit bitte.“
„Ja, ja. Ich hab’s kapiert. Aber wie geht’s jetzt weiter?“
Der Tod räusperte sich bedeutungsschwer. „Tja, du hast exakt drei Optionen. Nummer Eins: Du beschließt, dass deine individuelle Existenz hier ultimativ enden soll. Dann hättest du im Nachhinein Recht, denn für dich gäbe es – von diesem kleinen Intermezzo mal abgesehen – kein Leben nach dem Tod. Sehr beliebt bei Anhängern der fernöstlichen Religionen und bei einigen irrationalen Rechthabern. Für mich nicht so toll, dann hab’ ich den ganzen Papierkram am Hals. Die Wegwerf-Seele hab’ ich mir übrigens nicht ausgedacht, das waren die Erbsenzähler aus der Verwaltung. Die können dann nämlich deine Akte schreddern, während ich dich schreddern muss – wäre dir also sehr verbunden, wenn du dich dafür nicht entschließt.
Nummer Zwei: Endstation Ewigkeit. Sehr gefragt bei Päpsten und anderen mit reiner Weste – und denen, die glauben, eine zu haben. Religionsspezifisches Szenario garantiert. Du bist Christ? Petrus wartet. Du bist Moslem? Viel Spaß im Paradies. Oder doch lieber noch zu den alten Ägyptern konvertieren? Anubis und Toth bereiten das Totengericht für dich vor. Aber Achtung: Wenn du bei der jeweiligen Anhörung durchfällst, ist die Ewigkeit weniger angenehm. Uähh… Wird aber wohl auch im Himmel bald langweilig, denk’ ich mir. Das Leben ist vermutlich für einen Menschen interessanter als ewige Glückseligkeit – aber hey, ich bin der Tod, was weiß ich vom Leben?
Türchen Nummer Drei: Wiedergeburt. Coole Sache, wenn du meinst, noch einmal etwas korrigieren zu müssen. Aber Achtung: Erinnerungen aus früheren Leben sind nur noch bedingt verfügbar – die Festplatte muss für neuen Input formatiert werden, klar? Wenn du Glück hast, ist dein neues Hirn so groß - oder dein altes so klein - dass genug übrig bleibt, um deine alte Realität gezielt zu verändern. Krasse Sache, was?“
Der Verstorbene kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Schwere Entscheidung…“
Der Tod sah auf seine Uhr. „Lass dir ruhig Zeit, is’ schließlich eine lebenswichtige Entscheidung.“ Er lachte schallend. „Sorry, aber schlechte Witze sind meine Spezialität. Im Ernst: Denk’ gut nach, aber ich hab’ nicht ewig Zeit. In Indien nippelt grad’ ein Guru ab und ich muss vorher noch mein Punjabi-Wörterbuch wälzen.“
Der Gebrauchtwagenhändler brauchte nicht lang für seine Wahl. „Okay, dann will ich die Wiedergeburt. Ich hab’ in meinem Leben nie etwas wirklich Bedeutsames getan. Das will ich im neuen Leben anders machen.“
Der Tod sog zischend die Luft durch seine Zähne. „Wie du willst. Aber ein kleines Detail sollte ich noch erwähnen – nich’ meine Idee, das war der Religionsbeauftragte aus der Verwaltung. Ich weiß nicht, als wer oder was du wiedergeboren wirst. Das hängt davon ab, wie viel Gutes und wie viel Schlechtes du in deinen bisherigen Leben insgesamt getan hast. Da du dich an deine früheren Leben nicht erinnerst - wenn du überhaupt welche hattest – kannst du auch nicht ahnen, wie viel Mist du vielleicht gebaut hast. Du wirst vielleicht als Seegurke wiedergeboren. Oder schlimmer noch: als Landgurke. Dann hast du natürlich wenig Chancen, die Welt zu verändern. Von einem Seegurken-Imperium am Meeresgrund weiß ich jedenfalls nichts.“
Der Tote zuckte mit den Schultern. „Und wenn schon. Wenn ich sterbe, wähle ich wieder die Wiedergeburt und bin dann vielleicht etwas Nützlicheres.“
„Kannste machen. Ich kenne da einen in der Verwaltung, der kann für mich ein bisschen in den Akten mauscheln, wenn wir uns noch einmal treffen. Aber vielleicht sehen wir uns nicht wieder – zum Beispiel wenn du eine Schreibmaschine wirst. Oder ein Doppeldecker. Oder ein Kugelschreiber. Oder eine Frau!“
„Haben Frauen und Kugelschreiber kein Leben nach dem Tod?“
„Doch. Aber für Kugelschreiber gibt’s einen eigenen Sachbearbeiter, genauso wie für Schreibmaschinen und Wäschetrockner. Und für Frauen war ich mal zuständig, bis der Gleichberechtigungsbeauftragte bei uns die Frauenquote eingeführt hat. Seitdem kümmert sich Frau Tod um die Weiber. Soll mir nur recht sein – erspart mir die Hälfte der Arbeit.“
„Ich riskier’s trotzdem.“, sagte der Verblichene.
Kurze Zeit später kam er zu sich, freilich ohne zu wissen, dass er mal Gebrauchtwagenhändler gewesen war, jedoch mit einem vagen Verständnis für Preisverhältnisse von zwanzig Jahre alten Automodellen. Es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, was er war, doch als jemand ein Leuchtelement in seinem kühlen Inneren platzierte, war ihm klar: Er war ein Kühlschrank! Ein richtig teurer, edler Kühlschrank.